RG, 29.03.1919 - I 246/18

Daten
Fall: 
Unteilbarkeit der Gefahr im Seeversicherungsrecht
Fundstellen: 
RGZ 95, 226
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.03.1919
Aktenzeichen: 
I 246/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Lübeck
  • OLG Hamburg

1. Zum Grundsatze der Unteilbarkeit der Gefahr im Seeversicherungsrechte. Bedeutung von Policeklauseln, die diesen Grundsatz durchbrechen, insbesondere der Stilliegeklausel.
2. Zum Begriff "Schiff" im Seeversicherungsrecht.

Tatbestand

Die Beklagte hat bei den Klägerinnen laut verschiedenen Policen für die Zeit vom 18. Februar 1916 bis 17. Februar 1917 Versicherung "nur für Seegefahr" auf die dort angegebenen europäischen Reisen des Dampfschiffes "Trave" genommen, und zwar für das Kasko, für das Interesse durch den Mehrwert des Kaskos und/oder sonstiges Interesse sowie für Frachtgelder und/oder behaltene Fahrt. Die Versicherungsprämien sollten von Ende März 1916 an in 4 vierteljährlichen Raten gezahlt werden. Die Klägerinnen verlangen, nachdem die erste Rate bezahlt worden ist, den Rest der Prämien. Die Beklagte hat eingewandt, der Dampfer "Trave" sei am 18. Mai 1916 nahe der schwedischen Küste von einem Unterseeboot torpediert worden und gesunken; daraufhin sei er am 4. September 1916 an einen skandinavischen Bergungsunternehmer verkauft worden, dem auch das Eigentum daran übertragen worden sei. Deshalb seien in Gemäßheit der Policenbedingungen für den Rest der Versicherungszeit die Prämienraten ganz oder zu einem erheblichen Teile nicht verfallen.

Beide Vordergerichte gaben der Klage statt. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Die Allgemeinen Seeversicherungsbedingungen von 1867, auf welche sich die hier maßgeblichen Policen ausdrücklich beziehen, kennen keinen allgemeinen Grundsatz dahin, daß der Versicherer für die Zeit, während welcher eine Gefahrtragung und damit die Möglichkeit einer Leistung aus dem Versicherungsvertrage für ihn nicht besteht, Versicherungsprämie nicht zu beanspruchen habe. Vielmehr ist dort in § 157 der gegenteilige Grundsatz von der "Unteilbarkeit der Gefahr" in der Weise zum Ausdruck gebracht, daß an sich (vgl. allerdings § 162 Abs. 2 Satz 3), sobald die Gefahr für den Versicherer zu laufen begonnen hat, die ganze Versicherungsprämie verfallen ist und ein Ristorno (Rückgewähr) auch nur teilweise nicht stattfindet. Wenn daher in einem Falle der hier fraglichen Art das "nur für Seegefahr" versicherte Schiff vor Ablauf der Versicherungszeit auf Grund einer nicht durch die Versicherung gedeckten Gefahr, z. B. Kriegsgefahr (Torpedoschuß), total verloren geht, so ist trotzdem grundsätzlich die ganze Prämie verfallen, und zwar auch für denjenigen in die Versicherungszeit fallenden Zeitraum, wo von einer Gefahrtragung des Versicherers und von einem versicherten Eigentum des Versicherungsnehmers oder auch von einem Eigentum überhaupt keine Rede mehr sein kann. Somit bedeuten die hier in Betracht kommenden Bestimmungen der Policen, betr. Rückgewähr eines Teiles der Prämien trotz Beginnes der versicherten Gefahr, Ausnahmen von einer Grundregel und sind demgemäß nicht ausdehnend, sondern nur in strenger Anlehnung an ihren Wortlaut auszulegen. Danach ergibt sich folgendes:

1.

Die Klausel der Police:

"Sofern der Dampfer im Laufe des versicherten Zeitraumes verkauft werden sollte, erlischt die Versicherung mit dem Zeitpunkte des Eigentumswechsels gegen pro rata Rückgabe für die nicht gelaufene Zeit, es sei denn, daß eine Vereinbarung getroffen wird betreffs Übertragung der Versicherung auf den Erwerber" betrifft (ähnlich wie die Vorschrift in § 182 Abs. 2 Satz 3 der Allg. SVB.) nach Wortlaut, Sinn und Zweck nur einen solchen Verkauf und einen solchen Eigentumswechsel, welcher sich auf den Dampfer in seiner Eigenschaft als Seeschiff (vgl. auch RGZ. Bd. 86 S. 430; HGB. § 474. EG. z. HGB. Art. 6) bezieht, und zwar als ein solches Seeschiff, bei welchem eine Übertragung der "nur für Seegefahr" genommenen Versicherung auf einen etwaigen Erwerber vernünftigerweise in Frage kommen könnte. Daß dies bei einem auf dem Grunde des Meeres liegenden Wracke nicht der Fall ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Dasselbe ist aber auch dann anzunehmen, wenn absolute oder relative Reparaturunfähigkeit oder auch nur Reparaturunwürdigkeit des Schiffes vorliegen sollte, wie solche in § 131 AllgSVB. (bezw. §§ 873, 479 HGB.) behandelt ist. Zwar wird ein derartiger Gegenstand, obgleich seine künftige Benutzung als Seefahrzeug in der Regel ausgeschlossen erscheint, sowohl in den Allg. Seeversicherungsbedingungen als auch im Handelsgesetzbuch als "Schiff" bezeichnet, und es werden die betr. Beschädigungen als "Partialschäden" (teilweiser Schaden am Schiff) dem Totalverluste gegenübergestellt. Dies ist aber im Verhältnis des Versicherten zum Versicherer nur dafür von Bedeutung, in welcher Weise die Schäden zu behandeln sind, welche von der Versicherung gedeckt werden. Für die Auslegung der hier maßgeblichen Policenklausel ist dagegen jene Unterscheidung ohne Belang, da eine Übertragung der in jeder Beziehung, insbesondere auch hinsichtlich der Höhe der Prämien, auf ein fahrtüchtiges Schiff zugeschnittenen Versicherung in dem angegebenen Sinne bei einem reparaturunfähigen ober reparaturunwürdigen Schiffe in derselben Weise wie bei einem Wrack außer Frage steht. Daher kommt es hier darauf an. ob zu der Zeit, wo der von der Beklagten behauptete Verlauf und Eigentumswechsel stattgefunden hat, das Kaufobjekt noch den Charakter eines Seeschiffes (Dampfers) derart hatte, daß seine Reparaturfähigkeit und Reparaturwürdigkeit gegeben war. ... ."

2.

Die ferner von der Beklagten in Bezug genommene Policenklausel lautet in ihrem hier maßgeblichen Teile:

"Wenn das Schiff im Winterlager oder aus anderen Gründen (ausgenommen wegen einer dieser Versicherung zur Last fallenden Havarie) während aufeinander folgender 15 oder mehr Tage in einem Hafen unbeschäftigt still liegt" ...

Auch diese Klausel verträgt nach Lage der Sache keinerlei ausdehnende Auslegung (vgl. die Urt. des Reichsgerichts vom 8. und 16. Dezember 1916, I 146 und 145/16). Somit kommt nur ein tatsächliches unbeschäftigtes Stilliegen des Schiffes im Winterlager oder Hafen in Betracht. Mit Recht lehnt daher das Berufungsgericht eine Prüfung der Frage ab, ob und für welchen Zeitraum innerhalb der Versicherungszeit das Schiff, wenn die Versenkung nicht erfolgt wäre, in einem Hafen oder Winterlager stillgelegen haben würde, Richtig ist, daß für den Fall, daß das Schiff trotz der Torpedierung einen Hafen hätte aufsuchen können und dort während der Versicherungszeit für den in der Policeklausel vorgesehenen Zeitraum zwecks Reparatur stillgelegen hätte, die Beklagte einen Anspruch auf entsprechende Verringerung der Prämien erlangt hätte. Hieraus kann aber nichts für den gegenwärtigen Streitfall hergeleitet werden. Die Kriegsgefahr und damit auch die Gefahr der Torpedierung und ihrer Folgen ging im Verhältnis der Parteien allein zu Lasten der Beklagten, und die Möglichkeit, daß sie ohne den eingetretenen Kriegsschaden oder bei einer geringeren Wirkung des Torpedoschusses unter Umständen einen Zustand hätte herbeiführen können, der die Beklagte nach dem Versicherungsvertrage zur Herabsetzung oder gänzlichen oder teilweisen Nichtzahlung der Restprämie berechtigte, ändert nichts daran, daß die Beklagte beim Fehlen einer solchen Voraussetzung aus der "nur für Seegefahr" genommenen Versicherung den Versicherern zur vollen Prämienzahlung verpflichtet war."