RG, 29.03.1919 - I 285/18
1. Schadensersatz wegen Patentverletzung. Hat der Verletzte, wenn er den ihm entgangenen Gewinn geltend macht, von vornherein die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß die sein Patent verletzenden Lieferungen ohne die Patentverletzung tatsächlich ihm selber zugefallen sein würden?
2. Wie ist der Schaden zu bemessen, wenn der Verletzte Schadensersatz, aus dem Gesichtspunkte der Lizenzgebühr geltend macht?
Aus den Gründen
"Die Klägerin begehrt für jeden der vom Oberlandesgerichte festgestellten, in die Zeit vom 11. September 1906 bis 23. Januar 1909 fallenden 39 Verletzungsfälle eine Entschädigung von 6000 M. davon ausgehend, daß sie, wenn sie die 39 Tüllwebstühle mit der Treiberbarrenführung an die Abnehmer der Beklagten geliefert hätte, an jedem Stuhle 6000 M verdient haben würde. Sie macht diesen Schadensbetrag geltend nicht nur aus dem Gesichtspunkte des ihr entgangenen Gewinns, sondern auch aus dem des von der Beklagten erzielten Gewinns und ferner auch aus dem Gesichtspunkte der Lizenzgebühr.
Was den Anspruch der Klägerin anlangt, für die von der Beklagten abgesetzten 39 Tüllwebstühle 6000 M als Entschädigung aus dem Gesichtspunkte des von der Beklagten in dieser Höhe erzielten Gewinns zu erhalten, so hat das Oberlandesgericht dies einwandfrei aus tatsächlichen Gründen abgelehnt. Es hält sich auf Grund der Darlegung der Beklagten für überzeugt, daß letztere an der Lieferung der 39 Stühle keinen Gewinn erzielt, vielmehr Verlust erlitten hat. Demgegenüber wäre es Sache der Klägerin gewesen, nachzuweisen, daß gleichwohl Gewinn erzielt worden ist. Dazu hat sie sich außerstande erklärt.
Das Oberlandesgericht hat weiter auch abgelehnt, der Klägerin Entschädigung aus dem Gesichtspunkte des ihr entgangenen Gewinns zuzubilligen. Voraussetzung für die Zubilligung einer Entschädigung aus diesem Gesichtspunkte würde sein, daß die Klägerin, hätte nicht die Beklagte die 39 Tüllwebstühle mit der patentverletzenden Treiberbarrenführung versehen, diese 39 Stühle abgesetzt haben würde. Diese Voraussetzung erachtet das Oberlandesgericht nicht für dargetan. Die Revision rügt, daß zu Unrecht die Beweislast der Klägerin auferlegt worden sei. Dem kann bei richtiger Auffassung der Entscheidung nicht zugestimmt werden.
Bei den 39 Tüllwebstühlen, die die Beklagte mit der patentverletzenden Einrichtung versehen geliefert hat, sind die Lieferungen 1 bis 20, 25 und 26, also 22 Stühle, welche sie an eine Tüllweberei in Plauen abgesetzt hat, zu unterscheiden von den Lieferungen 21 bis 24, 27 bis 39, also von 17 Stühlen, die sie an Firmen des Auslandes geliefert hat. Bezüglich der ersteren stellt das Oberlandesgericht auf Grund erhobenen Beweises einwandfrei fest, daß der Umstand, daß diese Stühle mit der patentverletzenden Treiberbarrenführung versehen waren, nicht ursächlich war für die Lieferung, daß die Plauener Weberei die Stühle vielmehr auch mit jeder anderen Führung bezogen haben würde und zwar nur von der Beklagten, daß aber niemals eine Lieferung dieser Stühle der Klägerin zugekommen wäre. Damit ist widerlegt, daß der Klägerin durch die Lieferung dieser 22 Stühle ein Gewinn entgangen sein kann. Insoweit ist also der Revisionsangriff gegenstandslos.
Was die übrigen, ins Ausland gelieferten 17 Stühle anlangt, so würde es allerdings nicht gerechtfertigt sein, wie die Revision mit Recht hervorhebt, der Klägerin als der Verletzten von vornherein die Beweispflicht dafür aufzuerlegen, daß sie die Stühle an die ausländischen Firmen geliefert haben würde, wenn die Beklagte sie nicht mit der patentverletzenden Treiberbarrenführung versehen hätte. Nach § 252 BGB. gilt als entgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, und für die Entschädigung bei Patentverletzungen darf nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (Jur. Wochenschr. 1890 S. 162 Nr. 17) regelmäßig davon ausgegangen werden, daß dem Patentberechtigten an Absatz entgangen ist, was der Nichtberechtigte in unberechtigter Anwendung des Gegenstandes der Erfindung abgesetzt hat. Gemäß § 287 ZPO. hat der Richter sich zunächst unabhängig von einer Darlegungspflicht auf Grund der Umstände des Falles ein Urteil darüber zu bilden, ob durch die unberechtigte Anwendung der patentierten Erfindung mit Wahrscheinlichkeit der vom Verletzer erzielte Absatz dem Berechtigten entzogen wurde. Es ist aber nicht ersichtlich, daß das Oberlandesgericht dem entgegen die Beweispflicht der Klägerin auferlegt habe. Wie das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen M. ergibt, wurde der Tüllwebstuhl durch die der Klägerin patentiert gewesenen Treiberbarrenführung zwar in gewisser Richtung verbessert, aber gegenüber Tüllwebstühlen mit anderen Führungen, z. B. der seit 1906 freien Richterschen Kulissenführung, zur Zeit der in Betracht kommenden Verletzungen doch nur noch in der Weise, daß die der Klägerin patentierte Treiberbarrenführung die Herausnahme der fertigen Ware erleichterte. Trotz dieses Vorzugs war, wie der Sachverständige ermittelt hat, die Auffassung in den beteiligten Kreisen zu der fraglichen Zeit keineswegs die, daß dem Tüllwebstuhle mit der der Klägerin geschützten Vorrichtung vor anderen, z. B. dem Tüllwebstuhle mit der Richterschen Kulissenführung, allgemein der Vorzug gegeben wurde. Die Auffassung war vielmehr geteilt, und das Oberlandesgericht entnimmt daraus einwandfrei, daß die Stühle mit den verschiedenen Vorrichtungen von 1906 an im Verkehr für annähernd gleichwertig angesehen wurden, daß jedenfalls aber der Tüllwebstuhl z. B. mit der Richterschen Kulissenführung nicht vom Wettbewerbe mit dem Tüllwebstuhle, der die patentierte Treiberbarrenführung hatte, ausgeschlossen war. Von diesen Erwägungen aus bildete sich das Oberlandesgericht, wozu es im Rahmen des § 287 ZPO. befugt war, das Urteil, es könne nicht anerkannt werden, daß in den Fällen 21 bis 24, 27 bis 39 die ausländischen Abnehmer die Tüllwebstühle deshalb von der Beklagten bezogen hätten, weil die Stühle der Klägerin patentierte Treiberbarrenführung zeigten, und daß, wenn die Stühle diese nicht gehabt, sondern z. B. die freie Richtersche Kulissenführung aufgewiesen hätten, sie nicht von der Beklagten, sondern von der Klägerin bezogen worden wären. Das Oberlandesgericht bezeichnet es also im Rahmen des § 287 ZPO. nach den erörterten besonderen Umständen als keineswegs wahrscheinlich, daß die Patentverletzung ursächlich dafür gewesen sei, daß die 17 Stühle Nr. 21 bis 24, 27 bis 39 nicht von der Klägerin geliefert wurden, und stellt in diesem Zusammenhange sein Urteil weiter dahin auf, "die Sachlage sei nicht so, daß es eines Beweises für den ursächlichen Zusammenhang nicht erst bedürfe". Und in diesem Zusammenhang erst erachtet es die Klägerin für beweispflichtig. Das war zutreffend. Dann folgt aber, daß das Oberlandesgericht es auch mit Recht abgelehnt hat, wegen der Fälle 21 bis 24, 27 bis 39 der Klägerin die Entschädigung aus dem Gesichtspunkt eines ihr entgangenen Gewinns zuzuerkennen, denn sie hat den ihr hiernach obliegenden Beweis nicht erbringen können. Die Revision macht hiergegen noch geltend, daß die Beklagte, da sie in den 39 Fällen zwei bis drei Jahre lang das Patent der Klägerin verletzt habe, unter allen Umständen in den Gewerbebetrieb der Klägerin schädigend eingegriffen und ihr Konkurrenz gemacht haben müsse. Diese Erwägung kann aber angesichts der tatsächlichen Beurteilung des Oberlandesgerichts nicht als richtig anerkannt werden. Denn nach dieser Beurteilung, die sich rechtsirrtumsfrei im Rahmen der durch § 287 ZPO. gegebenen Befugnisse bewegt, liegt die Sache eben nicht so, daß durch die 39 Fälle der Klägerin in dem Absatze der Tüllwebstühle überhaupt Konkurrenz gemacht worden ist.
Hiernach blieb für die Entschädigung der Klägerin nur der Gesichtspunkt einer zu zahlenden Lizenzgebühr, die das Oberlandesgericht in Übereinstimmung mit dem von ihm gehörten Sachverständigen M. gemäß § 287 ZPO. auf 1000 M für jeden der 39 Verletzungsfälle geschätzt hat. Die Revision erachtet den Betrag von 1000 M für zu niedrig und will an dessen Stelle den Betrag von 6000 M als gerechtfertigt anerkannt wissen, d. i. die Summe, welche die Klägerin durchschnittlich an einem Tüllwebstuhle mit der patentierten Treiberbarrenführung verdient habe. Sie hebt hervor, was auch schon in den Vorinstanzen geltend gemacht war, daß die Klägerin es nicht nötig gehabt habe, Lizenzen zu erteilen, daß sie vielmehr das Patent ausschließlich für die von ihr hergestellten Tüllwebstühle benutzt, in letzteren großen Absatz gehabt habe und selbst in der Lage gewesen wäre, alle Nachfragen zu befriedigen, daß sie daher, wenn sie sich zur Erteilung einer Lizenz entschlossen haben würde, sich dazu nur gegen Gewährung des vollen von ihr an dem ganzen Tüllwebstuhl erzielbaren Verdienstes von 6000 M herbeigelassen hätte. Deshalb müsse dieser Betrag auch für die Entschädigungslizenz maßgebend sein. Auch will die Revision die Erwägungen des von der Klägerin überreichten Privatgutachtens Professor K.s berücksichtigt wissen. Was dies letztere Gutachten anlangt, das es entsprechend den Ausführungen- der Revision für gerechtfertigt erachtet, der Klägerin ihren Gewinn von 6000 M an einem Tüllwebstuhle mit der Treiberbarrenführung als "Monopollizenz" zuzubilligen, so mag es nicht unbedenklich sein, wenn das Oberlandesgericht den Erwägungen des Gutachtens grundsätzlich die Richtigkeit abspricht. Es können Fälle so gelagert sein, daß diesen Erwägungen eine Berechtigung nicht abzusprechen ist. Im gegenwärtigen Falle war aber die Voraussetzung, von der das Gutachten und die Revision ausgehen, daß nämlich die patentierte Treiberbarrenführung der Klägerin in der Fabrikation des Tüllwebstuhls eine Monopolstellung gegeben habe, nach der einwandfreien tatsächlichen Annahme des Oberlandesgerichts nicht gegeben. Die Treiberbarrenführung des klägerischen Patents war keine derartige Verbesserung für den Tüllwebstuhl, daß sie den letzteren, mit der patentierten Treiberbarrenführung versehen, zur Zeit der in Betracht kommenden Verletzungen gegenüber Tüllwebstühlen mit anderen erlaubten Führungen als konkurrenzlos erscheinen ließ und der Klägerin auf Grund des Besitzes der patentierten Treiberbarrenführung eine Monopolstellung auf dem Gebiete des Tüllwebstuhls verschaffte. Des weiteren kann aber der Revision auch nicht darin zugestimmt werden, daß das Oberlandesgericht es rechtsirrtümlich abgelehnt habe, bei der Bewilligung der Lizenzgebühr dem Umstand eine Bedeutung beizumessen, daß die Klägerin, wenn sie sich freiwillig zur Lizenzerteilung entschlossen hätte, diese nicht unter 6000 M bewilligt haben würde und für einen geringeren Betrag zu bewilligen auch nicht nötig gehabt hätte. Für die Bemessung der Entschädigungslizenzgebühr können immer nur die besonderen Umstände des einzelnen Falls in Betracht kommen. Wenn, wovon im gegenwärtigen Falle auszugehen, die Sachlage so ist, daß durch die festgestellten Verletzungen nach dem einwandfreien Urteil des Tatsachenrichters dem Verletzten überhaupt keine schädigende Konkurrenz gemacht wurde, so kann, da die Lizenzgebühr bei der nach § 35 PatG. zu beanspruchenden Entschädigung diesen letzteren Gesichtspunkt nicht außer acht lassen darf, immer nur die nach objektiven Gesichtspunkten zu bemessende übliche Vergütung in Betracht kommen. Hiervon ist auch das Oberlandesgericht ausgegangen. Dabei hat es zutreffend angenommen, daß für die Berechnung der Lizenzgebühr nicht der Wert des ganzen mit der patentierten Einrichtung versehenen Webstuhls, sondern nur der Wert dieser Einrichtung selbst in Betracht zu ziehen ist. Es entspricht das der Übung des Verkehrs, vgl. RGZ. Bd. 92 S. 330. und es ist dies auch im vorliegenden Falle von dem Sachverständigen bestätigt worden." ...