danke-sagen-unterstützen

Unveröffentlichte Gerichtsentscheidung hinzufügen: Mehr erfahren...

RG, 29.03.1917 - VI 138/16

Daten
Fall: 
Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB
Fundstellen: 
RGZ 90, 106
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.03.1917
Aktenzeichen: 
VI 138/16
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Köln
  • OLG Köln

Wie verhalten sich die Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB. zueinander?

Tatbestand

Der Kläger hat dem Anstreichermeister H. gegen zweite, auf dessen in Mühlheim am Rhein belegenes Haus nach einem Spartassendarlehen von 35000 M eingetragene Hypothek im August 1910 ein Darlehen von 8000 M gewährt. Der Wert des Hauses war in einer von dem vereidigten Taxator He. in Mühlheim a. RH. gefertigten Taxe vom 28. Mai 1909 auf 71000 M geschätzt worden. Unter diese Taxe hatte der Beklagte am 15. Juni 1909 folgenden Vermerk gesetzt:

"Die vorstehende Wertschätzung.... wurde in ihren Einzelsätzen auf Grund örtlicher Besichtigung geprüft und mit den bestehenden Wertverhältnissen übereinstimmend gefunden; auch ich schätze demgemäß den Wert des Hauses auf 71000 M."

Vor der Beleihung des Hauses durch den Kläger hatte sich H. eine Abschrift der Taxe geben lassen, deren Richtigkeit unter dem 10. August 1910 von dem Beklagten bescheinigt worden ist.

Am 19. Dezember 1912 wurde das H.sche Haus zwangsweise versteigert, wobei nicht einmal die erste Hypothek vollständig ausgeboten wurde. Der Kläger, der behauptet, er habe im Vertrauen auf die Richtigkeit der Taxe dem H. das Darlehen gewährt, macht den Beklagten auf Grund des § 826 BGB. für den ihm durch den Ausfall entstandenen Schaden verantwortlich, indem er weiter behauptet, der Beklagte habe die Richtigkeit der Taxe bestätigt, ohne den Sachverhalt selbst geprüft zu haben. Der Beklagte, der behauptet, das hier fragliche Haus habe zur Zeit der Abschätzung den in der Taxe angegebenen Wert gehabt, beantragt die Abweisung der Klage.

Diesem Antrage haben die Vorinstanzen entsprochen. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Gründe

"Der Revision war der Erfolg nicht zu versagen, da die Rüge einer Verletzung des § 826 BGB. begründet erscheint.

Das Berufungsurteil läßt es dahingestellt, ob die Handlungsweise des Beklagten, nämlich die von ihm vorgenommene Schätzung und die Bestätigung der Richtigkeit der Taxe von He., für den dem Kläger entstandenen Schaden ursächlich war. Es läßt auch die Frage offen, ob der Beklagte durch seine Handlungsweise gegen die guten Sitten verstoßen hat, und gelangt zur Zurückweisung der gegen das klageabweisende erste Urteil gerichteten Berufung des Klägers lediglich auf Grund der Erwägung, es könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagte "vorsätzlich" im Sinne des § 826 BGB. gehandelt habe. In dieser Hinsicht legt es dar, daß zu einem derartigen "Vorsatz" auch der sog. dolus eventualis genüge, d. h. das Bewußtsein des Handelnden, daß der schädigende Erfolg eintreten könne, sofern er diese Möglichkeit nur in seinen Willen aufgenommen und damit gebilligt habe. Das Reichsgericht habe allerdings auch ausgesprochen, daß in besonders gearteten Fällen eine besonders gesteigerte Fahrlässigkeit, die sich als äußerste Leichtfertigkeit, als Gewissenlosigkeit darstelle, genüge, um Vorsatz anzunehmen. ... Dabei sei aber der Nachweis besonderer Umstände erforderlich, die eine Arglist erkennen ließen. Besondere Umstände in dieser Richtung seien nicht dargetan. Denn wenn der Beklagte ohne eigene Prüfung die Taxe des He. als richtig bestätigt, der Sachkunde und Gewissenhaftigkeit des ortskundigen He. blindlings vertraut habe, so beweise dies nur große Leichtfertigkeit; für eine "Arglist" sei aber aus einem solchen Verhalten nichts zu entnehmen.

Diese Darlegungen geben schon deshalb zu erheblichen rechtlichen Bedenken Anlaß, weil das Berufungsgericht die einzelnen Tatbestandsmerkmale, die der § 828 BGB. aufstellt, nicht scharf auseinandergehalten hat. In dieser Hinsicht ist nämlich von folgenden rechtlichen Gesichtspunkten auszugehen. Der § 826 BGB. verlangt einmal das Vorliegen einer Handlungsweise, die gegen die guten Sitten verstößt, also die Feststellung eines objektiven Tatbestandes, der ein sittenwidriges Handeln darstellt. Aber nicht eine jede sittenwidrige Handlung erzeugt einen Schadensersatzanspruch auf Grund des § 826 BGB. Vielmehr erfordert diese Vorschrift weiter, daß die sittenwidrige Handlungsweise mit dem Vorsatze der Schadenszufügung verbunden ist: es muß also einmal durch die sittenwidrige Handlung einem andern ein Schade entstanden sein, und sodann ist es erforderlich, daß der Vorsatz des Handelnden auf die Schadenszufügung gerichtet war. Als ein derartiger Vorsatz genügt auch schon das bloße Bewußtsein des Täters, daß seine Handlungsweise geeignet ist, einem andern Schaden zuzufügen, und daß er diese Möglichkeit in seinen Willen aufgenommen und gebilligt hat.

Diese scharf zu scheidenden Tatbestandsmerkmale werden von dem Berufungsgericht insofern nicht auseinandergehalten, als es zunächst ganz zutreffend davon ausgeht, die Schadenszufügung müsse vorsätzlich oder doch mindestens mit dem Bewußtsein erfolgt sein, daß der schädigende Erfolg eintreten könne, dann jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts darzulegen sucht, daß in dieser Hinsicht in besonders gearteten Fällen auch eine gesteigerte Fahrlässigkeit genüge, die sich als Gewissenlosigkeit oder als Arglist charakterisiere. Diejenigen Entscheidungen des Reichsgerichts, die das Berufungsgericht in dieser Hinsicht anführt, beziehen sich aber gar nicht auf die Frage, ob im gegebenen Falle der Täter den Schaden vorsätzlich zugefügt hat, sondern lediglich darauf, ob seine Handlungsweise als ein "Verstoß gegen die guten Sitten" anzusehen sei. Wenn demnach das Berufungsgericht im Eingange seiner Entscheidungsgründe ausdrücklich erklärt hat, es könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte gegen die guten Sitten verstoßen habe, so stehen seine weiteren Darlegungen, die lediglich die Frage erörtern, ob der Beklagte "gewissenlos oder arglistig" gehandelt, damit in einem unvereinbaren Widerspruche. Denn die Frage der gewissenlosen oder arglistigen Handlungsweise ist nur dann und insoweit aufzuwerfen, als es sich darum handelt, zu prüfen, ob die Handlungsweise des Beklagten gegen die guten Sitten verstößt. Wird dagegen untersucht, ob eine Schadenszufügung vorsätzlich erfolgt sei, so ist lediglich zu prüfen, ob der Beklagte den Schaden mit Vorsatz oder mindestens mit dem Bewußtsein zugefügt hat, daß seine Handlungsweise den Schaden zur Folge haben konnte.

Das Berufungsgericht hat nun in dieser Hinsicht lediglich die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe ohne eigene Prüfung die Taxe des He. als richtig bestätigt und der Sachkunde und Gewissenhaftigkeit des ortskundigen He. blindlings vertraut, als nicht ausreichend erachtet, um aus einem solchen Verhalten eine "Arglist" des Beklagten zu entnehmen. Daraus hat es die Schlußfolgerung gezogen, daß "mangels Nachweises einer vorsätzlichen Schadenszufügung im Sinne des § 826 BGB." die Klage mit Recht abgewiesen worden sei. Jene von ihm geprüfte Behauptung des Klägers bezog sich aber lediglich auf die Frage, ob der Beklagte sittenwidrig gehandelt habe, so daß also irgendwelche Tatsachen, die sich auf die Frage beziehen, ob der Beklagte sich einer vorsätzlichen Schadenszufügung im Sinne des § 826 BGB. schuldig gemacht hat, von dem Berufungsgericht in Wirklichkeit gar nicht geprüft worden sind. Dabei mag übrigens noch hervorgehoben werden, daß in vielen Fällen die Frage, ob die Schadenszufügung vorsätzlich erfolgt ist, von der Beantwortung der andern Frage, ob die Handlungsweise des Beklagten gegen die guten Sitten verstoßen hat, sich nicht trennen lassen wird. Es erscheint deshalb in der Regel auch nicht unbedenklich, die Frage unerörtert zu lassen, ob das Verhalten des Beklagten gegen die guten Sitten verstößt, und lediglich zu untersuchen, ob die Schadenszufügung eine vorsätzliche war oder nicht, wie dies das Berufungsgericht beabsichtigt hat. Denn aus der Art und Weise, in der sich das sittenwidrige Verhalten kundgibt, wird nicht selten auch zu folgern sein, ob der Beklagte mit dem Vorsatze der Schadenszufügung gehandelt hat. Nur in diesem Sinne wird man einzelne Wendungen in dem vom Berufungsgericht angezogenen Urteile des erkennenden Senats vom 8. Mai 1916, VI. 24/16 (Warn. 1916 Nr. 254 insbes. S. 415) zu verstehen haben.

Daß aber grundsätzlich die vorsätzliche Schadenszufügung von dem Verstoße gegen die guten Sitten scharf zu scheiden ist, wird in mehreren Entscheidungen des Reichsgerichts besonders betont. So heißt es in RGZ. Bd. 72 S. 175 insbes. 176:

"Jene Gesetzesbestimmung erfordert vorsätzliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise ... Ein doloses, arglistiges Verhalten wird zur Annahme eines Verstoßes wider die guten Sitten nicht erfordert; auch die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt kann in besonders gearteten Fällen einen solchen Verstoß enthalten, und auch hierbei kann sich der Handelnde ebensogut der Möglichkeit einer Vermögensbeschädigung bewußt sein wie im Falle arglistigen Handelns."

Ebenso hebt die Entscheidung des Reichsgerichts vom 20. Oktober 1913, VI. 228/13 (Warn. 1914 Nr. 122) ausdrücklich hervor, daß die mit Bewußtsein vom Nichtwissen oder mit Bewußtsein ohne Überzeugung aufgestellte Behauptung bestimmter Tatsachen als eine arglistige und deshalb sittenwidrige Handlung im Sinne des § 826 BGB. anzusehen ist.

Hiernach unterliegt das angefochtene Urteil wegen Verletzung des § 826 BGB. der Aufhebung" ...