RG, 28.03.1919 - III 505/18

Daten
Fall: 
Nachprüfung der Vertragshaftung
Fundstellen: 
RGZ 95, 214
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.03.1919
Aktenzeichen: 
III 505/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Koblenz
  • OLG Köln

1. Ist das Revisionsgericht, wenn ein Notar wegen Amtspflicht- und wegen Vertragspflichtverletzung verurteilt ist, trotz Fehlens der Revisionssumme zur Nachprüfung der Vertragshaftung befugt?
2. Amtspflicht des beurkundenden Notars zur Belehrung der Beteiligten. Haftet der Notar wegen Verletzung dieser Pflicht auch einem Dritten, in dessen Interesse die Beurkundung erfolgen sollte?
3. Zur Auslegung des § 2271 Abs. 2 BGB.

Tatbestand

Dem Kläger steht gegen den vermögenslosen Josef G. in Boston eine Forderung von 1745,29 M nebst Zinsen zu. Der am 12. März 1914 verstorbene Vater des Schuldners, Johann G., errichtete am 3. dess. Mts. ein von dem Beklagten beurkundetes Testament, in dem er unter Abänderung seiner eigenhändigen Testamente vom 25. September 1904, 18. März 1910 und 20. April 1913 seinen genannten Sohn und seine drei Töchter je zu 1/4 zu Erben einsetzte und bestimmte, daß der Sohn sich auf seinen Erbteil unter anderem den Betrag von 3245,29 M nebst Zinsen anrechnen lassen müsse, den der Erblasser für Rechnung seines Sohnes an den Kläger und an die Firma G. zur Tilgung von Schulden des Sohnes "zahle". Unstreitig ist die obige Forderung des Klägers in diesem Betrag enthalten und von dem Erblasser nicht gezahlt worden.

Die drei in diesem Testament erwähnten eigenhändigen letztwilligen Verfügungen hatte der Erblasser gemeinschaftlich mit seiner kurz vor ihm, am 4. Februar 1914, verstorbenen Frau errichtet. In ihnen hatten die Eheleute sich gegenseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt, daß nach dem Tode des Längstlebenden ihre drei Töchter und die Abkömmlinge ihres Sohnes Josef sich in den Nachlaß teilen sollten, Josef selbst aber, da er sich in solchem Maße der Verschwendung ergeben habe und so überschuldet sei, daß sein späterer Erwerb erheblich gefährdet werde, nichts erhalten und sein Pflichtteilsrecht durch die Nacherbschaft seiner gesetzlichen Erben und die Verwaltung des Pflichtteils bis zu seinem Tode durch einen Testamentsvollstrecker beschränkt sein solle. Johann G. hat das ihm durch diese gemeinschaftlichen Testamente von seiner Frau Zugewendete nicht ausgeschlagen; diese sind erst nach seinem Tode, am 9. Mai 1914, eröffnet worden. Seine vier Kinder schlugen am 18. dess. Mts. "in ihrer Eigenschaft als Erben ihres Vaters dessen Erbschaft nach ihrer Mutter infolge Berufung durch Testament" aus und nahmen sie als gesetzliche Erben an, und zwar um dem neuen Testamente des Vaters gemäß § 2271 Abs. 2 BGB. zur Wirksamkeit zu verhelfen. Das Nachlaßgericht erklärte aber diese Ausschlagung für unwirksam und bestellte auf Grund der gemeinschaftlichen Testamente einen Testamentsvollstrecker zur Verwaltung des Pflichtteils des Josef G. Die dagegen von Josef G. erhobene Beschwerde wurde von dem Landgerichte zurückgewiesen.

Der Kläger beansprucht nun von dem Beklagten Ersatz des Betrags seiner Forderung gegen Josef G., weil jener bei der Beurkundung des nach § 2271 unwirksamen Testaments vom 9. März 1914 und durch unrichtige Ratserteilung fahrlässig gehandelt und die Nichtbefriedigung der Forderung aus dem Nachlasse des Vaters G. verschuldet habe, der Kläger auch anderweit Ersatz nicht zu erlangen vermöge.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht dagegen dem Klagantrag entsprochen. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg.

Gründe

"Das Berufungsgericht stellt fest, dem Beklagten seien vor der Errichtung des Testaments vom 9. März 1914 die früheren Verfügungen des Erblassers vorgelegt und als dessen Wille mitgeteilt worden, daß in dem neuen Testamente Josef G. an Stelle seines Kindes wieder zum Erben eingesetzt, hierbei aber Sorge getroffen werden solle, daß aus dessen Erbteile der Kläger und die Firma G. befriedigt würden. Der Beklagte habe die früheren Testamente durchgelesen und vorgeschlagen, die Leistung des Josef G. an den Kläger in eine solche des Erblassers umzuwandeln, indem der letztere dem Kläger die 1743,29 M erstatte; dieser Vorschlag sei angenommen worden. Auf Grund dieses Sachverhalts nimmt der Berufungsrichter an, daß der Beklagte entsprechend seinem eigenen Vorschlage die Ausstellung einer Urkunde des Erblassers hätte veranlassen sollen, durch die dem Kläger ein unmittelbarer Anspruch gegen den Erblasser gegeben wäre, daß er aber, wenn er durch die gewählte Art der Beurkundung in dem Testamente den gleichen Erfolg zu erzielen glaubte, verpflichtet gewesen wäre, für die Wirksamkeit des neuen Testaments zu sorgen und den Erblasser über die Notwendigkeit der Ausschlagung des ihm von seiner Frau durch die gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügungen Zugewendeten zu belehren. Da die Ausschlagung nicht erfolgt und das neue Testament infolgedessen unwirksam sei, der Beklagte auch nicht seinem eigenen Vorschlag entsprechend den Erblasser selbst als Schuldner des Klägers habe hinstellen lassen, sei dieser um den Betrag seiner Forderung, die bei Gültigkeit des neuen Testaments aus Josef G.s Erbteil und, wenn der Erblasser sich dem Kläger verpflichtet hätte, aus dessen Gesamtnachlasse hätte befriedigt werden können, durch Schuld des Beklagten geschädigt worden. Der Beklagte sei daher aus Grund des § 839 und des § 676 BGB. zum Ersatze des Schadens verpflichtet. Die gegen diese Ausführungen gerichteten Angriffe der Revision sind zum Teil begründet und rechtfertigen die Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1.

Was zunächst die Haftung des Beklagten aus § 676 BGB. anlangt, so kann zwar der Revision nicht zugegeben werden, daß die hierauf sich beziehenden Ausführungen des Berufungsrichters nicht als selbständiger Entscheidungsgrund gelten könnten, weil der Kläger nur aus § 839 geklagt habe. Denn dieser hatte in dem zweiten Rechtszuge laut seines vorgetragenen Schriftsatzes vom 5. Juni 1916 ausdrücklich eine Haftung des Beklagten aus Rechtsberatung neben der aus § 839 geltend gemacht, da der Beklagte nicht nur mit der Beurkundung des letzten Willens beauftragt, sondern auch und in erster Linie zur Beratung und Rechtsbelehrung zugezogen gewesen sei. Mit der Revision ist aber anzunehmen, daß der Beklagte nur als Notar tätig gewesen ist und nur wegen Verletzung einer Amtspflicht in Anspruch genommen werden kann.

Gegen die Zulässigkeit dieser Abweichung von der angefochtenen Entscheidung könnte freilich ein Bedenken daraus hergeleitet werden, daß der Wert des Beschwerdegegenstandes nur 1745,29 M beträgt und die Revision daher nach § 547 Nr. 2 ZPO. in Verb, mit § 70 Abs. 8 GBG., § 39 Nr. 3 preuß. AG. z. GBG. nur deshalb zulässig ist, weil der Rechtsstreit einen Anspruch gegen einen öffentlichen Beamten wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen zum Gegenstande hat. Im gegebenen Falle ist jedoch die Nachprüfung der Haftung des Beklagten wegen Verletzung einer Vertragspflicht durch das Revisionsgericht zu bejahen. Die Klage ist von vornherein in erster Linie auf § 839 BGB. gestützt und aus diesem Gesichtspunkte für begründet erachtet worden. Daneben erklärt der Berufungsrichter auch eine Haftung des Beklagten aus § 676 auf Grund desselben Sachverhalts, wie die aus § 839, für gerechtfertigt. Es handelt sich also nur um eine mehrfache rechtliche Beurteilung desselben Tatbestandes. Das an die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts nicht gebundene Revisionsgericht hat aber den Rechtsgrund für den erhobenen Schadensersatzanspruch selbständig zu prüfen.

Nach der ständigen neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats kann die Erfüllung einer Amtspflicht eines preußischen Notars nicht Gegenstand vertraglicher Bindung sein (vgl. RGZ. Bd. 85 S. 413; Jur. Wochenschr. 1915 S. 1007, 1193; 1916 S. 1116; Gruchot Bd. 59 S. 1055; Warneyer 1916 S. 128, 453 usw.). Damit setzt sich der Berufungsrichter in Widerspruch, wenn er in demselben Verhalten des Beklagten die Verletzung einer Amts- und einer Vertragspflicht findet. Es kommt vielmehr, wenn eine Amtspflichtverletzung gegeben ist, nur eine solche in Betracht.

Eine Amtspflichtverletzung steht nun aber nach dem Vorbringen des Klägers in Frage. Denn der beurkundende Notar ist kraft seines Amtes verpflichtet, den Willen der Beteiligten zu erforschen und in gültiger Fassung und Form urkundlich festzulegen, sie insbesondere auch darüber zu belehren, auf welche Weise sie den mit der Beurkundung erstrebten Zweck erreichen können, und ihnen das dazu taugliche Rechtsgeschäft vorzuschlagen (vgl. RGZ. Bd. 85 S. 339, 412 flg.; Warneyer 1916 453; ZBlFG. 14 S. 656; auch Jur. Wochenschr. 1915 S.513). Demnach lagen dem Beklagten kraft seines Amtes auch die Pflichten ob, deren Verletzung ihm das Berufungsgericht zur Last legt, die Belehrung über die Notwendigkeit der Ausschlagung der Erbschaft der Frau des Erblassers durch diesen, um die Unwirksamkeit des neuen Testaments zu verhüten, und der Vorschlag, eine den Erblasser zur Zahlung an den Kläger verpflichtende Urkunde auszustellen.

Aus diesem Grunde ist eine Vertragshaftung des Beklagten auf Grund des festgestellten Sachverhalts zu verneinen. Sie würde aber auch dann verneint werden müssen, wenn die in dem angefochtenen Urteile nicht erwähnten Behauptungen des Klägers richtig sein sollten, daß der Kläger, der ein Schwiegersohn des Erblassers ist, am Tage vor der Testamentserrichtung in der Amtsstube des Beklagten gewesen wäre und diesem auseinandergesetzt hätte, um welchen doppelten Zweck es sich bei der Beurkundung handle, sowie daß er sich an dem Tage der Beurkundung an den Besprechungen und Beratungen beteiligt und den Beklagten um Rat gefragt habe. In diesen Vorbesprechungen ist der Abschluß eines besonderen Vertrags zwischen den jetzigen Streitteilen nicht zu finden; der Beklagte ist vielmehr nur zu dem Erblasser in unmittelbare Rechtsbeziehungen getreten und zwar nur als Urkundsbeamter.

2.

Dem Berufungsgerichte kann ferner auch darin nicht beigepflichtet werden, wenn es eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten darin findet, daß er nicht die Ausstellung einer Urkunde veranlaßt habe, in der sich der Erblasser dem Kläger gegenüber zur Tilgung von dessen Forderung an Josef G. verpflichtete. Dem Willen des Erblassers, nach dem die Schulden des Sohnes aus dessen Erbteile getilgt werden sollten, würde nicht durch die Ausstellung einer solchen Urkunde allein, sondern nur in Verbindung mit der Errichtung eines Testaments, in dem Josef G. zum Erben eingesetzt und die Anrechnung der Forderungsbeträge auf seinen Erbteil angeordnet wurde, entsprochen sein. Vor allem aber ist ein Verschulden des Beklagten zu verneinen. Er konnte mit Fug annehmen, der Erblasser würde seinen von den Beteiligten, auch von dem Kläger angenommenen Vorschlag, diesem den Betrag seiner Forderung in bar oder durch Wechsel, Scheck oder dgl. zu erstatten, sofort ausführen und der Kläger selbst auch für dessen Ausführung sorgen, und er hatte bei dem Verhältnis des Erblassers zu dem Kläger keinen Anlaß, die Sicherung der Ausführung dieses Vorschlags durch Errichtung einer Verpflichtungsurkunde zu veranlassen.

3.

Dagegen ist mit dem Vorderrichter in der Unterlassung der Belehrung über die Notwendigkeit, die Erbschaft der Frau des Erblassers aus den gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügungen auszuschlagen, die schuldhafte Verletzung einer dem Kläger gegenüber obliegenden Amtspflicht zu finden.

Die Ausschlagung war nach 8 2271 Abs. 2 BGB. Voraussetzung für die Wirksamkeit des von dem Beklagten beurkundeten Testaments. Ihr Unterbleiben hat auch in dem gegebenen Falle die Unwirksamkeit dieses Testaments zur Folge gehabt. Allerdings wird in der Rechtslehre vereinzelt die Ansicht vertreten, daß ein korrespektives gemeinschaftliches Testament durch die Errichtung eines neuen, widersprechenden Testaments des überlebenden Ehegatten, also ohne Ausschlagung, hinfällig wird, wenn der letztere, wie hier der Erblasser, vor Ablauf der Ausschlagungsfrist und vor Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung des ihm durch das gemeinschaftliche Testament Zugewendeten verstirbt ( Strohal, Erbrecht 3. Aufl. Bd. 1 S. 338 flg., § 43a bei Anm. 27 flg.). Dieser Ansicht kann jedoch nicht beigepflichtet werden, da sie mit der gesetzlichen Bestimmung nicht vereinbar ist. Nach § 2271 Abs. 2 erlischt mit dem Tode des einen Ehegatten grundsätzlich das Recht des Überlebenden zum Widerrufe der korrespektiven gemeinschaftlichen Verfügungen, und von dieser Regel läßt das Gesetz, von den Fällen der §§ 2294, 2336 abgesehen, nur für den Fall der Ausschlagung des ihm Zugewendeten eine Ausnahme zu. Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute G. ist ferner auch nicht dadurch hinfällig und das neue Testament des Ehemanns nicht dadurch wirksam geworden, daß nach dessen Tode vor Ablauf der Ausschlagungsfrist seine vier Kinder als seine Erben die ihm von seiner Frau hinterlassene Erbschaft formgerecht ausgeschlagen haben. Dies folgt schon daraus, daß die Kinder des Erblassers zu dieser Ausschlagung nicht befugt waren, weil sie nicht zu der Erbschaft ihres Vaters berufen waren. Ihre Berufung kann nur auf dessen neues Testament gegründet werden, da sie in den gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügungen nicht eingesetzt waren, und das entbehrte vor der Ausschlagung der Wirksamkeit und sollte solche erst durch diese erhalten. Es bedarf daher keines Eingehens auf die Streitfrage, ob nur der überlebende Ehegatte selbst oder auch dessen Erben zur Ausschlagung mit der in § 2271 Abs. 2 geregelten Wirkung berechtigt sind.

Daß der Beklagte ferner kraft seines Amtes zu der Belehrung über die Notwendigkeit der Ausschlagung verpflichtet war, ergibt sich aus obigen Ausführungen, und angesichts der Bestimmung des § 2271 Abs. 2 ist dem Beklagten diese Unterlassung auch mangels besonderer Entschuldigungsgründe zum Verschulden anzurechnen. Selbst wenn er Strohals Ansicht geteilt und mit dem Tode des Erblassers vor Ablauf der Ausschlagungsfrist gerechnet haben sollte, würde in der Nichtberücksichtigung der herrschenden Meinung, die die Fassung des Gesetzes für sich hat, ein Verschulden zu finden sein; der Beklagte behauptet aber außerdem auch, daß der Erblasser ihm gar nicht so krank erschienen sei, daß er an dessen baldigen Tod gedacht hätte.

In der Unterlassung liegt nach der Lage des Falles auch die Verletzung einer dem Beklagten dem Kläger gegenüber obliegenden Amtspflicht. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts war der dem Beklagten mitgeteilte Zweck der Beurkundung unter anderem gerade die Wahrung des Interesses des Klägers. Das genügt aber, um in der Unterlassung der Belehrung über das zur Erreichung dieses Zweckes Notwendige die Verletzung einer Amtspflicht nicht nur gegenüber dem Beteiligten, dessen Erklärung beurkundet wird und an den die Belehrung zu richten ist, sondern auch gegenüber dem Dritten, in dessen Interesse die Beurkundung erfolgen soll, zu finden.

Begründet ist dagegen der Angriff der Revision, der Berufungsrichter habe nicht festgestellt, daß, wenn der Beklagte jene Belehrungspflicht erfüllt hätte, der Erblasser zur Ausschlagung der Erbschaft seiner Frau bereit gewesen wäre. Der Beklagte hat dies ausdrücklich bestritten und als so selbstverständlich, daß es der Erwähnung nicht bedurft hätte, kann man die Ausschlagung selbst bei Unterstellung der von dem Kläger aufgestellten, von dem Berufungsrichter nicht geprüften Behauptungen keineswegs bezeichnen. Ohne eine solche Feststellung ist aber die Haftung des Beklagten nicht schlüssig bejaht; lehnte der Erblasser die Ausschlagung ab, so konnte der Kläger aus dem Erbteile des Josef G. selbst dann keine Befriedigung erlangen, wenn der Beklagte sich keiner Amtspflichtverletzung schuldig gemacht hätte.

Demnach ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen."