RG, 22.03.1919 - V 374/18
1. Verkaufsangebot mit Bindung auf bestimmte Zeit und mit der Abmachung, daß ein auf den Kaufpreis anzuzahlender Betrag bei Nichtannahme des Angebots als Entgelt für die Bindung des Antragenden verfällt. Kann der Antragsempfänger die Anzahlung zurückfordern, wenn er an der Annahme durch Umstände gehindert wurde, die er nicht zu vertreten braucht?
2. Sind in solchem Falle auch die Grundsätze vom uneigentlichen Strafgedinge anwendbar?
Tatbestand
In der notariellen Urkunde vom 14. August 1917 bot der Beklagte sein Rittergut M. mit Bindung bis zum 1. Oktober 1917 zum Kaufe an. Das Angebot wurde gegenüber dem Bruder des Klägers, Landwirt Erich O., erklärt, der zur Entgegennahme des Angebots von dem damals im Felde befindlichen Kläger bevollmächtigt war. Erich O. zahlte auf den Kaufpreis 25000 M an und erklärte zugleich in § 12 der Urkunde namens des Klägers, daß diese 25000 M dem Beklagten überlassen sein sollten, wenn der Kaufvertrag nicht angenommen würde. Die Annahme ist nicht erfolgt. Schon am 15. August 1917 war der Kläger in englische Gefangenschaft geraten, und der Brief, mittels dessen der beurkundende Notar eine Ausfertigung der Verhandlung vom 14. August tags darauf an den Kläger gesendet hatte, kam mit dem Vermerke "vermißt" als unbestellbar zurück. Nunmehr fordert der Kläger die angezahlten 25000 M zurück, indem er geltend macht, daß er zur fristgemäßen Annahme des Kaufangebots infolge seiner Gefangenschaft außerstand gesetzt worden sei, während nach Treu und Glauben das Angebot nur dann hätte gelten sollen, wenn er zur Annahme und zur Einhaltung der Frist imstande wäre. Sein Bruder Erich O. habe zur Verfügung über die angezahlten 25000 M überdies keine Vollmacht gehabt.
Der Beklagte wurde durch das Landgericht klaggemäß verurteilt: auch seine Berufung wie demnächst seine Revision blieben erfolglos, die letztere aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der Klaganspruch stellt eine Rückforderung im Sinne des § 812 BGB. dar. Während das Landgericht das Klagbegehren deswegen als gerechtfertigt erachtet hat, weil der Kläger "unverschuldet in die Unmöglichkeit gekommen sei, einen Entschluß zu fassen und sich auf das Kaufangebot zu erklären", meint das Berufungsgericht, daß der Kläger den "namens seiner und in Vollmacht" von Erich O. angezahlten Betrag von 25000 M ungeachtet unterbliebener rechtzeitiger Annahme des Kaufangebots aus dem Grunde zurückfordern dürfe, weil das zwischen dem Beklagten und Erich O. über den Verfall der Anzahlung getroffene Abkommen dem Kläger gegenüber überhaupt nicht wirksam geworden sei.
Der Revision ist zuzugeben, daß dieser Entscheidungsgrund nicht als stichhaltig gelten kann. Die Annahme des Berufungsgerichts kommt nämlich darauf hinaus, daß die Wirksamkeit des Abkommens davon abhängig gewesen sei, daß das Kaufangebot mit Anschluß jenes Abkommens dem Kläger zuging und von ihm geprüft werden konnte; nun sei aber das gesamte Kaufangebot, das trotz seiner verschiedenartigen Bestandteile - des einseitigen Vertragsantrags und anderseits des zweiseitigen Abkommens - nur als eine einheitliche Willenserklärung aufgefaßt werden könne, dem Kläger tatsächlich nicht zugegangen und habe ihm wegen seiner Gefangennahme auch nicht zugehen können, hierbei hat jedoch das Berufungsgericht die wirkliche Rechtslage verkannt. Nach dem in Rede stehenden Abkommen sollten die auf den Kaufpreis im voraus angezahlten 25000 M dem Beklagten für den Fall nicht rechtzeitiger Annahme des Angebots "als Gegenleistung" für seine bis zum 1. Oktober 1917 eingegangene Bindung dienen, und gebunden wurde der Beklagte bedingungslos schon durch die Erklärung seines Angebots dem Erich O. gegenüber, da dieser, wie feststeht, zur Entgegennahme des Angebots vom Kläger ermächtigt war (§§145, 164 BGB.). Sollte aber der Beklagte die empfangenen 25000 M als Entgelt für seine Bindung behalten dürfen, so hätte dieser Grund an und für sich immer zutreffen können, gleichviel an welcher Ursache das Zustandekommen des Vertrags, insbesondere die rechtzeitige Annahme des Vertragsangebots scheiterte, wenn sich nur die Bindung des Beklagten als eine vergebliche herausstellte und das Angebot nicht rechtzeitig erfolgte. Der Kläger hat übrigens auch selbst die Unwirksamkeit des Abkommens keineswegs aus dem vom Berufungsgerichte vertretenen Gesichtspunkte geltend gemacht, sondern nur mit der Behauptung begründet, daß Erich O. von ihm zum Abschlusse des Abkommens nicht ermächtigt gewesen sei. Das Berufungsgericht hat indes das Gegenteil angenommen (freilich ohne nähere Darlegung dieses Standpunktes), und von dieser tatsächlichen Annahme des Berufungsgerichts darf daher auch jetzt nicht zum Nachteile des Revisionsklägers abgewichen werden.
Allein ist auch der Entscheidungsgrund des Berufungsgerichts verfehlt, so ist seine Entscheidung selbst auf Grund der getroffenen Feststellungen gleichwohl gerechtfertigt, weil die Erwägungen des landgerichtlichen Urteils, richtig verstanden, als zutreffend erscheinen. Es ist festgestellt, daß der Kläger von dem Vertragsangebote vom 14. August 1917 mit Einschluß des hier in Rede stehenden Abkommens überhaupt keine Kenntnis erhalten hat und daß solches ausgeschlossen war, weil er schon am 13. August 1917 in englische Gefangenschaft geriet. Mithin läßt sich gar nicht damit rechnen, daß es irgendwie an dem Kläger lag, wenn er die rechtzeitige Annahme des Kaufangebots verabsäumte oder eine Erklärung auf das Angebot überhaupt unterließ. Vielmehr ist unbedenklich anzunehmen, daß der Kläger an der rechtzeitigen Annahme des Angebots durch einen Umstand unbedingt gehindert wurde, den er keinesfalls zu vertreten braucht. War dies aber der Fall, dann darf auch die Verfallabrede nach den hier anzuwendenden Rechtsgrundsätzen gegen den Kläger nicht geltend gemacht werden und kann er jetzt ebensowenig an der Rückforderung der für ihn angezahlten 25000 M gehindert sein, wie er gehindert gewesen wäre, die Zahlung jenes Betrags zu verweigern, wenn die Zahlung noch nicht erfolgt gewesen wäre und der Beklagte sie auf Grund jenes Abkommens gefordert hätte. Es ist ein wiederholt ausgesprochener und ständig festgehaltener Grundsatz, daß die für den Fall einer Unterlassung angedrohte Rechtsverwirkung dann nicht eintritt, wenn die Unterlassung nicht auf ein schuldhaftes Verhalten des Verpflichteten, sondern auf Umstände zurückzuführen ist; welche der Verpflichtete nicht zu vertreten braucht (vgl. Jur. Wochenschr. 1908 S. 234 Nr. 5. 1916 S. 1584 Nr. 3; Gruchot Bd. 57 S. 928; Warneyer 1913 Nr. 223, 1917 Nr. 48). In den damaligen Fällen lag die Sache allerdings so, daß die Rechtsverwirkung abredegemäß wegen nicht rechtzeitiger Erfüllung einer bereits geschuldeten Leistung eintreten sollte (daß ein Darlehen, eine Hypothek bei nicht rechtzeitiger Zinszahlung sofort fällig werden oder ein Mietrecht unter gleicher Voraussetzung erlöschen sollte). In gegenwärtiger Sache sollten die auf das Kaufgeld angezahlten 25000 M schon bei nicht rechtzeitiger Annahme des Kaufangebots dem Beklagten verfallen und anderseits auch der Kläger des Rückforderungsanspruchs im Falle Scheiterns des Kaufes schon unter der nämlichen Bedingung verlustig gehen, während eine Vertragsannahme allerdings nicht als eine vom Antragsgegner geschuldete Leistung angesprochen werden darf. Indes man darf davon ausgehen, daß eine derartige mit einem Kaufangebote verbundene Verfallabrede, wie sie hier getroffen worden ist und wie sie bei den jetzt üblichen Kaufangeboten überhaupt getroffen zu werden pflegt, die Bestimmung hat, demjenigen, der den Kauf anträgt, die Vertragsannahme möglichst zu sichern und ihm daher auf solche Weise zugleich auch eine möglichst sichere Anwartschaft auf die Vertragserfüllung selbst und auf die Leistungen des anderen Teiles zu verschaffen. Läßt sich somit die Vertragsannahme auch nicht schon als die geschuldete Leistung selbst auffassen, so stellt sie doch denjenigen Vorgang dar, der den Antragsteller zur künftigen Leistung verpflichtet und damit dem Antragenden seinerseits den Anspruch auf die Leistung gewährt, und so erscheint es als statthaft, auch als geboten, die hinsichtlich der Rechtsverwirkung für den Fall nicht rechtzeitiger Leistung angenommenen Grundsätze auch im Falle der hier gegebenen Art entsprechend anzuwenden, wo die Verwirkungsabrede oder die Verfallklausel benutzt wird, um zunächst die Begründung des Leistungsanspruchs und damit auch die Bewirkung der erwünschten Leistung selbst wenigstens mittelbar zu sichern. Auch in solchen Fällen entspricht es Recht und Billigkeit, den anderen Teil gegen eine unverschuldete Einbuße zum Vorteile des anscheinend Berechtigten in Schutz zu nehmen. Zugunsten des Klägers spricht noch eine weitere Erwägung. Es ist in der Rechtsprechung schon darauf hingewiesen worden, daß es sich in Fällen, wie sie aus der Rechtsprechung zuvor dargelegt worden sind, ähnlich verhält wie bei Verwirkung einer Vertragsstrafe wegen Nichterfüllung oder nicht rechtzeitiger Erfüllung (vgl. insbesondere Warneyer 1913 Nr. 223). Dieser Gesichtspunkt greift auch in dem hier gegebenen Falle Platz. Mag nämlich der Verfall der angezahlten 25000 M zugunsten des Beklagten auch als "Gegenleistung" oder als Entgelt für seine Bindung bedungen sein, so stellte er doch, vom Standpunkte des Klägers aus betrachtet, eine Strafe dar, die den Kläger zutreffendenfalls wegen nicht rechtzeitiger Annahme treffen würde. Und daß die Verwirkung einer Strafe Verschulden voraussetzt, ist ebenfalls feststehender Grundsatz, sofern man von dem hier außer Betracht bleibenden Falle des § 339 S. 2 BGB. absieht (vgl. Gruchot Bd. 57 S. 929; Jur. Wochenschr. 1918 S.1584 Nr. 3). Wiederum ist freilich zu beachten, daß sich der Kläger nach dem in Frage stehenden Abkommen der Strafe nicht für den Fall der Nichterfüllung oder der nicht rechtzeitigen Erfüllung einer Verbindlichkeit unterworfen hat, sondern nur für den Fall, daß er die rechtzeitige Annahmeerklärung unterlasse. Aber das Gesetz selbst stellt auch derartige Fälle, wo dem Strafgedinge nicht eine bereits bestehende Verbindlichkeit zugrunde liegt, sondern "eine Strafe" für den Fall versprochen wird, daß "eine Handlung vorgenommen oder unterlassen" werde, wo also die Vornahme der Handlung oder die Unterlassung gerade durch das Strafversprechen erst gesichert werden soll, als uneigentliches Strafgedinge unter den Gesichtspunkt eines eigentlichen Strafgedinges (§ 343 Abs. 2; Komm. v. RGR. Anm. 1 zu § 393, Anm. 2 zu § 343; Planck Anm. 1aδ zu § 339). Auch hiernach also kommt dem Kläger zustatten, daß er an Verabsäumung der rechtzeitigen Vertragsannahme keine Schuld trägt. Da übrigens auch festgestellt ist, daß dem Kläger jedenfalls selbst die Entschließung darüber vorbehalten sein sollte, ob er den Vertrag überhaupt annehmen wollte oder nicht, so ist auch die Behauptung des Beklagten unwesentlich, daß Erich O. auch zum Vertragsabschlusse ermächtigt gewesen sei.
Ohne Belang ist schließlich auch der Einwand der Revision, den sie der landgerichtlichen Entscheidung gegenüber erhoben hat, bei der die Frage des Nichtverschuldens gleichfalls die entscheidende Rolle spielt: der Einwand nämlich, daß es im Belieben des Klägers gestanden habe, den Vertragsantrag anzunehmen ober nicht anzunehmen, und daß er die Gefahr habe tragen müssen, daß ihm das Vertragsangebot nicht rechtzeitig bekannt gemacht werden konnte. In der ersteren Hinsicht ist übersehen, daß der Kläger unter den obwaltenden Umständen überhaupt nicht in die Lage kam, von seinem Belieben Gebrauch zu machen. Die Meinung aber, daß der Kläger die Folgen der Fristversäumung unbedingt sich aufbürden lassen müsse, scheitert eben an den oben angestellten Erwägungen."