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RG, 13.03.1919 - VI 5/19

Daten
Fall: 
Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften
Fundstellen: 
RGZ 95, 180
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.03.1919
Aktenzeichen: 
VI 5/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Halberstadt
  • OLG Naumburg

1. Bedeutung der Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften.
2. Übt die Bestimmung des § 913 RBO., nach welcher der Unternehmer gewisse ihm nach diesem Gesetz obliegende Pflichten, darunter auch Einrichtungen auf Grund von Unfallverhütungsvorschriften, auf andere Personen übertragen darf, eine Rückwirkung auf die Anwendung des § 903 RVO. über die Haftung der Unternehmer gegenüber den Berufsgenossenschaften für deren Aufwand aus Betriebsunfällen?
3. Verschulden durch Vernachlässigung der Aufsicht.

Tatbestand

Am 18. Februar 1915 geriet die Ehefrau des Hoteldirektors M. in Sch. im Hotel Br.-Sch. mit der rechten Hand in das Getriebe einer durch Dampf geheizten, mittels Rinnen angetriebenen Muldenplättmaschine; die Hand wurde gequetscht und verbrüht. Die klagende Berufsgenossenschaft zahlte der Verletzten eine Unfallrente und verlangte klagend auf Grund des § 903 RVO. von dem Beklagten, der das Hotel im Jahre 1912 in der Zwangsversteigerung erworben hatte, Ersatz ihrer Aufwendungen. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Auf die Revision des Beklagten wurde das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben.

Aus den Gründen

"Das Berufungsgericht hat den Beklagten auf Grund des § 903 RVO. der Klägerin gegenüber für ihre Aufwendungen an die durch den Unfall vom 18. Februar 1915 verletzte Ehefrau W. für verantwortlich und haftbar erachtet, weil er den Unfall fahrlässig mit Außerachtlassung derjenigen Aufmerksamkeit herbeigeführt habe, zu der er vermöge seines Gewerbes besonders verpflichtet war. Er habe unterlassen, die durch § 97 der Unfallverhütungsvorschriften der klagenden Berufsgenossenschaft von 1898/1901 zum Schutze der an Plättmaschinen beschäftigten Personen vorgeschriebene Schutzleiste an seiner Maschine anbringen zu lassen, durch deren Anbringung der Unfall verhütet worden wäre, obwohl er sich hätte sagen müssen, daß der Betrieb der ungesicherten Maschine den daran beschäftigten Personen gefährlich werden könne. Der Beklagte habe zwar wiederholt Veranlassung genommen, über Schutzvorkehrungen, die an der Maschine angebracht werden könnten und sollten, sich zu unterrichten. Dabei habe er es aber bewenden lassen und Maßregeln zur alsbaldigen Abstellung des gefährlichen Zustandes der Maschine nicht getroffen, auch nicht, nachdem am 26. Dezember 1914 ein kleiner Unfall der Arbeiterin W. an der Maschine vorgekommen war. Daß er dem Hotelleiter M. die größte Sorgfalt bei dem Betriebe der Plättmaschine zur Pflicht gemacht habe, genüge nicht; er habe bis zur Beschaffung der Sicherheitsvorrichtung die Maschine außer Betrieb setzen lassen müssen. In der Unterlassung einer solchen Anordnung liege eine Fahrlässigkeit im strafrechtlichen Sinne des § 230 StGB., die den Beklagten nach § 903 RVO. der Klägerin ersatzpflichtig für ihre auf Grund dieses Gesetzes aufgewendeten Leistungen mache.

Der Beklagte hatte zu seiner Entlastung in der Berufungsinstanz behauptet und unter Beweis gestellt: einmal, daß er den Hoteldirektor M. zum selbständigen Betriebsleiter des Hotels bestellt gehabt habe, der vorher schon jahrelang ein anderes Hotel bewirtschaftet habe; für die Beobachtung der Unfallverhütungsvorschriften sei daher dieser, nicht der Beklagte verantwortlich. Ferner: daß er nach dem Unfalle der W. dem Hotelleiter M. gegenüber die vorläufige Außerbetriebsetzung der Plättmaschine bis zur Anbringung der Sicherheitsvorrichtung veranlaßt und bestimmt habe, es solle einstweilen mit der Hand geplättet werden; zur Herstellung der Schutzvorrichtung sei alsbald das Erforderliche angeordnet worden, und gerade am Tage des Unfalls der Frau M. sei der Monteur K. des Fabrikdirektors L. in dem Hotel erschienen, um die Verbesserung an der Maschine vorzunehmen.

Das Berufungsgericht hat beide Beweisanträge abgelehnt. Den ersteren, weil die eigenen Angaben des Beklagten die Behauptung widerlegten; danach habe er selbst die Wasch- und Plättanlage instand und in Betrieb setzen lassen und wegen der Herstellung der Sicherheit der Maschine und etwaiger Schutzvorkehrungen mit dem Fabrikbesitzer L. und dem Hotelbesitzer R. sich in Verbindung gesetzt; er habe sich also selbst als verantwortlich erachtet. Den zweiten Beweisantritt aber, daß der Beklagte nach dem Unfalle der W. die Außerbetriebsetzung der Maschine dem Hotelleiter M. gegenüber angeordnet habe, erachtet das Berufungsgericht für unbeachtlich, da der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, auch die Ausführung seiner Anordnung durchzusetzen und zu überwachen; übrigens habe auch M. bei seiner Vernehmung als Zeuge von einer solchen Anordnung nichts erwähnt, obwohl er hierzu Veranlassung gehabt hätte.

Die Zurückweisung beider Beweisanträge bildet den Gegenstand der Revisionsbeschwerde. Diese war für begründet zu erachten.

Der Beklagte hatte, nachdem er das Hotel Br.-Sch. in der Zwangsversteigerung erworben hatte, wegen Instandsetzung der Wasch- und Plättanlage sich an den Fabrikanten L. in W. gewandt. Weder L. noch der Beklagte kannten die Unfallverhütungsvorschrift des angeführten § 97, die deshalb unbeachtet blieb. Die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften (§§ 848 flg. RVO.) sind, wie die Rechtsprechung des Reichsgerichts wiederholt ausgesprochen hat, nicht Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB., aber sie sind für die Betriebsunternehmer bindende Vorschriften, zu deren Befolgung diese durch Strafen angehalten werden können; die Betriebsunternehmer sind verpflichtet, sich davon Kenntnis zu verschaffen und sie auszuführen (RGZ. Bd. 48 S. 327, Bd. 72 S.197; Warneyer 1911 Nr. 211, 1915 Nr. 96,1918 Nr. 172). Ihre schuldhafte Außerachtlassung begründet in der Regel den Tatbestand des § 903 RVO. Die Reichsversicherungsordnung bestimmt nun in § 913, daß der Unternehmer die ihm auf Grund dieses Gesetzes obliegenden Pflichten auch Betriebsleitern und anderen Aufsichtspersonen, soweit es sich jedoch um Einrichtungen auf Grund von Unfallverhütungsvorschriften handelt, allein den ersteren übertragen dürfe. Der Beklagte behauptet, dies im Jahre 1914 dem Hoteldirektor M. gegenüber getan zu haben, den er nach dem vorgetragenen Schriftsatze der ersten Instanz vom 3. Oktober 1917 zum vollständig selbständigen Leiter des Hotelbetriebs in allen seinen einzelnen Teilen mit voller Verantwortung für den Betrieb nur mit der Einschränkung bestellt zu haben behauptet, sobald größere Reparaturen erforderlich würden, dem Beklagten davon Mitteilung zu machen und dessen Genehmigung einzuholen; darin würde dann auch die Übertragung der Pflichten zur Herstellung der Einrichtungen der Unfallverhütungsvorschriften im Sinne des § 913 RVO. enthalten sein. Die Erwägung, mit der das Berufungsgericht den Beweisantrag abgelehnt hat, kann nicht für durchschlagend erachtet werden. Daß der Beklagte selbst um die sichere Herstellung der Plättmaschine und die Anbringung von Sicherheitsvorrichtungen sich bemüht hat, steht nicht im Widerspruche damit, daß er an und für sich die Sorge dafür dem Hotelleiter M. übertragen hatte: hat er ein übriges getan und sich neben diesem selbst um die Sache gekümmert, so beweist dies sein ernstes Bestreben, den Anforderungen des Arbeiterschutzes gerecht zu werden, kann aber nicht als eine die Behauptung der Übertragung dieser Geschäftsbesorgung an den Hotelleiter M. widerlegende Tatsache angesehen werden.

Es kann sich indessen fragen, ob die Bestimmung des § 913 RVO. zu derjenigen des § 903 des Gesetzes überhaupt in Beziehung steht und dessen Anwendung zu beeinflussen geeignet ist. Der erkennende Senat hat sich mit dieser Frage bereits in den Urteilen Jur. Wochenschr. 1918 S. 617 Nr. 7 und Warneyer 1918 Nr. 174 befaßt. In dem ersteren Urteile wurde dahingestellt gelassen, ob § 913 eine Einschränkung des Pflichtenkreises des Unternehmers und seiner Haftung nach § 903 bedeute; in dem zweiten Urteile wurde die Frage an sich bejaht. Obwohl die Bestimmung des § 913 in den Abschnitt der Reichsversicherungsordnung über Strafvorschriften eingeordnet ist und an sich nur die Verantwortlichkeit des Betriebsunternehmers gegenüber den in der Reichsversicherungsordnung angedrohten mannigfachen Strafen und die Befreiung des Unternehmers davon betrifft, ist doch eine Rückwirkung der Bestimmung auf die Anwendung des § 903 unabweisbar. Der § 913 stellt an der Spitze den allgemeinen Satz auf, daß der Unternehmer die ihm auf Grund dieses Gesetzes obliegenden Pflichten, darunter auch die Pflicht, die durch die Unfallverhütungsvorschriften gebotenen Einrichtungen zu treffen, Betriebsleitern übertragen darf. Hat er von dieser ihm als dem gewerblichen Betriebsunternehmer durch das Gesetz selbst gewährten Befugnis Gebrauch gemacht, so kann nicht mehr gesagt werden, daß er durch seine Nichtbefolgung der Unfallverhütungsvorschrift diejenige Aufmerksamkeit außer acht gelassen habe, zu welcher er vermöge seines Gewerbes besonders verpflichtet war. Seine Befreiung gegenüber den Strafvorschriften der Reichsversicherungsordnung durch § 913 würde wesentlich an Wert verlieren, wenn er sich trotzdem für die zivilrechtliche Haftung aus § 903 um die Einrichtungen der Unfallverhütungsvorschriften selbst kümmern müßte. Der § 903 begründet nicht eine Verpflichtung des Gewerbeunternehmers nach außen gegenüber Dritten; eine solche würde allerdings durch Bestimmungen, die nur das Verhältnis der Unternehmer zur Berufsgenossenschaft und innerhalb der Berufsgenossenschaft regeln, nicht berührt werden können. Er schafft vielmehr eine Ersatzpflicht gerade gegenüber der Berufsgenossenschaft, und für diese können die Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung, die die Verpflichtungen und Befugnisse der Unternehmer und der ihnen gleichgestellten Personen innerhalb der Berufsgenossenschaft ordnen, nicht außer Betracht bleiben. Wird deshalb auch dem Betriebsunternehmer, wenn er von der Befugnis des § 913 Gebrauch macht, nicht die Verantwortung aus § 903 überhaupt genommen, so kann doch insoweit von einem Verschulden seinerseits und von einem Verschulden durch Außerachtlassung der Aufmerksamkeit, zu der er vermöge seines Gewerbes besonders verpflichtet ist, nicht mehr gesprochen werden. Die Behauptung des Beklagten muß deshalb rechtlich Berücksichtigung finden.

Unabhängig von dieser ersten Schutzbehauptung des Beklagten ist die weitere, daß er nach dem Unfalle der W. dem Hotelleiter M. die Weisung erteilt habe, die Plättmaschine vorläufig, bis zur Anbringung einer Sicherheitsvorrichtung, außer Betrieb zu setzen und mit der Hand plätten zu lassen. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht diesen ferneren vom Beklagten zu seiner Entlastung angetretenen Beweis ablehnt, kann gleichfalls nicht gebilligt werden. Der Zeuge M. ist ausweislich des Beweisbeschlusses vom 15. April 1918 keineswegs über die hier in Rede stehende Tatsache, sondern allein über andere Punkte vernommen worden. Es kann deshalb nicht ohne weiteres gesagt werden, daß er, da er über die Verhandlung mit dem Beklagten nach dem Unfalle der W. überhaupt bei seiner Vernehmung sich geäußert habe, ohne von der behaupteten Anordnung etwas zu erwähnen, damit eine solche verneint habe. Wenn aber das Berufungsgericht sachlich den Beweisantritt ungenügend findet und von dem Beklagten, der nicht an dem Orte, wo sich das Hotel befindet, seinen Wohnsitz hat, sondern in W. ein anders geartetes gewerbliches Unternehmen betreibt - das Hotel Br.-Sch. hatte er in der Zwangsversteigerung erstehen müssen -, verlangt, er hätte sich nicht damit begnügen dürfen, die Anordnung der Außerbetriebsetzung der Maschine zu treffen, sondern auch deren Befolgung überwachen müssen, so muß dies als eine Überspannung der von dem Gewerbeunternehmer zu betätigenden Sorgfalt erachtet werden. Wenn der Beklagte nicht dem an der Maschine beschäftigten Personal oder einem unteren Angestellten gegenüber, sondern dem sorgfältig ausgewählten fachmännischen Betriebsleiter selbst, mag dieser selbständig im Sinne des § 913 gewesen sein oder nicht, eine solche Weisung erteilt, so muß er sich auf deren Befolgung verlassen können. Er ist damit selbstverständlich nicht der Verpflichtung einer regelmäßigen allgemeinen Beaufsichtigung seiner Angestellten überhoben, wie sie schlechthin in allen menschlichen Verhältnissen erforderlich ist (vgl. Jur. Wochenschr. 1911 S. 95 Nr. 20); einer besonderen Überwachung der Befolgung einer einzelnen Anordnung bedarf es aber nicht, wenn die Zuverlässigkeit des Angestellten anzunehmen ist, und sie ist dem Geschäftsherrn namentlich dann nicht zuzumuten, wenn er nicht am Orte des zu beaufsichtigenden Betriebes selbst wohnt und nicht in der Lage ist, sich kurzer Hand zu jeder Stunde einen Einblick in diesen Betrieb und in die Tätigkeit der Angestellten zu verschaffen. Es kann nicht verlangt werden, daß der Geschäftsherr über den Hotelleiter wiederum noch eine Aufsichtsperson bestelle, die dann naturgemäß abermals beaufsichtigt werden müßte, was eine Aufsicht ohne Ende bedeuten würde." ...