RG, 11.03.1919 - II 392/18

Daten
Fall: 
IPR bei Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums
Fundstellen: 
RGZ 95, 164
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.03.1919
Aktenzeichen: 
II 392/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

Welches örtliche Recht findet Anwendung, wenn sich der Käufer gegenüber dem Anspruch auf den Kaufpreis darauf beruft, daß er den Vertrag wegen Irrtums angefochten habe?

Tatbestand

Der Kläger hat seine Handelsniederlassung in Wien, der Beklagte in Hamburg. Unter Vermittlung einer Hamburger Firma kaufte dieser von jenem einen Waggon Haselnußkerne ab Budapest, zahlbar netto Kasse in Wien gegen Frachtbrief-Duplikat bei der Anglo-Österreichischen Bank in Wien, Ausfuhrgarantie nach Deutschland. Der Beklagte hat Abnahme und Zahlung der Ware verweigert. Er behauptet, nach dem Abschluß des Verkaufs am gleichen Tage sei ihm zu Ohren gekommen, daß die obrigkeitliche Beschlagnahme von Haselnußkernen in Aussicht stehe, was ihn veranlaßt habe, dem Kläger noch an demselben Tage zu telegraphieren, er widerrufe seinen Auftrag wegen Regierungsmaßnahmen. Daher sei er berechtigt gewesen, das Rechtsgeschäft nach § 119 BGB. anzufechten.

Beide Instanzen haben den Beklagten nach dem Klagantrage verurteilt. Die Revision ist zurückgewiesen worden.

Aus den Gründen

"Der schlüssig begründeten Klage gegenüber hat der Beklagte sich in der Berufungsinstanz auf die Verteidigung beschränkt, daß er das Rechtsgeschäft wegen Irrtums nach § 113 Abs. 2 BGB. anfechte. Der Vorderrichter hat darüber nach österreichischem Rechte entschieden. Er hat ausgeführt, daß der Verkäufer seine gewerbliche Niederlassung in Wien habe, daß das Geschäft den Usancen der Wiener Warenbörse unterstellt worden, die Ware in Wien gegen Frachtbrief-Duplikat bei einer Wiener Bank zu zahlen gewesen sei; daß somit nach deutschem wie nach österreichischem Rechte der Beklagte als Käufer in Wien hätte erfüllen müssen.

Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. ... Ist aber Wien der Erfüllungsort und danach für die Verbindlichkeiten des Käufers das dort geltende Recht maßgeblich, so ist auch die Frage, ob seine Willenserklärung der Anfechtung unterliegt, nach österreichischem Rechte zu entscheiden (RGZ. Bd. 78 S. 59).

Die Revision stellt die Frage, ob in schuldrechtlichen Verhältnissen das Recht des Erfüllungsorts anzuwenden ist und nicht vielmehr das Personalstatut des Schuldners, zur Nachprüfung und beruft sich für die letztere Meinung auf Zitelmann, Intern. Privatrecht Bd. 2 S. 373. Die Frage ist in der Literatur bestritten. Die Rechtsprechung hat überwiegend an der von Savigny begründeten Lehre festgehalten, daß das Recht des Erfüllungsortes maßgeblich sei, und namentlich hat das Reichsgericht sich ganz ständig auf diesen Boden gestellt. Wenn der VI. Senat sich in den Urteilen RGZ. Bd. 61 S. 343, Bd. 82 S. 379 für die Anwendbarkeit des Personalstatuts ausgesprochen hat, so ist doch der erkennende Senat bereits in RGZ. Bd. 73 S. 379 flg.. bes. S. 387, bei der bisherigen Rechtsprechung verblieben, indem er zutreffend zugleich darauf hinwies, daß die Entscheidungen des VI. Senats in der Sache nicht auf der dort ausgesprochenen Rechtsauffassung beruhen, so daß es einer Anrufung der Vereinigten Zivilsenate nicht bedürfe.

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Am wenigsten vermag die Berufung auf Zitelmann eine selbständige Begründung der gegenteiligen Meinung zu ersetzen. Der Verfasser erhebt gar nicht den Anspruch, das internationale Privatrecht so darzustellen, wie es tatsächlich in Geltung ist. Er will zu wissenschaftlich unanfechtbaren Rechtssätzen dadurch gelangen, daß er, von unmittelbar einleuchtenden Postulaten ausgehend, auf deduktivem Wege das System aufbaut. Dabei geht er von Voraussetzungen aus, die, wie er selbst nicht verkennt, mit dem tatsächlich Herrschenden Zustande nicht gegeben sind. Er unterstellt eine völkerrechtlich sichere Abgrenzung des Machtbereichs der Staaten in der vielfachen Verschlungenheit von Personal- und Gebietshoheit gegeneinander, von der das heutige Völkerrecht noch weit entfernt ist. Dazu kommt, daß Zitelmanns wichtigster Beweisgrund, daß man sich mit der Anwendung des Rechtes des Erfüllungsorts im Zirkel bewege, weil gerade auch die Frage nach dem Erfüllungsort eine Rechtsfrage sei, im gleichen, wenn nicht in noch höherem Maße die eigene Meinung trifft, die schon bei dem ersten Schritt, ob denn als Personalstatut das Recht des Wohnsitzes oder das Recht des Staates gilt, dem der Schuldner angehört, aber auch darüber hinaus vor Rechtsfragen gestellt wird. Für die herrschende Lehre bedarf es dagegen jedenfalls in den zahlreichen Fällen keiner Vorwegnahme, wo, wie hier, eine Reihe rein tatsächlicher Momente örtlicher Beziehung die sichere Entscheidung darüber an die Hand geben, wo die Leistung nach Absicht des Vertrags erfolgen soll. Und überhaupt besteht das Dilemma nicht für denjenigen, welcher annimmt, daß der Richter stets in Anwendung des eigenen Rechtes entscheidet, daß er sich in letzter Linie auch da, wo er fremdes Recht anwendet, in Anwendung des eigenen Rechtes insofern bewegt, als er damit die ausdrückliche oder immanente Kollisionsnorm, die Anweisung oder Ermächtigung seines Rechtes befolgt. Es erscheint dann die Frage nach dem Erfüllungsorte, sofern sie als Rechtsfrage auftritt, als eine nach der lex fori zu entscheidende Vorfrage. Dem entspricht im vorliegenden Falle, daß der Vorderrichter die Frage auch vom Standpunkte des deutschen Rechtes (§ 269 BGB.) aus geprüft und einwandfrei entschieden hat." ...