RG, 20.11.1917 - II 225/17

Daten
Fall: 
Rücktrittserklärung
Fundstellen: 
RGZ 91, 204
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.11.1917
Aktenzeichen: 
II 225/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Wird die Rücktrittserklärung, die der nicht säumige Teil nach einer zu kurz bemessenen Nachfrist abgibt, unter allen Umständen mit dem späteren Ablaufe der angemessenen Frist wirksam? Geschieht dies namentlich dann, wenn der Nichtsäumige zu erkennen gegeben hat, daß er die Leistung auch innerhalb der angemessenen Frist nicht annehmen wird?

Tatbestand

Nach den Kaufverträgen der Parteien vom 28. November und 12. Dezember 1914 hatte die Beklagte der Klägerin im ganzen 295.000 bis 300.000 Stück vorschriftsmäßige Zeltstockbeschläge zu liefern, davon in der Zeit vom 10. bis 31. Dezember 1914 15.000 bis 20.000, im Januar 1915 65.000 Stück. Zahlung sollte erfolgen bei Vorlegung des Duplikatfrachtbriefs. Die Beklagte lieferte im ganzen nur 2000 Stück, und zwar gegen Mitte Januar 1915 an die Firma T. in N., an welche sie damals nach Bestimmung der Klägerin 7000 Stück abschicken sollte. Wegen der gelieferten Partie übersandte sie der Klägerin mit Schreiben vom 22. Januar 1915 eine Rechnung über 857,20 M mit der Bitte um möglichst baldige Zahlung. Die Klägerin erwiderte mit Brief vom 24. Januar 1915, die Beklagte möge den Nachweis erbringen, daß die Sendung abgegangen sei; alsdann werde die Zahlung erfolgen, die prompt erfolgt wäre, wenn jene der vereinbarten Zahlungsbedingung entsprechend den Duplikatfrachtbrief mitgesandt hätte.

Die Beklagte sandte weder den Duplikatfrachtbrief noch lieferte sie die weiter abgerufenen Zeltstockbeschläge, sondern richtete an die Klägerin ein Telegramm vom 29. Januar 1915, das aber erst am 31. Januar vormittags 9 1/2 Uhr zugestellt wurde: "falls Geld für gelieferte Ware nicht innerhalb 24 Stunden erhalte, ist Ihre Gesamtorder annulliert." Mit Brief vom 1. Februar 1915 teilte sie der Klägerin mit, daß sie die gesamte Order als anulliert betrachte, da der Betrag für die Rechnung vom 22. Januar 1915 noch nicht eingegangen sei. Die Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 2. Februar 1915, daß sie wegen des Vertragsbruchs der Beklagten, der ein Recht zu der ausgesprochenen Annullierung nicht zustehe, Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vertrags verlangen werde.

Diesen Anspruch erhob die Klägerin mit der gegenwärtigen Klage. Durch die Urteile der Vorinstanzen wurde er dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

"Das Berufungsgericht geht von der Annahme aus, daß die Klägerin schon vor dem 29. Januar 1915 mit der Zahlung der 857,20 M für die der Firma T. gegen Mitte Januar 1915 gelieferten 2000 Zeltstockbeschläge in Verzug geraten war. Es gelangt zu dieser Annahme, indem es die Klägerin zur Bezahlung der jeweiligen Lieferungen auch ohne Vorlegung des Duplikatfrachtbriefs schon dann für verpflichtet erachtet, wenn sie von dem von ihr bestimmten Empfänger der Waren die Nachricht von deren Eingang erhielt, und indem es ferner die Behauptung der Beklagten, daß die Klägerin vor dem 29. Januar seitens der Firma T. von dem Eingange der 2000 Zeltstockbeschläge bei dieser Firma benachrichtigt worden sei, als richtig unterstellt. Trotzdem erklärt es den Rücktritt vom 1. Februar 1915 für unbegründet, weil die mit Telegramm vom 29. Januar 1915 gesetzte Nachfrist von 24 Stunden zu kurz, vielmehr unter den obwaltenden Umständen eine Frist von mindestens drei Tagen, vom Eingange des Telegramms, also vom 31. Januar an gerechnet, angemessen gewesen sei. Auch aus einem zweiten Grunde hält das Berufungsgericht den Rücktritt für nicht gerechtfertigt. Nach seiner Feststellung hat die Beklagte schon vor dem 29. Januar 1915 versucht, von den beiden Kaufverträgen loszukommen, weil sie befürchtete, nicht rechtzeitig liefern zu können. Da ihr dies nicht gelungen war, versuchte sie, wie weiter festgestellt wird, das Ziel dadurch zu erreichen, daß sie mittels des Telegramms vom 29. Januar zur Bezahlung der 857,20 M eine Nachfrist von nur 24 Stunden setzte, offenbar in der Erwartung, die Klägerin werde diese kurze Frist nicht einhalten. Hierin findet das Berufungsgericht einen Verstoß gegen Treu und Glauben im Geschäftsverkehr, zumal die Beklagte mit den ihr obliegenden Lieferungen schon selbst in Schuldnerverzug gekommen war. Aus der Unbegründetheit der Rücktrittserklärung, bei der die Beklagte auch später verblieb, wird dann gefolgert, daß der Klägerin mit Rücksicht auf die darin liegende ernstliche Erfüllungsverweigerung ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung der beiden Kaufverträge erwachsen ist.

Geht man von der Unterstellung des Berufungsgerichts aus, daß die Klägerin schon vor dem 29. Januar 1915 mit der Zahlung von 857,20 M für die gelieferten 2000 Zeltstockbeschläge in Verzug geraten ist, so ist allerdings dieser Verzug, da die Klägerin bis jetzt nicht gezahlt hat, nicht beseitigt worden. Weil demnach die Verzugsfolgen fortdauern und die Klägerin insbesondere nicht in der nach der Feststellung des Berufungsgerichts angemessenen Frist von drei Tagen gezahlt hat, soll, wie die Revision meint, der Rücktritt der Beklagten zwar nicht sofort am 1. Februar 1915, aber nach Ablauf der angemessenen dreitägigen Frist, also am 4. Februar, wirksam geworden sein. Das trifft nicht zu.

Allerdings entspricht es der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ. Bd. 62 S. 66), daß eine zu kurz bemessene Nachfrist nicht schlechthin kraftlos, vielmehr insoweit wirksam ist, als die Leistung innerhalb der angemessenen Frist erfolgen muß, und daß nach dem Ablaufe der vom Gerichte für angemessen erachteten Frist die Erklärung des Gläubigers über die Ablehnung der Leistung, mithin auch der etwa von ihm erklärte Rücktritt wirksam wird. Dies gilt aber dann nicht, wenn der Gläubiger zu erkennen gegeben hat, daß er die Lieferung, selbst wenn sie innerhalb angemessener Frist erfolgen sollte, dennoch keinesfalls annehmen werde (vgl. Jur. Wochenschr. 1911 S. 755 Nr. 10).

So hat im vorliegenden Falle die Beklagte gehandelt. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts war es offenbar, daß die Beklagte nach einem Vorwande suchte, von den ihr lästigen Verträgen loszukommen, daß sie dies auf dem Wege des Rücktritts erstrebte und daß sie, um die Erreichung ihres Zieles zu sichern, der Klägerin eine Nachfrist von nur 24 Stunden setzte, in der Erwartung, die Klägerin werde diese kurze Frist nicht innehalten. Danach hatte die Beklagte kund getan, daß sie die Zahlung der Klägerin gar nicht erlangen, sondern sich der Setzung der zu kurzen, nicht angemessenen Nachfrist bedienen wollte, um die Nichtzahlung innerhalb dieser Frist zu erreichen und damit einen nach ihrer Meinung den Rücktritt rechtfertigenden Grund zu schaffen. Es wäre also vergeblich gewesen, wenn die Klägerin den Versuch gemacht hätte, nach Ablauf der gesetzten 24 Stunden, aber noch innerhalb angemessener Frist, zu zahlen.

Zugleich hat die Beklagte durch ihr vom Berufungsgerichte festgestelltes Verhalten zu erkennen gegeben, daß sie bei ihrer in der Rücktrittserklärung vom 1. Februar 1915 liegenden Weigerung, die Verträge zu erfüllen, auch dann beharren werde, wenn die Klägerin später, nach Ablauf der angemessenen Frist, den schuldigen Kaufpreis für die gelieferten 2000 Beschläge zahlen würde. Damit entfällt auch der weitere Angriff der Revision, der sich darauf stützt, daß die Klägerin aus der Vertragsverletzung der Beklagten so lange ein Recht auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nicht ableiten könne, als sie selbst ihren Zahlungsverzug nicht beseitigt habe. Eine Zahlung wie ein Angebot der Zahlung würden die Beklagte von ihrer Erfüllungsverweigerung nicht abgebracht haben und waren deshalb nicht erforderlich, um die Klägerin trotz des unterstellten Zahlungsverzugs zu berechtigen, gemäß § 326 AGB. Schadensersatz wegen Nichterfüllung auf Grund der Erfüllungsverweigerung der Beklagten zu verlangen (RGZ. Bd. 67 S. 318). Richtig ist, daß der Rücktritt nicht schon deshalb unberechtigt war, weil die Beklagte ihn erklärte, um von den ihr lästigen Verträgen loszukommen (RGZ. Bd. 67 S. 152). Das hat aber auch das Berufungsgericht nicht verkannt. Es legt nur, und zwar mit Recht, entscheidenden Wert darauf, daß die Beklagte offenbar, um diesen Zweck zu erreichen, eine zu kurze Nachfrist gesetzt hat." ...