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RG, 20.11.1903 - VII 284/03

Daten
Fall: 
Vorschriftsmäßige Abmeldung
Fundstellen: 
RGZ 56, 36
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.11.1903
Aktenzeichen: 
VII 284/03
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin
Stichwörter: 
  • Krankenversicherung. Vorschriftsmäßige Abmeldung.

Was ist unter der vorschriftsmäßigen Abmeldung, durch welche im Sinne des § 52 Abs. 1 Satzes 4 des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883/10. April 1892 die Beitragspflicht des Arbeitgebers beendet wird, zu verstehen?

Tatbestand

Die Beklagte hatte ihre nach § 1 des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 18883/10. April 1892 versicherungspflichtigen Angestellten gemäß § 49 des Gesetzes bei der Klägerin angemeldet und die Beiträge (§ 52) für die Zeit bis zum 30. September 1899 bezahlt. Mittels Schreibens vom 1. Oktober 1899 meldete die Beklagte diese Personen "vom heutigen Tage wegen Verlängerung der Kündigungsfrist in eine sechswöchige mit Ablauf des Monats" von der Versicherung ab. Die Klägerin erwiderte unter dem 2. Oktober 1899, daß sie die in der Meldung vom 1. gedachten Monats bezeichneten Personen so lange als ihre Mitglieder betrachte, bis eine darauf bezügliche dem § 63 H.G.B. entsprechende Erklärung bei ihr eingegangen sei. Eine solche erfolgte in der Zeit bis zum 30. Juni 1901 nicht, ebensowenig eine anderweite Abmeldung. Die Klägerin forderte deshalb die Beiträge von der Beklagten im bisherigen Umfange. Die Beklagte bezahlte sie auch bis auf die jetzt noch streitigen Beträge von 5587,40 M, welche sich, wie folgt, zusammensetzten:

  1. mit 410,40 M für 10 Personen, deren Jahreseinkommen in der Zeit vor dem 30. Juni 1901 nach der Behauptung der Beklagten den Betrag von 2000 M überschritten hatte (§ 2 b des Gesetzes);
  2. mit 5177 M für Personen, die in jener Zeit aus der Beschäftigung bei der Beklagten ausgeschieden waren.

Wegen dieser streitigen Beträge entschied der zunächst nach § 58 des Gesetzes (vgl. § 44) angerufene Magistrat der Stadt Berlin unter dem 1. November 1901 zugunsten der Beklagten. Mittels rechtzeitig erhobener Klage beantragte darauf die Krankenkasse, die Beklagte zur Zahlung von 5587,40 M nebst 4 v. H. seit dem 1. Oktober 1901 zu verurteilen. Die Beklagte begehrte Abweisung der Klage. Das Landgericht erkannte auch in diesem Sinn; das Kammergericht verurteilte dagegen die Beklagte klagegemäß.

Die Revision ist zurückgewiesen.

Gründe

"Über die Frage der Versicherungspflicht der bei der Beklagten mit sechswöchiger Kündigung auf den Schluß eines Monats angestellten Handlungsgehilfen ist im vorliegenden Prozesse nicht zu entscheiden. Sie ist rechtskräftig durch den Beschluß des Magistratskommissars vom 10. Juli 1901 zuungunsten der Beklagten beantwortet. Es steht sonach fest, daß die Versicherung der Angestellten der Beklagten durch die in deren Schreiben vom 1. Oktober 1899 mitgeteilte Änderung der Kündigungszeit nicht erloschen war. Streitig ist gegenwärtig, ob die Beklagte Beiträge zur Krankenversicherung der im Tatbestande bezeichneten Personen zu zahlen hat, obgleich diese infolge der Erhöhung ihres Jahreseinkommens über 2000 M nicht mehr versicherungspflichtig oder aus der Beschäftigung bei der Beklagten ausgeschieden waren. Der Berufungsrichter hat im Sinne der Klägerin entschieden; seine Erwägungen lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Die Krankenversicherung beruht nicht auf einem gegenseitigen Vertrage zwischen der Kasse und dem Arbeitgeber, aus welchem wechselseitige, im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zueinander stehende Rechte und Verbindlichkeiten erwachsen. Die Versicherungspflicht tritt kraft Gesetzes mit dem Beginne der versicherungspflichtigen Beschäftigung ein; sie erlischt auch kraft Gesetzes mit der Beendigung einer solchen Beschäftigung, sofern nicht die Versicherung nach Maßgabe des § 27 des Krankenversicherungsgesetzes fortgesetzt wird (§ 19 daselbst; v. Woedtke, Kommentar 5. Aufl. Anm. 6.10 zu § 19). Der Anspruch des Versicherten ist unabhängig von der Zahlung der Beiträge. Auch die Beitragspflicht ist im Gesetze selbständig geregelt. Sie trifft der Kasse gegenüber nicht den Versicherten, sondern den Arbeitgeber (§ 52). Begründet wird sie durch den Eintritt der Versicherungspflicht. Über ihre Beendigung bestimmt der § 52 Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes: "Die Beiträge sind so lange fortzuzahlen, bis die vorschriftsmäßige Abmeldung (§ 49) erfolgt ist"... Während die im § 49 vorgeschriebene An- und Abmeldung auf den Bestand der Versicherung ohne Einfluß ist, und insbesondere die Versicherung nicht erst mit der Abmeldung erlischt, ist im Gesetze nach dessen klarem Wortlaute der Abmeldung eine maßgebende Bedeutung für die Beitragspflicht eingeräumt: diese erlischt erst mit der Abmeldung, nicht schon mit dem Wegfall der sie begründenden Tatumstände. Es kann daher, wie auch die Revision nicht verkennt, im vorliegenden Falle nur darauf ankommen, ob die Personen, für welche die Beklagte die Beiträge fortentrichten soll, vorschriftsmäßig abgemeldet sind. Dies verneint der Berufungsrichter ohne rechtlichen Verstoß. Eine weitere Abmeldung, als die im Schreiben vom 1. Oktober 1899 enthaltene, hat nicht stattgefunden. Das Gesetz trifft über Form und Inhalt der Meldungen keine näheren Bestimmungen; auch das Statut der Klägerin sagt nur im § 9, daß die Abmeldung außer den Personalien des Abgemeldeten den Zeitpunkt des Austritts aus der Beschäftigung und die Nummer des Quittungsbuches angeben müsse. Man wird davon ausgehen können, daß die Meldungen so weit tatsächlich substantiiert sein müssen, daß die Kasse den Sachverhalt zu prüfen in der Lage ist. Dieser Anforderung entspricht auch das Schreiben der Beklagten. Aber eine so erstattete Meldung wirkt nicht über den von ihr umfaßten Tatbestand hinaus; sie deckt nicht die in ihr gar nicht erwähnten Fälle des Aufhörens der Versicherung oder der Beitragspflicht, namentlich nicht Tatsachen, die sich erst später ereignen. Darum läßt sich nicht sagen, daß die Beklagte ihre Angestellten vorschriftsmäßig abgemeldet habe. Die erfolgte Abmeldung war unwirksam, eine rechtlich gleichgültige Handlung, welche die Angeklagte nicht davon entband, den Eintritt der die Versicherung wirklich beendenden Umstände der Klägerin mitzuteilen. Die Revision meint, der § 49 statuiere nur eine Anmeldungspflicht für die Veränderungen in dem Beschäftigungsverhältnis, die eine bisher nicht bestandene Versicherungspflicht begründen, nicht jedoch eine Abmeldungspflicht für solche Änderungen, die eine bisher bestandene Versicherungspflicht beenden. Es ist zuzugeben, daß nach dem Wortlaute des Gesetzes die versicherungspflichtigen Personen lediglich nach Beendigung ihrer Beschäftigung bei dem betreffenden Arbeitgeber abzumelden sind. Allein nach dem Sinn, und da insbesondere der § 52 Abs. 1 Satz 4 keine Ausnahme von der Verpflichtung, die Beiträge bis zur Abmeldung fortzuentrichten, für diejenigen Fälle enthält, in welchen nicht die Beschäftigung, aber die Versicherungspflicht aufhört, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß nicht bloß das Aufhören der Beschäftigung überhaupt, sondern das Aufhören der versicherungspflichtigen Beschäftigung abzumelden ist (vgl. auch Hahn in "Arbeiterversorgung" Bd. 10 S. 282. 283 und im Kommentar 2. Aufl. Anm. 1 e zu § 49). Deshalb hatte die Beklagte auch die Angestellten, deren Einkommen die für den Versicherungszwang vorgeschriebene Grenze überschritten hatte, abzumelden. Eine Strafbestimmung ist der § 52 Abs. 1 Satz 4 nicht; er normiert die Beitragspflicht in angemessener Weise: sie soll mit der Erklärung des Arbeitgebers wegfallen, daß die Versicherung aufgehört habe. Daß Beiträge trotz Erlöschens der Versicherung zu zahlen sind, ist keine auf dem Gebiete des Versicherungswesens völlig neue und auffallende Erscheinung.

Die Revision sucht weiter auszuführen, daß der § 52 darum nicht anwendbar sei, weil die Beklagte die in dem Schreiben vom 1. Oktober 1899 bezeichneten Angestellten nicht für versicherungspflichtig gehalten habe und nach der Lage des Falls auch nicht habe halten dürfen. Das Gesetz bietet keine Handhabe für die Berücksichtigung eines Irrtums über das Fortbestehen der Versicherungspflicht. Es heißt schlechthin, daß die Beiträge bis zur Abmeldung fortzuzahlen sind und es ist das Weiterbestehen der Beitragspflicht über die Mitgliedschaft der Versicherten hieraus nicht, wie in § 50 des Krankenversicherungsgesetzes der dort angedrohte Nachteil, an die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung der Meldeverbindlichkeit geknüpft, so daß die irrtümliche Ansicht des Arbeitgebers, die Versicherungspflicht sei bereits in einem früheren, der Krankenkasse mitgeteilten Zeitpunkt erloschen gewesen, die sich aus anderweiten Vorgängen ergebende Meldepflicht nicht beseitigt. Ob das gleiche zu sagen wäre, wenn überhaupt keine Anmeldung der Angestellten erfolgt wäre oder wenn die unrichtige Abmeldung vom 1. Oktober 1899 als Aufhebung der früher geschehenen Anmeldung aufgefaßt werden könnte (Vgl. den Fall bei Reger, Entscheidungen Bd. 21 S. 143), darf dahingestellt bleiben. Weder der eine noch der andere Fall liegt vor. Insbesondere beseitigte die Abmeldung vom 1. Oktober 1899 nicht die erfolgte Anmeldung, weil die Klägerin sofort erklärte, daß sie den Rechtsstandpunkt der Beklagten nicht teile und die Angestellten nach wie vor als ihre Mitglieder betrachte. Von einer erneuten Anmeldung konnte unter diesen Umständen keine Rede sein, und es kommt nur die Verletzung der Abmeldepflicht in Frage. Jene Erklärung der Klägerin erledigt auch den Einwand der Beklagten, daß ihr passives Verhalten gegenüber den sonstigen Abmeldungsgründen mindestens als entschuldigt gelten müsse, wenn dieser Einwand nach dem vorstehenden überhaupt Beachtung verdient. Der Berufungsrichter führt mit Recht aus, daß bei Anwendung der durch die Kundgebung der Klägerin gebotenen Sorgfalt die Abmeldung nicht unterblieben sein würde. Ebensowenig sind die Darlegungen des Berufungsrichters rechtlich zu beanstanden, mit denen er das die freiwillige Versicherung der Angestellten betreffende Vorbringen der Beklagten für unerheblich erklärt. Die Beklagte hatte behauptet, daß die Entgegnung der Klägerin vom 2. Oktober 1899 deshalb bedeutungslos sei, weil sie die von ihr als weiter versicherungspflichtig bezeichneten Personen als freiwillige Mitglieder aufgenommen habe. Der Berufungsrichter bezeichnet diese Tatsache nur als eine vorsorgliche Maßregel, die für den Fall von der Klägerin getroffen worden sei, daß sich ihre Meinung über den Fortbestand der Versicherungspflicht als irrig erweisen sollte. Von diesem Standpunkt aus verträgt sich der Protest gegen die Abmeldung vom 1. Oktober 1899 sehr wohl mit der Annahme der Angestellten zur freiwilligen Versicherung, und es kann in der letzteren kein die Beitragspflicht beim Fortbestehen der Zwangsversicherung aufhebender Umstand gefunden werden. Auch die Behauptung, daß die Klägerin sich trotz der von ihr schriftlich vertretenen Ansicht geweigert habe, für die abgemeldeten Personen Krankenscheine auszustellen, erachtet der Berufungsrichter ohne Rechtsirrtum für unerheblich. Schon der Grund, daß diese Weigerung lediglich darauf beruht habe, daß die Beklagte selbst im Besitze der erforderlichen Formulare und also in der Lage gewesen sei, die nötigen Krankenscheine auszustellen, schlägt durch, und es bedarf keines. Eingehens auf die weiteren Erörterungen des Berufungsrichters."...

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