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RG, 25.02.1919 - II 348/18

Daten
Fall: 
Übergabe einer Kundschaft
Fundstellen: 
RGZ 95, 36
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.02.1919
Aktenzeichen: 
II 348/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

1. "Übergabe" der Kundschaft seitens eines Geschäftsinhabers an einen anderen gegen das Versprechen des Erwerbers, den Übertragenden eine Zeitlang einen Bruchteil des Umsatzes mit der Kundschaft zu zahlen. Wie wirkt es auf die Zahlungspflicht, wenn innerhalb der bestimmten Zeit der Erwerber sein Geschäft aufgibt?
2. Zur Zurückverweisung in die erste Instanz nach § 538 Nr. 3 ZPO. Wie ist mit einer Widerklage zu verfahren, deren Erfolg davon abhängt, in welchem Betrage der Klaganspruch für berechtigt erachtet werden wird?

Tatbestand

Sowohl der Kläger wie auch die offene Handelsgesellschaft Sch. & W., deren Inhaber der Beklagte Sch. und die Witwe W. waren, betrieben in Berlin-Steglitz Dampfwäschereien. Im August 1918 überließ der Kläger die Räume, die er hierzu benutzt hatte, einem Dritten. Aus diesem Anlaß schloß er mit der Firma Sch. & W. durch Briefwechsel vom 18. und 21. August einen Vertrag, wonach er ihr seine Kundschaft "übergab". Als Entgelt verpflichtete sich die Gesellschaft, ihm auf die Dauer von fünf Jahren 10% des Umsatzes mit dieser Kundschaft zu zahlen und ihm ebenso lange seine Leib- und Haushaltwäsche für 2 Pf das Stück zu waschen.

Im Juli 1917 gaben Sch. & W. ihren Betrieb auf. Seitdem weigerten sie sich, dem Kläger noch etwas zu leisten.

Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. Mit der Begründung, daß die monatlichen Zahlungen im Durchschnitt 400 M betragen hätten, berechnete er seine Gesamteinbuße während fünfjähriger Vertragsdauer auf 24000 M, wovon er mit der Klage einen Teilbetrag von 1200 M nebst Zinsen in Anspruch nahm. Der Beklagte verwies demgegenüber auf den Satz in dem Schreiben der Gesellschaft vom 18. August 1916: "Die Zahlung des Entgeltes von 10% versteht sich dahin, daß dasselbe nur solange zu zahlen ist, als der betreffende Kunde von uns bedient wird." Hierdurch, führte er aus, habe sich die Firma volle Handlungsfreiheit gewahrt. Jedenfalls sei sie aber zur Schließung des Geschäfts deshalb befugt gewesen, weil sich der Betrieb durch den Mangel an Personal, Waschutensilien, Kohlen und Pferden äußerst ungünstig gestaltet habe. Daher beantragte er widerklagend, festzustellen, daß dem Kläger auf Grund des Abkommens vom 18./21. August 1916 die vorbehaltenen Ansprüche nicht zuständen.

Das Landgericht gab diesem Antrag unter Abweisung der Klage statt. In der Berufungsbegründung vom 7. Februar 1918 behauptete der Kläger noch höhere Ansprüche, worauf der Beklagte die Widerklage dahin erweiterte, festzustellen, daß dem Kläger der von dem Landgericht erwähnte weitere Schadensersatzanspruch von 22800 M sowie die noch darüber hinaus gehenden Ansprüche des Schriftsatzes vom 7. Februar 1918 nicht zustehen. Das Kammergericht erklärte jedoch die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt und wies die Widerklage ab.

Die Revision hatte Erfolg.

Gründe

"Das Berufungsgericht erachtet den Vertrag der Parteien für einen Kaufvertrag. Die Revision bekämpft diese Ansicht und will das Verhältnis unter dem Gesichtspunkt eines partiarischen Vertrags von gesellschaftsähnlichem Charakter betrachtet wissen. Man könnte auch daran denken, das Wesentliche der Leistung, des Klägers in einer Geschäftsvermittlung zu finden, insofern er seiner früheren Kundschaft empfohlen hat, sich in Zukunft an die Firma Sch. & W. zu wenden. Es kommt aber auf die Konstruktionsfrage überhaupt nicht entscheidend an. Keineswegs ist es zulässig, deshalb weil der Vertrag ein Kauf sei, die Klage dem Grunde nach ohne weiteres für berechtigt zu erklären.

Das angefochtene Urteil ist diesem Rechtsirrtum erlegen. Weil der Kläger die ihm obliegende Vertragsleistung - die Übergabe der Kundschaft - sofort bewirkt habe, sollen Sch. & W. durch die Aufgabe des Betriebes nur verhindert sein, den Kaufpreis in der vorgesehenen Art zu entrichten: die Folge soll sein, daß sie ihn nunmehr in anderer Weise entrichten müßten. Allein nach §§ 157, 242 BGB. hätte gefragt werden müssen, ob die Firma, nur um dem Kläger Prozente zahlen zu können, unter allen Umständen gezwungen werden durfte, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Dies muß verneint werden. Nicht nur daß für solche ungewöhnlich weitgehende Bindung jeder Anhalt im Vertrage fehlt: der Satz des Briefes vom 18. August 1916, wonach das Entgelt "nur so lange zu zahlen ist, als der betreffende Kunde von uns bedient wird", spricht geradezu für die gegenteilige Auffassung. Allerdings überschritt es nach der anderen Richtung hin das Ziel, wenn der Beklagte in den Vorinstanzen die Meinung vertrat, daß Sch. & W. den Betrieb nach freiem Belieben hätten aufgeben, also den Kläger willkürlich hätten klaglos stellen können. Nach Treu und Glauben waren sie vielmehr genötigt, nach Kräften für einen Weiterbetrieb des Geschäftes tätig zu sein. Haben sich aber, wie der Beklagte behauptet, die Verhältnisse in der Folgezeit so ungünstig entwickelt, daß der Betrieb keinen Gewinn mehr abwarf, sondern Verlust brachte, so waren sie zur Einstellung befugt, und der Kläger kann dann nichts weiter beanspruchen.

Das Berufungsurteil unterliegt hiernach der Aufhebung. Auch die Entscheidung über die Widerklage ist rechtlich nicht haltbar; sie könnte auch dann nicht gebilligt werden, wenn das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung wiederum dazu gelangen sollte, die Klage dem Grunde nach als berechtigt anzuerkennen. Daß der Beklagte kein Interesse an alsbaldiger gerichtlicher Verneinung der vom Kläger behaupteten weiteren Ansprüche hätte, ist weder tatsächlich richtig noch würde es rechtserheblich sein. Wird eine Teilforderung als solche geltend gemacht und Widerklage wegen Nichtbestehens der ganzen Verpflichtung erhoben, so greift die Inzidentfeststellungsklage des § 280 ZPO. platz, so daß es eines besonderen Feststellungsinteresses nicht bedarf (vgl. Warneyer 1918 S. 284 mit Nachw.). Im übrigen hat sich das Berufungsgericht die Schwierigkeiten vor Augen gehalten, die die durch § 538 Nr. 3 ZPO. angeordnete Zuständigkeit der ersten Instanz für das Urteil über den Betrag des Klaganspruchs mit sich bringen müßte, wenn gleichzeitig in zweiter Instanz über die Widerklage zu erkennen wäre. Z. B. das Landgericht ist der Ansicht, daß der Kläger nicht die vollen mit der Klage beanspruchten 1200 M zu fordern habe, während der zweite Richter die Forderung auf mehr als 1200 M bemißt. Diese Schwierigkeit führt aber nicht, wie das Berufungsgericht meint, zur Abweisung der Widerklage, vielmehr ist in der Weise abzuhelfen, daß auch letztere dem Landgericht zur Entscheidung überlassen wird. In Übereinstimmung hiermit hat der V. Zivilsenat des Reichsgerichts schon in dem Urteile vom 5. Mai 1900 (Jur. Wochenschr. S.471, auch Gruchot Bd. 44 S. 1210 und Vd. 45 S. 372) ausgesprochen, daß, wenn der Erfolg einer Widerklage davon abhängt, in welchem Betrage der Klaganspruch für berechtigt erachtet werden wird, der Rechtsstreit in vollem Umfange, also auch hinsichtlich der Widerklage, zurückzuverweisen ist. Die sonst noch denkbare Möglichkeit, wird dort ausgeführt, daß die Widerklage bei dem Berufungsrichter anhängig bleibe, um später, nachdem die erste Instanz über die Klage erkannt habe, abgeurteilt zu werden, sei unzweckmäßig und widerstreite der Absicht des Gesetzes, über den ganzen Prozeßstoff zunächst in erster Instanz entscheiden zu lassen. Dieser Rechtsauffassung, die für einen ähnlich liegenden Fall auch in RGZ. Bd. 47 S. 418 flg. und in Jur. Wochenschr. 1902 S. 217 Nr. 18 zum Ausdruck gelangt ist. hat sich die Literatur überwiegend angeschlossen (vgl. die Kommentare zu § 538 ZPO. von Stein II Abs. 2, V 4. Skonietzki Anm. 12, Kann Anm. 2 cc d)."