RG, 25.02.1919 - III 430/18

Daten
Fall: 
Erfordernisse der Schriftform
Fundstellen: 
RGZ 95, 83
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.02.1919
Aktenzeichen: 
III 430/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hannover
  • OLG Celle

1. Erfordernisse der Schriftform bei Aufnahme mehrerer Urkunden über einen Vertrag.
2. Unter welchen Voraussetzungen kann eine Verletzung der Vorschrift über das Recht des Gerichts, einen richterlichen Eid aufzuerlegen, angenommen werden?

Tatbestand

Der Kläger fordert die Feststellung, daß zwischen ihm und der Beklagten ein Mietvertrag über Geschäftsräume in seinem Hause auf die Dauer von fünf Jahren, eventuell doch von einem Jahr zustandegekommen sei. Er behauptet, daß ein solcher Vertrag durch mündliche Vereinbarung anfangs April 1917 geschlossen und durch die zwischen den Parteien gewechselten Schreiben vom 10. und 15. April 1917 zu einem schriftlichen geworden sei. In dem Briefe vom 10. April 1917 schreibt der Kläger an die Beklagte: "Wir bestätigen die telephonische Unterhaltung mit Ihrem Herrn S. und vermieten Ihnen das in unserem Hause gelegene Parterre-Lokal auf 5 Jahre zu der festgesetzten Miete von 1700 M per anno, zahlbar quartaliter." Unter dem 13. April erwidert die Beklagte: "Wir bestätigen hiermit, bei Ihnen die Parterre-Lokale auf 5 Jahre vom 1. Oktober 1917 ab zu dem Preise von 1700 M pro Jahr unter der Bedingung von Ihnen gemietet zu haben, daß wir ein im Giebel anzulegendes Fenster für besseres Licht einrichten können."

Das Landgericht entsprach dem in erster Reihe gestellten Klagantrage. Das Oberlandesgericht wies diesen Antrag unbedingt ab und machte die Entscheidung über den zweiten von der Leistung zugeschobener Eide abhängig. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen.

Gründe

"Land- und Berufungsgericht erachten die für einen Mietvertrag von mehr als einjähriger Dauer in § 566 BGB. erforderte Schriftform durch den Briefwechsel der Parteien vom 10./15. April 1917 für gewahrt. Das Berufungsgericht führt aus, daß es zur Wahrung der Schriftform nach § 126 Abs. 2 BGB. genüge, daß Urkunden ausgetauscht seien, die insoweit gleichlauten, als die Punkte in Betracht kommen, die nach dem Willen der Parteien das Wesen des Vertrags ausmachen, mag der Inhalt der Urkunden im übrigen auch nicht gleichlauten.

Dies ist rechtsirrig.

§ 126, der die durch Gesetz vorgeschriebene Schriftform regelt, fordert bei Verträgen grundsätzlich die Unterzeichung der Parteien auf derselben Urkunde. Doch genügt, wenn über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen sind, daß jede Partei die für die andere bestimmte Urkunde unterzeichnet (§126 Abs. 2 Satz 2). Voraussetzung dieser, die grundsätzliche Vorschrift mildernden Bestimmung ist danach, daß in mehreren gleichlautenden Urkunden der Vertrag in seinem Gesamtinhalte niedergelegt ist. Es genügt, wie das Reichsgericht bereits in seiner Entscheidung Bd. 59 S. 245 - vgl. auch Bd. 68 S. 186 (Bd. 67 S. 214 und Bd. 80 S. 400 stehen nicht entgegen) - ausgesprochen hat, nicht, daß in jeder der Urkunden nur die einseitige Willenserklärung einer Partei enthalten ist, so daß erst aus der Zusammenfassung beider Urkunden die für das Zustandekommen des Vertrags notwendige Willensübereinstimmung entnommen werden könnte. In jeder der Urkunden muß vielmehr der Wille aller Vertragschließenden ausgesprochen sein, aus jeder muß sich der für das Rechtsgeschäft wesentliche Inhalt vollständig und unmittelbar ergeben. Diesen Erfordernissen entspricht der Briefwechsel vom 10./15. April 1917 in keiner Weise. Jeder der beiden Briefe enthält nur die Willenserklärung je einer der Parteien. Ein Briefwechsel genügt überhaupt nicht zur Wahrung der gesetzlichen Schriftform, die die Aufnahme einer Urkunde voraussetzt, sondern nur zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft vereinbarten Schriftform, und auch dies nur, wenn nicht ein anderer Wille der Parteien anzunehmen ist (§ 127).

Das Berufungsgericht verkennt überdies völlig die Bedeutung der Vorschrift des § 128 Abs. 2. wenn es die Briefe vom 10. und 15. April für "gleichlautende Urkunden" erklärt, obwohl sie sich, wie das Berufungsgericht selbst sagt, auch inhaltlich, "nicht decken". Der Zweck der Vorschrift ging gerade dahin, klar festzustellen, was die Parteien wollen, und Streitigkeiten über den Vertragsinhalt, die sich bei Zulassung des Vertragsschlusses durch Briefwechsel leicht ergeben könnten, zu vermeiden. Vgl. die Begründung zu § 54 Entwurf I BGB., Bd. 1 S. 189 und die Denkschrift Buch I, V, 2 (Heymannsche Ausgabe S. 38). Diesem Zwecke der Vorschrift widerspricht es, Urkunden als gleichlautend anzusehen, wenn sie derart voneinander abweichen, daß gerade zweifelhaft bleibt, was nach dem Willen der Parteien das Wesen des Vertrags ausmachen soll.

Hiernach scheitert der erste, auf Feststellung des Bestehens eines fünfjährigen Mietvertrags gerichtete Klagantrag schon an dem Mangel der gesetzlichen Schriftform, so daß es eines Eingehens auf die Begründung des Berufungsgerichtes, mit der dieses den ersten Klagantrag abweist, nicht bedarf.

Auch soweit sich die Revision gegen die Abweisung des auf Feststellung des Bestehens eines Mietvertrags von einjähriger Dauer gerichteten Hilfsantrags des Klägers wendet, entbehrt sie der Begründung.

Der Briefwechsel zwischen den Parteien ist hinsichtlich der Frage, ob ein mündlicher Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist, vollständig und ohne Rechtsirrtum gewürdigt. Der Vorwurf aber, das Berufungsgericht habe die Prüfung unterlassen, ob auf einen richterlichen Eid zu erkennen sei, ist haltlos. § 473 ZPO. gibt dem Gericht eine Befugnis, von der es nach freiem Ermessen Gebrauch machen kann. Eine Verpflichtung, sich darüber auszusprechen, daß und weshalb es von dieser Befugnis keinen Gebrauch mache, besteht für das Gericht im allgemeinen nicht. Das Schweigen der Gründe des Urteils gewährt daher keinen Anhalt für die Annahme, das Gericht sei sich seiner Befugnis, die ihm durch § 475 gegeben, nicht bewußt gewesen oder es habe sonst die Prüfung der Anwendbarkeit des § 475 prozeßwidrig verabsäumt. Eine solche Annahme ist gegenüber Urteilen deutscher Oberlandesgerichte nach Ansicht des erkennenden Senats grundsätzlich ausgeschlossen; es bedürfte einer ganz besonderen Sachlage und ganz besonderer Anhaltspunkte, wie sie hier durchaus nicht gegeben sind, um in seltenen Ausnahmefällen einen derartigen Vorwurf zu begründen."