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RG, 21.02.1919 - VII 345/18

Daten
Fall: 
Parteifähigkeit der Fettstelle Groß-Berlin
Fundstellen: 
RGZ 95, 28
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
21.02.1919
Aktenzeichen: 
VII 345/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

1. Besitzt die Fettstelle Groß-Berlin Parteifähigkeit?
2. Zur Frage der Neuschaffung von juristischen Personen des öffentlichen Rechtes (Kommunalverbänden).

Tatbestand

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage eine Schadensersatzforderung gegen die Beklagte. Diese hat die Einrede der mangelnden Parteifähigkeit erhoben und die Einlassung zur Hauptsache verweigert. Das Landgericht hat die Einrede für begründet erachtet und deshalb die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hat der Berufung der Klägerin stattgegeben und die Einrede verworfen. Die Revision der Beklagten war erfolglos.

Gründe

"Das Kammergericht hat festgestellt, daß durch die Anordnung der preußischen Landeszentralbehörden vom 26. Oktober 1916, betr. Errichtung eines Kommunalverbandes "Fettstelle Groß-Berlin" (HMinBl. S. 362. bei Güthe-Schlegelberger, Kriegsbuch Bd. 4 S. 369), die Beklagte als juristische Person des öffentlichen Rechtes geschaffen werden sollte und geschaffen worden ist. Soweit das Kammergericht dabei die Anordnung vom 26. Oktober 1916 selbst ausgelegt hat, ist seine Entscheidung vom Revisionsgerichte nicht nachzuprüfen, denn die Anordnung gilt nur innerhalb des Bezirks des Berufungsgerichts, nicht darüber hinaus (§ 549 Abs. 1 ZPO.). Nachzuprüfen bleibt aber, ob die Anordnung so ergehen durfte, wie sie ergangen ist, und ob die Beklagte den Anforderungen genügt, die an eine juristische Person zu stellen sind. Beide Fragen sind zu bejahen.

Beizutreten ist der Revision allerdings darin, daß die Anordnung nicht ergehen konnte und nicht ergangen ist auf Grund des preußischen Zweckverbandgesetzes vom 19. Juli 1911 (GS. S. 115). Nach § 1 das. können zwar Städte, Landgemeinden, Gutsbezirke usw. behufs Erfüllung einzelner kommunaler Aufgaben jeder Art miteinander zu Zweckverbänden verbunden werden; dazu ist aber ein Beschluß des Kreis- oder Bezirksausschusses und bei Beteiligung der Stadt Berlin ein Beschluß der im § 39 des Zweckverbandgesetzes für Groß-Berlin vom 19. Juli 1911 (GS. S. 123) besonders berufenen Beschlußbehörde erforderlich. Derartige Beschlüsse sind nicht ergangen. Die Anordnung beruht aber auf der durch die preußischen Gesetze nicht gebundenen Reichsgesetzgebung, letzten Endes auf dem § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen usw. vom 4. August 1914 (RGBl. S. 327). Auf Grund dieses Gesetzes erging die Verordnung des Bundesrats über Speisefette vom 20. Juli 1916 (RGBl. S. 755. Kriegsbuch Bd. 4 S. 361). Nach deren § 8 sind die in Molkereien hergestellten Speisefette mit der Erzeugung für den Kommunalverband beschlagnahmt, in dem die Molkerei liegt. Die beschlagnahmten Speisefette sind dem Kommunalverband auf Verlangen käuflich zu überlassen; der Überlassungspflichtige kann verlangen, daß der Kommunalverband die Vorräte übernimmt; das Eigentum an den Speisefetten kann auf Antrag durch die zuständige Behörde auf den Kommunalverband übertragen werden; er hat für die überlassenen Vorräte einen angemessenen Preis zu zahlen (§§ 10, 11). Die Kommunalverbände können die käufliche Überlassung der in ihrem Bezirke vorhandenen, nicht in Molkereien hergestellten Speisefette an die von ihnen bestimmten Stellen oder Personen verlangen; die §§ 10, 11 finden entsprechende Anwendung (§ 13). Die Kommunalverbände haben den Verkehr und den Verbrauch von Speisefetten in ihrem Bezirke zu regeln; sie können dies den Gemeinden für deren Bezirk übertragen; der Reichskanzler, die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen können die Kommunalverbände und Gemeinden zur Regelung anhalten; sie können sie für die Zwecke der Regelung vereinigen und den Verbänden die Befugnisse aus den §§ 8 - 17 übertragen (§18). Die Kommunalverbände haben Höchstpreise für den Kleinhandel festzusetzen; die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden können Kommunalverbände und Gemeinden zur gemeinsamen Festsetzung von Höchstpreisen vereinigen (§ 29). Die Landeszentralbehörden erlassen die Ausführungsbestimmungen, sie bestimmen, wer als Kommunalverband und als Gemeinde anzusehen ist (§ 33). Der Reichskanzler kann die Bewirtschaftung von Milch der Reichsstelle für Speisefette übertragen und den Verkehr mit Milch regeln (§ 41).

Auf Grund dieses § 41 und der Verordnung des Bundesrats über die Errichtung des Kriegsernährungsamts vom 22. Mai 1916 (RGBl. S. 402) hat der Präsident des Kriegsernährungsamts namens des Reichskanzlers die Bekanntmachung über Bewirtschaftung von Milch und den Verkehr mit Milch vom 3. Oktober 1916 (RGBl. S. 1100, Kriegsbuch Bd. 4 S. 379) erlassen. Nach § 6 das. haben die Kommunalverbände die Milchverteilung in ihrem Bezirke zu regeln, sie können die Regelung aber auch den Gemeinden für deren Bezirk übertragen. Die zuständigen Stellen können die Lieferung von Milch an die Kommunalverbände oder Gemeinden anordnen; die belieferte Stelle gilt als Milchaufkäufer (§ 7). Die Kommunalverbände und Gemeinden können Höchstpreise für Milch festsetzen (§ 8). Die Landeszentralbehörden können die Kommunalverbände und Gemeinden für die Zwecke der Regelung vereinigen und den Verbänden die Befugnisse und Pflichten aus den §§ 6-8 übertragen (§ 9). Die Landeszentralbehörden treffen die Ausführungsbestimmungen; sie bestimmen, wer als Kommunalverband und Gemeinde anzusehen ist (§ 13).

Die preußischen Ausführungsanweisungen sind zur Verordnung über Speisefette am 22. Juli 1916 (HMinBl. S. 273, Kriegsbuch Bd. 4 S. 369), zur Bekanntmachung über die Bewirtschaftung von Milch am 14. Oktober 1916 (HMinBl. S. 359, Kriegsbuch Bd. 4 S. 382) ergangen. Beide stellen den Gemeinden die Gutsbezirke gleich und bezeichnen als Kommunalverband im Sinne der Verordnung die Land- und Stadtkreise. Am 26. Oktober 1916 endlich erließen die preußischen Landeszentralbehörden die Anordnung, durch die sie eine Anzahl von Stadtkreisen Groß-Berlins und einige Gemeinden und Gutsbezirke des Landkreises Teltow zum Zwecke der Regelung des Verkehrs und Verbrauchs von Milch und Speisefetten sowie der Festsetzung von Höchstpreisen für diese Lebensmittel unter dem Namen "Fettstelle Groß-Berlin" zu einem Kommunalverband vereinigten.

Damit haben die Landeszentralbehörden von den ihnen reichsgesetzlich erteilten Ermächtigungen Gebrauch gemacht, sie haben gewisse Kommunalverbände, Gemeinden und gemeindegleiche Gutsbezirke für bestimmte Zwecke vereinigt, haben dem neuen Verbande gewisse Befugnisse übertragen und ihn geradezu als Kommunalverband bezeichnet. In dieser Bezeichnung liegt die Bestimmung, daß die neugeschaffene Stelle als Kommunalverband anzusehen sei. Beide Ausdrücke kommen schließlich auf dasselbe hinaus. In dem einen wie in dem anderen Falle überkommt die Beklagte alle Rechte und Pflichten eines Kommunalverbandes. Die landesgesetzliche Anordnung hält sich also in dem reichsgesetzlich gezogenen Rahmen.

Die Beklagte erfüllt auch die zum Begriff eines Kommunalverbandes notwendigen Erfordernisse. Ihr steht die Gebietshoheit zu, d. h. sie ist eine im Grund und Boden wurzelnde Gebietskörperschaft, und sie hat auch die Befugnis, über die Personen ihres Gebietes in gewisser Weise zu herrschen (vgl. RGZ. Bd. 90 S. 263. Bd. 57 S. 37). Ihr fehlt auch nicht die für jede juristische Person und damit auch für einen Kommunalverband notwendige Organisation. Die Anordnung vom 26. Oktober 1916 enthält in ihren §§ 3 und 4 Vorschriften darüber, wie sich der Wille der Beklagten zu bilden hat (durch Beschlüsse eines Ausschusses von bestimmter Zusammensetzung oder etwa bestellter Unterausschüsse), und von wem der Wille der Beklagten nach außen hin zu erklären ist (von dem Vorsitzenden des Ausschusses). § 5 der Anordnung endlich regelt die Geldwirtschaft der Beklagten und gibt ihr das Recht, die ihr erwachsenden Kosten auf die beteiligten Stadtkreise und den Landkreis Teltow in einem bestimmten Verhältnis umzulegen. Mit Recht hat hiernach das Kammergericht die Beklagte für befähigt erachtet, Träger derjenigen privaten Rechte zu sein, die entstehen müssen, wenn die Beklagte gemäß der Verordnung über Speisefette und der Bekanntmachung über die Bewirtschaftung von Milch die ihr übertragenen Pflichten eines Kommunalverbandes erfüllt. Wer selbständig Träger von Privatrechten sein kann, ist rechtsfähig im Sinne des § 50 ZPO. und damit parteifähig. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß die Organe der Beklagten auch behördliche Aufgaben zu erledigen und staatliche, Hoheitsrechte auszuüben haben. Das Zusammentreffen der Privatrechte und der öffentlichrechtlichen Befugnisse bildet bei den juristischen Personen des öffentlichen Rechtes die Regel.

Die Revision hat zur Stütze ihrer abweichenden Ansicht einen Bescheid des preußischen Ministers des Innern vom 13. November 1916 herangezogen, in dem es heißt: "daß die nach der preußischen Ausführungsanweisung vom 24. Juli 1916 zu § 1 der Brotgetreideverordnung anerkannten gemeinsamen Versorgungsgebiete nicht ohne weiteres Rechtsfähigkeit besitzen". Das mag zutreffen, beruht aber auf einer andersartigen Regelung. § 61 der Brotgetreideverordnung vom 24. Juli 1916 (RGBl. S. 781, Kriegsbuch S. 102) lautet: "Die Landeszentralbehörden bestimmen, wer als Kommunalverband ... anzusehen ist." An der oben angeführten Stelle (Kriegsbuch Bd. 4 S. 131) wird gesagt: "Kommunalverbande im Sinne der (Brotgetreide-) Verordnung sind die Stadt- und Landkreise. Für diese erfolgt die Beschlagnahme. Der Minister des Innern kann örtlich zusammenhängende Kommunalverbände, welche sich zu einem gemeinsamen Versorgungsgebiet zusammenschließen ..., allgemein oder hinsichtlich einzelner Befugnisse als Kommunalverband anerkennen. Die rechtlichen Verhältnisse, welche sich aus der Beschlagnahme für den einzelnen Kreis gegenüber dem Eigentümer der beschlagnahmten Vorräte ergeben, werden durch solche Anerkennungen größerer Kommunalverbände nicht berührt." Hiernach handelt es sich bei der Anerkennung des Ministers lediglich um eine innere Verwaltungsangelegenheit, die nach außen und auf dem Gebiete des Privatrechts nicht zum Vorschein kommt. Berechtigt und verpflichtet gegenüber dem Eigentümer des Brotgetreides ist immer nur der einzelne Stadt- oder Landkreis, für den die Beschlagnahme erfolgt. Der "größere Kommunalverband", von dem es auch nicht heißt, daß er als Kommunalverband im Sinne der Brotgetreideverordnung anzusehen sei, wird nicht zum Träger von Privatrechten gemacht, ihm wird keine Organisation verliehen, seine Geldwirtschaft wird nicht geregelt. Über alles das enthält die Ausführungsanweisung nichts. Diese Beziehungen, soweit erforderlich, zu regeln, bleibt vielmehr offenbar einem vertragsmäßigen Abkommen vorbehalten, das die nach wie vor selbständigen Rechtspersönlichkeiten der sich zusammenschließenden Kommunalverbände miteinander vereinbaren können." ...