RG, 18.02.1919 - II 369/18

Daten
Fall: 
Surrogation bei Unmöglichkeit einer beschränkten Gattungsschuld
Fundstellen: 
RGZ 95, 20
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.02.1919
Aktenzeichen: 
II 369/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

1. Begründet die Vorschrift einer Kriegsverordnung, die gesamten Vorräte und die gesamte Erzeugung an eine bestimmte Kriegsgesellschaft abzuliefern, Unmöglichkeit der Leistung?
2. Auslegung der Vertragsbestimmung: "Lieferzeit: Oktober bis Mai" oder "Lieferzeit Oktober/Mai." Ist der letztgenannte Monat mit einzurechnen?
3. Zur Surrogation bei beschränkter Gattungsschuld.

Tatbestand

Die Beklagte hat der Klägerin auf Grund sechs einzelner Verträge "Stephans Original-Zuckerschnitzel", Fabrikat der Zuckerfabriken Elsdorf / Euskirchen verkauft. Nach dem ersten Vertrage vom 8. April 1914 waren ca. 20000 Zentner zum Preise von 5,45 M für 50 Kilo netto frei Waggon Fabrik zu liefern. Der Preis verstand sich brutto für netto einschließlich Sack. Als Lieferungszeit war vereinbart: "Oktober 1914 / Mai 1915 sukzessive Lieferung". Gemäß Vertrag vom 21. April 1914 waren ca. 5600 Zentner zum Preise von 5,25 M für 50 Kilo zu liefern, Lieferungszeit: "Oktober 1914 bis Mai 1915." Der Vertrag vom 16. Mai 1914 sah die Lieferung von ca. 5000 Zentnern zum Preise von 5,25 M für 50 Kilo vor. Lieferungszeit: "Oktober 1914 / Mai 1915". Gemäß Vertrag vom 16. November 1914 waren ca. 5000 Zentner zum Preise von 7,25 M für 50 Kilo zu liefern. Lieferungszeit: "November 1914 bis inkl. Mai 1915". Der Vertrag vom 17. Dezember 1914 betraf ca. 4000 Zentner zum Preise von 8,25 M für 50 Kilo. Lieferungszeit: "Januar / April 1915". Nach dem Vertrage vom 22. Dezember 1914 endlich hatte die Beklagte ca. 10000 Zentner zum Preise von 8 M für 50 Kilo zu liefern, Lieferungszeit: "Januar / April 1915".

Die Beklagte hat bis zum 15. März 1915 auf Grund der 6 Verträge Zuckerschnitzel an die Klägerin geliefert, seit diesem Zeitpunkt aber mit Lieferung aufgehört und gemäß Bekanntmachung über zuckerhaltige Futtermittel vom 12. Februar 1915 die restlichen Mengen der Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte G .m. b. H. zum festgesetzten Höchstpreise von 16 M für 100 Kilo und 2 M für zugehörige Säcke überlassen.

Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen Nichtlieferung der rückständigen Zuckerschnitzel, indem sie behauptet, daß die Beklagte mit der Lieferung bereits vor dem Inkrafttreten der Bekanntmachung vom 12. Februar 1915 in Verzug geraten sei. Bei Berechnung der angeblichen Fehlmengen bis zum 15. März 1915 läßt sie den bei Angabe der Lieferungszeit zuletzt genannten Monat unberücksichtigt, so daß sich die auf den einzelnen Monat fallende Vertragsmenge entsprechend erhöht. In zweiter Linie gründet sie ihren Anspruch auf § 281 BGB. und fordert Herauszahlung des von der Beklagten durch Überlassung der Ware an die Bezugsvereinigung erzielten Überschusses.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Auf die Revision der Klägerin wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Gründe

"Das Berufungsgericht hat angenommen, daß es der Beklagten infolge der Bekanntmachung über zuckerhaltige Futtermittel vom 12. Februar 1915 unmöglich geworden sei, über den 15. März 1915 hinaus Zuckerschnitzel zu liefern. Der hiergegen gerichtete Angriff der Revision ist verfehlt. Nach §§ 1, 2 und 9 der angezogenen Bekanntmachung war die Absetzung von Zuckerschnitzeln nur noch durch die Gesellschaft m. b. H. Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte erlaubt. Alle Vorräte waren auf Verlangen an diese Gesellschaft abzugeben, und nur solche Mengen durften zurückbehalten werden, welche auf Grund früherer Verträge und vor dem 15. März zu liefern waren. Zuwiderhandlungen waren unter Strafe gestellt. Die Auffassung der Revision, daß die Bezugsvereinigung im Wege einer Zwangsabtretung lediglich anstelle der Klägerin getreten sei, ist haltlos. Von einer solchen Vertretung der Klägerin oder der sonstigen Abnehmer von hier fraglichen Waren durch die Bezugsvereinigung steht in der Bekanntmachung nichts. Der Bezugsvereinigung ist vielmehr ein ausschließliches Absatzrecht (Monopol) verliehen und allen übrigen die Absetzung verboten worden.

Ebenso unbegründet ist der Angriff, welchen die Revision gegen die Feststellung des Berufungsgerichts erhebt, daß die Beklagte, als ihr die weitere Lieferung unmöglich wurde, nicht im Verzuge war. Die Entscheidung dieser Frage hängt nur von der Berechnung der vertraglich vereinbarten Lieferzeit ab. Schließt man den letzten Monat in die Lieferzeit ein, so wird der auf den einzelnen Monat entfallende Teil der zu liefernden Menge kleiner, und die Beklagte hat bis zum 15. März sogar mehr geliefert, als sie nach dem Vertrage zu liefern hatte. Nun hat aber das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum ausgeführt, daß bei Vereinbarung einer Lieferzeit: "Oktober bis Mai" oder "Oktober / Mai" der zuletzt genannte, Monat in die Lieferfrist einzubeziehen sei. Diese Auslegung entspricht dem Sprachgebrauche, der Vorschrift des § 188 Abs. 2 BGB. und wird, wie das Berufungsgericht mit Recht hervorhebt, durch die im Vertrage vom 16. November 1914 gebrauchten Worte "bis inklusive" besonders nahegelegt. Mit der Behauptung, daß nach der Auffassung der beteiligten Handelskreise der letzte Monat nicht in der Lieferzeit einbegriffen sei, daß diese Tatsache insbesondere von der Handelskammer Köln bestätigt werden würde, und der Berufungsrichter die Entscheidung in diesem Punkte nicht der eigenen Sachkunde habe überlassen dürfen, ist die Revision nicht zu hören. Abgesehen davon, daß nicht der Kölner, sondern der Berliner Handelsbrauch für das Verständnis der streitigen Vertragsbestimmung maßgeblich sein würde, ist von der Klägerin in den Vorinstanzen eine entsprechende Behauptung überhaupt nicht aufgestellt worden. Auch bestand mit Rücksicht auf die Unwahrscheinlichkeit des Bestehens eines derartigen Handelsbrauchs kein Anlaß für das Berufungsgericht, das Fragerecht auszuüben.

Dagegen fühlt sich die Klägerin mit Recht durch die Nichtanwendung des § 281 BGB. beschwert. Nach dieser Gesetzesvorschrift kann der Gläubiger, falls der Schuldner infolge des Umstandes, welcher die Leistung unmöglich macht, für den geschuldeten Gegenstand einen Ersatz erlangt, Herausgabe des als Ersatz Erlangten verlangen. Nun ist allerdings nach feststehender Rechtsprechung des Reichsgerichts der § 281 auf Gattungsschulden nicht anwendbar, weil sich bei einer noch nicht nach § 243 Abs. 2 BGB. festgelegten Gattungsschuld nicht sagen läßt, daß die später ersetzten Sachen geschuldet sind. Allein dieser Gesichtspunkt trifft im vorliegenden, besonders gearteten Falle nicht zu. Die Beklagte hatte sich vertraglich verpflichtet, Fabrikat der Zuckerfabriken Elsdorf / Euskirchen zu liefern. Das ist in den Kaufverträgen unzweideutig vorgeschrieben. Die Vermutung des Berufungsgerichts, daß es hier nicht gerade auf die Erzeugnisse der namentlich aufgeführten Fabrik angekommen sei, sondern nur habe betont werden sollen, daß die Beklagte nicht eigene Erzeugnisse verkaufe, und daß in das Formular der Kaufverträge der Name der Fabrik Elsdorf-Euskirchen eingefügt sein werde, weil diese - insbesondere wohl nach ihrer örtlichen Lage - zur Abwicklung der Geschäfte die geeignetste gewesen sei, entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage.

Nun sind die gesamten Bestände und Erzeugung der genannten Fabrik durch die Bekanntmachung vom 12. Februar 1915 der Herstellerin und damit auch der Beklagten gegen Entschädigung entzogen worden. Ab 15. März 1915 spätestens sind alle den Fabriken Elsdorf/Euskirchen gehörenden oder von ihr verarbeiteten Zuckerschnitzel von der Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte gegen Zahlung enteignet worden. Es hat sich daher der erlangte Ersatz mit begrifflicher Notwendigkeit von vornherein auch auf die restlichen Mengen erstreckt, welche die Beklagte nach den 6 mit der Klägerin geschlossenen Verträgen dieser noch zu liefern hatte (vgl. RGZ. Bd. 93 S. 142).

Der vom Berufungsgerichte nicht behandelte, aber in der Revisionsinstanz aufrecht erhaltene Einwand der Beklagten, daß sie persönlich den Ersatz von der Bezugsvereinigung überhaupt nicht erhalten habe, dieser vielmehr nur der Fabrik geliefert worden sei, ist unbegründet. Entspräche selbst dieses Vorbringen der Wahrheit, so würde doch die Beklagte gehalten sein, den der Fabrik zugutegekommenen Ersatz der Klägerin auszukehren. Unstreitig ist die Beklagte nur als Mittelstelle für die verschiedenen Fabriken, wenngleich im eigenen Namen, so doch für deren Rechnung tätig geworden. So wie sie daher in ihrer Person für die ordnungsmäßige Erfüllung der Verträge Sorge zu tragen hatte, so war es auch ihre Sache, bei Unmöglichkeit der Erfüllung den infolge dieser Unmöglichkeit für den geschuldeten Gegenstand eingegangenen Ersatz zur Auskehrung an die Klägerin zu bringen.

Da das Berufungsgericht zu Unrecht den § 281 BGB. nicht angewendet hat, unterlag das angefochtene Urteil der Aufhebung. In der Sache selbst aber konnte noch nicht erkannt werden, weil die Unterlagen für die Berechnung des Ersatzes nicht feststehen. ... Schließlich wird auch - wie von der Beklagten in der Revisionsinstanz hervorgehoben worden ist - zu prüfen sein, ob die Bestände und Erzeugung der Fabrik Elsdorf-Euskirchen, welche die Bezugsvereinigung zum Preise von 18 M übernommen hat, ausgereicht haben, um sämtliche laufenden Verträge der Beklagten mit ihrer Kundschaft zu erfüllen. Soweit dies nicht der Fall ist, könnte naturgemäß nur ein entsprechender Anteil des Ersatzes der Klägerin zugute kommen." ...