RG, 15.02.1919 - I 230/18
1. Zum Begrifft der Kriegsgefahr bei Wassertransportversicherungen
2. Heranziehung des Seeversicherungsrechts zur Auslegung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908
3. Beweislast für die Entstehung des Schadens durch die gewöhnliche Transportgefahr oder durch Kriegsgefahr.
Tatbestand
Die Klägerin hat bei der Beklagten Versicherung genommen auf einen Wagen Haselnußkerne für die Reise mit der Eisenbahn von Konstantinopel nach Hamburg in durchstehendem Risiko über beliebige Donauplätze mit Wasserreise von einem Donauplatze nach dem anderen. Nach handschriftlichem Vermerk in der Police war "jegliche Umladung, Transport zu Wasser und/oder zu Land und Aufenthaltsgefahr einbegriffen". Die gedruckten Bedingungen, der Police enthielten folgende Kriegsklausel:
"§ 2. Die Versicherungsgesellschaft haftet ferner für die Folgen der unmittelbaren Kriegsgefahr, bestehend in Wegnahme, Beschädigung oder Zerstörung der versicherten Ware durch feindliche Mächte...
Ausgeschlossen bleiben indirekte, nur mittelbare Schäden und Nachteile aus der Kriegsgefahr, wie insbesondere Schäden und Minderung infolge Reiseverzögerung, alle Kosten und Verluste, die durch freiwilligen oder gezwungenen Aufenthalt der Ware oder durch Zurückhaltung der Eisenbahnzüge, durch Blockierung von Plätzen, durch Einlagerung des Gutes oder anderweitige Dispositionen über dieses wegen der Kriegsgefahr, ferner durch Extrazölle, Extrafrachten usw. entstehen können."
Die Ware wurde gesund auf den Weg gebracht, kam aber mit Beschädigung und großer Verspätung an. Nach Annahme der Vorinstanzen liegt Beschädigung durch Wasser vor, das in den leck gewordenen Kahn auf dem Donautransport oder im Zufluchthafen eingedrungen ist. Die Verspätung beruht auf dem Ausbruche des Rumänischen Krieges, der den auf der Reise von Rustschuk nach Orsowa begriffenen Kahn zwang, unterwegs Zuflucht zu suchen, bis durch die Eroberung der Walachei der Donauweg wieder frei wurde. Die Klägerin nahm die Beklagte auf Grund der Versicherung für den Schaden in Anspruch. Das Landgericht verurteilte die Beklagte, das Oberlandesgericht wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin führte zur Wiederherstellung des ersten Urteils.
Gründe
"Zutreffend ist allerdings die Annahme des Oberlandesgerichts, daß es auf die handschriftliche Klausel betreffend die Aufenthaltsgefahr nicht ankommt. Ein Widerspruch mit § 2 Abs. 2 der Police, welche sich im § 2 mit der Kriegsgefahr befaßt, ist nicht anzuerkennen, wenigstens nicht in dem Sinne, daß etwaige Einschränkungen der übernommenen Gefahr, die in der Kriegsklausel enthalten sind, im ganzen Bereiche der handschriftlichen Klausel hinfällig wären. Beide Bestimmungen sind vielmehr nebeneinander zu beachten, nämlich der handschriftliche Vermerk als Ergänzung der allgemeinen Bestimmungen, der §2 als besondere Regelung der Kriegsgefahr. Nach ersterem ist die Aufenthaltsgefahr, insbesondere also das Hafenrisiko, im allgemeinen in die Versicherung eingeschlossen, nach § 2 Abs. 2 hat sich indessen der Versicherer von dem auf Kriegsgefahr beruhenden Verzögerungsschaden freigezeichnet. Letzteres entspricht einer schon längere Zeit herrschenden Neigung der Gesellschaften, wie sie besonders im Seeversicherungsrecht in der Hamburger und verwandten Kriegsklauseln zum Ausdruck kommt und sich in den Allg. Deutschen Seeversicherungsbedingungen (Entwurf 1914) zur Ablehnung des Verzögerungsschadens überhaupt gesteigert hat (§28 daselbst). Nicht zutreffend freilich ist die Bemerkung des Berufungsgerichts, der § 2 Abs. 2 stehe im unmittelbaren Gegensatze zu § 101 AllgSVB. von 1867. Vielmehr regelt dieser nur die Klausel "nur für Seegefahr", und nur mittelbar läßt sich ihm entnehmen, was in Ermanglung anderweiter Regelung - übrigens mit der sich aus § 70 Nr. 3 ergebenden Einschränkung - unter die Kriegsgefahr fallen würde. Die Anwendung beider Bestimmungen der Police führt im vorliegenden Falle zu dem Ergebnis, daß auch im Kriege das gewöhnliche Aufenthaltsrisiko. d. h. die Transportgefahr während eines auf Kriegsgefahr beruhenden Aufenthalts, zu Lasten des Versicherers ist, während er sich von den Schäden und Kosten, die unmittelbar und ausschließlich auf dem durch Krieg verursachten Aufenthalte, d. h. auf der dadurch bewirkten Verlängerung der Reise, beruhen, freigezeichnet hat.
Mit Recht nimmt daher der Vorderrichter an, daß es darauf ankomme, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2, welche im wesentlichen den durch Kriegsgefahr verursachten Verzögerungsschaden betreffen, bei dem Schaden, den die Klägerin ersetzt verlangt, gegeben sind. Mit Unrecht aber erklärt er weiter, daß die Ungewißheit darüber, wo und wie der Schaden entstanden sei, zu Lasten der Klägerin sei. Auf den Ort der Schadensentstehung kommt es überhaupt nicht an. Ein gewöhnlicher Transportschaden würde auch dann unter die Versicherung fallen, wenn er in dem Zufluchtshafen entstanden wäre, den der Kahn bei Ausbruch des Rumänischen Krieges aufgesucht hat. Zur Anwendung der Kriegsklausel genügt keineswegs das rein zufällige Zusammentreffen des durch den Krieg verursachten Aufenthaltes mit dem Unfalle, sondern es muß dieser unmittelbar auf dem Aufenthalte, d. h. der durch den Krieg verursachten Verzögerung und Verlängerung der Reise, beruhen. Dieser im Seeversicherungsrecht (§ 849 Abs. 1 HGB.) geltende Grundsatz, der übrigens mit dem Wortlaut der Kriegsklausel § 2 Abs. 2 der Police durchaus im Einklang steht, ist unbedenklich auch auf die vorliegende Transportversicherung anzuwenden. Das Gesetz über den Versicherungsvertrag schließt sich in dieser Materie nach Möglichkeit dem bereits in reicher Entwicklung vorgefundenen Seeversicherungsrecht mit seinen viel ausführlicheren Bestimmungen an. Daher ist es geboten, letztere, wenn angängig, zu entsprechender Ergänzung heranzuziehen (so auch Hager-Bruck VersVG. Vorbem. 1 zu § 129). Ferner ist der im Seeversicherungsrecht geltende Grundsatz anzuwenden, daß im Zweifel nicht anzunehmen ist, ein eingetretener Schaden sei durch Kriegsgefahr verursacht worden (§ 849 Abs. 2 HGB.) Auch dies ist nach der vorliegenden Versicherungspolice schon deswegen gerechtfertigt, weil sich der § 2 Abs. 2 als Ausnahmebestimmung kennzeichnet, deren Voraussetzungen von demjenigen bewiesen werden müssen, der sich darauf beruft. Der gegenwärtige Schaden aber stellt sich auf den ersten Blick als ein gewöhnlicher Transportschaden dar. Das Eindringen von Wasser in den Kahn beruht regelmäßig auf einem mangelhaften Zustande des Schiffes oder auf Unachtsamkeit der Schiffsbesatzung. Beides hat an sich nichts mit dem Kriege zu tun. Nach den vorliegenden Bedingungen würde die Beklagte an sich dafür haften, auch wenn der darauf beruhende Unfall sich im Zufluchtshafen ereignet hatte. Nur wenn bewiesen wäre, daß der vermutete Leck in dem Kahn und das Eindringen des Wassers nur auf der übermäßigen Verzögerung der Reise beruhte, wäre der § 2 Abs. 2 anzuwenden. Dies ist aber weder bewiesen noch vom Berufungsgericht festgestellt. Es kann davon auch bei der vorliegenden Verzögerung von nur wenigen Monaten keine Rede sein. Daß das Leckspringen eines beladenen Kahnes während eines Aufenthalts von mehreren Monaten im Hafen ein gewöhnlicher Unfall sei, mit dem normaler Weise gerechnet werden müßte, kann nicht behauptet werden. Das Gegenteil ergibt sich daraus, daß z. B. Zuckerladungen überaus häufig im Herbst zur Beförderung übernommen werden mit der Bedingung, daß sie über Winter im Kahne lagern und erst im Frühjahr abgeliefert werden. Die Klägerin hat ihrer Darlegungs- und Beweispflicht dadurch genügt, daß festgestelltermaßen die Ladung gesund auf den Weg gebracht und mit Wasserschaden am Bestimmungsort angekommen ist. Die Beklagte hat demgegenüber lediglich behauptet und dargetan, daß die Reise durch den Rumänischen Krieg um mehrere Monate verzögert worden ist. Dies genügt aber zur Anwendung des § 2 Abs. 2 und zu der Annahme, daß ein durch die Verzögerung unmittelbar verursachter Schaden vorliege, keineswegs. Die Haftung der Beklagten für den Transportschaden ist hiernach gegeben." ...