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RG, 29.01.1919 - I 252/18

Daten
Fall: 
Aufrechnung mit einer Zurückbehaltungseinrede behafteten Forderung
Fundstellen: 
RGZ 94, 309
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.01.1919
Aktenzeichen: 
I 252/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Verden
  • Oberlandesgericht Celle

Kann eine mit einer Zurückbehaltungseinrede behaftete Forderung aufgerechnet werden, wenn sich der Gegner hinsichtlich der Leistung, wegen deren er zurückhält, im Annahmeverzuge befindet?

Tatbestand

Die Parteien standen miteinander in engen geschäftlichen Beziehungen. Die Klägerin klagt gegen die Beklagte eine Forderung aus laufender Rechnung in Höhe von 10000 M ein, die unbestritten ist. Die Beklagte macht gegenüber der Klagforderung aufrechnungsweise eine Gegenforderung auf Grund folgenden Sachverhalts geltend. Die Klägerin war Anfang 1914 im Besitze von 150000 M Aktien der Beklagten, die diese zu erwerben und anderweitig unterzubringen wünschte. Da die Beklagte selbst eigene Aktien nicht erwerben konnte, vereinbarte ihr Direktor M. in eigenem Namen mit der Klägerin, daß er die 150000 M Aktien käuflich übernehme und daß der Kaufpreis durch Zahlung von etwa 50000 M bar, durch Abtretung einer Hypothek und durch Abtretung einer Forderung von 33730,50 M gegen einen gewissen S. getilgt werden sollte. Dies Geschäft ist zur Ausführung gekommen. M. hat einige Zeit darauf das Geschäft wegen Irrtums und Täuschung angefochten. Die Beklagte behauptet, das Geschäft habe zur Grundlage gehabt, daß die Klägerin sich in geordneten Verhältnissen befinde. Nur dann wäre es der Beklagten, deren enge Beziehungen zur Klägerin bekannt gewesen seien, möglich gewesen, die 150000 M anderweitig unterzubringen. M. habe sich deshalb bei den Vertretern der Klägerin nach deren Verhältnissen erkundigt und habe eine befriedigende Auskunft erhalten. Bald habe sich jedoch herausgestellt, daß die Klägerin zahlungsunfähig sei und ihr Zusammenbruch bevorstehe. M. hat darauf das Geschäft angefochten; er hat seine Forderungen aus der Anfechtung an die Beklagte abgetreten. Mit diesen Forderungen, die sie auf 98000 M beziffert, rechnet die Beklagte auf. Die Klägerin hat die behauptete Täuschung bestritten und hat behauptet, die Aufrechnung sei auch aus dem Grunde unzulässig, weil die Beklagte die 150000 M Aktien nicht zur Verfügung stelle. Darauf hat die Beklagte erwidert, sie brauche die 150000 M Aktien nur gegen Zahlung der vollen 98000 M (einschließlich der Rückübertragung der Hypothek und der Forderung gegen S.) zur Verfügung zu stellen; bis dahin gebe sie die Aktien nicht zurück.

Landgericht und Oberlandesgericht haben zugunsten der Klägerin erkannt, weil die Aufrechnung unzulässig sei. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils.

Gründe

"Der Klaganspruch ist unbestritten. Die Beklagte will mit einem Anspruch aufrechnen, den sie aus der Anfechtung des zwischen der Klägerin und dem früheren Direktor der Beklagten abgeschlossenen Kaufvertrags herleitet; sie verlangt auf Grund der Anfechtung und der Abtretung der Rechte ihres früheren Direktors Rückzahlung des Kaufpreises. Die Klägerin will diesen zurückhalten, weil die Beklagte ihr den Kaufgegenstand zurückzugewähren habe. Die Beklagte ist bereit, die getauften Aktien zurückzugeben, aber nur gegen Rückzahlung des gesamten Kaufpreises, nicht jedoch gegen denjenigen Teil des Kaufpreises, der zur Aufrechnung gegen die Klagforderung (10000 M) erforderlich ist.

Die Entscheidung über die Revision ist grundsätzlich abhängig von der Beantwortung der Frage, ob mit einer Forderung aufgerechnet werden kann, der eine Zurückbehaltungseinrede entgegensteht, und zwar insbesondere dann, wenn der Aufrechnungsgegner sich im Annahmeverzuge befindet.

Vorweg ist zu bemerken, daß es sich vorliegendenfalls um eine wahre Zurückbehaltungseinrede handelt. Denn nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts sind bei Anfechtung eines gegenseitigen, von beiden Seiten bereits erfüllten Vertrags die beiderseitigen Ansprüche auf Rückgewähr selbständige Ansprüche, die nicht wie die Vertragsansprüche aus einem zweiseitigen Geschäfte voneinander abhängig . Es findet deshalb die Einrede des Zurückbehaltungsrechts statt, nicht aber die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (RGZ. Bd. 49 S. 421).

Grundsätzlich bestimmt § 390 BGB., daß eine Forderung, der eine Einrede entgegensteht, nicht zur Aufrechnung verstellt werden kann. Es wird allgemein anerkannt, daß unter den hier gemeinten Einreden nicht nur zerstörende, sondern auch aufschiebende zu verstehen sind. Unter die aufschiebenden fällt die hier in Rede stehende Zurückbehaltungseinrede. Aber es fragt sich, ob diese Einrede der Aufrechnung auch dann entgegensteht, wenn der Aufrechnungsgegner sich im Annahmeverzuge hinsichtlich der Leistung, wegen der er zurückhalten will, befindet. Das Reichsgericht hat in Seufferts Archiv Bd. 59 Nr. 149 entschieden, daß ein Beklagter, der die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gegen, einen Vertragsanspruch erhebt, der aber seinerseits im Annahmeverzug ist, verurteilt werden muß, jedoch nicht bedingungslos, sondern Zug um Zug gegen die Gegenleistung. Daraus hat das OLG. Rostock, Seufferts Archiv Bd. 67 Nr. 150, geschlossen, daß eine solche Forderung nicht zur Aufrechnung verwandt werden könne, weil sich die Bedingung der Leistung Zug um Zug bei der Zulassung der Aufrechnung nicht durchführen lasse. Das ist jedoch aus der angeführten Entscheidung des Reichsgerichts nicht zu folgern. Denn jenes Urteil beruht auf der Erwägung, daß einerseits der Schuldner durch seinen Annahmeverzug noch nicht das Recht verliert, daß er nur Zug um Zug gegen die Gegenleistung zu leisten braucht, und daß anderseits eine Verurteilung Zug um Zug den Gläubiger in der Zwangsvollstreckung nicht in Schwierigkeiten verwickelt, da er nach § 274 Abs. 2 BGB. ohne Bewirkung der ihm obliegenden Gegenleistung zwangsweise vorgehen kann. Das Urteil beruht also, auf einer Abwägung der beiderseitigen Interessen und kommt zu dem Ergebnis, daß eine Verurteilung Zug um Zug den Interessen beider Teile gerecht wird. In einem Falle wie dem vorliegenden läßt sich nun allerdings im entscheidenden Teile des Urteils nicht aussprechen, daß bei Zulassung der Aufrechnung der Aufrechnende die erhaltene Leistung zurückzugewähren habe. Aber auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß der Annahmeverzug des Aufrechnungsgegners nicht bewirken darf, daß der Beklagte von einer ihm zustehenden Einrede keinen Gebrauch machen kann. Es würde sonst durch den Verzug des einen Teiles dem anderen Teile ein - unter Umständen erheblicher - sachlicher Schaden zugefügt. Das erscheint auf keinen Fall angängig. Den Interessen des Aufrechnungsgegners kann dagegen vollauf Rechnung getragen werden, wenn der Aufrechnende seine Gegenleistung zur Verfügung jenes hält. Unter der Voraussetzung, daß letzteres der Fall ist und der Gegner sich demgemäß im Annahmeverzuge befindet, werden also seine berechtigten Interessen durch die Zulassung der Aufrechnung nicht verletzt, wenngleich, wie erwähnt, im entscheidenden Teile des Urteils nicht zum Ausdruck gelangen kann, daß er ein Recht auf die Gegenleistung hat. Die Aufrechnung ist deshalb zuzulassen, wenn der Aufrechnende seine Gegenleistung angeboten hat und sie dauernd zur Verfügung seines Gegners hält.

Dies Ergebnis wird nicht nur den beiderseitigen berechtigten Interessen gerecht, sondern es entspricht auch dem Grundsätze, der im § 274 Abs. 2 BGB. seinen Ausdruck gefunden hat. Nach dieser Gesetzesbestimmung kann derjenige, dem eine Forderung zusteht, die mit einer Zurückbehaltungseinrede behaftet ist, dann, wenn sein Gegner sich im Annahmeverzuge findet, im Wege der Zwangsvollstreckung vorgehen, ohne die ihm obliegende Gegenleistung zu bewirken. Das Gesetz hat also den oben entwickelten Grundsatz, daß der Forderungsberechtigte in seinen Interessen nicht durch den Annahmeverzug des Gegners beeinträchtigt werden darf, für den Fall, daß jener entweder Kläger oder Widerkläger ist, ausdrücklich anerkannt. Was für den Widerkläger gilt, muß auch für den Aufrechnenden gelten. Wenn der Berechtigte sich durch Widerklage und Vollstreckung zwangsweise Befriedigung verschaffen kann, so ist kein Grund ersichtlich, weshalb er dasselbe Ziel nicht durch Aufrechnung sollte erreichen können. Das OLG. Rostock wendet a. a. O. ein, der Beklagte könne durch Annahmebereitschaft die Einrede wieder zur Geltung bringen, während bei der Aufrechnung infolge der das Erlöschen der Forderung herbeiführenden Wirkung (§ 389 BGB.) ein nachträgliches Zurückgreifen auf die Einrede unmöglich sei. Allein diese Erwägung erscheint nicht ausschlaggebend. Denn der Zurückhaltungsberechtigte kann auch dann, wenn er verklagt wird, sich die Gegenleistung nicht über die Zwangsvollstreckung hinaus verschaffen. Der entsprechende Zeitpunkt liegt, wenn aufgerechnet wird, in der Abgabe des Urteils. Dieser Unterschied erscheint nicht von solcher Bedeutung, daß er den vorstehend entwickelten Grundsatz zu Fall bringen könnte.

Im vorliegenden Falle wird die Sachlage dadurch etwas verwickelter, daß die Beklagte gegen die Aufrechnung nicht den gesamten Kaufgegenstand, sondern nur einen Teil desselben - nämlich denjenigen Teil, der dem zur Aufrechnung nötigen Betrage von 10000 M entspricht - zurückzugewähren hat. Letzteres ergibt sich aus den Grundsätzen, die die Rechtsprechung über den Umfang des Zurückbehaltungsrechts herausgebildet hat. Dieselbe Verwickelung würde eintreten, wenn die Beklagte den Betrag von 10000 M als Klägerin oder Widerklägerin geltend machte. Hieraus kann also ebenfalls kein Grund gegen die Zulassung der Aufrechnung entnommen werden. Es wird nach dem wirtschaftlichen Verhältnis des Gesamtkaufpreises zu dem zur Aufrechnung verstellten Betrage zu ermitteln sein, ein wie großer Teil des gesamten Kaufgegenstandes zurückzugewähren ist.

Aus diesen Gründen erscheint es nicht gerechtfertigt, wenn das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Aufrechnungseinrede verneint hat. Die Einrede ist vielmehr zuzulassen, wenn die im vorstehenden dargelegten und die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind." ...