RG, 29.02.1884 - II 386/83

Daten
Fall: 
Unentgeltliche Gewährung einer Wohnung
Fundstellen: 
RGZ 11, 360
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.02.1884
Aktenzeichen: 
II 386/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Saarbrücken
  • OLG Köln

Begründet die unentgeltliche Gewährung einer Wohnung, welche einem Miterben in dem Hause des Erblassers eingeräumt worden, einen Kollationsanspruch?

Gründe

"Das Oberlandesgericht hat ohne Rechtsirrtum angenommen, daß die unentgeltliche Einräumung einer Wohnung, wie sie die Klägerin, seit ihrer Verheiratung im elterlichen Hause innegehabt hat, einen Kollationsanspruch nicht begründet. Die Liberalität, welche in der Gewährung einer Wohnung sich darstellt, fällt unter die Ausnahmebestimmung des Art. 852 Code civil, der die Kosten der Ernährung, sowie des Unterhaltes u. s. w. von dem Rückbringen befreit, denn zu dem Unterhalte gehört begriffsmäßig, wie mit Grund nicht bestritten werden kann, die Wohnung. Die bezogene Gesetzesvorschrift beruht auf dem legislatorischen Gedanken, daß mäßige, den Vermögensverhältnissen des Erblassers entsprechende Liberalitäten, welche Ausflüsse des Wohlwollens oder der Zuneigung desselben sind, in vielen Fällen durch Sitte und Herkommen bedingt werden, nach dem vermutlichen Willen des Erblassers als dem Rückbringen nicht unterliegend anzusehen sind. Das Oberlandesgericht hat denn auch, was jene erste Voraussetzung betrifft, thatsächlich festgestellt, daß es sich hier um eine Zuwendung handelt, welche seitens der Eltern ohne Angriff des Kapitalstockes lediglich durch Aufgabe einer sonst durch Vermietung der Wohnung etwa zu erzielenden Revenue erfolgt ist, und im Verhältnisse zu dem Vermögen der Eltern nur als eine geringe gelten kann.

Wenn demgegenüber von den Beklagten aufgestellt wird, daß Art. 843 a. a. O., welcher den Grundsatz der Kollationspflicht ausspricht, ganz allgemein laute, und alle Liberalitäten, auch die aus den Revenuen fließenden, treffe, so steht dies abgesehen, von Art. 852, auch mit dem Prinzipe des Art. 856 in Widerspruch. Mit Recht findet das Oberlandesgericht in der zuletzt genannten Gesetzesbestimmung, nach welcher der Erbe Zinsen oder Früchte der dem Rückbringen unterworfenen Sache erst von dem Tage der Erbschaftseröffnung zu ersetzen hat, einen Ausdruck des Prinzipes, daß Liberalitäten, welche den Stock des Vermögens nicht berühren und nur in einer Zuwendung von Nutzungen desselben bestehen, dem Rückbringen nicht unterworfen sind. Die entgegengesetzte Annahme der Beklagten, welche diesen Grundsatz nicht anerkennen und den Art. 856 a. a. O. auf seinen Fall beschränken wollen, scheitert, abgesehen von dem Vorstehenden, auch an der Unzuträglichkeit der praktischen Konsequenzen, zu welchen sie führt. Nach dieser Annahme würde z. B., wenn jemand der einen von seinen beiden Töchtern ein Zinsen tragendes Kapital, der anderen aber eine jährliche Rente im Betrage jener Zinsen als Ausstattung schenkte, erstere die Zinsen lukrieren, und diese letztere alles Empfangene in den väterlichen Nachlaß einwerfen müssen, und gelangte man damit zu einem Resultate, welches dem Zwecke der gesetzlichen Bestimmungen über die Kollation, die Gleichheit unter den Erben möglichst aufrecht zu erhalten, direkt zuwiderläuft.

Mit dem Ausgeführten stimmt denn auch die in Doktrin und Rechtsprechung herrschende Auffassung überein.1

  • 1. Vgl. Marcadi, 5. Ausg. Bd. 3 Artt. 852, 836; Aubry & Rau, Bd. 6 S. 632-635 und Note 17; Arntz, Bd. 2 Nr. 1544-1546; Demolombe, Bd. 16 Nr. 412.413; Zachariä-Puchelt, Bd. 4 S. 163 und Note 18; Laurent, Bd. 10 Nr. 623. 624. 630; Sirey, Code annoté 3, Ausg. zu Alt. 852 Nr. 3. 4, vgl. Nr. 6 und zu Art. 856 Nr. 4-6."