RG, 26.02.1916 - III 353/17

Daten
Fall: 
Tagegelder bei auswärtiger Beschäftigung
Fundstellen: 
RGZ 92, 258
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.02.1916
Aktenzeichen: 
III 353/17
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Wann kann von einer längere Zeit dauernden Beschäftigung im Sinne von § 2 Abs. 2 des preußischen Gesetzes, betr. die Reisekosten der Staatsbeamten, vom 26. Juli 1910 gesprochen werden?
2. Bedarf es zur Wahrung des Anspruchs auf Tagegelder bei vorübergehender auswärtiger Beschäftigung an einer Behörde der Meldung bei dieser Behörde auch an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen?

Tatbestand

Der Kläger, etatsmäßiger Gerichtssekretär beim preuß. Amtsgerichte La., wurde im März 1915 bei den Amtsgerichten Li. und O. und vom April 1915 bis zum 14. Juli 1916 bei dem Amtsgerichte S. aushilfsweise verwendet. Als Vergütung wurden ihm von der vorgesetzten Behörde für die Beschäftigung in Li. und O. monatlich 80 M, für die Beschäftigung in S. monatlich 60 M angewiesen. Der Kläger beanspruchte höhere Betrage, nämlich für die Beschäftigung Li. und O. die vollen Tagegelder von 8 M nach §§1, 2 Abs. 1 des preuß. Gesetzes, betreffend die Reisekosten der Staatsbeamten, vom 26. Juli 1910, für die Beschäftigung in S. in den ersten vier Wochen ebenfalls täglich 8 M, dann ermäßigte Beträge von 150 und 120 M monatlich nach § 72 der Etatsvorschriften für die Justizverwaltung vom 8. Januar 1914 und lehnte die Annahme der niedrigeren Beträge ab. Ferner entstand Streit darüber, ob der Kläger für den 14. März (Sonntag) und für den 2. April 1915 (Karfreitag) eine Vergütung überhaupt zu beanspruchen habe. Am 14. März hatte Kläger sich in O., am 2. April hatte er sich in S. eingefunden. In beiden Fällen aber hatte er sich nicht an diesen Tagen, sondern erst am folgenden Werktage zum Dienste gemeldet.

Auf die, nach Ablehnung seiner Ansprüche durch den Justizminister, rechtzeitig erhobenen, später verbundenen beiden Klagen sprach ihm die erste Instanz für Li. und O. 141,33 M nebst 4% Zinsen vom 24. Juni 1915, dem Tage der Zustellung der ersten Klage, ferner für den 2, April 1915 8 M nebst 4% Zinsen vom 18. September 1915, dem Tage der Zustellung der zweiten Klage, und für die weitere Beschäftigung in S. den geforderten Teilbetrag von 442 M nebst 4% Zinsen aus 330 M vom gleichen Tage an zu und wies im übrigen die Klage ab. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten wurde unter Zurückweisung weitergehender Anträge das Urteil der ersten Instanz, soweit es den Beklagten zur Zahlung von mehr als 65,04 M nebst 4% Zinsen seit dem 24. Juni 1915 verurteilt hatte, dahin abgeändert, daß die Klage abgewiesen wurde. Im Laufe der Berufungsinstanz hatte sich der Kläger am 31. März 1917 die vom Beklagten zugebilligten Beträge auszahlen lassen. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers wurden ihm noch 4% Zinsen aus 30,99 M vom 24. Juni 1915 bis zum 31. März 1917 und 2 M nebst 4% Zinsen vom 1. Mai 1915 an zugesprochen, während die Sache bezüglich der Ansprüche für O. zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen und im übrigen auch diese Revision zurückgewiesen wurde.

Gründe

"Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Juli 1910 erhalten etatsmäßig angestellte Beamte, wenn sie vorübergehend außerhalb ihres Wohnorts bei einer Behörde beschäftigt werden, neben ihrer Besoldung die im § 1 Abs. 1 festgesetzten Tagegelder. Dauert eine solche (vorübergehende) Beschäftigung längere Zeit, so bestimmt die vorgesetzte Behörde die Höhe der Tagegelder (§2 Abs. 2 Satz 1). Für die Dauer der Hin- und Rückreise erhalten die Beamten auf jeden Fall die im § 1 Abs. 1 festgesetzten Tagegelder (§ 2 Abs. 3). Für die Reisetage hat der Kläger unstreitig die ihm zustehenden Tagegelder zum Satze von 8 M erhalten. Ob er im übrigen die vollen Tagegelder oder die von der vorgesetzten Behörde bestimmte Vergütung zu beanspruchen hat, hängt davon ab, was unter einer längere Zeit dauernden Beschäftigung im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist. Das Gesetz selbst sagt dies nicht. Seine Begründung (Preuß. AbgH. 1910 Bd. 3 Drucks. Nr. 122) rechtfertigt die Gewährung ermäßigter Sätze bei länger dauernder auswärtiger Beschäftigung damit, daß die Beamten es in diesen Fällen in der Regel würden einrichten können, für Verpflegung und Unterkunft verhältnismäßig weniger aufzuwenden, als wenn sie nur einzelne Tage auswärts beschäftigt seien. Dies läßt erkennen, daß das Gesetz eine Beschäftigung von so langer Dauer voraussetzt, daß es dem Beamten möglich ist, durch Vereinbarungen mit Wirten, Vermietern usw. eine verhältnismäßige Minderung seines Aufwandes herbeizuführen. Das Berufungsgericht weist zutreffend darauf hin, daß dazu nach allgemeiner Erfahrung ein Aufenthalt von mindestens zwei Wochen erforderlich sei. Es kann ihm deshalb auch darin beigetreten werden, daß von einer längere Zeit dauernden Beschäftigung im Sinne des Gesetzes nur dann gesprochen werden kann, wenn ein Aufenthalt von mindestens zwei Wochen in Frage steht. Auch eine solche Dauer macht es aber dem Beamten nur dann möglich, eine Minderung seines Aufwandes zu bewirken, wenn vorauszusehen ist, daß die Beschäftigung solange dauern werde. Es muß daher im Sinne des Gesetzes weiter verlangt werden, daß der Beamte weiß oder nach den Umständen, insbesondere nach Inhalt, Anlaß und Zweck des dienstlichen Auftrags, als vernünftiger Mann annehmen muß, es werde sich um einen Aufenthalt von mindestens zwei Wochen handeln. Nur in diesem Falle kann es ihm zugemutet werden, Vereinbarungen für längere Zeit zu schließen, die eine Minderung seiner Aufwendungen begründen. Anderseits kann dem Beklagten nicht zugestimmt werden, wenn er meint, daß der Beamte auf die von der vorgesetzten Behörde bestimmte geringere Vergütung schon dann beschränkt sei, wenn es sich nach dem dienstlichen Auftrage um eine Beschäftigung von voraussichtlich längerer Dauer handle. Nach dem insoweit unzweideutigen Wortlaute des Gesetzes muß die als länger dauernd gedachte Beschäftigung auch wirklich längere Zeit gedauert haben. Nach der Auffassung des Beklagten müßte sich der Beamte bei unerwarteter Beendigung seiner Tätigkeit mit der von der vorgesetzten Behörde festgesetzten geringeren Vergütung auch dann begnügen, wenn die Tätigkeit nur wenige Tage gedauert, der Beamte aber mit Rücksicht auf die erwartete längere Dauer Verbindlichkeiten übernommen hat, für deren Erfüllung er Dritten gegenüber einstehen muß. Das würde dem Sinne des Gesetzes, das dem Beamten den Ersatz seines Aufwandes sichern will, unmittelbar zuwiderlaufen. Von einer längere Zeit dauernden Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 2 kann daher nur dann gesprochen werden, wenn eine doppelte Voraussetzung erfüllt ist: Die auswärtige Beschäftigung muß tatsächlich längere Zeit, d. h. mindestens zwei Wochen gedauert haben, und es muß auch für den Beamten von vornherein erkennbar gewesen sein, daß sie einen solchen Zeitraum umfassen werde.

Für die hier vorliegenden drei Fälle auswärtiger Beschäftigung, die das Berufungsgericht zutreffend getrennt behandelt hat, ergibt sich daraus folgende Beurteilung. Die Beschäftigung in Li. umfaßte die Zeit vom 1. bis zum 12. März 1915, also weniger als zwei Wochen, fällt also nicht unter § 2 Abs. 2 des Gesetzes. Das Berufungsgericht hat daher dem Kläger mit Recht die vollen Tagegelder zugebilligt. Es hat zu den danach dem Kläger zukommenden 12 x 8 = 96 M einen Betrag von 43,88 M für die Beschäftigung in O. gerechnet, von dem Gesamtbetrage von 139,88 M die am 31. März 1917 vom Beklagten für die Beschäftigung in Li. und O. gezahlte Vergütung von 74,84 M abgezogen und den Rest von 65.04 M nebst 4% Zinsen vom 24. Juni 1915 als dem Tage der Zustellung der ersten Klage an dem Kläger zugesprochen. Die dagegen gerichtete Revision des Beklagten ist unbegründet. Übersehen hat das Berufungsgericht aber, daß die 74,84 M erst am 31. März 1917 gezahlt wurden, für den gezahlten Betrag also bis zum Tage der Zahlung Pwzeßzinsen zu zahlen waren. Die Revision des Klägers ist in diesem Punkte begründet, und es ist seinem Antrag entsprechend der Beklagte zu verurteilen, aus dem auf die Beschäftigung in Li. treffenden weiteren Betrage von 96 - 65,04 = 30,96 M noch 4% Zinsen vom 24. Juni 1915 bis zum 31. März 1917 an den Kläger zu zahlen. Die Beschäftigung in O. umfaßte, wenn man von dem besonders zu behandelnden 14. März 1915 absieht, die Zeit vom 15. bis zum 31. März 1915, also mehr als zwei Wochen. Die Anwendung des § 2 Abs. 2 hängt also nur noch davon ab, ob der Kläger von vornherein damit rechnen mußte, daß die Beschäftigung mehr als zwei Wochen dauern werde. Der telegraphische Auftrag, durch den der Kläger von Li. nach O. berufen wurde, enthielt nur die Worte: "Reisen Sie sofort zur Vertretung nach O. Oberlandesgerichtspräsident." Daraus konnte der Kläger über die voraussichtliche Dauer der Beschäftigung nichts entnehmen. Der Beklagte hatte behauptet, der Kläger habe einen erkrankten und einen zum Heeresdienst eingezogenen Gerichtsschreiber vertreten sollen, und es sei ihm dies auch bei seiner Meldung zum Dienstantritt mitgeteilt worden. Das Berufungsgericht hat aber Feststellungen darüber nicht getroffen und den angebotenen Beweis in Verkennung der Voraussetzungen des § 2Abs. 2 des Gesetzes abgelehnt. Die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Kläger für seine Beschäftigung in O. nur die von der vorgesetzten Behörde bestimmte Vergütung zu beanspruchen habe, wird also durch die bisherigen Feststellungen nicht gerechtfertigt. Die Revision des Klägers ist auch in diesem Punkte begründet. Eine Entscheidung in der Sache selbst kann aber nicht getroffen werden. Vielmehr ist die Sache insoweit behufs Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Bezüglich der Beschäftigung in S. hat das Berufungsgericht mit Recht die Bestimmung der vorgesetzten Behörde für maßgebend erklärt. Diese Beschäftigung dauerte, wenn man von dem besonders zu behandelnden 2. April 1915 absieht, vom 3. April 1915 bis zum 14. Juli 1916. In dem schriftlichen Auftrage des Oberlandesgerichtspräsidenten vom 29. März 1915 war ausdrücklich gesagt, daß der Kläger zum Zwecke der Verwaltung einer erledigten Gerichtsschreiberstelle und bis zur Wiederbesetzung dieser Stelle dem Amtsgericht in S. überwiesen werde. Der Kläger mußte daher mit einer längeren Dauer dieser Beschäftigung von vornherein rechnen. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 2 Abs. 2 waren also gegeben. Auf die Etatsvorschriften für die Justizverwaltung kann sich der Kläger für sein Verlangen höherer Vergütung nicht mit Erfolg berufen. Das Berufungsgericht nimmt zutreffend an, daß diese vom Justizminister getroffenen Bestimmungen von ihm sowohl im allgemeinen als auch für den einzelnen Fall geändert werden konnten und daß eine solche Änderung allgemein für die Kriegszeit in der in den Vorinstanzen erörterten Verfügung vom 4. Dezember 1914 und für den vorliegenden Fall noch besonders dadurch erfolgt ist, daß der Justizminister die dem Kläger bewilligte monatliche Vergütung gebilligt hat. Von einer Verletzung erworbener Rechte des Klägers kann keine Rede sein, da die Festsetzung der Vergütung bei der Erteilung der Aufträge für Li. und S. ausdrücklich vorbehalten worden war und der gleiche Vorbehalt erkennbar stillschweigend auch für die dazwischen liegende Berufung nach O. galt. Auch sonst geben die Ausführungen des Klägers keinen Anlaß zur Beanstandung der Auffassung des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht angenommen, daß dem Kläger für seine Beschäftigung in S. nur die Beträge zustanden, die ihm der Beklagte von Anfang an angeboten hatte und inzwischen auch ausbezahlt hat. Insoweit ist die Klage mit Recht abgewiesen worden, die Revision des Klägers unbegründet.

Die Ansprüche des Klägers auf Tagegelder für den 14. März (Sonntag) und für den 2. April 1915 (Karfreitag) weist das Berufungsgericht aus dem Grunde ab, weil die Beschäftigung des Klägers bei den Amtsgerichten O. und S. erst mit der am 15. März und 3. April erfolgten Meldung zum Dienste begonnen habe, die bloße Anwesenheit des Klägers am Sitze dieser Gerichte dagegen belanglos sei. Das Berufungsgericht nimmt also an, daß eine solche Meldung zum Dienste zur Wahrung des Anspruchs auf die gesetzlichen oder von der vorgesetzten Behörde bestimmten Tagegelder auch dann erforderlich sei, wenn es sich um einen Sonntag oder um einen allgemeinen Feiertag handelt. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Es besteht keine ausdrückliche Vorschrift darüber, daß sich Gerichtsbeamte auch an solchen Tagen zum Dienste melden müssen. Von selbst versteht sich aber eine solche Meldepflicht nicht. Die gewöhnliche Geschäftszeit beschränkt sich auf die Werktage (Geschäftsordnung für die Gerichtsschreibereien der preuß. Amtsgerichte vom 18. Februar 1914 § 3). Das schließt nicht aus, daß in eiligen Fällen die Beamten über die gewöhnlichen Dienststunden hinaus und auch an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen tätig sein müssen. Daraus folgt aber nicht von selbst, daß sie sich ohne weiteres an solchen Tagen zum Dienste melden müssen. Die Verletzung einer nach dieser Richtung bestehenden Dienstpflicht wäre aber auch nur vom Gesichtspunkte der Dienstzucht aus von Bedeutung und könnte nicht die Entziehung von sonst begründeten Tagegeldern rechtfertigen. Die Tagegelder haben den Zweck, den Beamten für den Aufenthalt außerhalb seines Wohnorts zu entschädigen, und dürfen ihm deshalb nicht lediglich wegen des Unterbleibens der Meldung versagt werden, wenn nur seine Anwesenheit am auswärtigen Orte an sich gerechtfertigt war. Dies traf aber hier zu. Der Kläger hatte sich nach Empfang der telegraphischen Weisung am 13. März 1915 von Li. auf die Reise nach O. begeben. Er mußte also am 14. März in O. sein. Ähnlich verhielt es sich mit der Reise von O. nach S., wobei der 1. April als Reisetag in Betracht kam, und folglich der 2. April den ersten Tag des Aufenthalts am Beschäftigungsorte bildete.

Daß es für den Anspruch auf Tagegelder nicht auf die dienstliche Meldung des Beamten ankommt, wird bestätigt durch die Bestimmungen in § 72 der Etatsvorschriften für die Justizverwaltung, wonach die Höhe der Tagegelder für die ersten zwei Wochen der auswärtigen Beschäftigung und für die spätere Zeit verschieden bemessen, zugleich aber bestimmt ist, daß die Fristen mit dem Tage beginnen, der auf den Tag der Hinreise folgt, ohne daß eine Meldung zur Wahrung des Anspruchs für erforderlich erklärt wird. Daß aber Sonn- und Feiertage, die der Beamte anläßlich einer Dienstreise außerhalb seines Wohnorts zubringt, einen Verlust des Anspruchs auf Tagegelder nicht begründen sollen, ergibt sich aus § 17 der Ausführungsbestimmungen des Staatsministeriums vom 24. September 1910, wonach, wenn eine Dienstreise oder die dienstliche Tätigkeit während einer Dienstreise durch Sonn- oder Feiertage unterbrochen wird, der Beamte auch für die Zeit der Unterbrechung Tagegelder erhält.

Danach ist dem Kläger für den 14. März und für den 2. April 1925 eine Vergütung zuzubilligen, die sich nach dem Satze bemißt, den der Kläger für seine Beschäftigung in O. und S. überhaupt zu beanspruchen hat. Die Revision des Klägers ist daher auch insoweit begründet. Die Höhe des für den 14. März zu zahlenden Betrags kann aber erst festgestellt _, wenn feststeht, ob der Kläger für seine Beschäftigung in D. die vollen Tagegelder oder den von der vorgesetzten Behörde bestimmten Betrag von monatlich 80 M zu beanspruchen hat. Insoweit muß daher die Sache zurückverwiesen werden. Für den 2. April 1915 sind ihm 60/30 = 2 M zugesprochen. Dazu kommen 4% Verzugszinsen vom 1. Mai 1915 an, da die Tagegelder monatlich nachträglich gezahlt werden (vgl. § 72 Abs. 5 der Etatsvorschriften)." ...