RG, 26.03.1889 - III 19/89
Berichtigung von Versehen, welche in einem Urteile vorgekommen sind, nach Maßgabe des §. 290 C.P.O.
Tatbestand
Der Sohn des Beklagten war rechtskräftig verurteilt worden, an die Klägerin Alimentationsbeiträge zu zahlen. Die eingeleitete Zwangsvollstreckung blieb ohne Erfolg. Klägerin trat daher auf Grund des Reichsanfechtungsgesetzes vom 21. Juli 1879 mit einer Klage gegen den Vater auf, in welcher sie beantragte, die Löschung zweier Hypotheken, die dem Sohne wegen dessen mütterlichen Vermögens an den Immobilien des Vaters bestellt worden waren, ihr gegenüber für ungültig zu erklären und solche zum Zwecke ihrer Befriedigung wiederherzustellen. Der Beklagte stellte den Klagegrund in Abrede und behauptete, daß er seinem Sohne jenes Vermögen teils durch Barzahlung, teils durch Deckung von Schulden schon vor der auf Betreiben der Klägerin angeordneten Beschlagnahme der hypothekarisch eingetragenen Forderungen des Sohnes behändigt habe.
Die erste Instanz erkannte nach stattgehabter Beweisaufnahme auf einen Noteid des Beklagten darüber:
"daß er seinem Sohne nach und nach bis zu den Beträgen seines mütterlichen Vermögens mit 486 M und 257 M richtig, und zwar zu den in den Quittungen vom 23. April und 30. Juni 1886 angegebenen Zeiten beliefert habe und machte zugleich von der Leistung oder Verweigerung dieses Eides die Abweisung der Klage oder die Verurteilung des Beklagten abhängig. Der Beklagte legte hiergegen Berufung ein, ausführend, daß jene Eidesnorm insofern gegen sein thatsächliches Vorbringen verstoße, als die Zahlung der 257 M nicht schon bis zum 30. Juni 1886, sondern erst später bis zu Pfingsten 1887 vollständig erfolgt sei. Die Klägerin schloß sich dieser Berufung an und beantragte, den Beklagten wegen 149 M, eventuell wegen 129 M alsbald nach dem Klagantrage zu verurteilen.
Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil teilweise ab und erkannte, daß
I. die nach dem 26. September 1886 erfolgte Belieferung des Sohnes des Beklagten mit 129 M und insoweit auch die Löschung der zweiten Hypothek über 257 M der Klägerin gegenüber für ungültig zu erklären sei;
II. Beklagter zu beschwören habe:
"daß er seinem Sohne nach und nach bis zu den Beträgen seines mütterlichen Vermögens mit 486 M und 128 M zu den in den Quittungen angegebenen Zeiten richtig beliefert habe."
Schwöre Beklagter diesen Eid, so werde die Klage, soweit ihr nicht unter I. stattgegeben worden, abgewiesen; schwöre derselbe nicht, so werde für Recht erkannt, daß
1. die im Mai 1887 erfolgte Belieferung des I. P. Kr. und die darauf vollzogene Löschung der Hypotheken der Klägerin gegenüber für ungültig zu erklären sei,
2. der Beklagte auch diese "Hypotheken wiederherzustellen habe."
III. Die Entscheidung bezüglich der Kosten erster Instanz werde ausgesetzt und jeder Teil in die Hälfte der Kosten zweiter Instanz verurteilt.
Der Beklagte hat nun in dem anberaumten Termine vom 15. Januar 1889 den ihm auferlegten Eid abgeleistet und beantragt,
den Eintritt der im bedingten Urteile festgestellten Folge der Eidesleistung durch Endurteil auszusprechen, auch die Klägerin mit drei Vierteilen, ihn selbst aber mit einem Vierteile der Kosten erster Instanz zu belasten,
während die Klägerin den Antrag stellte,
Das Oberlandesgericht erkannte sofort in Erwägung:
"daß das frühere bedingte Endurteil die Rechtskraft beschritten und Beklagter den ihm auferlegten Eid abgeleistet habe, die Kosten erster Instanz nach dem Antrage des Beklagten zu verteilen seien, da der Wert der beiden in der Klage angegebenen Hypotheken in Betracht komme, wovon der Klägerin nur 129 M zugesprochen worden seien."
in Gemäßheit des §. 427 Abs. 2 und §. 648 Nr. 2 C.P.O. für Recht:
"1. daß die im Mai 1887 erfolgte Belieferung des I. P. Kr. durch den Beklagten mit dessen mütterlichem Vermögen und die darauf vollzogene Löschung der beiden Hypotheken der Klägerin gegenüber für ungültig zu erklären und
2. die Klägerin in drei Vierteile, der Beklagte in ein Vierteil der Kosten erster Instanz zu verurteilen sei, unter Verweisung bezüglich der Kosten zweiter Instanz auf das frühere Erkenntnis."
Dieses alsbald verkündete Endurteil wurde jedoch durch einen auf Grund des §. 290 C.P.O. ohne vorgängige mündliche Verhandlung von Amts wegen erlassenen Beschluß des Berufungsgerichtes vom 21. Januar 1889 in Erwägung: "daß dasselbe eine einem Schreibfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit enthalte", dahin berichtigt:
"daß gemäß des bedingten Endurteiles vom 20. November 1888 infolge der Eidesleistung des Beklagten nicht die im Urteile vom 15. Januar 1889 ausgesprochene Folge eintrete, sondern daß die Klage, soweit ihr nicht in jenem Erkenntnisse unter I. stattgegeben worden, abgewiesen werde, daß aber im übrigen die Entscheidung unter Ziff. 2 des letzten Urteiles aufrechterhalten bleibe."
Gegen diesen dem Endurteile beigefügten Berichtigungsbeschluß verfolgt jetzt die Klägerin sofortige Beschwerde, ausführend:
"das Läuterungsurteil stehe zwar mit dem bedingten Endurteile nicht in Einklang, sei aber auf Grund geheimer Beratung beschlossen worden, sonach gemäß §. 289 C.P.O. für das Berufungsgericht bindend gewesen. Der Berichtigungsbeschluß setze ein anderes Urteil an dessen Stelle. Der §. 290 a. a, O., auf den sich zur Rechtfertigung dieses Verfahrens bezogen werde, rede nur von gewissen Fehlern, die im Urteile vorkämen, lasse sich daher schon seinem Wortlaute nach nicht auf Fehler der Entscheidung selber anwenden, am wenigsten rechtfertige derselbe die vollständige Aufhebung der ergangenen Entscheidung."
Das Reichsgericht hat diese Beschwerde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Daß der Berufungsrichter bei Erlaß seines Endurteiles vom 15. Januar 1889 das bedingte Urteil vom 20. November 1888 mit Rücksicht auf die Eidesleistung des Beklagten nur läutern, keineswegs aber in irgend einer Weise von der letzteren Entscheidung abweichen wollte, geht aus den Gründen des Läuterungsurteiles selber mit Gewißheit hervor. Der Berufungsrichter verweist darauf, daß der Beklagte den ihm rechtskräftig auferlegten Eid abgeleistet habe und nimmt zur Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich auf §. 427 Abs. 2 C.P.O. Bezug, wonach die in dem bedingten Urteile festgestellte Folge sowohl der Leistung als der Nichtleistung des Eides durch Endurteil ausgesprochen werden soll. Er hat es auch in Ansehung der Kosten zweiter Instanz bei dem bedingten Urteile belassen und bezüglich der Kosten erster Instanz, über welche dort keine Entscheidung getroffen worden war, nach dem Antrage des Beklagten, und zwar genau so erkannt, wie es der Obsieg des Beklagten mit drei Vierteilen des Hauptanspruches erforderte. Es liegt hiernach, da ein materieller Irrtum des Vorderrichters, insbesondere etwa dahin, daß der Beklagte den ihm auferlegten Eid verweigert habe, durch die Umstände des Falles ausgeschlossen ist, ein offenbares Flüchtigkeitsversehen des erkennenden Gerichtes bei der Abfassung des Endurteiles vor. Das Berufungsgericht hat versehentlich die Pos. II Ziff. 1 des bedingten Urteiles in die Endentscheidung aufgenommen, während es den der Ziff. 1 unmittelbar vorhergehenden Satz:
"Schwört Beklagter diesen Eid, so wird die Klage abgewiesen",
niederschreiben und verkündigen wollte. Dies muß um so gewisser angenommen werden, als die Pos. II Ziff. 2 des bedingten Urteiles - die Wiederherstellung der beiden Hypotheken für den Fall der Eidesverweigerung - in dem Endurteile nicht wiederholt worden ist.
Bei diesem Sachverhalte handelt es sich nicht um einen Irrtum im Wollen, sondern um einen solchen in der Erklärung des Willens. Denn der Berufungsrichter hat nach seiner Feststellung die Klägerin gemäß der im bedingten Urteile ausgesprochenen Folge der Eidesleistung des Beklagten mit dem noch streitigen Teile des Anfechtungsanspruches abweisen wollen, hat aber in dem Ausdrucke dieses Willens fehlgegriffen, unabsichtlich eine von dem Tenor des rechtskräftig gewordenen bedingten Urteiles vom 20. November 1888 und selbst von den Gründen des Läuterungsurteiles vom 15. Januar 1889 abweichende Endentscheidung erlassen. Indem er nunmehr durch den angefochtenen Berichtigungsbeschluß das untergelaufene Verschen verbesserte, änderte er nicht sein Urteil, sondern gab seinem wahren, aus dem ganzen Zusammenhange mit Sicherheit erkennbaren Willen in dem Urteilssatze den sachentsprechenden Ausdruck.
Das Reichsgericht hat seither in konstanter Rechtsprechung die Berichtigung derartiger offenbarer Unrichtigkeiten und Flüchtigkeitsversehen in allen Teilen eines gerichtlichen Urteiles auf Grund des §. 290 C.P.O. zugelassen. So sind, um einige Beispiele anzuführen, in einer Reihe von Fällen die in reichsgerichtlichen Urteilen, sei es schon in den Urschriften der verkündeten Erkenntnisse, sei es erst in den Urteilsausfertigungen, enthaltenen irrigen Bezeichnungen der Parteien, der Vertreter derselben, der vorderen Gerichte, der Daten u. s. w. sowohl auf Antrag der Parteien als von Amts wegen berichtigt, es ist, wenn Auslastungen im Urteilssatze, namentlich bezüglich des Kostenpunktes vorkamen, während nach den Entscheidungsgründen in bestimmter Weise hierüber erkannt werden sollte, das Urteil selbst nachträglich vervollständigt worden. Diese Berichtigung hat sich nicht bloß auf einzelne Worte beschränkt, sondern auch auf ganze Sätze erstreckt; es sind sogar scheinbare Änderungen in den verkündeten Urteilen des Reichsgerichtes vorgenommen oder solche von vorderen Gerichten vorgenommene Änderungen durch Verwerfung der dagegen erhobenen Beschwerden gebilligt worden, wenn sich der ursprüngliche Wortlaut der Urteilssätze nach der konkreten Sachlage als ein unzweifelhaftes Versehen des Ausdruckes herausstellte.
In Sachen E. w. G. Rep. III. 233/83 hatte der III. Civilsenat durch Urteil vom 8. Januar 1884 das Berufungsurteil im ganzen aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, obwohl nur die Bestimmungen unter II und III jenes Urteiles angefochten waren und inhaltlich der Gründe auch nur insoweit reformiert werden sollte. Durch einen der Urteilsausfertigung beigesetzten Berichtigungsbeschluß vom 12. Februar 1884 verbesserte das Reichsgericht:
"in Erwägung, daß die Bestimmung unter Nr. I des vorinstanzlichen Urteiles durch die eingelegte Revision nicht betroffen worden ist",
das untergelaufene Versehen dahin: daß vor den Worten des verkündeten Revisionsurteiles "wird aufgehoben" die Worte: "mit Ausnahme der Bestimmung unter Nr. I desselben", einzuschalten seien.
In Sachen B. w. Sch. Rep. VI. 76/88 hatte das Berufungsgericht eine auf Rückzahlung eines Darlehns gegen die fünf Erben des ursprünglichen angeblichen Darlehnsschuldners erhobene Klage
- in Ansehung von vier Mitbeklagten abgewiesen unter Verurteilung des Klägers in die diesen Beklagten seither erwachsenen Kosten,
- bezüglich des fünften Mitbeklagten aber für begründet erachtet, wenn nicht dieser Beklagte den ihm zugeschobenen Haupteid über den Klagegrund ableiste.
Auf Revision des Klägers hob das Reichsgericht, VI. Civilsenat, unterm 24. Mai 1868 das Berufungsurteil auf und wies die Sache unter Vorbehalt der Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz an den Vorderrichter zurück. Nach den Gründen erachtete der Gerichtshof die Revision zu Ziff. 1 des angefochtenen Erkenntnisses für unbegründet und nur zu Ziff. 2 für teilweise gerechtfertigt und bemerkte rücksichtlich des Kostenpunktes:
"daß, soweit nach Obigem Aufhebung und Zurückverweisung zu erfolgen habe, die Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz dem Endurteile vorbehalten werde."
Am 4. Juni 1888 erließ darauf der Gerichtshof von Amts wegen "im Hinblicke auf §. 290 C.P.O." einen Beschluß, der den Tenor des Revisionsurteiles dahin berichtigte:
"Die Revision gegen Satz 1 des Berufungsurteiles wird zurückgewiesen und Revisionskläger zum Ersatze der den vier Mitbeklagten erwachsenen außergerichtlichen, sowie zu vier Fünfteilen der gerichtlichen Kosten des Rechtsstreites verurteilt; im übrigen wird das bezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht . .. zurückverwiesen, auch die Entscheidung über die Kasten der Revisionsinstanz dem Endurteile vorbehalten."
In Sachen G. w. die Direktion des K.- u. N.'schen R. Kreditinstituts Rep. IV. 206/87 hatte Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der ihm bewilligten Pension für die Monate Mai bis August 1886 mit 1500 M begehrt, wogegen die Beklagte Abweisung der Klage und zugleich widerklagend die Feststellung beantragte, daß dem Kläger ein Pensionsanspruch für September nicht zustehe. Der erste Richter verurteilte die Beklagte unter Abweisung der Widerklage nach dem Klagegesuche. In der Berufungsinstanz beantragte die Beklagte Abweisung der Vorklage und Verurteilung des Klägers nach der Widerklage, der Kläger dagegen Zurückweisung der Berufung und unter Erweiterung des Klagantrages im Wege der Anschlußberufung die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung auch der für den Monat September 1886 fällig gewordenen Pensionsrate von 375 M. Der Berufungsrichter beließ es in Ansehung der Widerklage bei dem Landgerichtserkenntnisse, machte jedoch die Verurteilung der Beklagten nach dem erweiterten Klagantrage von einem dem Kläger auferlegten richterlichen Eide abhängig. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Revision mit dem Antrage ein, nach der von ihm in der vorigen Instanz gestellten Sachbitte zu erkennen. Das Reichsgericht hat darauf durch Urteil vom 24. November 1887 das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das erste Erkenntnis zurückgewiesen. Aus den Gründen ging hervor, daß der Gerichtshof die von der Beklagten gegen den Klaganspruch erhobenen Einwendungen für unbeachtlich und letzteren, unter Beseitigung der Eidesauflage "nach Maßgabe der Berufungsanträge des Klägers", für begründet hielt. Von Amts wegen erließ hiernächst das Reichsgericht am 1. Dezember 1887 einen die Formel des Revisionsurteiles in der Sache selbst berichtigenden Beschluß dahin:
"daß nicht nur die Berufung des Beklagten gegen das Erkenntnis erster Instanz zurückgewiesen, sondern auf die Anschlußberufung des Klägers die Beklagte auch noch zur Zahlung der Pension für September 1886 mit 375 M an den Kläger verurteilt werde."
Aus dem Beschwerdeverfahren sind folgende Fälle hervorzuheben:
a)
In der Rechtssache P. w. L. (Beschw.-Rep. I. 74/84) hatte die zweite Instanz unter Aufhebung des Landgerichtsurteiles den Beklagten zum Schadensersatze verurteilt, die Sache nach §. 500 Abs. 3 C.P.O. an die erste Instanz zurückverwiesen und bezüglich des Kostenpunktes ausgesprochen: "daß die durch die Widerklage verursachte" Kosten des Rechtsstreites den Beklagten zur Last fielen, wogegen im übrigen die Entscheidung über die Kosten dem Endurteile vorbehalten bleibe. Durch nachträglichen Beschluß ist sodann verfügt, daß in dem Urteilssatze die Worte: "die Widerklage wird abgewiesen", einzuschalten seien. Die von dem Beklagten hiergegen eingelegte Beschwerde wurde vom I. Civilsenate des Reichsgerichtes durch Beschluß vom 20. Dezember 1884 aus folgenden Gründen zurückgewiesen:
"Der vorige Richter hat sich mit Recht zu der beschlossenen Einschaltung auf Grund des §. 290 C.P.O. für befugt erachtet, da diese Bestimmung dem Gerichte auch von Amts wegen die Berichtigung aller in einem Urteile vorgekommenen Unrichtigkeiten, die sich als offenbare Versehen kennzeichnen, durch bloßen Beschluß gestattet. Nach Ausweis der zur Erläuterung der Urteilsformel heranzuziehenden Gründe des vorliegenden Urteiles ist es unzweifelhaft, daß es von den Urteilsverfassern lediglich übersehen wurde, die Worte, welche die Abweisung der Widerklage aussprechen sollten, in die Urteilsformel aufzunehmen; denn diese Abweisung wird in den Gründen nicht bloß gerechtfertigt, sondern ausdrücklich ausgesprochen, indem es heißt, daß die Mitschuld der klägerischen Schiffsbesatzung zu verneinen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Widerklage kostenpflichtig abzuweisen sei. Es beruht also ersichtlich auf einer mit der Absicht der Urteilsverfasser in Widerspruch stehenden versehentlichen Auslassung, daß in der Urteilsformel dem Beklagten zwar die durch seine Widerklage verursachten Kosten auferlegt sind, die Abweisung der Widerklage selbst aber keinen Ausdruck gefunden hat."
b)
Durch Beschluß des I. Civilsenates vom 4. Dezember 1886 wurde in Sachen L. w. M. (Beschw.-Rep. I. 65/86) die Beschwerde des Beklagten gegen einen Berichtigungsbeschluß des Oberlandesgerichtes zu Hamburg zurückgewiesen. Gründe:
"Aus dem in der Berufungsschrift gestellten, in der mündlichen Verhandlung verlesenen Berufungsantrage des Klägers: "ihn für befugt zu erklären, auch den Restbetrag von 1501,45 M der bei seinem Anwalte deponierten 2386,97 M zu erheben", ergiebt sich, daß die Zahl 1501,45 M lediglich auf einem Rechnungs- oder Schreibfehler beruhte und statt dessen 1701,45 M heißen sollte, da der nach den in erster Instanz dem Kläger zuerkannten 685,52 M verbleibende und in der Berufungsinstanz geforderte Restbetrag der deponierten 2386,97 M sich eben auf diese höhere Summe belief, und da sich aus den, ganzen ferneren Vorbringen des Klägers ergab, daß der ganze Restbetrag der in der Klage geforderten 2386,97 M von ihm beansprucht werde. Es ist durchaus zutreffend, wenn der angefochtene Beschluß annimmt, es gehe aus den Entscheidungsgründen des berichtigten Urteiles hervor, daß ... es nur auf dem Nichtentdecken des vorerwähnten, in dem Berufungsantrage enthaltenen Rechnungs- oder Schreibfehlers beruhe, wenn in den Gründen und in der Urteilsformel die betreffende Summe anstatt mit 1701,45 M mit 1501,45 M bezeichnet sei. Nach §. 290 C.P.O. war daher das Oberlandesgericht, als es nachträglich auf die offenbare Unrichtigkeit aufmerksam wurde, befugt, sein Urteil von Amts wegen zu berichtigen., Die Vorschriften der §§. 487. 498 C.P.O., auf welche der Beklagte sich bezieht, stehen dem keineswegs entgegen, da der Vorderrichter nicht etwa über den Berufungsantrag des Beklagten hinausgeht, sondern denselben in zulässiger Weise interpretiert, wie er nach den Umständen auch vom Beklagten hat verstanden werden müssen."
c)
In der Sache E. w. G. hatte der Kläger von dem Beklagten Zahlung von 303,16 M für Ausführung von Reparaturarbeiten bei einer Kanalisationsanlage gefordert, das Landgericht letzteren zur Entrichtung von 276,36 M verurteilt und die Mehrforderung abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten verkündigte der zweite Richter ein Urteil des Inhaltes: "Beklagter wird verurteilt, an den Kläger 215,54 M zu zahlen; der Kläger wird mit der Mehrforderung abgewiesen; die Kosten des Rechtsstreites werden dem Kläger zu drei Zehntel, den, Beklagten zu sieben Zehnteln auferlegt." In den Gründen ist ausgeführt, die Reparaturarbeiten seien infolge der ursprünglichen Fehlerhaftigkeit der Kanalisationsanlage, für welche der Kläger verantwortlich erscheine, notwendig gewesen; im einzelnen sei die Pos. 31 - Anspruch von 60 M für eine wertlose Reparatur - abzuweisen, und es könne der Kläger auch für die übrigen Klageposten nur Vergütung verlangen, soweit er diese Forderung anerkannt habe. Dies sei bezüglich sechs Posten im Gesamtbeträge von 18,05 M der Fall; allein insoweit werde der klägerische Anspruch durch die bereits in erster Instanz rechtskräftig als durchgreifend erkannte höhere Kompensationsforderung von 27,40 M getilgt. Unterm 4. Dezember 1886 beschloß nun das Berufungsgericht folgende Urteilsberichtigung:
"Das erste Erkenntnis wird abgeändert, die Klage gänzlich abgewiesen und werden sämtliche Kosten beider Instanzen dem Kläger auferlegt."
Die von dem Beklagten hiergegen eingelegte Beschwerde wurde von dem Reichsgerichte, IV. Civilsenat, durch Beschluß vom 20. Januar 1887 (Beschw.-Rep. IV. 2/87) als unbegründet aus folgenden Erwägungen zurückgewiesen:
"Während die Gründe des Berufungsurteiles die Absetzung der 215,54 M von der klägerischen Forderung motivieren, lautet die Urteilsformel für den umgekehrten Fall der Zurechnung zu dieser Forderung. Dieser offenbare Rechnungsfehler mit dem darauf beruhenden Ergebnisse der Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 215,54 M rechtfertigt ohne weiteres die ... ausgesprochene Berichtigung der Urteilsformel. Denn nicht um eine unrichtige Beweiswürdigung, wie die Beschwerde geltend macht, handelt es sich, sondern um eine der ausgesprochenen Absicht widersprechende Rechnungsoperation. Bedenklicher erschien die Berichtigung der Entscheidung zum Kostenpunkte. In der verkündeten Urteilsformel sind die Kosten des Rechtsstreites, entsprechend dem Verhältnisse des zugesprochenen und aberkannten Forderungsbetrages, teils dem Kläger, teils dem Beklagten, in dem Berichtigungsbeschlusse dem Kläger allein auferlegt. Die in der Urteilsformel ausgesprochene Entscheidung ist, für sich allein betrachtet, auch gewollt. Indessen hat die Abhängigkeit der Entscheidung über die Kosten von derjenigen über die Hauptsache die Folge, daß jener Rechnungsfehler auch die Kostenentscheidung beherrscht, somit auch diese zu einer rechnerisch offenbar unrichtigen gemacht hat."
d)
Endlich hat der I. Civilsenat des Reichsgerichtes in der bei einem Amtsgerichte in erster Instanz anhängig gewesenen Rechtssache R. w. P. Beschw.-Rep. I. 68/87, durch einen (in der "Juristischen Wochenschrift" Jahrg. 1888 S. 221 ausführlich mitgeteilten) Beschluß vom 21. Dezember 1887, unter Aufhebung eines dazwischen liegenden reformatorischen Beschlusses des Kammergerichtes zu Berlin, auf Beschwerde des Beklagten einen Berichtigungsbeschluß des Landgerichtes wieder hergestellt, durch welchen das verkündete Endurteil des letzteren im Kostenpunkte dahin abgeändert wurde, daß nicht, wie der Urteilstenor besagte, die Beklagte die Kosten erster Instanz und von denjenigen der Berufungsinstanz die Beklagte ein Drittel und Kläger zwei Drittel zu tragen habe, sondern daß von den Kosten erster Instanz die gerichtlichen jedem Teile zur Hälfte aufzuerlegen, die außergerichtlichen aber gegeneinander aufzuheben seien. Der Gerichtshof erwog hierbei:
"Daß ein Gedankengang, durch welchen sich für das Berufungsgericht ein Ergebnis, wie das in Ansehung der Kosten erster Instanz verkündete, hätte vermitteln können, auch wenn man dabei eine fehlerhafte Gedankenoperation unterstelle, gar nicht erfindlich sei. Dem bei dem Amtsgerichte ergangenen Erkenntnisse in der Hauptsache habe auch die Entscheidung im Kostenpunkte entsprochen und die Sachlage in der Berufungsinstanz keine Veränderung zu Gunsten des Klägers erfahren; wohl aber habe die Beklagte eine teilweise Änderung des ersten Urteiles zu ihren Gunsten erreicht. Danach seien auch die Kosten zweiter Instanz verteilt worden. Unvereinbar hiermit erscheine jedoch die Absicht, die Kostenentscheidung erster Instanz zum Nachteile des Klägers zu ändern. Diese Änderung sei ein für den Urteilsinhalt nach dessen ersichtlichem Zusammenhange fremdes Element, von dem nur angenommen werden könne, daß es statt der Aufnahme der entsprechenden Entscheidung erster Instanz entweder durch ein reines Versehen bei der Formulierung oder durch die derzeitige unrichtige Vorstellung, es entspreche dies der erstrichterlichen Kostenentscheidung, in das Berufungsurteil gelangt sei."
e)
Dagegen hat in zwei Fällen der V. Civilsenat des Reichsgerichtes Berichtigungsbeschlüsse der Vorinstanzen für unzulässig erklärt. In der einen Sache (H. w. Kl., Beschw.-Rep. V. 4/88, Oberlandesgericht Posen) hatte der Beklagte nach Verkündigung des Berufungsurteiles beantragt, die Entscheidung bezüglich des Kostenpunktes zu berichtigen, weil anscheinend bei der Verteilung der Kosten der Betrag der abgewiesenen Mehrforderung des Klägers nicht berücksichtigt worden sei. Diesem Antrage wurde entsprochen, durch Beschluß eine dem Kläger nachteiligere anderweite Verteilung der Kosten angeordnet und dieser Beschluß unter dem Urteilstenor als eine Berichtigung desselben niedergeschrieben, auch am Schlusse der Entscheidungsgründe besonders und äußerlich abgetrennt begründet und besonders von Amts wegen zugestellt. Der hiergegen erhobenen Beschwerde des Klägers wurde stattgegeben. Nachdem im aufhebenden Beschlusse vom 21. Januar 1688 ausgeführt ist, daß die Beschwerde nach §. 290 Abs. 3 C.P.O. zulässig sei, derselben auch weder die Entscheidung in Bd. 5 S. 357 der Entsch. des R.G.'s in Civils., noch der §. 94 C.P.O. entgegenstehe, weil es bei einer Urteilsberichtigung und für die Beschwerde gegen solche an der Möglichkeit, zwischen Kosten und Hauptsache zu unterscheiden, zufolge der Vorschrift des §. 47 Nr. 10 des Gerichtskostengesetzes fehle - wird in den Gründen fortgefahren:
"Nach §. 289 C.P.O. ist der Richter an das von ihm erlassene Urteil gebunden. Er darf dasselbe also nach der Verkündigung nicht mehr ändern, sondern nur berichtigen, und zwar nur dasjenige berichtigen, was sich offenbar als das nicht Gewollte ergiebt, und nur in dasjenige berichtigen, was sich offenbar und ohne weitere Erwägung als das Gewollte darstellt. Nur um Mängel im Ausdrucke des Gewollten handelt es sich hiernach, nicht um Mängel des Wollens. Irrtümer, die das letztere beeinflußt haben, sind nicht Gegenstand einer Berichtigung nach §. 290 a. a. O., gehören nicht zu den "Schreibfehlern, Rechnungsfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten" im Urteile. Im vorliegenden Falle ist die Berichtigung nicht erfolgt, weil die Kostenverteilung des Urteiles nicht gewollt war, sondern deshalb, weil diese auf einer nach der Meinung des Vorderrichters irrtümlichen Prämisse beruhte, irrtümlich in der Schätzung der Höhe der zurückgewiesenen Mehrforderung des Klägers. Das ist eine neue Erwägung, eine Änderung des Urteiles und umsoweniger überhaupt ein offenbarer Irrtum, als die Berichtigung sich nicht von selbst aus dem verkündeten Urteile klarstellt und sogar bezweifelt werden kann, ob nicht das Urteil die Kosten richtiger verteilt hat, wie der angefochtene Beschluß."
In der anderen Rechtssache M. w. Z. (Beschw.-Rep. V. 24/88) hatte das Oberlandesgericht zu Posen durch Urteil vom 9. Januar 188 die Kosten des Rechtsstreites zu drei Fünfteilen der Klägerin und zu zwei Fünfteilen der Beklagten auferlegt und dies aus dem Verhältnisse der zu- und aberkannten Beträge des Hauptstreitgegenstandes unter Hinweis auf die §§. 87. 88 C.P.O. begründet. Auf Antrag zweier Mitbeklagten, die darauf hinwiesen, daß nach dieser Entscheidung auch sie mit Kosten belastet würden, während sie in der Hauptsache vollständig obsiegten und nur die beiden anderen Beklagten unterlägen, berichtigte das Berufungsgericht durch Beschluß vom 11. dess. Mts. das Urteil hinsichtlich des Kostenpunktes derart, daß zwei Fünfteile jener Kosten ausschließlich auf die zuletzt erwähnten Mitbeklagten verteilt wurden, mit Ausnahme der den Antragstellern entstandenen außergerichtlichen Kosten, welche vollständig der Klägerin, außer den ihr zur Last bleibenden drei Fünfteilen der übrigen Kosten, auferlegt worden sind. Die von der Klägerin und den benachteiligten Mitbeklagten hiergegen eingelegte Beschwerde wurde vom Reichsgerichte für begründet erachtet und der angefochtene Beschluß unter Verweisung auf die in der vorhergehenden Beschwerdesache entwickelten Gründe durch Beschluß vom 22. Februar 1888 aufgehoben:
"Da hier nicht eine Berichtigung des Ausdruckes für diejenige Kostenverteilung vorliege, welche sich aus den Gründen des Urteiles als die vom Richter von vornherein gewollte ergebe, vielmehr aus neuen selbständigen, aus dem Urteile keineswegs sofort ersichtlichen Erwägungen eine sachlich geänderte Kostenverteilung vorgenommen werde."1
Nach dem Vorausgeschickten muß zwar einerseits in Gemäßheit des in §. 289 C.P.O. ausgesprochenen Grundsatzes daran festgehalten werden, daß das Gericht eine von ihm in einem End- und Zwischenurteile getroffene Entscheidung nicht mehr zurücknehmen kann, mithin auch die Emendation (Berichtigung, Erläuterung oder Änderung) eines Urteiles ausgeschlossen erscheint, wenn bei dessen Erlasse ein Irrtum untergelaufen ist, welcher auf einem materiellen Versehen in der Auffassung und Beurteilung der Sache beruht; andererseits ist aber davon auszugehen, daß zu den Versehen, welche in einem Urteile vorkommen und in dem durch den §. 290 C.P.O. angeordneten einfachen und raschen Verfahren berichtigt werden können, nicht bloß Rechenfehler und Schreibfehler, sondern überhaupt alle Mängel des Urteiles gehören, die mit dem Inhalte der Entscheidungsgründe im Widerspruche stehen und dergestalt erkennbar sind, daß aus dem Zusammenhalte von Urteilssatz und Urteilsgründen sowohl die Existenz des untergelaufenen Versehens, als auch das vom Rechter wirklich Gewollte mit Gewißheit sich ergiebt. In solchen Fällen handelt es sich eigentlich überall nicht um eine Abänderung der gewollten, wenn auch in ihren Voraussetzungen irrtümlichen Entscheidung, sondern um die Feststellung des vom Richter ursprünglich beabsichtigten, aus Versehen in anderer Fassung verkündeten Erkenntnisses, eine Feststellung, die in den Gründen selber ihre objektive, unanfechtbare Grundlage findet. Daß hierbei alles auf die besondere Lage eines jeden einzelnen Falles ankommt, ist schon oben hervorgehoben worden.
Diese Auslegung des §. 290 a. a. O. schließt sich eng an die gemeinrechtliche Lehre von der Emendation gerichtlicher Erkenntnisse an, vgl. Wetzell, Gemeiner Civilprozeß §. 51 zu Note 14 flg.; Endemann, Gemeiner Civilprozeß §. 148 I. A.; Heinzerling, im Archiv für civil. Praxis Bd. 52 S. 499 flg., und entspricht dem Geiste und Wortlaute des Gesetzes, das bei seiner allgemeinen Fassung nicht, wie manche Kommentatoren der Civilprozeßordnung, namentlich Puchelt, Siebenhaar, Gaupp, Kleiner u.a.m., zu §. 290 a. a. O. annehmen, auf rein mechanische Versehen und Irrtümer in einzelnen Worten zu beschränken ist. Eine solche restriktive Interpretation wäre nur dann gerechtfertigt, wenn jene gesetzliche Vorschrift etwa dahin lautete, daß "Schreibfehler, Verschen in einzelnen Worten und Zahlen und bloße Rechnungsfehler" jederzeit berichtigt werden könnten, wie dies z. B. in der hannoverschen Prozeßordnung von 1850 §. 360 und in der bayerischen Prozeßordnung von 1869 Urt.282 der Fall war. Zutreffend redet daher schon Edemann im "Deutschen Civilprozeß" Bd. 2 S. 126 allgemein von der Berichtigung "solcher Fehler, die aus Versehen, ohne bewußte Absicht des Gerichtes, in das Urteil gekommen sind", und es haben sich bereits mehrere Kommentatoren der Civilprozeßordnung, insbesondere Wilmowski und Levy, sowie Förster, in ihren Bemerkungen zu §. 290 a. a. O. der Rechtsprechung des Reichsgerichtes angeschlossen,"
- 1. Vgl. im übrigen Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 4 Nr. 60 S.209, Bd. 5 Nr. 96 S. 357, Nr. 110 S. 389, Bd. 6 Nr. 116 S. 390.