RG, 21.12.1917 - II 321/17

Daten
Fall: 
Stillschweigen des Käufers
Fundstellen: 
RGZ 91, 345
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
21.12.1917
Aktenzeichen: 
II 321/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Bremen, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

Stillschweigen des Käufers gegenüber einer unberechtigten Erfüllungsverweigerung des Verkäufers.

Tatbestand

Die Zedentin der Klägerin, Aktiengesellschaft D. R. in Stockholm, kaufte durch zwei Abschlüsse vom 11. und 15. Juni 1914 von der Beklagten zwei bestimmte Partien Santos Kaffee von 250 und 500 Sack, die im Freihafen zu Hamburg lagerten, zum Preise von 56 1/2 Pf das Pfund, frei ab Hamburg, Kasse mit 1 % gegen Dokumente. In beiden Fällen war Abnahme binnen sechs Wochen bedungen; doch wurde die Frist am 21. Juli um einen Monat verlängert. Am 4. August 1914 schrieb die Beklagte an die Käuferin, sie könne die Verkäufe nicht ausführen, weil in Deutschland ein Ausfuhrverbot für Kaffee erlassen sei; daher müsse sie die Verträge aufheben. Der Empfang dieses Briefes ist bestritten. Nachdem die Aktiengesellschaft bis zum 27. August geschwiegen hatte, forderte sie an diesem Tage die Beklagte telegraphisch auf, ihr ein Gebot auf die 750 Sack zu machen. Sie hat dann in einem späteren Schreiben auch ausdrücklich die Erfüllung verlangt, während die Beklagte auf Aufhebung der Verträge beharrte. Da die Verhandlungen scheiterten, trat sie ihre Rechte aus den beiden Kaufverträgen an die Klägerin ab.

Mit der Klage wurde Schadensersatz wegen Nichterfüllung gefordert. Der erste Richter erklärte den Anspruch dem Grunde nach für berechtigt. Berufung und Revision wurden zurückgewiesen.

Gründe

"Die Aktiengesellschaft hat den Kaffee offenbar in der Absicht, ihn nach Schweden auszuführen, gekauft. Aber die Abnahme der Ware durch Ausfuhr zur See ist weder mit ausdrücklichen Worten noch stillschweigend zum Inhalte des Vertrags gemacht. Es ist "frei ab Hamburg" verkauft. Dem entsprach es, wenn die Käuferin die Ware vom Lager der Beklagten abnehmen ließ. Die vereinbarte Zahlungsart "Kasse gegen Dokumente" weist freilich darauf hin, daß die Beklagte die Absendung besorgen und erst gegen die Frachturkunden den Preis erhalten sollte. Die Frachturkunden konnten jedoch ebensowohl Ladescheine des Binnenverkehrs wie Konnossemente sein. Überdies verletzte es die Interessen der Beklagten nicht, wenn die Käuferin auf Versendung der Ware durch die Beklagte verzichtete. Bei einem Massenartikel wie Santoskaffee kommt ein Angebot von 750 Sack als Wettbewerb nicht in Betracht. Die Beklagte hatte demnach kein Recht, Lieferung in Hamburg zu verweigern.

Sie hat diese aber ernstlich und endgültig schon in ihrem Briefe vom 28. August verweigert, indem sie mitteilte, daß sie die Ware anderweit verkauft habe. Mag dies richtig gewesen sein oder nicht, jedenfalls mußte die Käuferin daraus entnehmen, daß die Lieferung endgültig ausgeschlossen sei. Die verkauften Partien sind schon in den Schlußbriefen nach Marken und Nummern genau bezeichnet. Es hat sich also von Anfang an um den Verkauf einer Spezies gehandelt, die, wenn sie anderweit verkauft war, nicht mehr geliefert werden konnte. Zudem hat die Beklagte die fraglichen 750 Sack unbestrittenermaßen vor Mitte November 1914 auch wirklich verkauft. Zur Zeit der Klagerhebung war die Leistung also jedenfalls unmöglich. Nach alledem sind die Käuferin und die Klägerin mit Recht, ohne Nachfrist zu setzen, zum Anspruch auf Schadensersatz übergegangen.

Es verbleibt hiernach die Einrede, die daraus entnommen wird, daß die Käuferin auf die Rücktrittserklärung der Beklagten vom 4. August - die ihr, wie zu unterstellen, am 6. August zugekommen ist - bis zum 27. August geschwiegen hat. Das Landgericht verwirft diesen Einwand, weil das Schweigen nicht so lange gedauert habe, daß man daraus auf ein Einverständnis der Käuferin mit der Aufhebung des Vertrags schließen dürfe. Dieser Grund wird der Bedeutung des Einwandes nicht völlig gerecht. Wie der erkennende Senat mehrfach, vornehmlich in dem Urteile RGZ. Bd. 88 S. 262, ausgesprochen hat, darf der Käufer seinen Anspruch dann nicht mehr geltend machen, wenn er in einer mit den Anforderungen von Treu und Glauben unvereinbaren Weise den die Vertragserfüllung weigernden Verkäufer im Ungewissen darüber gelassen hat, ob die Erfüllung noch verlangt werde. Das Landgericht hätte also nicht nur erwägen müssen, ob im Streitfalle das Schweigen der Käuferin als ein Ausdruck des Einverständnisses zu erachten war, sondern auch, ob es wider Treu und Glauben verstieß. Insofern ist die Begründung des Landgerichts unzureichend. Das Berufungsgericht hat sich diese Begründung zu eigen gemacht; es hat aber außerdem betont, daß die Rücktrittserklärung der Beklagten unbegründet war. Das ist von entscheidender Bedeutung. Denn wenn die Weigerung, zu liefern, in der Art unbegründet ist, daß das Einverständnis des Käufers nicht mit irgendwelcher Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, so braucht ein Verstoß wider Treu und Glauben nicht darin gefunden zu werden, daß der Käufer schweigt, bis die Zeit, seinen Anspruch auf Lieferung geltend zu machen, herangekommen ist. So hat hier die Aktiengesellschaft gehandelt. Sie hat bis zum Ablaufe der Abnahmefrist geschwiegen, ist dann aber unverzüglich durch das Telegramm vom 27. August mit ihrem Ansprüche hervorgetreten. Da das Berufungsgericht übereinstimmend mit der Kammer für Handelssachen des Landgerichts in dem Verhalten der Gesellschaft einen Verstoß wider Treu und Glauben nicht findet, so genügt seine Begründung nach ihrem ganzen Zusammenhange, um das Urteil zu rechtfertigen."