RG, 14.12.1917 - VII 287/17

Daten
Fall: 
Bedingung einer Haftpflichtversicherung
Fundstellen: 
RGZ 91, 324
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.12.1917
Aktenzeichen: 
VII 287/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Zur Auslegung der allgemeinen Bedingung einer Haftpflichtversicherung, wonach "Beschädigungen von Sachen, die dem Versicherungsnehmer oder seinen Angestellten zur Bearbeitung oder zu sonstigen Zwecken in Gewahrsam oder Obhut übergeben oder von ihnen übernommen worden sind", nur bei ausdrücklicher Vereinbarung unter die Versicherung fallen.

Tatbestand

Die Klägerin war als Mitglied des beklagten Vereins bei diesem gegen Haftpflicht versichert. Sie hatte es übernommen, der Aktiengesellschaft H. eine Mammutpumpenanlage zu liefern und diese auf dem Fabrikhofe der Bestellerin in einen von der Firma Th. hergestellten Brunnenschacht einzubauen. Als am 5. Mai 1913 die Arbeiter der Klägerin unter Leitung ihres Monteurs R. die schweren Pumpenrohre mittels Flaschenzugs in den Brunnen herabließen, lösten sich infolge Fahrlässigkeit des R. die Rohre vom Flaschenzuge. Durch ihren Absturz wurde der Brunnen erheblich beschädigt, unter anderem die darin befindliche Filteranlage zerstört. Die Klägerin leistete an die Bestellerin 15.000 M Schadensersatz und nahm mit der vorliegenden Klage wegen eines Teilbetrags von 5200 M ihren Rückgriff an den Beklagten. Dieser berief sich auf den § 8 Satz 1 seiner allgemeinen Versicherungsbedingungen: "Beschädigungen von Sachen, die dem Versicherungsnehmer oder seinen Angestellten zur Aufbewahrung, Bearbeitung, Benutzung, Beförderung oder zu sonstigen Zwecken in Gewahrsam oder Obhut übergeben oder von ihnen übernommen worden sind, sowie Ansprüche wegen Beschädigung von Waren, die verkauft, aber noch nicht abgeliefert sind, fallen beim Fehlen einer anderweitigen ausdrücklichen Vereinbarung nicht unter die Versicherung".

Das Landgericht verurteilte den Beklagten klaggemäß. Auf Berufung des Beklagten wies dagegen das Kammergericht die Klage ab. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Streitig ist zwischen den Parteien geblieben, ob dem Versicherungsanspruche der Klägerin die angeführte Bestimmung des § 8 Satz 1 der allgemeinen Bedingungen des beklagten Verbandes entgegensteht. Das Berufungsurteil bejaht diese Frage. Es gibt eine nähere Darstellung von den örtlichen und sonstigen sachlichen Verhältnissen, unter denen sich der Einbau der Mammutpumpenanlage vollzog, und erwägt im Anschluß daran, es müsse angenommen werden, daß die Klägerin die Brunnenanlage zwecks Einbaus der Pumpe in Obhut übernommen habe. Sie habe als Unternehmerin das Werk auszuführen gehabt und sei für die sachgemäße Sicherung des Bohrlochs verantwortlich geblieben. Es könne kein entscheidendes Gewicht darauf gelegt werden, ob zwischen ihr und der Firma H ausdrücklich vereinbart worden sei, daß die Obhut der Anlage auf die Klägerin übergehen solle; es genüge, daß nach Inhalt des zwischen ihnen geschlossenen Vertrags der Klägerin eine Fürsorge, und Schutzpflicht hinsichtlich der Anlage obgelegen habe. Hieran werde dadurch, daß den Vertretern der Firma H. die Besichtigung der Anlage freistand, nichts geändert. Die Verantwortlichkeit der Klägerin für die sachgemäße Ausführung des Werkes und die zur Durchführung der Arbeiten erforderlichen Sicherungsmaßnahmen werde durch das Recht des Bestellers, die Arbeiten zu besichtigen und seine Wünsche über die Art der Ausführung zur Geltung zu bringen, nicht berührt. Dem Landgerichte könne auch nicht darin beigetreten werden, daß die Fassung des § 8 zu Zweifeln Anlaß gebe und der Beklagte Versicherungsschutz aus dem Grunde zu gewähren habe, weil er eine unklare Fassung der Versicherungsbedingungen vertreten müsse. So gelangt das Berufungsurteil zur Klagabweisung. Der Entscheidung und ihrer Begründung ist beizustimmen.

Allerdings kann der Revision zugegeben werden, daß der § 8 Satz 1 in dem Sinne zu deuten ist, in welchem diese einen Versicherungsschutz ausschließende Bestimmung von dem Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben verstanden werden muß. Es kann aber zunächst hinsichtlich der Bedeutung der fraglichen Bedingung im allgemeinen nicht zweifelhaft sein, daß sich der beklagte Verein bei ihrer Aufstellung von der Rücksicht auf den Grad der Versicherungsgefahr leiten ließ. Weil die Gefahr einer vom Versicherungsnehmer zu vertretenden Beschädigung fremder Sachen besonders naheliegend und verhältnismäßig hochgradig bei solchen Sachen erscheint, die ihm oder seinen Angestellten zur Aufbewahrung, Bearbeitung, Benutzung, Beförderung oder zu sonstigen Zwecken in Gewahrsam oder Obhut übergeben oder von ihnen übernommen sind, deshalb hat der Beklagte die insofern eintretenden Schadenfälle aus seiner Haftung ausgeschieden. Den Personen, welche bei dem Beklagten Versicherung gegen die Folgen der Haftpflicht nehmen, und insbesondere der Klägerin, darf auch unbedenklich zugemutet werden, daß sie den Grund und Zweck des § 8 Satz 1 richtig erfassen.

Im einzelnen sind die Merkmale dieser Ausschlußbestimmung hier gegeben. Die Bestimmung ist nach ihrer allgemeinen Fassung und wegen ihres soeben dargelegten Zweckes nicht auf bewegliche körperliche Gegenstände zu beschränken, sondern auch auf Beschädigungen unbeweglicher Sachen und Sachteile anwendbar. Es handelt sich um die Beschädigung des im Grundstücke der Aktiengesellschaft H. angelegten und einen wesentlichen Bestandteil des Grundstücks bildenden Brunnens, in welchem die Klägerin als ihre Werkleistung eine Mammutpumpe einzubauen hatte. Daß bei dieser Werkleistung die Klägerin oder die als ihre Erfüllungsgehilfen tätigen Arbeiter, namentlich der Monteur R., der fahrlässig die Beschädigung der Brunnenanlage verursachte, über diese Anlage eine tatsächliche Verfügungsgewalt erlangt hätten, die als Gewahrsam d. h. als tatsächliche Inhabung aufzufassen wäre, ist nach den Feststellungen des Berufungsurteils nicht anzunehmen. Indes trat die Werkleistung der Klägerin, bei der zunächst das Bohrloch von dem verschließenden Pfropfen befreit und hiermit der Gefahr schädigender Einflüsse von außen her ausgesetzt werden mußte, von vornherein in enge Verbindung zur vorhandenen Brunnenanlage. Zum Zwecke der Herstellung des Pumpenwerks mußten Arbeiten an und in dem Brunnenschacht ausgeführt werden, und die für die Klägerin aus ihrem Vertrage mit der Aktiengesellschaft entspringende Pflicht zur sachgemäßen Herstellung des unternommenen Wertes umschloß und brachte ohne weiteres auch eine auf unversehrte Erhaltung der vorhandenen Brunnenbestandteile gerichtete Obhut- und Fürsorgepflicht der Klägerin mit sich. Mit Entfernung des Bohrlochverschlusses hat die Klägerin zwecks Ausführung ihrer Werkarbeiten den Brunnen mit seinen Anlagen tatsächlich in ihre Obhut übernommen.

Zu Unrecht meint die Revision, § 8 könne nur bei Unterstellung eines besonderen, dem Schutze der Sache dienenden Rechtsaktes anwendbar sein; es müsse die Übergabe an den Versicherungsnehmer oder mindestens ein besonders auf Instandhaltung der Sache zielendes Rechtsgeschäft mit ihm stattgefunden haben. Nach dem unzweideutigen alternativen Wortlaute des § 8 "in Gewahrsam oder Obhut übergeben oder von ihnen übernommen" bildete die Übergabe der Sache an den Versicherungsnehmer oder seine Angestellten nur einen von mehreren möglichen Anwendungsfällen der Ausschlußbestimmung. Ferner ist im Gebiete des Rechtes der Schuldverhältnisse einer stillschweigend getroffenen, indes genügend erkennbaren Vereinbarung grundsätzlich die gleiche Kraft wie einer ausdrücklichen und besonderen Abrede beizumessen. Hier ergab sich aber nach Lage des Falles aus dem Werkvertrage der Klägerin als stillschweigend in ihm enthalten zugleich die Auflage, daß die Klägerin und ihre Erfüllungsgehilfen bei den Werkarbeiten die Brunnenanlage gegen Beschädigungen schützen und behüten sollten. Für eine Anwendung des Grundsatzes, daß Versicherungsbedingungen, deren Sinn zweifelhaft ist, gegen den Versicherer auszulegen sind, bleibt hier kein Raum. Die Auslegung des Berufungsrichters, die zur Anwendung des § 8 Satz 1 auf den vorliegenden Fall führt, findet in der Fassung und dem ersichtlichen Zwecke der Ausschlußbestimmung sichere Begründung."