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RG, 14.12.1918 - I 196/18

Daten
Fall: 
Einfuhrzoll für Zucker
Fundstellen: 
RGZ 94, 244
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.12.1918
Aktenzeichen: 
I 196/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Magdeburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Naumburg a.S.

Verkauf von Zucker seitens einer Raffinerie, deren Inlandslieferung kontingentiert ist, zum Transitpreise frei Lieferung Seeschiffseite in den Freihafen. Welche Bedeutung hat der nachträgliche Wegfall des Einfuhrzolls für die Vertragserfüllung?

Tatbestand

Laut Schlußschein vom 8. Juli 1914 verkaufte die Beklagte der Klägerin 1000 Zentner I a ungeblauten Granulated zum Preise von 12 M für 50 kg inkl. Sack frei Seeschiffseite Hamburg Basis Wasserverladung gegen Kassa abzüglich 1% gegen Receipt, lieferbar zur Hälfte bis 10. September, zur Hälfte bis 10. Oktober 1914 längsseite Hamburg. Nach Ausbruch des Krieges bat die Klägerin am 7. August 1914, nichts abzuschicken, bis weitere Instruktion erfolge. Die Beklagte erklärte sich hiermit am 10. August unter dem Bemerken einverstanden, daß der Schluß als solcher selbstverständlich bestehen bleibe. Dann ruhte die Sache bis 3. Februar 1915. An letzterem Tage schrieb die Beklagte, daß es ihr, nachdem durch die in letzter Zeit erlassenen Bestimmungen für den Verkehr mit Zucker eine ganz neue Lage geschaffen, unmöglich geworden sei, den Schluß zu liefern und sie sich genötigt sehe, denselben zu streichen. Die Klägerin lehnte dies ab und die Parteien korrespondierten weiter über die Berechtigung des Standpunktes der einen oder der anderen Partei, wobei die Beklagte betonte, daß sie nur zu liefern brauche, wenn die Ausfuhr für die verkaufte Ware gesichert sei. In ihrem Briefe vom 24. März 1915 erklärte sich die Beklagte zur Lieferung bereit, falls die Klägerin ihr die Unterlagen für die Beschaffung der Ausfuhrbewilligung gebe. Die Klägerin erwiderte am 26. März 1915, daß sie bereit sei, die Ware sofort abzunehmen, und um Lieferung bitte, daß aber die Beschaffung einer Ausfuhrbewilligung nicht ihre Sache sei. Am 27. März stellte die Beklagte der Klägerin eine Frist zur Beschaffung der Ausfuhrbewilligung bis 15. April 1915. Dies lehnte die Klägerin ab, worauf die Beklagte die Frist am 14. bis zum 20. April 1915 verlängerte. Die Klägerin lehnte dies nochmals ab und bestand auf Lieferung ohne Ausfuhrbewilligung. Die Beklagte erklärte am 10. Mai, daß sie, da die Frist zum Nachweis der Ausfuhrbewilligung verstrichen sei, auf ihrem Standpunkt, den Schluß zu annullieren, beharre. Darauf setzte die Klägerin am 19. Mai Nachfrist zur Lieferung bis 9. Juni 1915 mit der Maßgabe, daß sie nach Ablauf der Frist die Leistung ablehne und Schadensersatz verlange. Da die Beklagte nicht lieferte, erhob die Klägerin Klage auf Schadensersatz.

Landgericht und Oberlandesgericht erkannten dementsprechend. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Nach den vom Oberlandesgericht eingeholten amtlichen Auskünften war die Ausfuhr des von der Beklagten gemäß dem Schlußschein vom 8. Juli 1914 zu liefernden Zuckers zunächst nach Kriegsausbruch, weil verboten, nicht möglich, dann aber von Oktober 1914 bis Februar 1915 gegen behördliche Ausfuhrerlaubnis zulässig, die indes seit Februar 1915 auch nicht mehr erteilt wurde. Auf diese "Veränderung der Verhältnisse" berief sich die Beklagte in ihrem Briefe vom 3. Februar 1915, als sie an die Klägerin mit der Erklärung herantrat, daß sie den Schluß streiche, indem sie der Auffassung war, daß, weil eine Ausfuhrerlaubnis seit Februar 1915 nicht mehr zu erwarten sei, für die Erfüllung des Schlusses Unmöglichkeit eingetreten sei. Auf diesem Standpunkt beharrte die Beklagte auch weiter in ihren Briefen und sie war seit Ende März 1915 nur zur Lieferung bereit, falls ihr die Klägerin dennoch eine Ausfuhrerlaubnis nachwiese.

Auf der Grundlage dieser in dem Briefwechsel vertretenen Auffassung verteidigte die Beklagte auch im ersten und zweiten Rechtszuge in erster Linie ihre Berechtigung zur Verweigerung der Lieferung, indem sie geltend machte, daß Vertragsbedingung für die Lieferung die Möglichkeit der Ausfuhr gewesen sei. Dies erhelle einmal aus der Schlußscheinklausel "frei Seeschiffseite Hamburg Cassa gegen Receipt", sei aber zweitens auch ausdrücklich vereinbart. Das Oberlandesgericht hat auf Grund erhobenen Beweises einwandfrei verneint, daß eine solche Vereinbarung ausdrücklich getroffen sei, aber auch zutreffend die Auffassung der Beklagten abgelehnt, daß die Schlußscheinklausel "frei Seeschiffseite Hamburg Kassa gegen Receipt" der Beklagten die Berechtigung gab, die Lieferung von der Bedingung der Ausfuhrmöglichkeit abhängig zu machen. Verkehrsüblich und wie sich auch daraus ergibt, daß diese Klausel sich innerhalb der Bestimmung des Preises befindet, war dadurch nichts weiter zum Ausdruck gebracht, als daß der Zucker frei in das Freihafengebiet Hamburg zu liefern war. Sofern der Beklagten nicht andere Gründe für die Lieferungsweigerung zur Seite standen, hatte sie auf das Begehren der Klägerin, das nach der einwandfreien Feststellung des Oberlandesgerichts nicht ungebührlich verzögert und nur auf Lieferung in den Freihafen Hamburg gerichtet war, zu liefern, und ihre Forderung, nur gegen Nachweis der Ausfuhrmöglichkeit aus dem Freihafen ins Ausland liefern zu wollen, war unberechtigt.

Von anderen Gründen, die die Beklagte für ihre Berechtigung der Lieferungsweigerung geltend gemacht hatte, kommt für die Revisionsinstanz, da die übrigen vom Oberlandesgericht, ohne daß die Revision dagegen Angriffe erhoben hat, einwandfrei abgelehnt sind, nur folgender in Betracht. Die Beklagte hatte geltend gemacht, den Raffinerien. zu deren Verband sie gehöre, sei die Lieferung von Zucker nach dem Inland kontingentiert. Sie habe für sich und den Verband der Raffinerien ein erhebliches Interesse daran gehabt, daß der zur Lieferung in den Freihafen Hamburg verkaufte Zucker auch ausgeführt werde, jedenfalls nicht wieder zu ihrem und des Verbandes Schaden ins Inland komme. Hierfür sei bis 8. März 1913 Gewähr dadurch geboten gewesen, daß bei Einfuhr des Zuckers aus dem Freihafen ins Inland nicht nur die Verbrauchsabgabe, sondern auch der erhebliche Eingangszoll zu zahlen gewesen wäre; mit Rücksicht hierauf sei es auch nicht erforderlich gewesen, mit der Klägerin ausdrücklich zu vereinbaren, daß der Zucker nicht wieder in das Inland eingeführt werden dürfe. Durch Bundesratsverordnung vom 8. März 1915 (RGBl. S. 135) sei aber bestimmt, daß Zucker aus dem Freihafengebiete zollfrei ins Inland eingeführt werden könne. Dadurch sei seit 8. März 1915 eine ihre und des Verbandes Interessen so wesentlich berührende Änderung eingetreten, daß ihr nicht habe zugemutet werden können, den Zucker, den die Klägerin nach Wegfall des Eingangszolls nunmehr jederzeit ins Inland hätte verkaufen können, noch wie begehrt in das Freihafengebiet zu liefern.

Es ist anzuerkennen, daß der Beklagten, da sie zum Transitpreise in den Freihafen verkauft hatte, nach Wegfall des Eingangszolls im Hinblick auf Treu und Glauben nicht eine Lieferung zugemutet werden durfte, die ihre und des Verbandes Interessen dadurch in erheblicher Weise schädigte, daß aus der Lieferung in den Freihafen tatsächlich eine solche ins Inland gemacht würde. Das ist auch die Auffassung des Verkehrs, wie sich aus der Auskunft der Handelskammer in Hamburg ergibt. Die Möglichkeit, daß die Klägerin aus der Lieferung in den Freihafen eine solche in das Inland machte, lag aber nach Wegfall des Eingangszolls seit 8. März 1915 nahe, und Treu und Glauben sowie Verkehrsauffassung (§ 242 BGB.) hätten es berechtigt erscheinen lassen, daß die Beklagte gegenüber dem Begehren der Klägerin, in den Freihafen zu liefern, Garantien verlangte, die ihre und des Verbandes Interessen vor einer Schädigung durch Einfuhr aus dem Freihafen in das Inland sicherten. Ein solches Verlangen hat die Beklagte nach Inhalt des Briefwechsels nicht gestellt; sie stützte in diesem Briefwechsel ihre Lieferungsweigerung vielmehr in ungerechtfertigter Weise nur auf die Ausführungsmöglichkeit aus dem Freihafen ins Ausland. Es wird auch anerkannt werden müssen, daß es gegen Treu und Glauben und Verkehrsauffassung verstoßen würde, wenn die Klägerin jetzt, wo sie wegen der unberechtigten Erfüllungsweigerung Schadensersatz verlangt, für den im übrigen die Voraussetzungen des § 326 BGB. dargetan sind, den Schaden auf der Grundlage der Einfuhrmöglichkeit aus dem Freihafen in das Inland beanspruchen würde, und wenn ihr ein solcher Schaden dem Grunde nach durch das angefochtene Urteil zugesprochen wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Die Klägerin hat ihren Schadensanspruch wegen Nichterfüllung unter der Darlegung begründet, daß sie den Zucker, wenn er geliefert wäre, in dem Freihafen zur maßgeblichen Zeit jederzeit, ohne ihn ins Inland einzuführen, zur Versorgung von nach dem neutralen Ausland fahrenden Schiffen sowie auch zur Versorgung der Marine mit Nutzen hätte verwerten können, und das Oberlandesgericht hat durch Einholung einer Auskunft der Handelskammer in Hamburg festgestellt, daß dies der Fall war. Das angefochtene Urteil ist dementsprechend dahin zu verstehen, daß der Grund des Schadensanspruchs nur insoweit für gerechtfertigt erklärt ist, als Schaden in Betracht kommt, der dadurch entstanden ist, daß die nicht gelieferte Ware nicht im Freihafen selbst, ohne daß sie ins Inland eingeführt wurde, verwertet werden konnte. Die Klägerin und das Oberlandesgericht haben sich also bei der Schadensklage auf den Standpunkt gestellt, daß die Beklagte so zu behandeln sei, als sei ihr die Nichteinführung in das Inland aus dem Freihafen tatsächlich garantiert gewesen, und auf ein weiteres als diese Garantie hatte sie, als die Lieferung von ihr begehrt wurde, nach Treu und Glauben und Verkehrsauffassung keinen Anspruch. Hiernach ist der Schadensanspruch in der von der Klägerin geltend gemachten und vom Oberlandesgericht anerkannten Begrenzung zutreffend für gerechtfertigt erklärt."