RG, 12.12.1917 - V 227/17
Gehören mehr als zwei Jahre alte Rückstände an Zinsen und Amortisationsbeiträgen, die durch Ausübung eines Ablösungsrechts auf den Ablösungsberechtigten übergegangen sind, in die vierte oder in die achte Rangklasse?
Tatbestand
Im Grundbuchheft und im Unterpfandbuch über das Brauereianwesen "zum Ritter" in G. waren seit 1891 und 1897 für den Württembergischen Kreditverein in St. ein zu 4 % verzinsliches Darlehen von ursprünglich 20.833,33 M sowie ein zu 3 1/2 % verzinsliches Darlehen von ursprünglich 83.333,83 M an erster und zweiter Stelle eingetragen. Die Darlehen, einschließlich der Zinsen, sollten durch 50 Jahre dauernde Renten von 4,66 %, mit jährlich 970 Mund von 4,27 mit jährlich 3560 M getilgt werden. Wenn die Renten nicht binnen 20 Tagen nach dem Verfalltage gezahlt würden, sollte der Schuldner 5 % Verzugszinsen vom Verfalltage ab entrichten. Die Beklagte hatte das Anwesen durch Verträge mit den jeweiligen Eigentümern bis zum 31. Dezember 1918 gepachtet. Sie hat an den Kreditverein auf das erste Darlehen Rentenbeiträge für die Zeit vom 15. August 1907 bis dahin 1912, auf das zweite solche für die Zeit vom 15. Februar 1903 bis dahin 1904 sowie vom 15. Februar 1908 bis zum 15. August 1912 bezahlt. Mit Bewilligung des Kreditvereins sind die gezahlten Beträge als Teile der beiden Posten auf ihren Namen im Grundbuchheft und Unterpfandbuch umgeschrieben worden.
Auf den Antrag des Klägers, für den eine Darlehnsforderung von 50.000 M an dritter Stelle eingetragen stand, wurde am 15. Dezember 1914 wegen eines Teilbetrags dieser Forderung die Zwangsversteigerung des Anwesens eingeleitet. Der Kreditverein trat dem Verfahren wegen seiner beiden vorgehend eingetragenen Restforderungen bei. Am 12. August 1916 wurde das Anwesen dem Kläger für das durch Zahlung zu berichtigende Meistgebot von 96.000 M zugeschlagen. Im Verteilungstermine wurden für die Beklagte auf Grund der für sie umgeschriebenen Teilposten nebst 5 % Verzugszinsen seit dem 15. August 1912 insgesamt 11.134,07 M von dem Versteigerungserlös in Ansatz gebracht. Der Kläger, der mit seiner Post bis auf 1391,43 M ausfiel, widersprach der Zuweisung der 11.134,07 M an die Beklagte und nahm diesen Betrag für sich in Anspruch, weil die für die Beklagte umgeschriebenen Teilposten sich über mehr als zwei Jahre rückständige Renten verhielten, welche erst in der achten Rangklasse, also hinter seiner Post, in Ansatz zu bringen seien. Nachdem die Streitmasse hinterlegt worden war, erhob er Widerspruchsklage.
Das Landgericht gab der Klage statt; das Oberlandesgericht erkannte auf Abweisung. Auf Revision des Klägers wurde das erste Urteil wiederhergestellt.
Gründe
"Vom 1. Januar 1900 ab galt das über das Brauereianwesen "zum Ritter" in G. geführte Grundbuchheft nebst Unterpfandbuch gemäß § 87 GBO., § 1 württemb. VO., betr. das Grundbuchwesen vom 30. Juli 1899, als Grundbuch und galten daher gemäß Art. 192, 193 EG. z. BGB., Art. 214 württemb. AG. z. BGB. vom 28. Juli 1899 die für den Kreditverein im Grundbuchheft und im Unterpfandbuch eingetragenen beiden Darlehnsposten, für welche Pfandscheine ausgestellt waren, als Briefhypotheken. Die jährlich auf die beiden Hypotheken zu zahlenden Renten stellten sich, da die Hypothekenforderungen mit 4 oder 3 1/2 %, verzinst und die Hypothekkapitale nebst den Zinsen durch Zahlung der Renten während der Dauer von 50 Jahren getilgt werden sollten, zu einem Teile als Zinsen, zum andern als solche wiederkehrende Leistungen dar, welche als Zuschlag zu den Zinsen behufs allmählicher Kapitaltilgung zu entrichten waren. Die Renten waren also im Sinne des § 10 Nr. 4 ZVG. Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen, die in Zinsen und als Zuschlag zu diesen zu entrichtenden Amortisationsbeiträgen (Tilgungsbeiträgen) bestanden. Wurde eine Rente vom Schuldner (Grundstückseigentümer) oder für diesen von einem Dritten an den Gläubiger bezahlt, so erlosch nach §§ 267, 362 BGB. der Anspruch auf die Rente sowohl, soweit er eine Zinsforderung, als auch soweit er einen Amortisationsbeitrag umfaßte. War die Rente rückständig gewesen, so hatte dies Erlöschen zur Folge, daß die Hypothek für den Zinsrückstand nach § 1163 Abs. 1 Satz 2. § 1178 Abs. 1 Satz 1 BGB. erlosch, während die Hypothek für den rückständigen Amortisationsbeitrag nach § 1163 Abs. 1 Satz 2, § 1177 Abs. 1 Satz 1 zur Eigentümergrundschuld wurde. Denn Amortisationsbeiträge, auch wenn sie in der Form von Zuschlägen zu den Zinsen festgesetzt werden, sind nicht neben dem Kapital, sondern als Kapitalteile zur allmählichen Tilgung der Kapitalforderung zu entrichten, so daß sie nicht als Nebenleistungen im Sinne des § 1178 Abs. 1 Satz 1 betrachtet werden können (RGZ. Bd. 54 S. 92., Urt. vom 25. November 1916 Rep. V. 224/16, zum Teil abgedruckt in RGZ. Bd. 89 S. 131). In einem solchen Falle konnte gemäß Art. 215 württemb. AG. z. BGB. ein nachstehender Hypothekengläubiger die Löschung der zur Eigentümergrundschuld gewordenen Teilhypothek in gleicher Weise verlangen, wie wenn zur Sicherung des Rechtes auf Löschung eine Vormerkung in das Grundbuch eingetragen gewesen wäre.
Vorliegend nimmt der Berufungsrichter an, daß die Beklagte die rückständigen Renten nicht für den Eigentümer, insbesondere nicht in Anrechnung auf den ihm zu entrichtenden Pachtzins gezahlt, sondern daß sie den Kreditverein, nachdem er vom Schuldner unter ernstlicher Androhung der Zwangsvollstreckung Zahlung der rückständigen Renten verlangt hatte, als nach §§ 268, 1150 BGB. zur Ablösung Berechtigte befriedigt habe. Daher könne der Kläger seine Widerspruchsklage nicht auf Art. 215 AG. stützen, weil eine Eigentümergrundschuld zufolge der Bezahlung der Rentenrückstände durch die Beklagte nicht entstanden sei. Er habe auch kein vertragliches Recht darauf gehabt, daß die Renten in Anrechnung auf den Pachtzins gezahlt würden, und ebensowenig habe die Beklagte, indem sie die Zahlungen zur Ablösung statt in Anrechnung auf den Pachtzins leistete, dem Kläger gegenüber arglistig gehandelt. Alles dies stimmt mit den Darlegungen des ersten Richters überein.
Weiter aber erachtet der Berufungsrichter entgegen dem ersten Richter die Widerspruchsklage auch nicht durch die Tatsache für gerechtfertigt, daß die Renten mehr als zwei Jahre alte Rückstände waren. Er führt in dieser Hinsicht aus, da die Beklagte in Ausübung des ihr als Pächterin zustehenden Ablösungsrechts gezahlt habe, sei allerdings die Forderung auf die Renten kraft Gesetzes (§ 288 Abs. 3, § 1150 BGB.) auf sie übergegangen. Allein wenn der Gläubiger einer Forderung auf rückständige Amortisationsbeiträge von einem Ablösungsberechtigten befriedigt werde, handle es sich von da ab nicht mehr um "rückständige Amortisationsbeiträge". Die Amortisationsleistung sei nunmehr erfüllt; es könne nicht mehr davon gesprochen werden, daß dem Amortisationsgläubiger gegenüber etwas rückständig sei. Ob solche Leistungen rückständig seien, bemesse sich lediglich nach dem Verhältnisse zwischen Schuldner und Amortisationsgläubiger, nicht nach dem Verhältnisse zwischen Schuldner und ablösendem Dritten. Der Dritte erlange durch die Leistung einen Ersatzanspruch, dem allerdings das Bürgerliche Gesetzbuch die rechtliche Natur des befriedigten Anspruchs verliehen habe, der aber der Sache nach doch ein Ersatzanspruch bleibe. Durch den Forderungsübergang werde die Tatsache nicht beseitigt, daß die rückständige Amortisationsquote getilgt worden sei. Dies werde auch dadurch nicht anders, daß die befriedigte Forderung noch ausdrücklich abgetreten werde. Daß ein Betrag rückständig sei, stelle keine der Forderung an sich anhaftende Eigenschaft dar, sondern betreffe nur das Verhältnis zwischen dem Amortisationsgläubiger und dem Schuldner; diese Eigenschaft gehe also nicht wie ein Nebenrecht auf den Ablösenden über. Der Kläger könne daher wegen seiner nacheingetragenen Hypothek nicht auf Grund des § 10 Nr. 4, 8 ZVG. ein Recht auf den Versteigerungserlös mit Vorrang vor den auf die Beklagte umgeschriebenen Renten für sich in Anspruch nehmen.
Gegen diese Ausführungen richtet sich die Revision. Sie ist begründet. Eine Leistung ist rückständig, wenn der Termin für ihre Fälligkeit vorübergegangen ist, ohne daß der Anspruch auf sie getilgt wurde oder sonst erlosch (vgl. RG. in Jur. Wochenschr. 1911 S. 953 Nr. 30). Dies ist auch im Zwangsversteigerungsgesetz unter Rückständen wiederkehrender Leistungen zu verstehen, wie sich aus der Bestimmung des § 13 Abs. 1 ergibt: "die laufenden Beträge wiederkehrender Leistungen nehmen ihren Anfang von dem letzten Fälligkeitstermine vor der Beschlagnahme des Grundstücks; die Rückstände werden von demselben Zeitpunkte zurückgerechnet". Danach sind Zinsen rückständig, wenn sie für eine Zeit bis zum letzten Fälligkeitstermine vor der Grundstücksbeschlagnahme zu entrichten waren und der Anspruch auf sie noch nicht erloschen ist. Das gleiche gilt auch von den als Zuschlag zu den Zinsen zu entrichtende Amortisationsbeiträgen welche im § 10 Nr. 4 ZVG., wir übrigens hinsichtlich der Verjährung auch im § 197 BGB., den Zinsen gleichgestellt sind. Der Eintritt eines Gläubigerwechsels, bei dem eine Tilgung der Ansprüche auf Zinsen oder Amortisationsbeiträge nicht erfolgt, ist für die Frage der Rückständigkeit von keiner Bedeutung. Wie im Falle der Abtretung oder sonstigen Übertragung der Zinsanspruch auch in der Hand des neuen Gläubigers ein Anspruch auf neben dem Kapital zu entrichtende Leistungen und der Anspruch auf Amortisationsbeiträge ein solcher auf Leistungen zur allmählichen Kapitaltilgung bleibt (vgl. RG. in Seufferts Arch. Bd. 62 Nr. 182), so ist ein auf einen neuen Gläubiger übergegangener Anspruch auf Zinsen oder Amortisationsbeiträge, die zur Zeit der Gläubigerschaft des ursprünglichen Gläubigers wegen eingetretener Fälligkeit und nicht erfolgter Bezahlung rückständig waren, nach dem Übergang ebenfalls ein Anspruch auf rückständige Leistungen, da diese noch immer fällig und ungetilgt sind.
Im vorliegenden Falle umfassen die auf die beiden Hypotheken des Kreditvereins zu entrichtenden Jahresraten, wie bemerkt, zu einem Teile Zinsen von den Hypothekkapitalen, zum anderen Teil Amortisationsbeiträge. Die streitigen Renten waren, als die Beklagte ihre Beträge an den Kreditverein zahlte, schon seit einiger Zeit fällig gewesen und noch unberichtigt; sie waren daher damals schon rückständige Zinsen und als Zuschlag zu diesen behufs allmählicher Kapitalstilgung zu entrichtende Leistungen. Da der Kreditverein Zahlung dieser für ihn hypothekarisch gesicherten Renten von dem Grundstückseigentümer und gleichzeitigen persönlichen Schuldner unter Androhung der Zwangsvollstreckung verlangt hatte und die Beklagte als Pächterin des Grundstücks Gefahr lief, den Besitz an dem Grundstücke zu verlieren (vgl. § 57 Satz 2 ZVG.), war sie gemäß § 268 Abs. 1, § 1150 BGB. zur Ablösung berechtigt. Da sie ferner das Ablösungsrecht ernstlich und unter Ausdruck dieses ihres Willens gegenüber dem Kreditverein durch Befriedigung des Vereins ausgeübt hat, ist allerdings nach § 268 Abs. 3. § 1150 und nach §§ 401, 412, § 1153 Abs. 1 der Anspruch auf die Renten mit der für ihn bestehenden Hypothek kraft Gesetzes auf sie übergegangen. Aber trotz dieses Überganges blieb der Anspruch ein solcher auf rückständige Zinsen und Amortisationsbeträge. Denn durch die Befriedigung des Kreditvereins wurde er nicht getilgt, vielmehr blieb er gegen den Eigentümer und Schuldner weiter bestehen; die Befriedigung führte kein Erlöschen nach §§ 267, 362 herbei, sondern bewirkte nur, daß an die Stelle des bisherigen Gläubigers die diesen befriedigende Beklagte als neue Gläubigerin trat; und der Anspruch war nach wie vor fällig. Daß die von der Beklagten bezahlten Rentenbeträge auf Grund der Berichtigungsbewilligung und Abtretungserklärung des Kreditvereins im Grundbuchheft und Unterpfandbuch auf ihren Namen umgeschrieben worden sind, ist in dieser Hinsicht ohne Belang. Dadurch wurde das Grundbuch nur dahin richtig gestellt, daß von den Hypotheken des Kreditvereins die Teilhypotheken für diese Rentenbeträge auf die Beklagte als neue Gläubigerin übergegangen waren. Die Beklagte hat übrigens selbst von den fraglichen Renten noch 5 % Verzugszinsen berechnet, wie sie für fällige Renten bei Bestellung der beiden Hypotheken für den Kreditverein festgesetzt worden sind. Als im Dezember 1914 die Beschlagnahme des Grundstücks erfolgte, betrafen die auf sie übergegangenen Ansprüche auf Renten, also auf Zinsen und Amortisationsbeiträge, Rückstände, die mehr als zwei Jahre alt geworden waren. Die Ansprüche waren daher nicht nach § 10 Nr. 4 ZVG. in der vierten, sondern gemäß § 10 Nr. 6 in der achten Rangklasse, also erst nach der Hypothek des Klägers in Ansatz zu bringen.
Der Berufungsrichter meint, wenn man einen auf den Ablösungsberechtigten übergegangenen Anspruch auf mehr als zwei Jahre alte Rückstände dauernd in die achte Rangklasse einordne, werde die Neigung der Inhaber dieses Rechtes, die Ablösung vorzunehmen, zum Schaden des Schuldners sehr vermindert. Das Ablösungsrecht ist jedoch, wie die Revision zutreffend bemerkt, nicht zum Schutze des Schuldners gegeben, sondern um dem Berechtigten die Möglichkeit zu gewähren, die ihm durch die Zwangsvollstreckung des betreibenden Gläubigers drohende Gefahr des Verlustes eines Rechtes oder seines Besitzes abzuwenden. Hat der Ablösungsberechtigte durch Befriedigung der Ansprüche des Gläubigers auf Rückstände die Gefahr abgewendet und führt er es dann nicht herbei, daß er von dem Schuldner wegen der Rückstände Ersatz erlangt, so muß er, wenn demnächst das Grundstück dennoch versteigert wird, es hinnehmen, daß er mit den mehr als zwei Jahre alt gewordenen Rückständen erst in der achten Rangklasse zur Hebung kommt. Die zeitliche Grenze für das Vorrecht der Rückstände aus § 10 Nr. 4 ZVG. ist vom Gesetze deshalb gezogen, weil die Sicherheit des Realkredits leiden müßte, wenn das Vorrecht allen nicht verjährten Ansprüchen gewährt würde (Denkschrift zu § 10 des Entwurfs). Es sollen also diejenigen, die dem Grundstückseigentümer Realkredit gewähren, darauf rechnen können, daß voreingetragene wiederkehrende Leistungen, die länger als zwei Jahre unberichtigt geblieben sind, ihnen im Falle der Zwangsversteigerung im Range nachstehen. In wessen Hand sich dann die Ansprüche auf mehr als zwei Jahre alte Rückstände befinden, ob in der Hand des ursprünglichen Gläubigers oder eines anderen, auf den sie, sei es zufolge Rechtsgeschäfts oder kraft Gesetzes, übergegangen sind, kann hierbei keinen Unterschied machen." ...