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RG, 11.12.1917 - III 300/17

Daten
Fall: 
Pensionsanspruch der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn
Fundstellen: 
RGZ 91, 371
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.12.1917
Aktenzeichen: 
III 300/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Gewährt die Beamten-Pensions- und Unterstützungskasse, der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn einen zivilrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Pensionsanspruch? Geht dieser Pensionsanspruch verloren durch disziplinare Entlassung des Beamten nach zuvor erlittenem Dienstunfalle?

Tatbestand

Der Kläger war vom 1. August 1881 an im Dienste des verklagten preußischen Staates angestellt gewesen, zunächst als ständiger Hilfsheizer, sodann kraft Anstellungsverfügung vom 19. Mai 1883 unter Ableistung des Besamtendiensteides seit dem 1. April 1883 als etatsmäßiger Lokomotivheizer auf einwöchige Kündigung. Nachdem ihm das Eisenbahnbetriebsamt Berlin (Stadt- und Ringbahn) wegen eines am 6. November 1890 im Dienste begangenen, durch das zuständige Gericht mit Strafe belegten Sittlichkeitsvergehens am 12. Mai 1891 auf den 30. Juni gekündigt hatte, wurde er am 1. September 1891 entlassen. Am 8. Oktober 1888 hatte er einen Dienstunfall erlitten; als Mitglied der Beamtenpensions- und Unterstützungskasse der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn (Reglement vom 31. Dezember 1854, sodann vom 24. November 1874 mit Nachtrag IV vom 1. April 1889; hier abgekürzt R.) hatte er die Pensionskassenbeiträge eines Lokomotivheizers (1 1/3 %) von der etatmäßigen Anstellung an bis zur Entlassung entrichtet.

Wegen des Unfalls und wegen der Kassenmitgliedschaft wurden dem Kläger zunächst gewährt: sowohl gemäß Entscheidung des Betriebsamts vom 22./28. August 1891 eine Unfallpension von 501 M wegen Minderung der Erwerbsunfähigkeit um 50 % (§ 1 Abs. 2 des Beamtenunfallfürsorgegesetzes vom 15. März 1886) als auch eine statutmäßige Pension von 444 M (§ 11 R.) kraft der dem Kläger abschriftlich mitgeteilten Entscheidung vom 1. September 1891. Das Betriebsamt stellte in den Gründen dieser Bewilligung der statutmäßigen Pension fest: "der Kläger ist ohne eigenes Verschulden in Ausübung seines Dienstes dergestalt verletzt, daß er zu dessen seiner Wahrnehmung nicht mehr befähigt ist"; es verfügte die Festsetzung, nachdem es durch Erlaß der Eisenbahndirektion vom 27. August 1891 darauf hingewiesen war, der Kläger "sei unter Verlust des Pensionsanspruchs aus dem Dienste entlassen, seine Versetzung in den Ruhestand komme also nicht mehr in Frage, sondern nur die Gewährung einer Unfallpension wegen teilweiser Pensionsunfähigkeit, eine Bezugnahme auf das Pensionsgesetz sei nicht angängig".

Später wurde dem Kläger an Stelle dieser Unfallpension und dieser statutmäßigen Pension die volle Unfallpension mit 1002 M, rückwirkend vom 1. Januar 1892 ab, durch ein an ihn gerichtetes Schreiben der Eisenbahndirektion vom 25. April 1896 bewilligt.

Dagegen wurde schließlich durch Verfügung der Eisenbahndirektion vom 31. März 1913 vom 1. April j. J. an die Unfallpension wieder aus 50 % Erwerbsfähigkeitsminderung auf 501 M berechnet und die statutmäßige Pension gestrichen, "weil der Kläger am 1. September 1891 nicht wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt, sondern strafweise entlassen worden sei, also die Unfallpension von jährlich 1002 M bisher zu Unrecht bezogen habe". Diese Verfügung wurde durch Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 23. Juli 1914 mit dem Bemerken bestätigt, der Anspruch auf die statutmäßige Pension werde als unbegründet zurückgewiesen, weil der Kläger "infolge seiner strafweisen Entlassung aus dem Dienste jeden Anspruch an die Kasse verloren hat".

Mit der Klage forderte der Kläger die statutmäßige Pension von 444 M seit dem 1. April 1913. Während das Landgericht auf Abweisung erkannte, gab der Berufungsrichter der Klage statt. Die Revision des Beklagten blieb erfolglos.

Gründe

1.

"Die vom Berufungsrichter in die zweite Linie gerückte Frage, ob dem Kläger die statutmäßige Pension nach dem Kassenreglement zusteht, verneint der Beklagte, weil dem Kläger infolge seiner disziplinaren Entlassung mangels einer Feststellung seiner dauernden Dienstunfähigkeit und mangels einer Versetzung in den Ruhestand eine "Staatspension" (§ 11 R.) nämlich die regelmäßige Zivilpension nicht zukomme. Der § 11 R. setzt aber den Bezug einer "Staatspension" überhaupt nicht voraus, wie die Worte "einschließlich der ihm etwa zuständigen Staatspension" außer Zweifel sehen. Und das Wort "Staatspension" als Gegensatz zur statutmäßigen Pension meint nicht nur die regelmäßige Zivilpension, sondern umfaßt auch die vom Staate nach dem Beamtenfürsorgegesetze zu zahlende Unfallpension, gleichviel ob sie nach § 1 Abs. 1 oder nach § 1 Abs. 2 dieses Gesetzes zu entrichten ist. Die Unabhängigkeit der statutmäßigen Pension von dem Bezüge der regelmäßigen Zivilpension folgte schon vor dem Beamtenunfallfürsorgegesetz aus dem Zwecke des § 11 R., der gerade die beim Mangel eines solchen Gesetzes vorhandene Lücke auszufüllen bestimmt war. Die Einreihung auch der Unfallpension in den Begriff "Staatspension" wird für die Zeit nach dem Beamtenunfallfürsorgegesetze durch die neue Fassung des Reglements im Nachtrag IV vom 1. April 1889 sogar positiv vorgeschrieben. Zu § 1 des Statuts heißt es in diesem Nachtrage: "bei den nach dem Beamtenunfallfürsorgegesetze zu entschädigenden Betriebsunfällen bleiben bestehen a) die statutmäßigen Ansprüche auf Pension (§ 11, vorkommendenfalls auch § 12), insoweit dieselbe über die nach § 1 BUFG. zu beanspruchende Pension hinausgeht". Es wird also zwischen den Fällen des Abs. 1 und des Abs. 2 des § 1 BUFG. kein Unterschied gemacht; vgl. die übereinstimmende amtliche Erläuterung dazu S. 7. Eine solche gesetzmäßige, vom Staate zu leistende Pension - eine "Staatspension" im Sinne des § 11 R. - steht dem Kläger auf Grund des § 1 Abs. 2 BUFG. zu. Es ist also ohne jeden Belang, daß der Kläger nicht in den Ruhestand versetzt und seine dauernde Dienstunfähigkeit nicht festgestellt worden ist. Daß die staatliche Unfallpension durch eine dem Unfalle nachfolgende disziplinare Entlassung nicht verloren geht, ist RGZ. Bd. 72 S. 76 dargelegt und vom Beklagten selbst durch Gewährung der Unfallpension an den Kläger bestätigt. Noch viel weniger kann durch solche disziplinare Entlassung der Verlust der statutmäßigen Pension des § 11 R. eintreten. Sie war in jeder Fassung des Reglements immer recht eigentlich eine Unfallpension und sie wird durch besondere Leistungen des Betroffenen, nämlich durch dessen Kassenbeiträge noch besonders erworben. Der Beklagte will aus §§ 8, 9, 10, 12 R. Folgerungen ziehen. Die §§ 8, 10 sprechen jedoch von Rückgewähr der Beitrage beim Ausscheiden aus dem Dienste ohne Pension oder Entschädigung. Der Kläger aber ist nicht ohne Pension ausgeschieden, sondern mit der staatlichen Unfallpension; es liegt also auch der "Fall der Pensionierung" im Sinne des § 12 vor. Ebensowenig trifft zu der Hinweis des Beklagten auf die Anstellungsverfügung vom 19. Mai 1883, laut deren der Beklagte berechtigt sein sollte, den Kläger in gewissen Fällen (darunter unsittlicher Lebenswandel) sofort ohne vorangegangene Kündigung zu entlassen, und der Kläger dann auf Rückgewähr seiner Pensionsbeiträge verzichtete. Abgesehen davon, daß der Kläger nicht auf Grund dieser Bestimmung, sondern auf die am 12. Mai zum 30. Juni 1891 ausgesprochene, also auf regelmäßige, vierwöchige Kündigung entlassen wurde, ist er auch nicht ohne Pension, sondern mit der Unfallpension ausgeschieden, sodaß der Fall einer Rückgewähr der Kassenbeitrage nach § 8 R. ("ohne Pension oder Entschädigung ausgeschieden") überhaupt nicht in Frage kommen kann. Überdies bezieht sich jene Bestimmung der Anstellungsverfügung gar nicht auf die Rechtslage, die durch einen vom Kläger vor seiner disziplinaren Entlassung erlittenen Unfall geschaffen wird, während es sich hier eben nur um diese Rechtslage handelt.

Weiter ist dem Kläger die statutmäßige Pension von der statutmäßigen Behörde im statutmäßigen Verfahren festgesetzt worden. Das Betriebsamt handelte bei der Festsetzung vom 1. September 1891 nicht in seiner Eigenschaft als rein staatliche Behörde und nicht im Rahmen seiner regelmäßigen, staatlichen Geschäftsaufgaben, sondern es durfte und mußte die Festsetzung treffen lediglich als statutmäßig, nämlich durch § 30 Abs. 2 R.. Fassung vom 1. April 1899, dazu berufenes Organ. Die Festsetzung hat also mit dem staatlichen Zivilpensions- und dem staatlichen Unfallpensionsverfahren schon wegen der verschiedenen Zuständigkeiten und Zuständigkeitsgründe (dort Gesetz, hier Reglement) nichts zu tun. Ebenso ist die materielle Grundlage der Festsetzung der statutmäßigen Pension eine durchaus selbständige und von den Voraussehungen der staatlichen Zivil- und Unfallpension (dauernde Dienstunfähigkeit und deren Feststellung; Versetzung in den Ruhestand; Minderung der Erwerbsfähigkeit) verschiedene. Gemäß dem auch nach Inkrafttreten des Beamtenunfallfürsorgegesetzes vom 15. März 1886 im Nachtrag IV zum Reglement festgehaltenen Wortlaut des § 11 ist die Voraussetzung der statutmäßigen Pension, daß "der Beamte ohne eigenes Verschulden in Ausübung seines Dienstes dergestalt verletzt wird, daß er zu dessen fernerer Wahrnehmung nicht mehr befähigt ist". Wörtlich genau hat das statutmäßig dazu berufene Betriebsamt eben diesen Tatbestand in der Entscheidung vom 1. September 1891 festgestellt und daraufhin die statutmäßige Pension bewilligt. Es hat dies getan, nachdem es selbst als rein staatliche Behörde innerhalb seiner rein staatlichen Zuständigkeit dem Kläger aus disziplinaren Gründen gekündigt hatte und nachdem es unmittelbar zuvor von der Eisenbahndirektion darauf hingewiesen war, eine dauernde Dienstunfähigkeit des Klägers sei nicht festgestellt und er sei nicht in den Ruhestand versetzt. Die statutarische Festsetzungsbehörde hatte also bei der Festsetzung der statutmäßigen Pension in voller Kenntnis der Sach- und Rechtslage gehandelt, und zwar in voller Kenntnis derselben Sach- und Rechtslage, wie sie jetzt noch vorhanden ist und nach der jetzigen Auffassung des Beklagten zur Versagung der statutmäßigen Pension führen soll. Die Festsetzungsbehörde hatte endlich gemäß § 30 Abs. 3 R., Fassung vom 1. April 1889, die von ihr getroffene Festsetzung dem Kläger schriftlich zugefertigt, und diese Festsetzung hatte "als anerkannt zu gelten", da der Kläger Berufung an die vorgesetzte Eisenbahndirektion nicht eingelegt hatte (§ 30 Abs. 4 R.).

Nach alledem ist der Anspruch des Klägers auf die statutmäßige Pension durch die Festsetzung vom 1. September 1891 endgültig zuerkannt. Die Gründe, aus denen ihn nunmehr, erst seit dem 1. April 1913, der Beklagte bestreitet, beruhen auf Rechtsirrtum.

2.

Der Berufungsrichter gründet seine Entscheidung in erster Linie darauf, daß die Festsetzung vom 1. September 1891 ein privatrechtlicher, also nicht einseitig aufhebbarer Vertrag gewesen sei. Dem kann nicht beigepflichtet werden.

Die Pensionskasse, in die einzutreten der Staat seine Beamten eben als Beamte wie berechtigt so verpflichtet, und welche eine Ergänzung und Erhöhung der durch die staatlichen Pensionsgesetze beim Ausscheiden aus dem Dienste gewährten Bezüge bezweckt, ist eine rein staatliche, rein öffentlichrechtliche Veranstaltung im Interesse der' einzelnen Beamten und im Interesse der Gesamtheit der von dem Kassenreglement umfaßten Beamtenschaft. Die Beitragspflicht der Kassenmitglieder ist so wenig eine privatrechtliche, wie es die Verpflichtung der unmittelbaren Staatsbeamten zur Entrichtung von Witwen- und Waisengeldbeiträgen zur Staatskasse nach dem Gesetze vom 20. Mai 1882 war. Das Wort "Staatspension" in § 11 R. meinte - jedenfalls schon nach dem Reglement vom 31. Dezember 1854 - als den Gegensatz nicht eine privatrechtlich zustehende Pension wie in RGZ. Bd. 34 S. 179, 181, sondern eine über die regelmäßige allgemeine, staatliche Pension hinausgehende, kraft besonderer statutarischer Mitgliedschaft und besonderer statutarischer Beitragsleistungen erworbene, ebenfalls öffentlichrechtliche Pension. Ebensowenig deutet der Ausdruck "die Festsetzung gilt als anerkannt" in § 30 Abs. 4 R. auf ein privatrechtliches Anerkenntnis hin, sondern will, wie die Erläuterung S. 6 bestätigt, die Endgültigkeit der Festsetzung bezeichnen. Der Anspruch auf die statutmäßige Pension beruht auf dem Statut, dem öffentlichrechtlichen Reglement, ebenso wie der Anspruch auf die regelmäßige staatliche Zivil- und Unfallpension auf den Pensionsgesetzen beruht. Daraus folgt, daß auch der aus dem Reglement herauswachsende einzelne Pensionsanspruch nicht ein privatrechtlicher sondern ein öffentlichrechtlicher ist, genau so wie der aus dem öffentlichenrechtlichen Beamtenverhältnis entstehende Gehaltsanspruch des einzelnen Beamten. Die Festsetzung der statutmäßigen Pension ist also ebensowenig konstitutiv wie die Festsetzung der regelmäßigen staatlichen Pension, sondern sie ist wie diese nur deklarativ; die Grundsätze der Entscheidung in RGZ. Bd. 62 S. 237 kommen also allerdings zur Anwendung.

Wie aber bei der Zivilpension die einmal erfolgte Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit und die einmal erfolgte Versetzung in den Ruhestand unverrückbar feststehen und durch anderweite Verfügungen nicht wieder aufgehoben werden können, so muß hier unveränderbar bleiben die Feststellung der Grundlage des statutmäßigen Pensionsanspruchs, nämlich die zur richtigen Zeit von der richtigen Behörde in richtigem Verfahren erfolgte Feststellung des den Pensionsanspruch an sich ohne weiteres ergebenden Tatbestandes des § 11 R., daß "der Kläger ohne eigenes Verschulden in Ausübung seines Dienstes dergestalt verletzt wurde, daß er zu dessen fernerer Wahrnehmung nicht mehr befähigt ist". Jetzt, nach rund 25 Jahren, in eine sachliche Nachprüfung dieser Feststellung einzutreten, wäre auch unmöglich und unleidlich. Eine Abänderung des Festsetzungsbescheides könnte nur bei unrichtiger Berechnung des Pensionsbetrags in den Zahlen erfolgen." ...