RG, 29.11.1917 - VI 285/17

Daten
Fall: 
Klage aus § 7 Abs. 1 des Kriegsleistungsgesetzes
Fundstellen: 
RGZ 91, 291
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.11.1917
Aktenzeichen: 
VI 285/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Straßburg i.E.
  • OLG Colmar

Zulässigkeit des Rechtswegs für eine Klage aus § 7 Abs. 1 des Kriegsleistungsgesetzes vom 13. Juni 1873 (RGBl. S. 129) gegen eine elsaß-lothringische Gemeinde.

Tatbestand

Kurz nach Kriegsausbruch stellte die Militärverwaltung, teils unmittelbar, teils durch Vermittelung des Bürgermeisters, bei Einwohnern der verklagten elsässischen Gemeinde V. Vieh zur Fütterung und Pflege ein, wofür sie der Beklagten 1 M für das Stück und den Tag vergütete. Die Beklagte entrichtete das Geld den betroffenen Einwohnern nicht vollständig, sondern behielt für Stück und Tag allgemein 5 Pf und außerdem, soweit sie Futter geliefert hatte, 85 Pf zurück. Gegenüber der Klage, womit eine Einwohnerin von V. für Fütterung und Pflege von Vieh restliche 451,25 M forderte, berief sie sich auf einen Gemeinderatsbeschluß vom 22. Mai 1915 sowie darauf, daß die Militärverwaltung für die Tage des Zugangs und Abgangs keine Vergütung geleistet habe.

Der erste Richter wies die Klage ab, weil die ordentlichen Gerichte mit dem Anspruche nicht befaßt seien. Dagegen erklärte das Oberlandesgericht den Rechtsweg für zulässig. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der Rechtsweg ist für zulässig zu erachten. Das Gegenteil folgt weder aus den Vorschriften des Kriegsleistungsgesetzes vom 13. Juni 1873 und den dazu ergangenen Ausführungsvorschriften noch aus den Grundsätzen des elsaß-lothringischen Landesrechts.

In Frage sieht eine Kriegsleistung - nicht ein Kriegsschaden, wie er in RGZ. Ad. 89 S. 207 und S. 221 erörtert wird; über den Unterschied s. besonders Warneyer 1916 Nr. 123 - und zwar eine Kriegsleistung der Gemeinde. Es handelt sich um die Aufnahme, Fütterung und Pflege von Vieh im militärischen Interesse. Nach § 3 Nr. 6 KLG. war zu diesen Diensten dem Reiche gegenüber "zunächst die Gemeinde" verpflichtet; sie hat auch die dafür vom Reiche gezahlte Vergütung erhalten, nachdem sie das Vieh bei Gemeindeeinwohnern untergebracht hatte. Der Streit dreht sich um die Höhe derjenigen Vergütung, welche die Gemeinde diesen von ihr in Anspruch genommenen Gemeindeeinwohnern dafür schuldet. Der namentlich in der Entscheidung RGZ. Bd. 87 S. 357 aufgestellte Rechtssatz, daß für einen Anspruch auf Erhöhung der gemäß § 25 oder § 33 KLG. im Verwaltungswege festgesetzten Entschädigung für ausgehobene Fahrzeuge oder Pferde der Rechtsweg nicht gegeben ist, läßt sich auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres übertragen; denn jener Rechtssatz wird daraus gefolgert, daß nach dem Kriegsleistungsgesetz über die Höhe der Vergütung ausschließlich und endgültig in einem besonders dafür vorgesehenen und eingerichteten Verwaltungsverfahren befunden werden soll. Ein solches Verwaltungsverfahren kommt für den vorliegenden Fall nicht in Frage. Nicht etwa deshalb nicht, weil hier ein besonderes Feststellungsverfahren überhaupt nicht stattgefunden hat, die Gemeinde vielmehr - zulässigerweise - sich mit der Militärbehörde geeinigt zu haben scheint. Jenes Verwaltungsverfahren ist aber in einem Falle wie hier nur für das Verhältnis des Reiches gegenüber dem ihm unmittelbar Kriegsleistungspflichtigen, d.i. hier die Gemeinde, vorgesehen, nicht für das Verhältnis dieser zu dem von ihr in Anspruch genommenen Dritten. Dafür sei hingewiesen auf Nr. 16 der Ausführungsverordnung vom 1. April 1876 unter 7, wonach die nach § 33 KLG. eingesetzte Kommission zu versichern hat, daß ihrer Überzeugung nach in den ermittelten Vergütungsbeträgen keine Entschädigung enthalten ist, welche gesetzlich "nicht dem Reiche zur Last fällt", - ferner auf den Wortlaut der Anlage D dazu, wonach unter die Liquidation die Bescheinigung zu setzen ist, daß darin nur solche Kosten aufgenommen sind, welche "dem Reiche zur Last fallen", - sowie auf den Wortlaut der Anlage E zur Verordnung ("Vergütungsanerkenntnis für die Gemeinde N."), aus welchem erhellt, daß bei Kriegsleistungen der Gemeinde (§§ 3 bis 15 KLG.) die nach § 20 Abs. 2 KLG. ausgestellten Anerkenntnisse auf den Namen der Gemeinde allein zu lauten haben.

Dessenungeachtet ist davon auszugehen, daß auch im vorliegenden Falle die Vergütung für eine Kriegsleistung als solche im Streite steht. Hinsichtlich der Kriegsleistungen der Gemeinde, wie sie in §§ 3 bis 15 KLG. behandelt und von denen der Landlieferungsverbände (§§ 16 bis 19), der Besitzer von Schiffen und Fahrzeugen (§§ 23, 24), von Pferden (§§ 25 bis 27) sowie von den Leistungen der Eisenbahnverwaltungen (§§ 28 bis 31) gesondert sind, besteht in der Lehre des öffentlichen Rechtes eine Meinungsverschiedenheit darüber, wer als Träger der Kriegsleistungspflicht anzusehen ist, die Gemeinde oder diejenigen Reichsangehörigen, welche die Gemeinde behufs Erfüllung der geforderten Leistungen nach § 6 KLG. zu Naturalleistungen und Diensten heranziehen darf. Während nach der einen Meinung von einer Kriegsleistungspflicht der Gemeinden auszugehen ist und dieser die Leistungspflicht der einzelnen nur als Genossenschaftsrechtliche Folgeerscheinung entfließt (so Rosin, Recht der öffentlichen Genossenschaft 1886 S. 53; G. Meyer-Dochow, Lehrb. des Verwaltungsrechts 8. Aufl. § 210 S. 599; Seydel, Annalen des Deutschen Reichs 1874 S. 1053), wird von anderen ( Laband, Staatsrecht des Deutschen Reichs 5. Aufl. Bd. 4 S.289; ihm folgend Hatscheck, Verwaltungsarchiv 1901 S. 418 flg., 441; Heilberg-Schäffer, Kriegsleistungsgesetz S.31; auch Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht 2. Aufl. Bd. 2 S. 428) das Rechtsverhältnis dahin betrachtet, daß zu den Kriegsleistungen dem Reiche gegenüber grundsätzlich die einzelnen Reichsangehörigen und die einzelnen Besitzer der im Reichsgebiete befindlichen, für Kriegsleistungen erforderten Vermögensstücke verpflichtet sind, die Befugnis des Reiches aber zur zwangsweisen Erhebung der Leistungen den Gemeinden delegiert und diesen dafür die Haftung für die Erfüllung der geforderten Leistungen auferlegt ist. Vom Standpunkte des geltenden Rechtes bestehen keine Bedenken, neben den Gemeinden in dem im Gesetz umschriebenen Umfang auch die vorbezeichneten einzelnen als kriegsleistungspflichtig anzusehen, eine Auffassung, die als die natürliche, dem rechtlichen und politischen Empfinden des einzelnen gegenüber dem Staatswesen allein entsprechende erscheint und auch in den parlamentarischen Beratungen sowohl zum preußischen Gesetze vom 11. Mai 1851 wie zum Reichsgesetze vom 13. Juni 1873 wiederholt als die offenbar allgemein vorausgesetzte Anschauung zum Ausdrucke gelangt ist (vgl. die Verh. der preuß. II. Kammer 1850/1851 S. 645 und sonst, Reichstagsverh. 1873 S. 573, 585, 590 u. a.). Daß das Kriegsleistungsgesetz für gewisse Kriegsleistungen die Gemeinden als "zunächst" verpflichtet in den Vordergrund stellt, geschieht aus wesentlich praktischen Gründen, um eine rasche und umsichtige, gleichmäßige und schonende Erhebung der Kriegsleistungen sicherzustellen, die deshalb innerhalb eines engeren, übersehbaren Kreises stattfinden soll, während Ungleichmäßigkeiten und sonstige Unzuträglichkeiten zu gewärtigen wären, wenn der Zugriff stets unmittelbar von der Militärbehörde oder dem Truppenteil auf den einzelnen zugelassen würde. Es kann daher keinem begründeten Bedenken unterliegen, auch für das Verhältnis des Gemeindeeinwohners zur Gemeinde in einem Falle der hier erörterten Art als den wesentlich bestimmenden Inhalt die Gewährung und Vergütung von Kriegsleistungen anzusehen, wie solche auf Grund des Hoheitsrechts des Staates für die höchsten Staatszwecke zum öffentlichen Wohle nach den Grundsätzen des öffentlichen Rechtes erfordert werden.

Wie schon in RGZ. Bd. 87 S. 359 ausgesprochen, kann der Anspruch auf die Leistungen aus dem Kriegsleistungsgesetze nicht privatrechtlicher Natur sein. Ob die Ansprüche auf die "Gegenleistung", auf die Kriegsleistungsvergütung, als privatrechtliche Ansprüche angesehen werden können, soll hier nicht im allgemeinen erörtert und entschieden werden. Denn jedenfalls ist für den hier allein in Betracht kommenden Anspruch auf Auszahlung der Vergütung seitens der Gemeinde, welche die ihr vom Reiche zukommende Vergütung erhalten hat, an den von ihr herangezogenen Dritten, der die erforderte Leistung gemacht hat, kein Bedenken dagegen ersichtlich, ihm die Natur eines privatrechtlichen Anspruchs zuzusprechen. Dafür ist vor allem von entscheidender Bedeutung, daß zu dem Zeitpunkte, wo der gesetzlich zugesicherte Anspruch des Dritten gegenüber der Gemeinde regelmäßig fällig wird, die geschuldete Vergütung in ihrem nach dem Kriegsleistungsgesetze bestimmten Mindestbetrage feststeht. Nach § 7 KLG. nämlich hat die Gemeinde "den nach § 6 mit Naturalleistungen oder Diensten in Anspruch genommenen Vergütung in dem Umfange zu gewähren, in welchem die letztere nach den folgenden Bestimmungen vom Reiche gewährt wird. Die Gemeinde ist in der Regel nicht verpflichtet, die Vergütung früher auszuzahlen, als sie ihr vom Reiche zur Verfügung gestellt ist. Nur in den Fällen besonderer Bedürftigkeit oder unverhältnismäßiger Belastung einzelner Leistungspflichtiger ist diese Vergütung vorschußweise von der Gemeinde zu zahlen. Von diesen besonderen Fällen abgesehen, kommen die vom Reiche zu zahlenden Zinsen (§ 20) den einzelnen zu". Hiernach ist in Ansehung der seitens der Gemeinde geschuldeten Vergütung nur noch über den Anspruch auf Auszahlung einer ihrer Höhe nach bereits feststehenden Vergütung zu befinden. Für eine Erörterung, bei der eine Ausübung des Staatshoheitsrechts in Frage kommen könnte oder bei der sonstwie ein Überordnungsverhältnis des öffentlichen Verbandes als solchen gegenüber dem einzelnen zur Geltung zu bringen wäre, ist sachlich kein Raum mehr. Vielmehr hat, nachdem die Vergütung des Reiches an die Gemeinde gezahlt ist, ihre Höhe also feststeht, regelmäßig nur noch die weitere Auszahlung an den Dritten zu erfolgen, durch die dessen gesetzlichem Vergütungsanspruch Erfüllung zuteil wird. Der Anspruch des Vergütungsberechtigten wird jedenfalls in diesem letzten Abschnitte des Verfahrens dem Bereiche des öffentlichen Rechtes entrückt und in den des rein privatrechtlichen Rechtsverkehrs übergeführt. Die Rechtslage ist insofern wesentlich dieselbe, wie wenn nach § 20 KLG. ein Anerkenntnis ausgestellt und dem Berechtigten ausgefolgt wurde. Daß der Anspruch auf Zahlung aus dem Anerkenntnis privatrechtliche Natur aufweist, ist, soweit sich übersehen laßt, nicht bestritten (vgl. Laband Bd. 4 S. 286); die grundsätzliche Verfolgbarkeit dieses Anspruchs als eines privatrechtlichen vor den ordentlichen Gerichten wird auch von solchen gelehrt, die im übrigen den Vergütungsanspruch dem öffentlichen Rechte zuweisen wollen (vgl. z. B. Hirsch, Kriegsleistungsgesetz S. 221; die Entscheidung des preußischen Kompetenzgerichtshofs vom 30. Oktober 1915, Ministerialbl. f. d. innere Verwaltung in Preußen 1916 S. 14, spricht nur aus, daß dem Besitzer eines bei der Mobilmachung ausgehobenen Pferdes wegen der Entziehung dieses Vermögensstücks kein privatrechtlicher Anspruch gegen das Reich zustehe). Ob im übrigen auch sonstige Ansprüche an die Gemeinde aus § 7 KLG., namentlich ein solcher auf vorschußweise Zahlung nach Abs. 2 Satz 2, als privatrechtlich anzusehen sein möchten, braucht hier nicht untersucht zu werden.

Ist aber der hier erhobene Vergütungsanspruch gegen die Gemeinde nach dem Ausgeführten privatrechtlicher Natur, so ist er nach § 13 GVG. zur Verfolgung im ordentlichen Rechtswege geeignet, sofern sich nicht gegen dessen Zulässigkeit vom Standpunkte des für das angegangene Gericht maßgebenden elsaß-lothringischen Landesrechts (vgl. RGZ. Bd. 89 S. 224) Hindernisse ergeben. Nach diesem entscheidet, da sonstige besondere Zuständigkeitsvorschriften nicht in Frage kommen, nur der der Lehre von der Trennung der Gewalten entsprechende Rechtssatz, daß Verwaltungsakte ( actes administratis) der Beurteilung der bürgerlichen Gerichte entzogen sind (vgl. hierüber im allgemeinen RGZ. Bd. 84 S. 88). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Versagung des Rechtswegs, wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint, grundsätzlich schon durch den Umstand gehindert wird, daß die Gemeinde als solche verklagt ist. Denn soweit das mit der Klage angegriffene und zur gerichtlichen Beurteilung gezogene Verhalten der Gemeindeverwaltung darin besteht, daß der Klägerin der mit der Klage beanspruchte Vergütungsbetrag vorenthalten wird, liegt kein eigentlicher Verwaltungsakt von der Art derer vor, denen gegenüber die Beschränkung des Rechtswegs gilt. Es handelt sich nicht um eine Anordnung, welche von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsbeamten auf Grund ihrer öffentlichen Gewalt getroffen wird, sondern nur um einen acte de gestion, d. i. eine Verwaltungshandlung, die nicht Ausfluß des staatlichen Hoheitswillens ist, sondern bei der Verwaltung öffentlichen Gutes im Rechtsverkehr von den zuständigen Organen wie von jedem Privaten vorgenommen wird. Gegenüber solchen Verwaltungshandlungen aber ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nicht eingeschränkt. Der hiernach eröffnete Rechtsweg kann der Klägerin endlich auch nicht dadurch verschränkt werden, daß die Beklagte sich für ihre Einwendungen auf den Gemeinderatsbeschluß vom 22. Mai 1915 beruft. Wie der Vorderrichter bereits zutreffend hervorgehoben hat, besteht solchenfalls die Möglichkeit, das Verfahren bis zur Einholung der Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde über die Bedeutung des Gemeinderatsbeschlusses auszusetzen. Ein hinlänglicher Grund, schon für die Klage die Angehung der ordentlichen Gerichte zu verwehren, ergibt sich also auch in dieser Hinsicht nicht." ...