RG, 19.11.1917 - VI 237/17

Daten
Fall: 
Begriff des Kraftfahrzeughalters
Fundstellen: 
RGZ 91, 269
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.11.1917
Aktenzeichen: 
VI 237/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Straßburg
  • OLG Colmar

Zum Begriff des Kraftfahrzeughalters. Bedeutung des Eigentums für die Haltereigenschaft. Ist der Werkstattinhaber Halter, wenn er den Kraftwagen zum Zwecke der Ausbesserung oder Erprobung in Gebrauch nimmt?

Tatbestand

Die Revision der Nebenintervenientin ist zurückgewiesen worden.

Aus den Gründen

... "Streit besteht allein darüber, ob die Beklagte zur Zeit des Unfalls Halterin des Kraftwagens war. Wie das Berufungsgericht feststellt, hatte sie diesen wie ihre beiden anderen Kraftwagen bei Kriegsausbruch dem Druckereibesitzer B. zu Mutzig, als er im militärischen Nachrichtendienste verwendet wurde, kostenlos zur Verfügung gestellt, jedoch mit der Auflage, für die Betriebstoffe zu sorgen. B. besaß eine Anweisung zur Entnahme der Betriebstoffe aus militärischen Lagern. Der Kaufmann H., der beauftragt war, für die Fortifikation Mutzig in dem 22 Bahnkilometer entfernten Straßburg Taschenlaternen zu besorgen, wandte sich mangels einer Zugverbindung an B., von dem er wußte, daß er öfter mit einem Kraftwagen der Beklagten fuhr. B. hielt sich nicht für befugt, ohne weiteres einen Wagen in Anspruch zu nehmen, und fragte bei W., dem Direktor der Beklagten, deswegen an, der dann einen seiner Wagen zur Verfügung stellte. Die Beklagte hatte keinen Führer mehr, weshalb B. bei der Militärverwaltung veranlaßte, daß der Soldat M. zu der Fahrt als solcher bestellt wurde. Unter der Führung des M. fuhren nun H. und B. nach Straßburg. W. begleitete sie. B. stieg zuerst aus, nachdem er sich mit W. geeinigt hatte, daß der Wagen bei der Firma K., der Inhaberin einer Kraftwagenwerkstätte, eingestellt werde.

Während H. und W. weiter fuhren, ereignete sich ein Unfall an der Salamanderecke, wodurch der Wagen beschädigt wurde. Der Wagen wurde zu K. gebracht, um ausgebessert zu werden, und einer der Firmeninhaber erklärte dem B. auf Vorzeigen der militärischen Ausweise, die Arbeit werde auf Kosten der Militärverwaltung ausgeführt werden.

Einige Zeit später, am 25. August 1914, wurde der Wagen, um auflackiert zu werden, aus der K. Werkstätte von Angestellten des Geschäfts zu einem Lackierer gefahren. Auf dem Wege dahin ist der Kläger durch den Wagen verletzt worden.

In seinen weiteren Ausführungen prüft das Berufungsgericht nicht, ob bei der Beklagten die Merkmale des Halterbegriffs vorhanden waren, sondern es untersucht, ob eine der anderen Personen, die den Kraftwagen benutzt haben, als Halter in Betracht komme, und verneint dies, um zu dem Schlusse zu gelangen, es bestehe mithin keine andre Möglichkeit, als daß die Beklagte als Halterin anzusprechen sei. Der Revision ist zuzugeben, daß das Berufungsgericht damit einen wohl nicht geeigneten Weg eingeschlagen hat. Im Ergebnis ist ihm jedoch beizutreten.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist Halter eines Kraftfahrzeugs derjenige, der es für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt darüber besitzt, die dieser Gebrauch voraussetzt (RGZ. Bd. 87 S. 137 u. Zit.). Das Eigentum an dem Fahrzeug ist sonach, worin die Revision Recht hat, für den Begriff des Halters nicht entscheidend. Es ist aber von wesentlicher Bedeutung, weil das Eigentum in der Regel das Recht gibt, eine Sache zu gebrauchen und über sie zu verfügen. Das österreichische Gesetz vom 9. August 1908 (abgedruckt bei Isaac, Automobilgesetz S. 665) hat den Eigentümer des Kraftfahrzeugs sogar grundsätzlich für haftpflichtig erklärt und nur bestimmte, allerdings bedeutsame Ausnahmen zugelassen.

Eine Person hat ein Fahrzeug für ihre Rechnung im Gebrauch, wenn sie die Nutzungen daraus zieht und die Kosten dafür bestreitet.

Nach dem festgestellten Tatbestände hatte die Beklagte den Kraftwagen der Militärverwaltung unentgeltlich zum Nachrichtendienst überlassen, also keine unmittelbare Vergütung dafür erhalten. Ohne weiteres ist indes anzunehmen, daß ihr eine solche an sich zukam, daß sie aber - aus welchen Gründen immer - darauf verzichtet hat. Soweit ferner der Kraftwagen dem Nachrichtendienste nicht diente, war jedenfalls die Beklagte zu seiner Benutzung berechtigt.

Auslagen für den Führer, für Betriebstoffe und Ersatzteile hat die Beklagte nicht gehabt. Nach Kriegsausbruch hatte sie den Führer entlassen; Betriebstoffe und Ersatzteile waren beschlagnahmt. Die Versicherung will sie aufgegeben haben. Die von ihr vorgelegte Police, die nicht mehr erneuert worden sein soll, lief noch bis 15. März 1915; sie betrifft auch nur die Versicherung gegen die Beschädigung des Wagens, nicht gegen die Haftpflicht. Wer die Ausbesserung des Wagens nach dem Unfall an der Salamanderecke zu bezahlen hatte, steht dahin. Die Militärverwaltung hat die Verpflichtung dazu abgelehnt. Immerhin hat damals die Beklagte den erheblichsten Teil der Ausgaben für den Betrieb des Kraftwagens nicht bestritten. Anderseits verwahrte sie den Wagen in ihrer Wagenhalle und trug die dadurch entstehenden Kosten. Sie war ferner mit den Zinsen für den Anschaffungspreis und der erforderlichen hohen Abschreibung für die Abnutzung des Wagens beschwert. Sonach ging der Gebrauch des Wagens, wenn auch nicht allein, so doch mit zu ihren Lasten.

Die Beklagte war weiter nach dem was vorliegt diejenige, der bei der Fahrt nach Straßburg die Verfügung über den Wagen zustand. Sie war die Eigentümerin und hatte ihn in Gewahrsam. Ihr als bei Eigentümerin fiel der Beweis zu. daß sie die Verfügungsmacht aufgegeben hatte. Sie hat nicht behauptet, daß sie dem B. oder der Militärverwaltung ein vertragliches Recht auf die Benutzung des Wagens dergestalt eingeräumt habe, daß B. oder die Militärverwaltung auch nach jeweiliger Erledigung der Geschäfte des Nachrichtendienstes und nach Rückkehr des Wagens in den Gewahrsam der Beklagten die Herrschaft über den Wagen behalten und die Beklagte ihren eigenen Wagen in ihrer Halle für die Militärverwaltung verwahrt hätte. Die Benutzung war vielmehr, soviel erhellt, der Militärverwaltung auf Ruf und Widerruf gewährt, und die Beklagte hat, wenn das Geschäft des B. zu Ende und der Wagen ihr zurückgegeben war, die Verfügung darüber wieder erlangt. Ein gewichtiges Kennzeichen hierfür ist, daß B. die Erlaubnis des Direktors W. zur Benutzung des Wagens durch H. einholte und daß die Einstellung bei K. auf Grund einer Absprache des B. mit W. erfolgte. W. hätte die Erlaubnis verweigern oder die Einstellung an anderm Orte anordnen können.

Wer als Halter anzusehen wäre, wenn es sich um eine Fahrt im militärischen Nachrichtendienste gehandelt hätte, braucht nicht erörtert zu werden; denn dieser Fall ist nicht gegeben. Die Fahrt wurde zu privaten Zwecken des H., wenn auch einer Heereslieferung halber, ausgeführt. Nach den voranstehenden Darlegungen war die Beklagte auf dieser Fahrt die Halterin des Wagens. Hieran würde wohl auch kein Zweifel entstanden sein, wenn der Unfall an der Salamanderecke die Frage der Haftpflicht aufgeworfen hätte.

Der Wagen wurde nun wegen der Beschädigung, die er bei diesem Unfall erlitten hat, in die Werkstätte der Firma K. verbracht, um ausgebessert zu werden. Dadurch ist die Haltereigenschaft der Beklagten nicht aufgehoben worden und nicht auf die Firma K. übergegangen (RGZ. Bd. 79 S. 312). Soweit der Werkstätteninhaber als solcher, d. h. zum Zwecke der Wiederherstellung und Erprobung, das Fahrzeug in Gebrauch nimmt, geschieht es nicht auf eigene Rechnung, wenn er auch einstweilen die Betriebskosten auslegt, sondern in Wirklichkeit auf Rechnung des Bestellers, wie auch der bisherige Halter die Verfügung über das Fahrzeug, vorbehaltlich etwaiger Befugnisse des Wertstätteninhabers aus dem Werkvertrage, nicht verliert. Diese für den Regelfall geltende rechtliche Beurteilung mag nach der besonderen Gestaltung eines Einzelfalls eine Änderung erleiden. Hier liegt dafür nichts vor. Danach ist die Beklagte auf der Fahrt zu dem Lackierer, bei der der Kläger verletzt wurde, Halterin des Wagens geblieben." ...