RG, 09.11.1917 - VII 257/17

Daten
Fall: 
Anwaltszwang
Fundstellen: 
RGZ 91, 113
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.11.1917
Aktenzeichen: 
VII 257/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Konstanz
  • OLG Karlsruhe

Unterliegt das Gesuch um öffentliche Zustellung eines Arrestbefehls in landgerichtlichen Verfahren dem Anwaltszwange?

Gründe

Die Frage wurde verneint aus folgenden Gründen:

"Die Parteien streiten darüber, welche von ihnen aus der zur Deckung ihrer beiderseitigen Forderungen nicht ausreichenden Verteilungsmasse vor der anderen zu befriedigen ist. Beide haben die Waren, deren Erlös die Verteilungsmasse bildet, auf Grund von Arrestbefehlen pfänden lassen, die dem Schuldner wegen Unbekanntheit seines Aufenthaltsorts öffentlich zuzustellen waren. Die Arrestpfändung der Beklagten ist unstreitig die zeitlich frühere. Die Klägerin will sie gleichwohl nicht als ihrer Pfändung vorgehend anerkennen. Sie erachtet vielmehr die Pfändung der Beklagten für unwirksam, weil das Gesuch um Bewilligung der öffentlichen Zustellung des Arrestbefehls an den Schuldner beim Landgerichte K. für die Beklagte von einem bei diesem Landgerichte nicht zugelassenen Rechtsanwälte gestellt worden ist.

Die Vorinstanzen haben die mit dieser Begründung gegen den Verteilungsplan erhobene Widerspruchsklage abgewiesen. Das Berufungsgericht faßt das Ergebnis seiner Prüfung dahin zusammen, daß die für die Erwirkung des Arrestbefehls geltende Befreiung vom Anwaltszwang auch für die die Zustellung bezweckenden Nebenhandlungen gelten müsse. Das Landgericht K. habe danach die Bestimmungen über den Anwaltszwang nicht verletzt, indem es die öffentliche Zustellung des Arrestbefehls auf ein für die Beklagte von einem nicht zugelassenen Anwalte gestelltes Gesuch bewilligt habe. Es brauche deshalb nicht darauf eingegangen zu werden, ob nicht eine vom Gerichtsschreiber ordnungsmäßig bewirkte öffentliche Zustellung selbst dann noch ihre volle Wirksamkeit äußere, wenn der die Zustellung bewilligende Beschluß des Gerichts zu Unrecht ergangen sei.

Den von der Revision hiergegen erhobenen Angriffen, welche Verletzung der §§ 78, 204 ZPO. rügen, war der Erfolg zu versagen.

Nach. § 78 Abs. 2 findet der Anwaltszwang auf Prozeßhandlungen keine Anwendung, die vor dem Gerichtsschreiber vorgenommen werden können. Das Gesuch um Anordnung des Arrestes kann nach § 920 Abs. 3 vor dem Gerichtsschreiber zu Protokoll erklärt werden. Der Arrestantrag ist hiernach vom Anwaltszwange befreit und kann deshalb auch von einem beim Arrestgerichte nicht zugelassenen Anwalte gestellt werden. Für das Gesuch um öffentliche Zustellung (§ 204) bestimmt die Zivilprozeßordnung keine Freiheit vom Anwaltszwange. Daraus soll sich nach der von der Revision aufrecht erhaltenen Rechtsauffassung der Klägerin ergeben, daß der beim Arrestgerichte nicht zugelassene Rechtsanwalt Dr. M. zwar für die Beklagte den Arrestantrag habe stellen können, daß dagegen die öffentliche Zustellung des auf seinen Antrag erlassenen Arrestbefehls nur auf das Gesuch eines beim Arrestgerichte zugelassenen Anwalts habe bewilligt werden dürfen. Diesen Ausführungen ist auch bei voller Anerkennung des Formalcharakters der Vorschriften der Zivilprozeßordnung nicht beizutreten. Es führt zu einem widersinnigen und deshalb als Wille des Gesetzes abzulehnenden Ergebnis, daß, obgleich der Arrestantrag vom Anwaltszwange befreit ist, das Gesuch um öffentliche Zustellung des auf diesen Antrag erlassenen Arrestbefehls dem Anwaltszwang unterliegen soll. Der Arrestantrag ist die das Arrestverfahren einleitende Prozeßhandlung, in ihm sind Anspruch und Arrestgrund darzulegen. Die Freiheit vom Anwaltszwangs, die diesem hiernach für das Verfahren wichtigen Antrage vom Gesetz eingeräumt ist, darf nicht auf die Beantragung des Arrestes selbst beschränkt werden, vielmehr ist die Bestimmung des § 920 Abs. 3 dahin auszulegen, daß nach ihr der Anwaltszwang auch weiter nicht gilt für die vom Antragsteller ebenfalls einseitig zu beantragende Nebenhandlungen, die erforderlich sind, um dem Hauptantrage Wirksamkeit zu geben. Auch sie fallen mit unter den Begriff der befreiten Prozeßhandlung, solange nur über das vom Antragsteller einseitig Vorgebrachte vom Gerichte zu befinden ist. Solche mit dem Arrestantrage selbst im engsten Zusammenhange stehenden Nebenanträge sind hinsichtlich der Form von ihm nicht zu trennen. Zu den Nebenanträgen, die dem Hauptantrage dienen, gehört auch das Gesuch, bei der Unbekanntheit des Aufenthaltsorts des Schuldners die öffentliche Zustellung des Arrestbefehls zu bewilligen. Es kann mit dem Arrestantrage zu Protokoll des Gerichtsschreibers gestellt werden; deshalb kann auch ein beim Arrestgerichte nicht zugelassener Anwalt das Gesuch wirksam einreichen. Die Besorgnis, diese Auslegung könne zur Ausschaltung des Anwaltszwanges für den ganzen Arrestprozeß führen, ist nicht berechtigt. Es handelt sich, wie schon hervorgehoben ist, bei der Freiheit vom Anwaltszwange nur um einseitige Anträge des Antragstellers. Sobald das Verfahren dahin vorschreitet, daß die Gegenpartei zum Worte kommt und über mehr als einseitiges Vorbringen zu entscheiden ist, beginnt im landgerichtlichen Verfahren der Anwaltsprozeß. Das bezeichnet das Berufungsgericht zutreffend als selbstverständlich.

Schon aus diesen Erwägungen wird das hier gestellte Klageverlangen hinfällig. Der Berechtigung der Widerspruchsklage steht aber auch noch ein weiterer Grund entgegen. Daß die öffentliche Zustellung des von der Beklagten erwirkten Arrestbefehls an sich ordnungsmäßig erfolgt ist, wird nicht in Zweifel gezogen. Gefehlt soll sein durch das Arrestgericht, weil es diese Zustellung auf den Antrag eines bei ihm nicht zugelassenen Anwalts bewilligt habe. Es wird damit ein formaler Mangel des bei dem Landgerichte K. eingereichten Gesuchs gerügt. Selbst wenn nun das Vorliegen dieses formalen Mangels des Gesuchs anzuerkennen wäre, stände es doch der an dem Arrestverfahren, welches die Beklagte eingeleitet hat, nicht beteiligten Klägerin nicht zu, die Gültigkeit des die öffentliche Zustellung bewilligenden Gerichtsbeschlusses in Frage zu ziehen. Bei dem Streite zweier Gläubiger über ihr Vorrecht auf eine Verteilungsmasse kann zwar geltend gemacht werden, daß mangels ordnungsmäßiger Zustellung die von einem Teil ausgebrachte Pfändung ihm Rechte nicht verliehen habe. Der die öffentliche Zustellung anordnende Beschluß ist aber kein Teil der Zustellung selbst, sondern eine die Zustellung durch den Gerichtsschreiber vorbereitende richterliche Handlung. Ein solcher Beschluß ist schon für die Beteiligten nur im Rechtsmittelzug anfechtbar; vgl. RGZ. Bd. 58 S. 259, Bd. 61 S. 363. Noch weniger kann seine Rechtmäßigkeit von einem nicht beteiligten Dritten, wie es hier die Klägerin ist, in Zweifel gezogen werden. Die Klägerin muß den Beschluß, wie er ergangen ist, hinnehmen. Sie ist nicht befugt, in dem jetzigen Verfahren die Nachprüfung zu verlangen, ob die beantragte öffentliche Zustellung bewilligt werden durfte oder ob das Gesuch, weil von einem beim Arrestgerichte nicht zugelassenen Anwalte gestellt, abgelehnt werden mußte. Der formale Mangel des Antrags würde, auch wenn er vorhanden gewesen wäre, durch den einen solchen Mangel nicht anerkennenden Gerichtsbeschluß der Klägerin gegenüber geheilt sein."