RG, 08.11.1917 - IV 253/17

Daten
Fall: 
Beerbung von Ausländern
Fundstellen: 
RGZ 91, 139
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.11.1917
Aktenzeichen: 
IV 253/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Cöln
  • OLG Cöln

Nach welchem Rechte werden Ausländer beerbt, die zur Zeit ihres Todes ihren Wohnsitz im Auslande hatten?

Tatbestand

Am 9. November 1908 starb zu St. Petersburg, wo er seinen Wohnsitz hatte, A. F. G. R. ohne Hinterlassung eines Testaments. Er war verheiratet, hatte aber keine Kinder. Als seine Erben bezeichnete das Petersburger Bezirksgericht die Witwe und zwei Neffen, nämlich E. R. und O. R. Die Klägerinnen sind Schwestern von O. R. Sie machten geltend, daß sie Miterben seien, und trugen vor, der Erblasser sei belgischer Staatsangehöriger gewesen und darum nach belgischem Rechte beerbt worden; nach belgischem Rechte aber seien sie neben der Witwe und den Neffen des Erblassers Erben geworden. O. R. habe das auch anerkannt; nach seinem Tode habe sich aber die Beklagte, seine alleinige Erbin, auf einen anderen Standpunkt gestellt. Die Klägerinnen beantragten deshalb, es möge festgestellt werden, daß sie an dem Nachlaß als Miterben beteiligt seien. Das Landgericht entsprach diesem Antrag, indem es von der Maßgeblichkeit des belgischen Rechtes ausging. Dagegen wies das Oberlandesgericht die Klage ab. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils.

Gründe

"Das Oberlandesgericht hält zwar für erwiesen, daß der Erblasser als belgischer Staatsangehöriger gestorben sei; es erkennt auch an, daß, wenn er infolgedessen nach belgischem Rechte beerbt worden wäre, das Miterbrecht der Klägerinnen nicht zweifelhaft sein könne. Es erklärt aber russisches Recht für maßgebend und stellt fest, daß nach russischem Rechte, wie es zur Zeit des Erbfalls galt, bei der gesetzlichen Erbfolge in der Seitenlinie Brüder die Schwestern und Neffen die Nichten des Erblassers ausschlössen. Ein gesetzliches Miterbrecht der Klägerinnen erachtet es darum nicht für gegeben.

Dieser Teil der Urteilsbegründung beruht in einem wesentlichen Punkte auf Rechtsirrtum.

Die Frage, welches Erbrecht im Streitfall anwendbar sei, bestimmt sich in erster Linie nach inländischem Rechte, also nach deutschem Rechte und den in Deutschland anerkannten Grundsätzen des internationalen Privatrechts. Richtig ist auch, daß das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche, das nur Vorschriften über die Beeidung eines Deutschen und über die Beerbung eines im Inlande verstorbenen Ausländers gibt (Art. 24 bis 28), die Frage, nach welchem Rechte ein im Auslande verstorbener Ausländer beerbt wird, nicht unmittelbar beantwortet. Unrichtig aber ist die Ansicht des Oberlandesgerichts, daß eine entsprechende Anwendung der im Einführungsgesetz über die Beerbung eines im Inlande verstorbenen Ausländers enthaltenen Sätze höchstens in solchen Fällen denkbar sei, wo der Erblasser nur im Lande befindliche Sachen hinterlassen habe, während sich im gegebenen Falle die gesamte Hinterlassenschaft, die bewegliche sowohl wie die unbewegliche, in Rußland befinde, dort der Erblasser auch verstorben sei und sich überdies bereits ein russisches Gericht mit der Prüfung und Festsetzung der Erbfolge unter Erlaß eines Urteils befaßt habe, und daß dies dazu zwinge, die Frage, welches Erbrecht hier anzuwenden sei, nach russischem Rechte zu entscheiden.

Bei der eigenartigen Entstehungsgeschichte der dem Einführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche schließlich einverleibten Sätze des internationalen Privatrechts ist es verständlich, daß über die Art, wie die Lücken auszufüllen sind, die das Einführungsgesetz bewußt gelassen hat, die Ansichten sehr auseinander gehen. Indessen darüber herrscht jetzt ziemlich allgemeines Einverständnis, daß da, wo das Einführungsgesetz seine vollständige Lücke zeigt sondern, wenn auch keine vollkommenen, so doch unvollkommene Kollisionsnormen aufstellt, namentlich wo es, wie auf dem Gebiete des Erbrechts, an die Staatsangehörigkeit anknüpft und nach ihr das sog. Personalstatut bestimmt, die Staatsangehörigkeit auch außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereichs der Vorschriften des Einführungsgesetzes als der von diesem gewollte Ausgangspunkt für die Bestimmung der zuständigen Rechtsordnung zu nehmen ist. Davon ist auch bereits das Reichsgericht in verschiedenen Fällen (vgl. z. B. RGZ. Bd. 62 S. 400 betr. Art. 14, Warneyer 1911 Nr. 126 und 1913 Nr. 53 betr. Art. 19) ausgegangen. Und was insbesondere die Beerbung von Ausländern betrifft, so hat auch der I. Zivilsenat des Kammergerichts in dem auf weitere Beschwerde ergangenen Beschlusse Jahrb. des Kammergerichts Bd. 42 S. 141 ausgesprochen, das im Art. 25 EG. anerkannte Staatsangehörigkeitsrecht greife nicht bloß bei inländischem Wohnsitze des ausländischen Erblassers, sondern auch und noch viel mehr dann Platz, wenn der ausländische und im Auslande wohnhaft gewesene Erblasser nur im Inlande befindliche Gegenstände hinterlassen habe. Diesen Ausspruch mißversteht das Oberlandesgericht, wenn es ihn dahin auslegt, daß die entsprechende Anwendung des Art. 25 Satz 1 auf Ausländer mit ausländischem Wohnsitze das Vorhandensein von Vermögen im Inlande zur notwendigen Voraussetzung habe, eine Voraussetzung, die in dem vom Kammergericht entschiedenen Falle ersichtlich gar nicht zutraf. Auch der Umstand, daß sich im Streitfälle das gesamte Vermögen des Erblassers in Rußland befand, könnte, wenn der Erblasser belgischer Staatsuntertan war, an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des belgischen Rechtes auf seine Beerbung ebensowenig etwas ändern wie die Tatsache, daß sich nach seinem Tode ein russisches Gericht mit der Prüfung und Festsetzung der Erbfolge unter Erlaß eines Urteils (einer Art Erbschein) befaßt hat. Muß hiernach mit Rücksicht auf die festgestellte Staatsangehörigkeit des Erblassers grundsätzlich vom belgischen Rechte ausgegangen werden, so ist doch das belgische Recht so anzuwenden, wie es der belgische Richter zur Anwendung gebracht haben würde, d. h. nicht nur in seinen Sachnormen, sondern regelmäßig auch in seinen Kollisionsnormen. Auch das entspricht der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. außer den angeführten Entscheidungen noch RGZ. Bd. 78 S. 236). In bezug auf das unbewegliche Vermögen eines Belgiers läßt nun, wie das Oberlandesgericht feststellt, das belgisch-französische Recht (ebenso wie z. B. das österreichische, vgl. RGZ. Bd. 63 S. 356) das Recht, insbesondere das Erbrecht des Ortes gelten, wo sich die Grundstücke befinden, das Recht der belegenen Sache. Da zudem auch das russische Recht, wie das Oberlandesgericht gleichfalls feststellt, beides mit maßgeblicher Bedeutung für das Revisionsgericht (§ 562 ZPO.), in bezug auf den Grundbesitz, den Ausländer in Rußland haben, unbedingt seine eigenen Vorschriften für maßgebend erklärt, so besteht insoweit nicht einmal ein Gegensatz zwischen dem belgischen und dem russischen Rechte, vielmehr ist, soweit es sich um die Erbfolge in das unbewegliche Vermögen des Erblassers handelt, die Annahme des Oberlandesgerichts, daß russisches Recht anzuwenden sei, im Ergebnis unter allen Umständen zutreffend. Was dagegen das bewegliche Vermögen des Erblassers betrifft, das den Hauptbestandteil der Erbschaft ausmacht, so hätte das Oberlandesgericht vom Standpunkte der grundsätzlichen Maßgeblichkeit des belgischen Rechtes, den es nach der hier vertretenen Ansicht einzunehmen hatte, in eine Prüfung der Frage eintreten müssen, welche Bestimmungen dieses Recht, das belgische, über die Erbfolge in das bewegliche Vermögen von Belgiern trifft, die mit ausländischem Wohnsitz im Auslande sterben. Insbesondere hätte untersucht werden müssen, ob das belgisch-französische Recht insoweit das Recht des letzten Wohnsitzes oder, wie entsprechend der immer mehr zunehmenden Bedeutung der Staatsangehörigkeit im internationalen Rechte namentlich in neuerer Zeit vielfach angenommen wird, das Heimatrecht des Erblassers ( la roi nationale) entscheiden läßt. Einer Entscheidung der Frage hätte es nicht bedurft, wenn sie in einem zwischen Belgien und Rußland geschlossenen Staatsvertrage geregelt wäre. Das ist jedoch nach der Feststellung des Oberlandesgerichts nicht der Fall, da danach eine Konvention der beiden Staaten zwar besteht, die streitige Frage aber darin nicht behandelt wird. In eine Prüfung der Streitfrage ist indessen das Oberlandesgericht nicht eingetreten; es hat sie vielmehr, von seinem Standpunkt aus mit Recht, ausdrücklich unerörtert gelassen. Sein Urteil unterliegt daher der Aufhebung." ...