RG, 06.11.1917 - II 201/17

Daten
Fall: 
Ablehnung einer Ersatzlieferung beim Gattungskauf
Fundstellen: 
RGZ 91, 110
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.11.1917
Aktenzeichen: 
II 201/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Cöln, Kammer für Handelssachen
  • OLG Cöln

Kann bei einem Gattungskaufe der Käufer die Annahme einer Ersatzlieferung ablehnen, wenn der Verkäufer sie ihm unverzüglich anbietet und er keinerlei Interesse daran hat, gerade die zurückgewiesene Sache zu erhalten?

Tatbestand

Laut Bestätigungsschreiben vom 25. März 1915 verkaufte die Klägerin der Beklagten 200 Hälften Geschirrleder, wie bemustert, zum Preise von 6,50 M für das Pfund, 5 bis 6 mm dick, 100 Hälften lieferbar in 4 Wochen, die übrigen 100 Stück in 6 bis 8 Wochen. In betreff der ersten 100 Hälften wurde der Abschluß durch Lieferung und Zahlung des Kaufpreises erledigt. Gegenüber der Klage auf Abnahme der übrigen Hälften und Zahlung des Restkaufpreises wandte die Beklagte ein, die Klägerin habe schon am 18. April 1915 eine Lieferung auf die zweite Hälfte des Abschlusses gemacht. Da diese aber wegen zu starten Gewichts mangelhaft und vertragswidrig gewesen sei, wie das bereits aus der Rechnung habe ersehen werden können, so habe die Beklagte die Sendung beanstandet und der Klägerin zur Verfügung gestellt. Der Abschluß sei dann durch Annahme ihres Wandelungsbegehrens seitens der Klägerin erloschen. Die Klägerin bestritt, daß das am 16. April 1915 übersandte Leder nicht von vertragsmäßiger Beschaffenheit gewesen sei, und behauptete, sie habe die Beanstandung der Beklagten sofort zurückgewiesen; nur aus Entgegenkommen habe sie sich bereit erklärt, das Leber zurückzunehmen und leichtere Häute zu liefern.

Beide Vorinstanzen gaben der Klage statt. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Das Berufungsgericht hat eine Vereinbarung der Parteien, daß die zu liefernden Häute ein gewisses Gewicht nicht überschreiten dürften, tatsächlich und ohne Rechtsirrtum als nicht bewiesen angesehen. Es hat deshalb erwogen, die Beklagte habe keinen rechtmäßigen Grund gehabt, die ihr unter dem 16. April 1915 fakturierte Lieferung zu beanstanden, die, abgesehen vom Gewicht, unstreitig von vertragsmäßiger Beschaffenheit war. Demzufolge habe sie die entgegenkommenderweise von der Klägerin bereits am 25. April 1915 angebotene, innerhalb der vertraglichen Frist abgesandte Ersatzlieferung nicht ablehnen dürfen, zumal sich diese Lieferung nach Inhalt der Rechnung vom 10. Mai 1915 innerhalb der ihr genehmen Gewichtsgrenze hielte. Daher erscheine sie im Sinne des Klagantrags zur Annahme der Ersatzlieferung und Zahlung des Abschlußpreises nebst den gesetzlichen Zinsen verpflichtet. Mit der Erklärung, sie könne nicht wissen und bestreite deshalb, daß die ihr jetzt angebotene Ware die vertraglichen Eigenschaften besitze, sei sie nicht zu hören. Falls sich bei der Abnahme der Lieferung ein Mangel ergeben sollte, bleibe es ihr unbenommen, eventuell im Zwangsvollstreckungsverfahren, die gesetzlichen Folgerungen daraus zu ziehen. In der Berufungsinstanz stehe ihr nur die substantiierte Einrede der Arglist zu, daß, wie sie zu beweisen hätte, die von der Klägerin angebotene Ware in bestimmten Richtungen fehlerhaft und nicht annehmbar sei.

Die Entscheidung wird zunächst mit der Begründung angegriffen, die Beklagte habe die ihr am 16. April fakturierte Lieferung als mangelhaft beanstandet, die Klägerin habe sie darauf zurückgenommen und anderweit darüber verfügt. Damit sei die Wandelung vollzogen gewesen und das Geschäft erledigt, ohne daß es darauf ankomme, ob die Mängelrüge berechtigt war und aus welchem Grunde sich ihr die Klägerin gefügt habe.

Die Rüge ist nicht gerechtfertigt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte keinen Anspruch auf Wandelung, da die gelieferte Ware von vertragsmäßiger Beschaffenheit war. Auch hat die Klägerin keineswegs die Beanstandung der Ware anerkannt und ihr Einverständnis mit der Wandelung erklärt, sondern sie hat die Ware bloß aus Entgegenkommen zurückgenommen und sich schon am 25. April 1915 erboten, anstatt der von der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesenen Lieferung eine der Anforderung entsprechende Ersatzware zu liefern, diese auch noch innerhalb der Vertragsfrist abgesandt. Unter den festgestellten Umständen kann von einer Vollziehung der Wandelung im Sinne der §§ 462, 465 BGB., d. h. einer Rückgängigmachung des Kaufes keine Rede sein, sondern nur eine Rückgängigmachung des Erfüllungsgeschäfts in Betracht kommen. In Frage steht ein Kauf einer nur der Gattung nach bestimmten Sache. Bei einem Gattungskaufe hat der Käufer auf ein bestimmtes Stück der Gattung kein vertragsmäßiges Recht. Wenn der Verkäufer zur Erfüllung des Vertrags eine Ware dem Käufer anbietet, der Käufer sie aber zurückweist, so ist der Verkäufer der Natur der Sache nach nicht gehindert, den Vertrag durch Lieferung einer anderen Sache zu erfüllen. Von vielen Autoritäten wurde deshalb als in der Natur der Sache liegend der Grundsatz vertreten, daß die Vorschriften über das Recht auf Wandelung oder Minderung im allgemeinen beim Genuskaufe keine Anwendung finden könnten, der Erwerber vielmehr nur das Recht wie die Pflicht habe, anderweitige genügende Leistung, eventuell sein Interesse zu verlangen oder anzunehmen. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit und mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Verkehrs hat sich das Bürgerliche Gesetzbuch nicht auf diesen Standpunkt gestellt, sondern auch dem Käufer einer Geltungssache neben dem Recht, an Stelle der mangelhaften Sache eine mangelfreie zu fordern, das Recht der Wandelung und Preisminderung eingeräumt (vgl. § 480).

Dagegen fehlt es an einer Vorschrift, welche dem Verkäufer ein entsprechendes Recht verleiht, an Stelle der zurückgewiesenen vertragswidrigen eine mangelfreie Sache zu liefern und deren Annahme zu fordern; vielmehr scheint der in § 243 Abs. 2 BGB. ausgesprochene Grundsatz der Konkretisierung des Schuldverhältnisses einem solchen Recht allgemein entgegenzustehen. Der § 243 Abs. 2 hat seine Hauptbedeutung für die Tragung der Gefahr. Der hierin aufgestellte Grundsatz darf aber nicht überspannt, sondern muß mit Rücksicht auf seine Zweckbestimmung begrenzt werden. Wie nun einerseits die Vorschriften über die Wandelung und Preisminderung durch ihre Anwendung auf den Gattungskauf aus Rücksichten der Zweckmäßigkeit und des Verkehrsbedürfnisses eine Erweiterung erfahren haben, so muß anderseits der Grundsatz der Konkretisierung aus den nämlichen Gründen der Natur der Sache und den §§ 157, 242 gemäß eine Einschränkung insofern erleiden, als der Käufer die Annahme einer Ersatzware dann nicht ablehnen darf, wenn sich der Verkäufer unverzüglich zur Lieferung einer Sache der geschuldeten Art erbietet und der Käufer keinerlei Interesse daran hat, gerade diejenige Ware zu bekommen, auf welche sich das Schuldverhältnis beschränkt hat. Diese Auffassung ist bereits in einem Urteile des erkennenden Senats vom 8. November 1904 Rep. II. 239/1904 vertreten und auch in der Rechtslehre herrschend. Hiernach kann die Entscheidung des Berufungsgerichts einem Bedenken um so weniger unterliegen, als die von der Klägerin gelieferte Ware von vornherein vertragsmäßig beschaffen war und die Klägerin, über ihre Verpflichtung hinausgehend, lediglich aus Entgegenkommen und ohne Zögern sich bereit erklärt hat, der Beklagten eine ihrem Wunsche entsprechende Ware zu liefern. Die Beklagte hat in den Vorinstanzen jedwede Annahme sowohl der ursprünglich gelieferten als auch einer Ersatzware abgelehnt und nur aufgestellt, sie sei, wenn überhaupt, so doch nur zur Annahme der ursprünglichen, am 16. April 1915 fakturierten Lieferung verpflichtet. Ihr Standpunkt steht daher mit den Grundsätzen von Treu und Glauben sowie mit der Verkehrssitte im Widerspruch. Die Rüge, das Berufungsgericht habe bezüglich der bestrittenen vertragsmäßigen Beschaffenheit der Ersatzlieferung die Beweislast verkannt, erledigt sich durch die Erwägung, daß auf Abnahme einer nur der Gattung nach bestimmten Ware und auf Zahlung des Preises nach deren Empfang geklagt ist und Einwendungen wegen etwaiger Mängel der Ware der Beklagten vorbehalten bleiben." ...