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RG, 06.11.1883 - II 319/83

Daten
Fall: 
Außerkontraktlichen Verschuldung
Fundstellen: 
RGZ 10, 288
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.11.1883
Aktenzeichen: 
II 319/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Mannheim
  • OLG Karlsruhe

Was gehört zum Begriffe der außerkontraktlichen Verschuldung? Läßt sich insbesondere eine solche Verschuldung annehmen, wenn eine Handlung in Frage steht, bei welcher der Handelnde von seiner Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit kein Bewußtsein hat, und den beschädigenden Erfolg nicht vorhersehen konnte?

Aus den Gründen

"Wie das Berufungsgericht als erwiesen festgestellt hat, ist der Kläger F. als Arbeiter in der Fabrik der beklagten Firma am 9. Februar 1880 durch den Einsturz eines großen Haufens übereinander gesetzter, mit Cement gefüllter Säcke schwer verletzt worden, sodaß er längere Zeit krank und ganz erwerbsunfähig war, auch jetzt nur teilweise erwerbsfähig ist.

Die Verurteilung der beklagten Firma zur Entschädigung des Klägers erfolgte weder aus §. 2 des Reichshaftpflichtgesetzes, noch aus L.R.S. 1382. 1383 wegen eigenen Verschuldens, sondern auf Grund des L.R.S.'s 1384, welcher den Prinzipal (Geschäftsgeber, commettant) verantwortlich erklärt für das Benehmen seiner Geschäftsträger (" du dommage causé par leurs préposés") in den ihnen anvertrauten Verrichtungen.

Von dem Berufungsgerichte wird nämlich weiter für bewiesen erklärt, daß der Einsturz des Haufens Säcke, welcher die körperliche Beschädigung des Klägers herbeiführte, seine Ursache habe in der fehlerhaften Lagerung der Säcke infolge der Unachtsamkeit der mit diesem Geschäfte von der Beklagten oder deren Vertretern betrauten Arbeiter.

Daß im Sinne des Art. 1384 unter den "Geschäftsträgern" ( préposés) auch gewöhnliche Arbeiter und der durch sie einem anderen Arbeiter verursachte Schaden verstanden werden darf, unterliegt nach Doktrin und Praxis keinem Bedenken, wie bereits das frühere Reichsoberhandelsgericht dargelegt hat.1

Die Haftbarkeit des Prinzipals für seine Arbeiter setzt ihrer Natur nach voraus, daß eine Handlung oder Unterlassung in Frage steht, für welche die Arbeiter selbst nach Maßgabe von L.R.S. 1382. 1383 verantwortlich sein können. Dementsprechend hat das Berufungsgericht ein Verschulden der betreffenden Arbeiter angenommen, aber gerade in dieser Beziehung lassen die Entscheidungsgründe eine rechtsirrtümliche Auffassung der Kulpa erkennen.

Wie das St.G.B. den Begriff Fahrlässigkeit nicht definiert hat, ist dies auch im Civilgesetzbuche nicht geschehen, indem der Satz 1383 als Grund der Schadensersatzpflicht "Nachlässigkeit oder Unverständigkeit" ( négligence, imprudence) benennt, was nur Umschreibungen der Kulpa sind. Indessen folgt doch jedenfalls daraus, daß nicht etwa (wie bisweilen in der Praxis angenommen wird) jeder nicht gewollte Erfolg einer Handlung oder Unterlassung, welcher einen anderen beschädigt, den Thäter kraft Satzes 1383 zum Schadensersatze verpflichtet; zu dem Kausalnexus zwischen Handlung und Beschädigung muß vielmehr hinzutreten, daß das Thun oder Lassen den Charakter einer Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit an sich trägt.

In der Nachlässigkeit liegt ein Mangel an der gehörigen Geistesspannung eines sorgfältigen Mannes.

Unverständigkeit oder Unvorsichtigkeit ( imprudence) drückt den Mangel der für den sorgfältigen Mann erforderlichen Überlegung aus.

Damit ist es nun unvereinbar, wenn das Berufungsgericht das Prinzip aufstellt, die Voraussehbarkeit des Unfalles gehöre ebensowenig, wie das Bewußtsein der Unachtsamkeit zu den Voraussetzungen der außerkontraktlichen Verschuldung.

Wenn jemand mit voller Sorgfalt und Überlegung sein Geschäft besorgt, und dabei das Bewußtsein eines unterlaufenen Versehens nicht hat und nicht haben kann, so darf ihm der nicht gewollte Erfolg nicht als Verschulden zugerechnet werden; denn die Zurechenbarkeit setzt voraus, daß der Betreffende das Geschäft besser, als geschehen, verrichten konnte, während die unbewußte Unachtsamkeit, von der das Berufungsgericht spricht, auf dem Gebiete des Zufalles liegen kann, da eine solche Unachtsamkeit keineswegs immer Folge von Nachlässigkeit oder Unverständigkeit ist, was doch zur Kulpa gehört.

Auch ist nicht zutreffend, wenn das Berufungsgericht den Mangel der Voraussehbarkeit des Erfolges bei der Kulpa des Satzes 1383 als unerheblich erklärt. Wie es im Strafrechte zweifellos ist, daß ein Erfolg, welcher auch für den sorgfältigen Mann nicht voraussehbar war, keine strafbare Fahrlässigkeit bildet, vgl. Entsch. d. R.G.'s in Strafs. Bd. 3 S. 308, Bd. 6 S. 146. 249, so muß das gleiche Prinzip auch für das Civilrecht gelten; denn der Erfolg, der selbst für den Sorgfältigen nicht vorauszusehen war, ist ein Zufall, für welchen nicht gehaftet wird. Dies drückt auch aus l. 31 Dig. ad leg. Aq. 9, 2, wo es heißt: "culpam autem esse, quod, cum a diligente providert potuerit, non esset provisum"

Für das badische Recht kommt noch hinzu, daß der Zusatz 1383 a, hinsichtlich des Umfanges der Entschädigungspflicht aus Satz 1383 auf Satz 1150 verweist, welcher bestimmt, daß nur derjenige Verlust oder entgangene Gewinn zu erstatten ist, welcher vorhergesehen wurde oder vorherzusehen war. Danach befreit der Mangel der Voraussehbarkeit von jeder Schadensersatzpflicht.

Da die Fassung der Entscheidungsgründe zeigt, daß das angefochtene Urteil auf der, wie oben dargelegt, rechtsirrtümlichen Auffassung des Wesens der Kulpa im Sinne von L.R.S. 1383 und der Voraussetzung einer Entschädigungspflicht nach L.R.S. 1383a. beruht, so war dasselbe aufzuheben."

  • 1. Vgl. Entsch. d. O.H.G.'s Bd. 11 Nr. 33 S. 89.