RG, 05.11.1917 - VI 232/17
1. Rechtsschutzbedürfnis für die vorbeugende Unterlassungsklage, wenn die Handlung, deren Unterlassung begehrt wird, durch Strafgesetz verboten ist.
2. Inwiefern stellt die Behauptung, der Kläger sei der Vater eines von der Beklagten geborenen unehelichen Kindes, eine Verletzung seiner Ehre dar?
Tatbestand
Die Beklagte zu 1, die Tochter der Beklagten zu 2, gebar am 10. Juni 1916 ein uneheliches Kind. Die Beklagten stellten dem Rechtsanwalt Sch. in L.. sowie anderen Personen gegenüber die Behauptung auf, daß der Kläger der Erzeuger dieses Kindes sei. Der Kläger erhob Klage auf Unterlassung dieser Behauptung bei Vermeidung einer Geld- oder Haftstrafe. Das Landgericht erkannte auf einen richterlichen Eid für den Kläger dahin, daß er am 15. August 1915 nicht, wie die Beklagten behaupteten, mit der Beklagten zu 1 den Beischlaf ausgeübt habe. Dagegen wies das Oberlandesgericht die Klage unbedingt ab.
Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Das Landgericht ist auf die Feststellung der die Klage begründenden Tatsachen eingegangen, in denen es im Falle der Unwahrheit der Behauptung der Beklagten eine Verletzung des Schutzgesetzes des § 823 Abs. 2 BGB. in Verb. mit § 186 StGB, oder eine unerlaubte Handlung nach § 824 BGB. erblickt. Das Berufungsgericht erachtet, auch wenn die Behauptung der Beklagten sich als unwahr herausstellen möge, eine Klage auf Unterlassung für den Kläger nicht gegeben.
Es führt aus, die Klage mache geltend, es sei infolge der Ausstreuungen der Beklagten Ortsgespräch in L. geworden, daß der Kläger der Vater des unehelichen Kindes der Beklagten zu 1 sein solle. Wenn, wie in erster Linie behauptet werde, die Beklagten ihre Beschuldigung wider besseres Wissen ausstellten, liege der Tatbestand einer verleumderischen Beleidigung nach § 187 StGB., jedenfalls aber bei fahrlässiger Handlungsweise der der üblen Nachrede nach § 186 StGB. vor. Der Kläger könne danach die Beklagten im Wege der Privatklage zur Verantwortung ziehen und ihre Bestrafung herbeiführen. Ein zureichender Anhalt dafür, daß die Beklagten auch nach einer Bestrafung die Behauptungen fortgesetzt haben würden, sei nicht ersichtlich. Für die angestrengte vorbeugende Unterlassungsklage fehle es danach an einem Rechtsschutzbedürfnis. Es sei überflüssig, daß durch Zivilurteil eine Handlung nochmals unter Strafe gestellt werde, die durch Strafgesetz bereits verboten sei. Die Klage sei deshalb abzuweisen.
Die Revision rügt, daß nicht geprüft sei, ob nicht für den einzelnen Fall ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Das Berufungsgericht habe durch Ausübung des Fragerechts dem Kläger Gelegenheit geben müssen, sein Vorbringen nach dieser Richtung zu ergänzen. An der Bestrafung der Beklagten sei dem Kläger wenig gelegen. Sein Interesse bestehe darin, daß seine Stellung als Apotheker und sein Ruf durch die Behauptung der Beklagten schwer erschüttert werde. Ihm komme es wesentlich darauf an, festgestellt zu wissen, daß er nicht Vater des Kindes der Beklagten zu 1 sei. Auch hinsichtlich der Wiederholungsgefahr sei dir Ausübung des Fragerechts geboten gewesen.
Die Revision kann nicht durchgreifen.
Die gegenwärtige Klage ist, wie das Berufungsgericht zumessend annimmt, nicht die Schadensersatzklage auf Wiederherstellung eines früheren Zustande (§ 249 BGB.) in der Form der Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen; sie ist vielmehr die vorbeugende Unterlassungsklage, darauf gerichtet, neue schadenstiftende Handlungen zu verhüten. Die Unterlassung eines künftig als drohend gedachten Eingriffs in den Rechtskreis eines anderen bedeutet an sich nicht die Wiederherstellung eines Zustandes der Vergangenheit, sondern läßt einen künftigen nicht zur Entstehung kommen. Nur in den Fällen, wo nicht einzelne Handlungen, sondern fortdauernde Beeinträchtigungen in Frage stehen, kann die fernere Unterlassung die Beseitigung des eingetretenen Schadens bedeuten, wie die Aufhebung und fernere Unterlassung von Sperr- und Boykottmaßregeln, die Entfernung und Nichtwiederveröffentlichung von Plakaten (vgl. RGZ. Bd. 48 S. 114, Bd. 56 S. 271, Bd. 57 S.157, Bd. 60 S.12, 20, Bd. 88 S. 130, 183; Warneyer 1908 Nr. 376, 1913 Nr. 10). Davon ist im gegebenen Falle keine Rede. Die Klage auf Unterlassung fernerer Kundgabe der vom Kläger behaupteten wahrheitswidrigen Ausstreuungen der Beklagten ist lediglich vorbeugenden Charakters; sie will weitere Handlungen derselben Art verhüten.
Die vorbeugende Unterlassungsklage aber, die nicht den Charakter einer Schadenersatzklage auf Wiederherstellung, sondern einer Abwehr künftiger rechtswidriger Eingriffe in den Rechtskreis der Kläger hat, ist nach der feststehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht unbeschränkt zulässig. Sie ist im bestehenden bürgerlichen Rechte nicht allgemein vorgesehen und erfordert den Nachweis eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses. Dies insbesondere dann, wenn die Unterlassung von Handlungen begehrt wird, die bereits durch Strafgesetz einem jeden verboten sind. Es gibt keine zivilrechtliche Klage gegen den Ehebrecher auf Unterlassung weiterer Ehebruchshandlungen, gegen den Dieb auf Unterlassung weiterer Diebstähle, auch nicht gegen den Beleidiger auf Unterlassung weiterer Beleidigungen (vgl. RGZ, Bd. 77 S. 217, Bd. 82 S. 59, Bd. 88 S. 130).
Ein dringendes und besonderes Rechtsschutzbedürfnis ist aber hier vom Kläger nicht dargetan, da sich dieser begnügt hat, die Behauptung der Äußerungen der Beklagten vorzutragen und darauf das Unterlassungsverlangen zu stützen. Die Revision verkennt das auch nicht; sie wirft dem Berufungsgerichte nur vor, daß es nicht geprüft habe, ob nicht ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis bestehe, und daß es unterlassen habe, durch Ausübung des Fragerechts den Kläger auf die Notwendigkeit einer Begründung seiner Klage nach dieser Richtung hinzuweisen. Allein das Fragerecht des § 139 ZPO. hat nicht den Zweck, dem Kläger für eine erhobene Klage erst die notwendige Begründung an die Hand zu geben. Es ist dazu bestimmt, Unklarheiten zu beseitigen, Ergänzungen in den Angaben herbeizuführen, nicht aber einer Klage erst den Boden zu bereiten, auf dem sie Aussicht auf Erfolg haben kann.
Für den vorliegenden Fall kommt außerdem noch in Betracht, daß die von den Beklagten nach dem Vortrage des Klägers verbreitete Behauptung, er sei der Vater eines von der Beklagten zu 1 geborenen unehelichen Kindes, seine Ehre oder seinen Ruf nur insofern verletzen und deshalb die Grundlage einer Rechtsverfolgung nach §§ 186, 167 StGB, in Verb. mit § 823 Abs. 2 BGB. oder nach § 824 BGB. nur insofern bilden kann, als sie zugleich die Behauptung eines unsittlichen Verkehrs mit der Beklagten zu 1 einschließt. Dem Kläger ist es aber, wie die Begründung der Klage und wie auch die Ausführung der Revision dartut, nicht darum zu tun, eine Behauptung der Beklagten in der letzteren Richtung aus der Welt zu schaffen; er will vielmehr festgestellt wissen, daß er nicht der Vater eines unehelichen Kindes der Beklagten zu 1 sei. Für eine solche Feststellung ist die Klage auf Unterlassung der weiteren Behauptung dieser Vaterschaft keinesfalls ein gegebener Weg." ...