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RG, 30.10.1917 - II 241/17

Daten
Fall: 
Deckungskauf
Fundstellen: 
RGZ 91, 99
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
30.10.1917
Aktenzeichen: 
II 241/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Cottbus
  • KG Berlin

1. Darf der Käufer seiner Schadensersatzforderung einen Deckungskauf zugrunde legen, den er erst geraume Zeit, nachdem sein Anspruch auf Erfüllung durch Unmöglichkeit der Lieferung untergegangen war, zu inzwischen gestiegenem Preise vorgenommen hat?
2. Unterschied zwischen abstrakter und konkreter Schadensberechnung.

Tatbestand

Laut Bestätigungsschreiben vom 4. Februar 1915 verkaufte die Beklagte an die Klägerin 50 Barrels Tran zum Preise von 70,50 M für 100 kg unverzollt ab Lager Hamburg; "Lieferung prompt auf Grund einer uns Ihrerseits (also seitens der Klägerin) einzusendenden Ausfuhrbewilligung." Die Klägerin erhielt die Ausfuhrbewilligung, die sie nachzusuchen hatte, erst am 4. April 1915. Vorher schon, mit Brief vom 4. März 1915, hatte ihr die Beklagte mitgeteilt, da die Ausfuhrbewilligung noch nicht eingetroffen sei, habe sie die 50 Barrels anderweit verkauft und sehe den Kauf als annulliert an. Die Klägerin antwortete am 8. März 1915 telegraphisch und brieflich, sie könne die Stornierung des Kaufes nicht annehmen und werde die Ausfuhrbewilligung der Beklagten "morgen" zugehen lassen. Am 10. März 1915 telegraphierte die Beklagte, sie wolle die Partie entgegenkommend bis zum 12. März 1915 reservieren und sie dann verkaufen, wenn bis dahin die Ausfuhrbewilligung nicht vorliege. Die Klägerin erwiderte am 12. März 1915, sie bestehe unbedingt auf Lieferung des gekauften Tranes und erwarte täglich die Ausfuhrbewilligung. Nachdem die Beklagte noch geschrieben hatte, daß sie nicht länger warten könne, telegraphierte sie am 19. März 1915:

"Kauf gestrichen, Ware anderweitig vergeben. Lieferungsverlangen zwecklos, da keine Vorräte."

Auf die Klage, mit der die Klägerin Erfüllung des Vertrags begehrte, wurde die Beklagte vom Landgerichte verurteilt, Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises die 50 Barrels Tran zu liefern. In der Berufungsinstanz erklärte die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. April 1916, sie lasse ihren Anspruch auf Lieferung fallen und verlange statt dessen Schadensersatz wegen Nichterfüllung, gegründet auf die bestimmte Erfüllungsverweigerung der Beklagten. Sie behauptete, sie habe sich den Tran durch Deckungskäufe vom 15. und 17. November 1915 anderweit mit Unkosten beschafft, die den Vertragspreis um 24.686 M überstiegen.

Das Kammergericht verurteilte die Beklagte unter Abweisung der Mehrforderung zur Zahlung von 18.866 M nebst 5 %, Zinsen seit 16. April 1916. Ihre Revision wurde zurückgewiesen.

Gründe

"Der von der Beklagten am 19. März 1915 endgültig erklärte Rücktritt von dem Kaufvertrage der Parteien wird vom Berufungsgericht ohne Gesetzesverletzung für nicht gerechtfertigt erachtet. ...

Mit dem Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordert die Klägerin lediglich Ersatz des ihr durch die ungerechtfertigte Nichterfüllung verursachten positiven Verlustes, bestehend in dem Unterschiebe zwischen dem Preise, den sie infolge der von ihr am 15. und 17. November 1915 vorgenommenen Deckungskäufe hat zahlen müssen, und dem Vertragspreise. Das Berufungsgericht hält diesen Anspruch für begründet. Mit Unrecht macht die Revision geltend, daß die Deckungskäufe im November 1915 der Schadensberechnung nicht hatten zugrunde gelegt werden dürfen.

Der Umstand, daß die Beklagte die Erfüllung schon am 19. März 1915 endgültig verweigert hatte, machte eine Eindeckung der Klägerin vor dem 15. November 1915 nicht erforderlich. Wohl war die Klägerin infolge der Leistungsverweigerung berechtigt, statt ihres mit Erteilung der Ausfuhrbewilligung am 4. April 1915 fällig gewordenen Anspruchs auf Erfüllung, unter Aufgabe dieses Anspruchs, sofort Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu fordern. Und hätte sie dies getan, so würde sich die Frage erhoben haben, ob sie nicht den ihr durch die Deckungskäufe entstandenen Schaden gemäß § 254 Abs. 2 BGB. ganz oder teilweise deshalb tragen müßte, weil sie die frühere Vornahme des Deckungskaufs zu billigeren Preisen schuldhaft unterließ. Diese Frage scheidet aber aus, weil die Klägerin, wozu sie gleichfalls berechtigt war, auch nach der der Erfüllungsverweigerung folgenden Fälligkeit ihres Lieferungsanspruchs auf Erfüllung bestanden, im Mai 1915 Klage auf Erfüllung erhoben und noch am 5. November 1915 ein die Beklagte zur Lieferung verurteilendes Erkenntnis des Landgerichts erwirkt hat. Solange aber die Klägerin mit Recht Erfüllung forderte, konnte ihr die Vornahme eines Deckungskaufs nicht zugemutet werden. Wann sie ihren Anspruch auf Erfüllung aufgeben und statt dessen Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordern wollte, war ihrer freien Entschließung überlassen. Die Erfüllungsverweigerung der Beklagten vom 19. März 1915 war nicht geeignet, auch wenn der Preis der Ware erheblichen Schwankungen unterlag, die Klägerin zu nötigen, alsbald nach dem 19. März 1915 oder überhaupt vor dem 17. April 1916 sich zu entscheiden und der Beklagten zu erklären, ob sie ihren Anspruch auf Erfüllung aufgeben und sich auf den Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung beschränken wolle. Dies hat auch das Berufungsgericht angenommen unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats in RGZ. Bd. 83 S. 176 flg.; die dort gedachten Ausführungen treffen auch auf den vorliegenden Fall, wo der vertragstreue Teil der Käufer ist, zu.

Die Erfüllungsverweigerung der Beklagten vom 19. März war also nicht geeignet, ein Verschulden der Klägerin wegen unterlassener früherer Vornahme eines Deckungskaufs zu begründen.

Nun hatte aber die Beklagte behauptet, der Erfüllungsanspruch der Klägerin sei schon vor der Vornahme der Deckungskäufe dadurch, daß ihr die Erfüllung unmöglich wurde, untergegangen, und zwar bereits im Juni 1915, spätestens aber am 8. November 1915 durch die Beschlagnahme ihrer sämtlichen Tranvorräte. Dafür, daß die Unmöglichkeit im Juni 1915 eingetreten sei, hatte sie geltend gemacht, sie habe sich damals, nach Ablauf der Frist, die in der Bewilligung vom 4. April 1915 für die Ausfuhr gesetzt war, um eine neue Ausfuhrbewilligung für die der Klägerin verkaufte Menge Tran bemüht und einen ablehnenden Bescheid erhalten, der mit der Knappheit der Vorräte begründet worden sei.

Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, daß die den Behauptungen der Beklagten gemäß unterstellte Unmöglichkeit nach § 287 BGB. von ihr zu vertreten sei, weil sie sich infolge der am 4. April 1915 eingetretenen Fälligkeit der Lieferung und infolge des fortgesetzten Erfüllungsverlangens der Klägerin schon vor dem Juni 1919 in Verzug mit der Lieferung befand. Wenn demnach die im Juni oder am 8. November 1915 eingetretene Unmöglichkeit der Lieferung die Beklagte von ihrer vertraglichen Verpflichtung nicht befreite, so hatte sie doch die Wirkung, den bis dahin bestehenden Anspruch der Klägerin auf Erfüllung in einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vertrags umzuwandeln, wie dies bereits in dem Urteile des erkennenden Senats Rep. II. 30/17 (oben S. 30) ausgeführt worden ist. Daraus ergibt sich die dort gezogene Folgerung, daß ein abstrakter Schaden seitens des Käufers spätestens nach dem Tage des Eintritts der Unmöglichkeit berechnet werden darf. Hätte sich also die Klägerin nicht eingedeckt und nur den abstrakten Schaden, bestehend in dem Unterschiede zwischen dem Vertragspreis und dem höheren späteren Marktpreise gefordert, so hätte sie einen höheren Marktpreis als den vom Juni oder 8. November 1915 nicht zugrunde legen dürfen. Es beruht dies darauf, daß sie Erfüllung nur bis zum Eintritte der Unmöglichkeit beanspruchen und die spätere Lieferung der zu ihrem Marktpreise verkäuflichen Ware nicht mehr fordern konnte.

Die Klägerin, der an der Erlangung der Ware lag, weil sie den gekauften Tran zur Herrichtung von Leder dringend gebrauchte, hat sich aber tatsächlich eingedeckt. Sie hat Schaden erlitten, weil ihr Eindeckungspreis höher war wie der Vertragspreis, zu dem die Beklagte hatte liefern müssen. Dieser Schaden ist dadurch verursacht, daß die Beklagte vertragswidrig nicht geliefert hat. Die Klägerin kann daher den ihr durch den höheren Eindeckungspreis erwachsenen Verlust ersetzt verlangen, ohne Rücksicht darauf, ob sie bereits vor der Entdeckung ihren Anspruch auf Lieferung verloren hatte. Denn ihr Ersatzverlangen wird schon durch die vertragswidrige Nichtlieferung, die ursächlich zum Deckungskaufe führte, gerechtfertigt und bedarf zu seiner Begründung nicht eines bis zum Deckungskaufe fortbestehenden Anspruchs auf Lieferung. Die Klägerin begehrt nicht den Verkaufswert der Ware im November 1915 abzüglich des Einkaufspreises und damit den Gewinn, den sie im Falle der Lieferung in einem bestimmten Zeitpunkte mit der ihr dann zur Verfügung stehenden Ware gemacht haben würde, sondern Ersatz des Vermögensverlustes, der ihr durch die Tatsache der Nichtlieferung und die dadurch bedingte Eindeckung zu einem höheren als dem Vertragspreise verursacht ist.

Voraussetzung dieses Anspruchs ist nicht, daß der Anspruch auf Erfüllung zur Zeit der Eindeckung noch fortbestand, während bei dem entgangenen Gewinn im Fall abstrakter Berechnung nur der höhere Preis eines solchen Zeitpunktes in Frage kommen kann, in dem der Käufer, wenn der Verkäufer seiner Erfüllungspflicht nachgekommen wäre, die Ware zwecks Weiterveräußerung zur Verfügung gehabt hätte, in dem er also Erfüllung noch hätte beanspruchen können. War demnach der Deckungskauf trotz der Ereignisse vom Juni oder 8. November 1915 an sich zulässig und hatte deshalb das Berufungsgericht keinen Anlaß, die Beklagte durch Ausübung des Fragerechts zu dem Nachweise zu veranlassen, in welchem Zeitpunkte der Erfüllungsanspruch der Klägerin verloren ging, so bleibt nur noch die Frage übrig, ob diese den Deckungskauf wegen der angeblich früher bei der Beklagten eingetretenen Unmöglichkeit der Lieferung vor dem 15. November 1915 hätte vornehmen müssen.

Die Beklagte hat nach dieser Richtung in der Berufungsinstanz nur auf ihre Erfüllungsverweigerung verwiesen und daraus hergeleitet, daß eine Pflicht zur Eindeckung schon im März 1915 zu den damals noch erheblich niedrigeren Preisen bestanden habe. Die Unrichtigkeit dieser Ausführung ist bereits dargetan, da die Klägerin an ihrem damals noch bestehenden Anspruch auf Lieferung festhielt. Mangels weiterer Behauptungen der Beklagten brauchte das Berufungsgericht nicht zu prüfen, ob sich die Klägerin im Juni oder anfangs November 1915 zu billigeren Preisen hätte eindecken können und müssen. Dafür, daß sie den Deckungskauf wider Treu und Glauben bis zum 15. November 1915 hingezogen habe, lag kein Anhalt vor. Nach der Aussage des Zeugen P., die das Berufungsgericht seiner Beurteilung zugrunde legt, hat sie die Deckungskäufe alsbald betrieben, nachdem sie anfangs November 1915 erfahren hatte, daß in Deutschland die Beschlagnahme der Tranvorräte drohe, und nachdem ihr eigener Tranvorrat so weit zusammen geschrumpft war, daß sie sich die von der Beklagten nicht gelieferte Menge zur Deckung ihres Bedarfs beschaffen mußte." ...