RG, 25.10.1917 - VI 367/17

Daten
Fall: 
Wirksamwerden von Willenserklärungen
Fundstellen: 
RGZ 91, 60
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.10.1917
Aktenzeichen: 
VI 367/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Straßburg
  • OLG Colmar

1. Tatbestand des Urteils nach § 313 Abs. 2 ZPO. und § 24 der BRV. zur Entlastung der Gerichte vom 3. September 1915.
2. Ist es von rechtlicher Bedeutung, wenn dem Empfänger ein brieflich oder telegraphisch zugegangenes Vertragsangebot erst gleichzeitig mit einem ihm später zugegangenen Widerruf tatsächlich zur Kenntnis kommt?
3. Widerrechtliche Entziehung des Besitzes der Telegrammurkunde seitens des Post- und Telegraphenbeamten, der ein bestelltes Telegramm bei dem Empfänger ohne dessen Willen wieder abholen läßt. Haftung des Reichspostfiskus für den dem Empfänger dadurch entstandenen Schaden. Inhalt des Schadensersatzanspruchs.
4. Rechtliche Bedeutung der Reichstelegraphenordnung vom 16. Juni 1904 (RZentrBl. S. 229).

Tatbestand

Der in St. wohnende Kläger hatte am 19. und 20. November 1915 in Zeitungsanzeigen Angebote in Militärdrell erbeten. Die Firma J. M. B. in W. bot ihm daraufhin am 20. November "frei bleibend und unverbindlich" nach Muster etwa 84 cm breiten reinleinenen Drell zum Preise von 0,80 M für den Meter "rein netto, sofortige Kasse, etwa 20.000 in sofort lieferbar" an, und der Kläger antwortete an dem 22. November, an welchem er das Schreiben der Firma erhielt, daß er das Angebot auf 20.000 M annehme und um Drahtbestätigung ersuche. Die Firma B. telegraphierte am gleichen Tage 5.15 nachm.: "Geordnet nur bei heutiger Drahtüberweisung 1.000 M, Rest Nachnahme". Dieses Telegramm wurde 7 Uhr abends in der Wohnung des abwesenden Klägers abgegeben. Die Firma B. hatte sich dann aber anders entschlossen und forderte ihr Telegramm beim Telegraphenamte W. zurück. Dieses ersuchte durch Diensttelegramm das Amt St., das schon abgesandte Telegramm des Klägers anzuhalten. Da letzteres aber bereits bestellt war, ließ es sich der Telegraphenbote von dem Dienstmädchen des noch immer abwesenden Klägers wieder aushändigen. Auf Grund dieses Tatbestandes verlangte der Kläger, der in der Handlung des Telegraphenboten eine nach § 299 oder § 355 StGB. strafbare Handlung erblickte, von dem verklagten Reichspostfiskus Schadensersatz; denn er habe den angebotenen Drell bereits zu 1,50 M für den Meter weiterverkauft gehabt, würde mithin 14.000 M daran verdient haben.

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht erklärte abändernd den eingeklagten Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

1.

Die Revision stellt in erster Linie prozeßrechtlich zur Nachprüfung, ob der Tatbestand des angefochtenen Urteils, der nur eine allgemeine Bezugnahme "auf die Protokolle, die Schriftsätze und die allda angeführten Urkunden" enthält, dem Gesetz entspricht. Es ist gewiß richtig, daß ein solcher Tatbestand dem § 313 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZPO. nicht genügen würde, der nur eine ergänzende Bezugnahme auf den Inhalt vorbereitender Schriftsätze zuläßt. Weitergehend gestattet § 24 der Verordnung zur Entlastung der Gerichte vom 9. September 1915, die Darstellung des Tatbestandes durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zum Sitzungsprototoll erfolgten Feststellungen zu ersetzen, soweit sie den Sach- und Streitstand richtig und vollständig wiedergeben. Die Frage, ob im Sinne dieser Bestimmung eine ganz allgemeine Bezugnahme auf die "Akten", einen zufälligen Sammelband von wesentlichen und unwesentlichen Schriftstücken, oder, wie im gegebenen Falle, auf alle Schriftsätze der Parteien und alle Protokolle schlechthin ausreicht, oder ob nicht vielmehr auch die Entlastungsverordnung die bestimmte gesonderte Bezeichnung der einzelnen Schriftsätze und Prozeßurkunden erfordert, kann unerörtert bleiben; denn in der Berufungsinstanz des gegenwärtigen Prozesses ist von jeder Partei nur ein Schriftsatz eingereicht worden, es hat auch nur eine mündliche Verhandlung stattgefunden, so daß ein Zweifel nicht entstehen kann und eine sondernde Bezeichnung zu entbehren ist.

2.

In der Sache bildet die Grundlage der Entscheidung die Bedeutung der Bestimmung des § 130 BGB. Das zurückgezogene Telegramm der Firma B. enthielt ein Vertragsangebot an den Kläger, also eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Diese wurde wirksam, das Angebot also (§§ 145, 146 BGB.) bindend mit dem Zeitpunkt, in welchem das Telegramm dem Kläger zugegangen war. Zugegangen ist eine briefliche Erklärung, der eine telegraphischen gleich zu achten ist, mit der Abgabe in der Wohnung des Empfängers, auch an einen Familienangehörigen oder Dienstboten, mag der Empfänger anwesend oder abwesend sein; dadurch erlangt er die Möglichkeit der Kenntnisnahme, die zum Begriffe des Zugehens gehört (RGZ. Bd. 50 S. 191, 194, Bd. 56 S.262, Bd. 60 S. 334). Nicht auf die Kenntnis des Empfängers kommt es also an, sondern auf die Verfügungsgewalt, die die Möglichkeit der Kenntnisnahme gewährt. Deshalb ist, wie die letztgedachte Entscheidung ausführt, in Abs. 1 Satz 2 des § 130 auch für den Widerruf der empfangsbedürftigen Willenserklärung bestimmt, daß er nur wirksam wird, wenn er dem Empfänger vor oder gleichzeitig mit der ersten Willenserklärung zugeht; auf die Zeit der wirklichen Kenntnisnahme ist hier gar kein Gewicht gelegt. Nach diesen Grundsätzen war im gegebenen Falle das Angebot der Firma B. dem Kläger mit der Abgabe an dessen Dienstmädchen in seiner Abwesenheit zugegangen und damit der Absender des Telegramms an seinen Vertragsantrag unter den darin enthaltenen Bedingungen gebunden. Der in dem zweiten Telegramm enthaltene Widerruf ist verspätet; denn als er zugestellt wurde oder vielmehr zugestellt werden konnte und sollte, als der Telegraphenbote mit dem Widerrufstelegramm in die Wohnung des Klägers kam, war der Vertragsantrag dem Kläger bereits zugegangen.

Nun beruft sich demgegenüber die Revision auf die in der Rechtswissenschaft vereinzelt vertretene Meinung,1 die auch das Landgericht in seinem Urteile sich zu eigen gemacht hat, daß es wider Treu und Glauben verstoße, wenn sich der Empfänger eines Vertragsantrags zu seinen Gunsten auf diesen stütze und daraus Rechte herleite, obgleich ihm der Vertragsantrag zwar früher zugegangen, aber erst gleichzeitig mit dem Widerrufe zur tatsächlichen Kenntnis gekommen sei. Diese Ansicht ist indessen mit der klaren und jeden Zweifel ausschließenden Bestimmung des § 130 Abs. 1 Satz 2 nicht vereinbar. Für den Absender wie für den Empfänger ist lediglich der Zeitpunkt des Zugehens maßgebend, der Zeitpunkt der wirklichen Kenntnisnahme dagegen sowohl für das Angebot wie für seinen Widerruf gleichgültig. In diesem Sinne hat auch bereits das Reichsgericht in dem Urteile RGZ. Bd. 60 S. 334 entschieden. Die Revision meint zwar, aus dem Gesichtspunkte von Treu und Glauben habe das Reichsgericht die Frage nicht erörtert; es hat aber gerade durch die Nichterörterung die Hereintragung einer solchen Erwägung in die Auslegung des § 130 offenbar abgelehnt. 3. Die Telegraphenordnung vom 16. Juni 1904 (RZentrBl. S. 229) bestimmt, daß ein Telegramm, das durch die Ursprungsanstalt (Aufgabestation) bereits befördert worden ist, nur durch ein besonderes Diensttelegramm von Amt zu Amt (§ 22 II) zurückgezogen werden kann (§ 18 II). War das zurückzuziehende Telegramm dem Empfänger bereits zugestellt, so wird er von der Zurückziehung durch Aushändigung des erwähnten Diensttelegramms benachrichtigt und dem Absender hiervon Kenntnis gegeben (§ 18 II). Gegen diese Bestimmung ist im gegebenen Falle verstoßen worden, indem dem Telegraphenboten durch den diensttuenden Postsekretär der Auftrag erteilt wurde, das bereits abgegebene erste Telegramm zurückzuholen, und der Telegraphenbote diesen Auftrag ausführte. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hat der Telegraphenbote in der Wohnung des noch nicht heimgekehrten Klägers das Dienstmädchen gefragt, ob ein Telegramm aus W. für den Kläger gekommen sei. Auf die Antwort, es liege ein Telegramm da, ließ der Telegraphenbote es sich von dem Dienstmädchen geben, eröffnete es, stellte fest, daß es aus W. sei, sagte dem Dienstmädchen, er müsse es wieder mitnehmen, und entfernte sich damit. Ein weiterer Verstoß gegen die Telegraphenordnung fällt dem diensttuenden Postsekretär zur Last, indem er eine Stunde später dem auf dem Postamt erschienenen Kläger die Herausgabe des ordnungswidrig abgeholten Telegramms oder die Mitteilung des Inhalts verweigerte.

3.

Dem Berufungsgericht ist darin beizutreten, daß dem Telegraphenboten wie dem diensttuenden Postsekretär eine strafbare Handlung (§§ 242, 299, 353 StGB.) nicht zur Last fällt; für den Tatbestand dieser Vergehen fehlt es vor allem an den persönlichen (subjektiven) Merkmalen. Die Telegraphenordnung hat ferner nicht den Charakter eines Gesetzes; sie ist eine Verwaltungsverordnung, die zugleich die stillschweigende Unterlage für den Beförderungswerkvertrag zwischen der Telegraphenverwaltung und dem Absender bildet; zwischen dem Empfänger des Telegramms und der Telegraphenverwaltung entsteht ein Vertragverhältnis überhaupt nicht. Schon daraus ergibt sich, daß sich der Beklagte dem Kläger gegenüber nicht auf § 21 I der Telegraphenordnung berufen kann, wonach die Telegraphenverwaltung für die richtige Überkunft der Telegramme oder deren Überkunft und Zustellung innerhalb bestimmter Frist keine Gewähr übernimmt und Nachteile, die durch Verlust, Entstellung oder Verspätung der Telegramme entstehen, nicht zu vertreten hat. Die Bestimmung trifft schon dem Wortlaute nach nur das Verhältnis zwischen dem Absender und der Telegraphenverwallung. Die Voraussetzungen des § 21 l treffen aber auch nicht zu. Das Telegramm war weder verloren gegangen noch ist es entstellt oder verspätet bestellt worden; das erste Telegramm wurde ordnungsmäßig bestellt und dem Empfänger ordnungswidrig wieder entzogen. Eine entsprechende Anwendung anderseits der §§ 434, 435 HGB., wonach der Frachtvertrag in gewissem Sinne als ein Vertrag zugunsten des Empfängers als dritten erscheint, auf den Telegraphenbeförderungsvertrag ist, wie die Revision mit Recht geltend macht, nicht zulässig (vgl. RGZ. Bd. 43 S. 98, Bd. 60 S. 27. wo dies für die gleichgeartete Postbeförderung von Briefen und Postanweisungen ausgesprochen ist).

4.

Damit scheidet ebenso eine Haftung des Beklagten aus einem strafrechtlichen Schutzgesetze, gegen das seine Beamten verstoßen hätten, wie aus dem Beförderungsvertrag in Verb. mit § 278 BGB., anderseits auch eine Entlastung des Beklagten einer sonstigen Haftung gegenüber aus dem Gesichtspunkte des § 21 I der Telegraphenordnung aus. Dem Berufungsgericht ist aber darin beizutreten, daß die Wiederabholung des vorher bestellten Telegramms beim Kläger durch den Telegraphenboten und deren Anordnung durch den diensttuenden Postsekretär gegenständlich den Tatbestand einer unerlaubten Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB. erfüllen, für deren Ausführung durch die von ihm angestellten Beamten der Beklagte nach § 831 BGB. haftbar ist; er hat für den Schaden aufzukommen, den seine Angestellten in Ausübung der ihnen aufgetragenen Verrichtungen einem Dritten widerrechtlich zufügten. Der Kläger hatte durch Aushändigung des Telegramms an das Dienstmädchen den Besitz der ausgefertigten Telegrammurkunde erlangt (§§ 854, 855 BGB.). Ob damit zugleich eine Eigentumsübertragung stattgefunden hat, oder ob die für die Erwerbung des Eigentums seitens des Klägers erforderliche Willensbetätigung dessen Kenntnis von dem Telegramme zur Voraussetzung hat, wie die Revision ausführt (vgl. RGZ. Bd. 83 S. 222, 229 flg.), kann dahingestellt bleiben. Es genügt für die Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB. ein gegenständlich widerrechtlicher Eingriff in den Besitz des Klägers; der Besitz wird in Ansehung des Rechtsschutzes gleich einem Rechte behandelt und fällt deshalb unter die "sonstigen Rechte" des § 823 Abs. 1 BGB. (RGZ. Bd. 59 S. 326). Sowohl der Telegraphenbote als der Postsekretär, der diesem den rechtlich unzulässigen Auftrag zur Wiederabholung des Telegramms beim Kläger gab, haben eine widerrechtliche Entziehung des Besitzes an der Telegrammurkunde gegenüber dem Kläger ausgeführt. Ein Verschulden mag hierbei nur den Postsekretär treffen, der die Telegraphenordnung, die das richtige Verfahren vorsieht, kennen mußte, während der Telegraphenbote nur nach seinem Dienstauftrage handelte. Die Bestimmung des § 831 BGB. setzt aber ein Verschulden des Angestellten auch nicht voraus.

Einen Entlastungsbeweis aus § 831 BGB. hinsichtlich der sorgfältigen Auswahl der in Betracht kommenden Angestellten, des Postsekretärs und des Telegraphenboten, hat der Beklagte nicht angetreten. Die Revision macht geltend, daß nach der Sachlage, bei der der Beklagte auf die Anwendung dieser Gesetzesbestimmung nicht gerechnet habe und nicht habe rechnen müssen, das Berufungsgericht Veranlassung gehabt habe, nach dem Beweisantritt in dieser Richtung gemäß § 139 ZPO. zu fragen. Indessen war nicht nur schon in der Klageschrift auf die Haftung des Beklagten für seine Beamten verwiesen; es lag auch die Anwendung dieser Gesetzesbestimmung nahe genug, um den Beklagten von selbst zu einem Beweisantritte zu veranlassen, so daß eine Verpflichtung des Gerichts, auf eine Ergänzung des Parteivertrags durch Ausübung des Fragerechts hinzuwirken, nicht anerkannt werden kann. Ob, wie das Berufungsgericht annimmt, neben der Verantwortlichkeit für seine Beamten dem Beklagten auch ein Mangel in der Betriebsleitung zur Last zu legen ist, weil bei gehöriger Unterweisung der Beamten Aufträge, wie einen solchen der Postsekretär im gegebenen Falle dem Telegraphenboten erteilt hat, ausgeschlossen erscheinen müssen, kann unter diesen Umständen unerörtert bleiben.

5.

Was den Inhalt des Schadensersatzanspruchs des Klägers angeht, so meint die Revision, der Anspruch könne nur auf Wiederherstellung des entzogenen Besitzes an der Urkunde, auf Rückgabe des Telegramms gehen, und sei deshalb gegenstandslos, weil das Telegramm nachträglich dem Kläger ausgehändigt worden sei. Was der Kläger begehre, sei ein Anspruch aus Vermögensbeschädigung, die nicht die Grundlage eines Schadensersatzanspruchs nach §§ 823, 831 BGB. bilden könne. Das ist irrig. Die Handlung, deren gegenständliche Rechtswidrigkeit den Beklagten als Geschäftsherrn nach § 831 haftbar macht, ist die Besitzentziehung an der Telegrammurkunde, also der Eingriff in ein "sonstiges Recht", nicht eine bloße Vermögensbeschädigung. Nur die Schadensfolgen sind vermögensrechtliche, wie dies auch bei einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit der Fall zu sein pflegt, wo die Vermögensnachteile auszugleichen sind, die der Verletzte infolge der Einbuße an seiner Erwerbsfähigkeit erleidet. Überall, "wo die Wiederherstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend" ist, hat der Ersatzpflichtige den Beschädigten nach § 251 BGV. in Geld zu entschädigen, und diese Entschädigung umfaßt nach § 252 BGV. auch den entgangenen Gewinn. Der Kläger war durch Entziehung des Besitzes der Telegrammurkunde außer Stand gesetzt, vom Inhalte des Vertragsangebotes der Firma B. Kenntnis zu erhalten und das Angebot selbst anzunehmen; er ist dadurch der Vorteile, die ihm das Geschäft gebracht hätte, verlustig gegangen. Es kommt nur auf die tatsächliche Feststellung an, ob er bei ordnungsmäßiger Behandlung des Telegramms durch die Beamten zu dem Abschlusse des für ihn wertvollen Vertrags mit B. gelangt sein würde.

Diese Feststellung wird vom Berufungsgericht getroffen. Wenn es den Vertragsantrag der Firma B. dahin auslegt, daß mit der verlangten "heutigen Drahtüberweisung" von 1.000 M nicht gemeint sei, die Anzahlung müsse noch an demselben Abend in die Hände der Firma B. gelangen, weil dies gar nicht wohl möglich gewesen sei, - der Geldbetrag habe vielmehr nur bis Mitternacht abgesandt werden müssen - so ist das tatsächliche Würdigung, Auslegung einer Willenserklärung, die mit der Revision nicht anfechtbar ist, sofern sie nicht gegen Auslegungsgrundsätze verstößt. Eine Verletzung des § 358 HGB., die die Revision in dieser Auslegung findet, liegt nicht vor. Die Bestimmung des § 358 HGB., wonach bei Handelsgeschäften die Leistung nur während der gewöhnlichen Geschäftszeit bewirkt und gefordert werden kann, ist nachgiebigen Rechtes; sie ist, wie § 271 BGB., Auslegungsregel, die nicht gilt, wenn die Parteien etwas anderes gewollt haben, und wenn Treu und Glauben eine andere Auslegung erfordern (RGZ. Bd. 68 S. 305). Das erachtet im gegebenen Falle das Berufungsgericht für dargetan, weil die Firma B. erst nach 5 Uhr nachmittags das Telegramm an den Kläger absandte. Tatsächlich und der Revision entzogen ist ferner die Ansicht, daß der Kläger das Angebot der Firma B. angenommen haben würde und daß er zur Absendung der 1.000 M noch an demselben Tage in der Lage war. Darüber brauchte, erwägt das Berufungsgericht, nicht erst Beweis erhoben zu werden, es ist dem Kläger zu glauben. Damit ist lediglich nach freier Überzeugung des Gerichts eine Feststellung über die Verursachung eines Schadens durch die schädigende Handlung getroffen, die unter § 287 ZPO. füllt und deshalb der prozeßrechtlichen Anfechtung durch die Revision nur in beschränktem Maße unterliegt. Insbesondere ist eine Verletzung des § 139 ZPO. nicht dadurch gegeben, daß das Berufungsgericht der Meinung ist, an dem Kredit des Klägers für eine Summe von 1.000 M sei nicht zu zweifeln, auch habe der Beklagte die Kreditwürdigkeit gar nicht bemängelt. Ebensowenig ist damit, wie die Revision rügt, die Beweislast verkannt und dem Beklagten ein Beweis auferlegt, den der Kläger zu führen habe; überall handelt es sich hier um eine freie Schätzung des Gerichts nach § 287 ZPO.

Alles übrige gehört in den Streit über den Betrag des Schadens. Ist festgestellt, daß der Kläger das Vertragsangebot angenommen haben würde, so rechtfertigt sich ohne weiteres der Schluß, daß ihm infolge der Entziehung des Besitzes des Telegramms ein Gewinn entzogen, also ein Vermögensverlust entstanden ist. Er würde, meint das Berufungsgericht, die erkaufte Ware weiter verkauft und damit einen angemessenen Gewinn erzielt haben. Das genügt, um den Schadensersatzanspruch nach § 304 ZPO. dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären. Der Gewinnbetrag, den der Kläger fordert, mag gesetzwidrig sein und der Bekanntmachung des Bundesrats vom 23. Juli 1915 gegen übermäßige Preissteigerung (RGBl. S. 467) widerstreiten, und der Kläger mag auf eine anderweite Berechnung des Schadens und einen geringeren Gewinn angewiesen sein. Die Erörterungen und Feststellungen nach dieser Richtung sind aber vom Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum oder Prozeßverstoß dem Verfahren über den Betrag des Schadens vorbehalten worden."

  • 1. Vgl Hölder, Komm. z. BGB. Anm. 4 zu § 130 sowie in Iherings Jahrb. Bd. 55 S. 460 Theorie der Willenserklärungen S.129 flg.; Staudinger, Komm. z. BGB. Anm. 7 zu § 130.