RG, 25.10.1918 - III 131/18

Daten
Fall: 
Feststellung einer stillschweigenden Vereinbarung mit feindlichen Staatsangehörigen
Fundstellen: 
RGZ 94, 76
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.10.1918
Aktenzeichen: 
III 131/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Über die Voraussetzungen der Feststellung einer stillschweigenden Vereinbarung mit feindlichen Staatsangehörigen während des Krieges.

Tatbestand

Die Klägerin hat von der Beklagten laut dreier von dieser am 21. November 1912 (über 7000 und über 3000 Pfund Garn B.U.D.) und am 6. September 1913 (über 10000 Pfund Garn D.M.T.) in Nottingham vollzogener Schlußscheine Garn gekauft und bis zum Beginne des Krieges auf die Schlüsse vom 21. November 1912 2697 Pfd., auf den Schluß vom 6. September 1913 nichts geliefert erhalten. Die Schlußscheine enthalten je einen "Delivery"-Vermerk, der über 7000 Pfd. "During 1913" der über 3000 Pfd. "to follow present orders", der über 10000 Pfd. "As reqired" sowie die gedruckte Klausel: "In case of stoppage of the mill, arising from fire, strikes, combination of workmen, breakdown or any other accident, -- it is mutually understood and agrees that this contract may be suspended". Die Klägerin hatte am 6. Mai 1914 auf den Schluß vom 6.September 1913 je 1800 Pfd. auf die Monate August, September 1914, und am 8. Juni 1914 auf die Schlüsse vom 21. November 1912 je 600 Pfd. auf die Monate August September, Oktober 1914 abgerufen und beansprucht, nachdem die Beklagte diesen Abrufen keinerlei Folge leistete, mittels der am 17. Februar 1917 bei Gericht eingelaufenen, auf ihren Antrag öffentlich zugestellten Klage Schadensersatz wegen Nichterfüllung, weil sie infolge des Verzugs der Beklagten an der Lieferung kein Interesse mehr habe; mit dieser ihrer Schadensersatzforderung rechnet sie auf gegen ihre Kaufpreisschuld von 21108,90 M für frühere Garnlieferungen der Beklagten einschließlich der Lieferung von 2697 Pfd. auf die Schlüsse vom 21. November 1912 und beantragt demgemäß, festzustellen, daß der Beklagten aus ihren Garnlieferungen an die Klägerin eine Forderung gegen die Klägerin nicht mehr zusteht.

Die Inhaber der Beklagten sind die Kaufleute W. in Nottingham und L. bzw. nach dessen am 15. November 1915 zu Rabenstein erfolgten Tode seine Witwe in Rabenstein. Eben diese Kaufleute sind die Inhaber der als Zweigniederlassung der Nottinghamer Firma im Handelsregister eingetragenen offenen Handelsgesellschaft H. & W. in Chemnitz. Über die Zweigniederlassung, die der Nottinghamer Firma mehrere 100000 M schuldet, ist am 4. Oktober 1915 die Zwangsverwaltung verhängt worden; ebenso über den Nachlaß des L. Zum Zwangsverwalter ist bestellt der Rechtsanwalt Justizrat Dr. L. in Chemnitz. Dieser ist im gegenwärtigen Rechtsstreite Prozeßbevollmächtigter der Beklagten und hat durch Vermittelung der holländischen Regierung ein Telegramm sowie die von der Beklagten am 4. April 1917 im Nottingham vollzogene Prozeßvollmacht erhalten.

Das Landgericht entsprach der Klage, der Berufungsrichter wies sie ab. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Gründe

"Das Landgericht hatte die Klage zugesprochen, weil die Beklagte mit der ihr obliegenden Leistung in Verzug gekommen sei und die Klägerin an der weiteren Erfüllung kein Interesse mehr habe. Der Berufungsrichter weist ab, nicht, weil die Voraussetzungen des § 326 BGB. zu verneinen, sondern weil die Verträge der Parteien, soweit sie noch nicht erfüllt waren, aufgehoben seien durch eine mindestens schon zur Zeit der Klagerhebung vollzogene stillschweigende Vereinbarung, durch gegenseitiges stillschweigendes Einverständnis, da die Verträge "eben in der in den Schlußscheinen vorgesehenen, dem Vertragszweck, und den beiderseitigen Interessen der Parteien entsprechenden Weise nicht mehr erfüllt werden können, und da durch die Hinausschiebung der Leistung auf so lange Zeit der Leistungsgegenstand selber verändert worden ist". Der Berufungsrichter stützt somit seine Entscheidung allein auf eine stillschweigende Vereinbarung, nicht auf die von ihm angenommene Unerfüllbarkeit der Verträge; diese soll nur als Motiv die Parteien zu dem gegenseitigen Einverständnis, zu der stillschweigenden Vereinbarung geführt haben.

Diese Begründung kann als eine rechtlich genügende und zutreffende nicht erachtet werden. Rechtliche Bedenken erheben sich aus der gesamten Sachlage schon dagegen, daß die Parteien den Willen zu völliger Ausstreichung der Verträge, soweit nicht erfüllt, gehabt haben sollen. Angenommen aber auch, es hatte spätestens zur Zeit der Klagerhebung beiderseits der Wille bestanden, daß die nicht erfüllten Verträge ausgelöscht sein sollten, so liegt doch keinesfalls vor eine gegenseitige Erklärung dieses Willens, eine Erklärung je des einen Teiles gegenüber dem anderen Teile. Bei den vom Berufungsrichter angeführten Beispielen ähnlicher stillschweigender Vereinbarungen handelte es sich um im Inlande wohnende und darum von den gegenwärtigen und zukünftigen Einwirkungen des feindlichen Auslandes und des Krieges in gleicher Weise betroffene Parteien, die je von Handlungen und Äußerungen des andern Teiles Kenntnis erhalten konnten und erhielten und daraus Schlüsse ziehen durften und zogen. Hier liegt lediglich nichts vor als ein völliges Schweigen beider Teile seit Kriegsausbruch, und beide Teile stehen als Angehörige feindlicher Staaten der Einwirkung des Krieges durchaus verschieden gegenüber. Die Beklagte hat die auf die ersten Kriegsmonate abgerufenen Garnmengen nicht geliefert und die Klägerin an Zahlung der rückständigen bedeutenden Schuldsummen nicht gemahnt; die Klägerin hat ihrerseits nicht an Lieferung gemahnt und ihre Schuld nicht gezahlt. Es ist ohne weiteres anzunehmen und liegt im Sinne der beiderseitigen Parteibehauptungen, daß dieses völlige Schweigen durch den Krieg und je durch die Kriegsgesetze aufgezwungen war. Daß die Parteien bis zur Klagerhebung auf irgendeinem Wege in Verbindung miteinander treten konnten, nimmt der Berufungsrichter selbst nicht an; er weist das in wiederholten Schriftsätzen des beklagtischen Prozeßbevollmächtigten und in der Schlußverhandlung gestellte, mit Mangel an jeder "Information und Instruktion" begründete Aussetzungsgesuch der Beklagten nur darum ab, weil die Beklagte durch den Krieg von dem Verkehr mit dem Prozeßgerichte nicht abgeschnitten und imstande gewesen sei, ihren Prozeßbevollmächtigten ausreichend zu informieren. Insbesondere nimmt der Berufungsrichter nicht an, daß die Parteien durch die Chemnitzer Zweigniederlassung miteinander verkehren konnten; irgendeine Mitwirkung dieser Zweigniederlassung scheint weder bei den früheren noch bei den strittigen Geschäften stattgefunden zu haben. Der Berufungsrichter betont, die Klägerin habe trotz Nichtlieferung auf ihre Abrufe jahrelang geschwiegen, nicht ein einziges Mal gemahnt und zur Lieferung aufgefordert und sei dann unerwartet im Februar 1917 mit ihrer Klage auf Schadensersatz hervorgetreten. Aber auch die Beklagte hat jahrelang geschwiegen, stillschweigend nicht geliefert und die Klägerin zur Zahlung der erheblichen rückständigen Schuld nie aufgefordert oder gemahnt. Beide Teile waren durch den Krieg voneinander abgeschnitten; dies war der einzige, sie zwingende Grund ihres Schweigens, und dieses Schweigen für sich allein ist und enthält mehr nicht als ein notgedrungenes Zuwarten mit der Erledigung der schwebenden Rechtsgeschäfte. Wenn die Klägerin erst im Februar 1917 -- wenige Monate nach der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 16. und vom 17. Dezember 1916, betreffend Verträge mit feindlichen Staatsangehörigen, vgl. die Denkschrift dazu Reichstag II. 1914/1917 Drucksache Nr. 650 S. 46/47 -- mit eventueller Setzung einer Nachfrist zur Lieferung die jetzige Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung erhoben hat, deren öffentliche Zustellung sie nachsuchte und erhielt, so kann daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß die Klägerin vorher einen ganz anderen Willen, nämlich den der völligen Streichung der noch nicht erfüllten, ihr kraft des Friedenspreises günstigen Verträge, gefaßt, geschweige, daß sie einen solchen andern Willen der Beklagten irgendwie erklärt hat. Ihr Schweigen war wie das der Beklagten durch die Unmöglichkeit jedes Verkehrs notwendig geworden; es wollte und konnte beiderseits keine Willenserklärung sein. Die Klägerin hat zudem als Anlaß der Klagerhebung die ihr bekannt gewordenen englischen Maßnahmen, betreffend die Verträge mit feindlichen Ausländern, bezeichnet; vgl. die oben angezogene Denkschrift.

Die Annahme einer stillschweigenden Willenserklärung der Beklagten hat keinen Boden, weil dies behauptende Prozeßerklärungen, der Beklagten selbst gar nicht vorliegen. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten in den Instanzen ist, wie er immer wieder bis zuletzt betont hat, ohne jede fachliche "Information und Instruktion" geblieben; er weiß, nicht einmal, ob ein Stillstand der Produktion der Beklagten -- stoppage of the mill im Sinne der gedruckten Vertragsklausel -- eingetreten ist. Die instruktionslosen Aufstellungen des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten aber können keinen Anhalt geben. Erstmals im letzten zur Schlußverhandlung eingereichten Schriftsatze zweiter Instanz hat der Prozeßbevollmächtigte hinter dem Satze, daß das nach 2'[1/3] Jahren gestellte Lieferungsverlangen der Klägerin wegen der gewaltigen Verschiebung der Markt- und Preislage gegen Treu und Glauben verstoße, die Bemerkung angefügt: "außerdem ist in dem langen Stillschweigen der Klägerin ihr Einverständnis mit der von der Beklagten gewollten Aufhebung des Schlusses zu erblicken. Der Vertrag hat also durch das beiderseitige mehrjährige Stillschweigen als aufgehoben zu gelten". Diese Bemerkung kennzeichnet sich als eine lediglich auf allgemeinen juristischen Begriffen beruhende Konstruktion; und dies um so mehr, als gerade dieser letzte Schriftsatz den Berufungsbegründungsschriftsatz und den darin wegen Mangels jeder Information gestellten Aussetzungsantrag aufrecht erhält. Von seiten der Beklagten selbst liegt außer ihrem völligen Schweigen bis zur Klagerhebung nur vor ihre im April 1917 durch ein Telegramm der britischen Regierung an die holländische Regierung und von dieser an den beklagtischen Prozeßbevollmächtigten übermittelte Äußerung: "die Firma H. & W. hat den Brief des L. erhalten und wird Vollmacht und Vorschriften senden, damit er Maßnahmen treffe, um die Angelegenheit zu vertagen. Urkunden folgen brieflich." Der angebliche Beweggrund der Parteien ist in Wahrheit nur die eigene nach deutschen Maßstäben gewonnene Anschauung des Berufungsrichters, daß die Vertragserfüllung unmöglich geworden sei -- unmöglich in wirtschaftlich erweitertem Sinne --, und lediglich diese seine Anschauungen will der Berufungsrichter in einer stillschweigenden Vereinbarung der Parteien verwirklicht und verkörpert wissen, während die Sach- und Rechtslage für eine solche Willensrichtung, geschweige für eine solche gegenseitige Willenserklärung der Parteien keine Handhabe bietet. Eine stillschweigende Vereinbarung wird nicht aus irgend schlüssigen Tatsachen gefolgert, sondern sie wird als ein in den Willen der Parteien hinein entworfenes Abbild der vom Berufungsrichter selbst über die Unmöglichkeit der Erfüllung gehegten Meinung in die Tatsachen hineingeschoben,"