RG, 25.10.1918 - VII 200/18

Daten
Fall: 
Geschäfte rechtlicher Natur & Schrankfachvertrag
Fundstellen: 
RGZ 94, 74
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.10.1918
Aktenzeichen: 
VII 200/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Zum Begriffe
1. der "Geschäfte rechtlicher Natur" im Sinne der Tarifst. 73 des preußischen Stempelsteuergesetzes vom 30. Juni 1903;
2. des sog. Schrankfachvertrags.

Tatbestand

Die Klägerin läßt sich von ihren Schrankfachkunden vielfach Urkunden ausstellen, in denen der Kunde einen Anderen bevollmächtigt, an seiner Statt den Tresor der Bank zu besuchen und über das vom Kunden gemietete Schrankfach zu verfügen. Der Beklagte erforderte für solche "Vollmachten" Stempelabgaben im Gesamtbetrage von 36 M, die von der Klägerin bezahlt worden sind. Mit der Klage verlangte sie die Rückzahlung. Das Landgericht wies die Klage ab und das Oberlandesgericht die Berufung zurück. Auch die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Der Beklagte hat die streitige Abgabe auf Grund der Tarifst. 73 preuß. StempStG. vom 30. Juni 1909 erfordert, wonach "Vollmachten, Ermächtigungen und Aufträge zur Vornahme von Geschäften rechtlicher Natur für den Vollmachtgeber" als Gegenstand der Besteuerung bezeichnet sind. In den zur Versteuerung gezogenen, der Bank auf deren Ersuchen von den Kunden ausgestellten und ihr übergebenen Schriftstücken ist die Erteilung der Vollmacht nicht durch Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden, sondern durch Erklärung gegenüber dem Dritten, nämlich der Bank, erfolgt, der gegenüber die Vertretung des Kunden stattfinden soll. Damit erfüllen aber die Urkunden den Tatbestand der Vollmachterteilung im Sinne des auch für die Frage der Stempelpflichtigkeit maßgebenden Zivilrechts (§167 BGB.). Sind hiernach die Schriftstücke nach ihrem Inhalte Vollmachten, so ist es, da die Stempelpflichtigkeit einer Urkunde sich nach ihrem Inhalte richtet (§ 3 Abs.1 StempStG. vom 30. Juni 1909), für diese ihre Rechtsnatur ohne Einfluß, ob daneben auch noch gegenüber dem Bevollmächtigten selbst die Vollmachterteilung erklärt ist. Fehlt es an einer solchen unmittelbaren Ermächtigung -- die auch formlos gültig erteilt werden kann --, oder erfährt der als Bevollmächtigter dem Dritten gegenüber Bezeichnete nichts von der mittelbaren Vollmachterteilung, so wird dadurch nichts daran geändert, daß die Urkunde inhaltlich als Ausweis des in ihr Genannten über das Vorhandensein seiner Vertretungsmacht gegenüber dem Dritten zu dienen geeignet ist und durch die Übergabe an die Bank in den Rechtsverkehr gebracht ist. Da sie auch ermächtigt, "für den Vollmachtgeber" zu handeln, bleibt nur noch zu erörtern, ob sie auf die Vornahme von "Geschäften rechtlicher Natur" gerichtet ist. Die Frage ist zu bejahen. Die Tarifstelle erfordert nicht, daß die Ermächtigung die Vornahme von Rechtsgeschäften im technisch-juristischen Sinne des Wortes zum Gegenstande hat; der Begriff der Geschäfte rechtlicher Natur ist vielmehr ein weiterer und allgemeiner. Es genügt, wenn die Vollmacht dem Bevollmächtigten die Befugnis gewährt, Rechte des Machtgebers an dessen Stelle mit Rechtswirksamkeit geltend zu machen. Zur Entscheidung, ob dies Merkmal hier zutrifft, ist auf das Rechtsverhältnis zurückzugehen, auf das die Vollmacht sich bezieht. In dieser Hinsicht ergibt die Vollmacht, daß der Bevollmächtigte befugt sein soll, an Stelle des Kunden den Banktresor zu besuchen und über das vom Kunden gemietete Schrankfach zu verfügen, daß sie also einen sogenannten Schrankfachvertrag betrifft. Über die Rechtsnatur derartiger Verträge herrscht im Schrifttum Streit. Von der einen Seile wird die Ansicht verteidigt, daß er ein eigentümlich gestalteter Verwahrungsvertrag, von der anderen, daß er ein besonders gearteter Mietvertrag sei. Das Reichsgericht hat sich über die Natur des Vertrags unmittelbar noch nicht ausgesprochen, scheint aber im Urteile vom 10. Juli 1895 (Jur. Wochenschr. 1895 S. 399 Nr. 63) der letzteren Meinung beizustimmen, da es den Inhalt des entstandenen Schuldverhältnisses dahin feststellt, die Bank sei verpflichtet, dem Kunden (gegen Entgelt) den "Gebrauch" des überlassenen Schrankfachs zur Aufbewahrung von Gegenständen zu gestatten, dem Kunden, soweit es von ihr abhängt, das Schrankfach zugänglich zu machen und zu dulden, daß der Kunde über den etwaigen Inhalt des Faches nach seinem Belieben verfügt.

Der Stellungnahme zu dem bestehenden Streite bedarf es im vorliegenden Falle nicht. Darüber herrscht allgemeines Einverständnis, daß -- was sich ohne weiteres aus dem Zwecke des Vertrags ergibt -- dieser die Bank verpflichtet, die Benutzung des Schrankfachs dahin zu überwachen, daß kein Unbefugter zu dem Schrankfache den Zutritt nehmen kann, und, soweit es in ihrer Macht steht, dazu mitzuwirken, daß dem Kunden auf sein Verlangen der Zugang zum Fache eröffnet wird. Gewährt sie einem Unbefugten den Zugang oder verweigert sie diesen ohne besonderen Rechtsgrund dem Kunden, so haftet sie für den daraus entstehenden Schaden. Ist nichts anderes besonders vereinbart, so ist das Zugangsrecht des Kunden, das ihm auf Grund gegenseitigen Vertrauens beider Vertragsteile eingeräumt ist, ein höchst persönliches. Dadurch, daß der Kunde der Bank gegenüber einen Anderen ermächtigt, an seiner Statt über das Schrankfach zu verfügen, wird im Falle der Annahme der Ermächtigung durch die Bank deren Verpflichtung dahin neu festgestellt, daß sie auch dem Anderen den Zutritt zu gestatten und auch diesem gegenüber zur Öffnung mitzuwirken hat. Für den Anderen ist das entsprechende Recht durch die Vollmacht neu begründet. Er ist befugt, dies Recht gegenüber der Rank geltend zu machen und erforderlichenfalls zu erzwingen. Macht er es geltend, so nimmt er damit ein Geschäft rechtlicher Natur vor. Kommt die Bank seinem Verlangen, ihm den Zugang zu gewähren, nicht nach, so gerät sie in Leistungsverzug. Das Geschäft, zu dem die Vollmacht den Anderen ermächtigt, geht daher über den Begriff einer bloß tatsächlichen Handlung hinaus. Der Beklagte hat hiernach den Vollmachtstempel mit Recht gefordert, und deshalb war das Berufungsurteil aufrechtzuerhalten."