RG, 25.10.1918 - VII 304/18
Zur Frage, ob nach den Grundsätzen des gemeinen Rechtes ein Grundeigentümer, dem die Baupolizeibehörde die Genehmigung zur Errichtung eines Baues versagt hat, Entschädigung beanspruchen darf.
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer eines an der Ecke der Kamp- und Holstenstraße in Bergedorf belegenen, mit einem Gebäude, dem Gasthofe "zur Sonne", bebauten Grundstücks. Der vorn, neben der Kampstraße bis zur Holstenstraße sich hinziehende Grundstücksteil von 120 qm Flächeninhalt ist unbebaut geblieben. Ein Baugesuch des Klägers, wonach auf diesem Grundstücksteil ein an das Gasthaus sich anschließender Anbau errichtet werden sollte, wurde durch den Bescheid des Magistrats in Bergedorf vom 2. Februar 1914 abgelehnt. Der vom Kläger eingeschlagene Beschwerdeweg blieb erfolglos. Der Kläger machte darauf geltend, daß er durch die Verordnung des Magistrats in seinen wohlerworbenen Rechten beeinträchtigt sei, und forderte mit der Klage des vorliegenden Rechtsstreits zunächst 4100 M als Teilbetrag des ihm dadurch erwachsenen Schadens. Die Beklagte widersprach dem Klagebegehren.
Das Landgericht erklärte den Klaganspruch dem Grunde nach für berechtigt. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Auch ihre Revision blieb erfolglos.
Gründe
"Die zuständigen Verwaltungsbehörden haben in befugter Ausübung des ihnen in der Bauordnung für das Städtchen Bergedorf vom 4./18. Dezember 1850 eingeräumten Rechtes die vom Kläger nachgesuchte Bauerlaubnis im Interesse des öffentlichen Verkehrs versagt und es dadurch dem Kläger unmöglich gemacht, den der Straßenecke nächstgelegenen Teil des unbebaut gebliebenen Streifens seines Grundstücks baulich auszunutzen. Die Streitfrage, ob der Kläger für die ihm hierdurch erwachsenen Vermögensnachteile Ersatz begehren darf, prüft das Berufungsurteil zunächst vom Standpunkte des besonders für den Staat Hamburg und innerhalb des Staatsgebiets geltenden Gesetzes- und Gewohnheitsrechtes aus. Insofern gelangt das Urteil zu der Annahme, daß die eingeklagte Entschädigungsforderung weder durch ein Gesetz, insbesondere durch die Bestimmungen der bezeichneten Bauordnung, noch auch durch ein Gewohnheitsrecht ausgeschlossen ist. Demgegenüber sucht die Revision auszuführen, die maßgebliche Fragestellung der Vorinstanz sei zu bemängeln, namentlich bestehe für Rechtsbeschränkungen, die durch ein Gesetz auferlegt seien, eine Entschädigungspflicht nur dann, wenn das Gesetz selbst eine solche anordne, die Frage hätte daher nicht auf einen gesetzlichen Ausschluß einer Entschädigungspflicht, sondern darauf gerichtet werden sollen, ob das Gesetz eine solche Pflicht vorsehe. Den Ausführungen ist jedoch nicht zu folgen. Die hier in Betracht kommenden Erwägungen der Vorinstanz sind nach ihrem Sinne und Zusammenhange dahin zu verstehen, aus den besonderen hamburgischen gesetzlichen und gewohnheitsrechtlichen Normen seien Bedenken gegen den Klaganspruch nicht herzuleiten. Diese Entscheidung über Bestand und Inhalt irrevisibelen Rechtes ist einer Nachprüfung entzogen (ZPO. § 549).
Den zutreffenden Ausgangspunkt der weiteren Erörterungen des Berufungsurteils bildet der im gemeinen Recht anerkannte Grundsatz, daß der Eigentümer Entschädigung beanspruchen darf, der durch eine Maßnahme einer zuständigen Behörde genötigt ist, im Interesse und zum Vorteile der Allgemeinheit Opfer an seinem wohlerworbenen Rechte zu bringen (vgl. RGZ. Bd. 16 S. 159, Bd. 41 S. 142, 191, Bd. 49 S. 241, Bd. 72 S. 89; Jur. Wochenschr. 1902 S. 175, sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juni 1913, veröffentlicht im Beibl. der Hanseat. Ger.-Zeitg. 1914 Nr. 59 und in Jur. Wochenschr. 1913 S. 998 Nr. 27). Mit eingehender Begründung wird im Berufungsurteile die Auffassung vertreten, vorliegend enthalte der Magistratsbescheid vom 2. Februar 1914 einen Eingriff in wohlerworbene Rechte des Klägers, wofür die Beklagte nach dem angeführten Grundsatz Entschädigung zu leisten habe. Diese Ansicht erscheint richtig, und der Gegenausführung der Revision, Kläger hätte von vornherein damit rechnen müssen; daß ihm die Baugenehmigung versagt werden würde, für ihn habe nicht ein Recht, sondern nur eine unbestimmte Aussicht auf Verwertung des Streifens an der Straße als Bauplatz bestanden, kann nicht beigestimmt werden.
Der Berufungsrichter hat keineswegs verkannt, daß das Grundeigentum mannigfachen, teils im Privatrechte, teils im öffentlichen Rechte wurzelnden, seinen Inhalt und seine Wirkungen wesentlich beeinflussenden Einschränkungen unterliegt, die namentlich auch einer Bebauung nach schrankenlosem Belieben des Eigentümers im Wege stehen. Es ist indes ausdrücklich und rechtlich einwandfrei festgestellt, daß die Bebauung, welche der Kläger beabsichtigte, durch kein Gesetz behindert war, daß ihr keine allgemeinen baupolizeilichen oder verkehrspolizeilichen Beschränkungen entgegenstanden, hier vielmehr das Hindernis erst dadurch gegeben wird, daß die Behörde mit ihrer Verfügung einschritt. Dem unmittelbar an fertigen städtischen Straßen belegenen Grundstücke des Klägers kam naturgemäß und unbedenklich die Eigenschaft einer Baustelle zu. Diese rechtmäßig begründete Eigenschaft des Grundstücks war tatsächlich bei dem seiner Zeit aufgeführten Baue des Gasthofs "zur Sonne" nicht voll ausgenutzt worden. Man hatte abweichend von dem bis zur Kampstraße reichenden Nachbargebäude der Deutschen Bank an der Straße einen Landstreifen unbebaut gelassen. Die hierdurch ermöglichte freie Sicht kam den an der Straßenecke herrschenden schwierigen Verhältnissen des öffentlichen Verkehrs tatsächlich zustatten. Für die im Interesse der Beklagten als Straßenherrin liegende dauernde Erhaltung solcher freien Sicht war aber in den bis zum Bescheide vom 2. Februar 1914 bestehenden Anlagen und Verhältnissen eine rechtliche Grundlage und Gewähr noch nicht gegeben. Es konnte der Weg der Enteignung des unbebauten Streifens an der Straßenecke und eine dem Verkehrsbedürfnis entsprechende Verbreiterung der Straße in Frage kommen. Wenn die Beklagte davon absah und durch den mehrerwähnten Bescheid den Kläger in seiner grundsätzlich berechtigten Baufreiheit beschränkte, so hat sie nicht eine rechtlich schon bestehende und für jeden Bau in Betracht kommende Eigentumsbeschränkung baupolizeilichen Charakters zur Anwendung gebracht, sondern durch eine der öffentlichen Wohlfahrt dienende Verwaltungsmaßnahme in die nach der Rechtsordnung wohlbegründete Rechtsstellung eines einzelnen eingegriffen. Dem überragenden Gemeinwohle, das den Eingriff veranlaßte, muß das Eigentumsrecht des Klägers und seine daraus entspringende Baubefugnis weichen, Kläger darf aber für die einem Teile seines Grundbesitzes auferlegte Last der Nichtbebaubarkeit Geldentschädigung fordern.
In seinen rechtlich erheblichen Beziehungen ist der vorliegende Tatbestand nicht wesentlich verschieden von dem Falle, den die schon erwähnte Entscheidung des Senats vom 13. Juni 1913 behandelte. In jenem Falle war der damalige Kläger durch Versagung einer Baugenehmigung verhindert worden, an der Stelle und in den Grenzen eines vorhanden gewesenen und durch Feuer zerstörten Gebäudes ein neues Wohnhaus zu errichten. Gewisse sich enge an den Sachverhalt anschließende Wendungen aus der Begründung jenes Urteils sind dann von dem Berufungssenat, an den die Sache zurückverwiesen war, dahin aufgefaßt worden, das Revisionsgericht habe einen Eingriff in wohlerworbene Rechte und einen Entschädigungsanspruch des Grundeigentümers nach gemeinrechtlichen Grundsätzen nur hinsichtlich des bebaut gewesenen Grundstücksteiles bejahen, hinsichtlich eines tatsächlich unbebauten Teiles aber verneinen wollen. Solche Begrenzung lag jedoch nicht im Willen des erkennenden Senats, der den damaligen Entschädigungsanspruch nicht auch auf Entziehung der Bebauungsmöglichkeit unbebaut gewesenen Landes bezogen hatte. Der Senat hat in dem Urteile vom 13. Juni 1913 auf die nahe Ähnlichkeit des damals behandelten Tatbestandes mit den eigentlichen Enteignungsfällen hingewiesen. Er hat ferner das Urteil des ehemaligen preuß. Obertribunals (Entsch. d. ObTrib. Bd. 74 S. 137) herangezogen, das einem Straßenanlieger, dem in Rücksicht auf einen städtischen Bebauungsplan die Genehmigung zur Neubebauung, nicht Wiederbebauung, seines Grundstücks versagt war, einen Entschädigungsanspruch zuerkannte. Er hat aus dem reichsgerichtlichen Urteile RGZ. Bd. 63 S. 298 den Ausspruch erwähnt:
"Was von der Enteignung gilt, muß naturgemäß auch von der Belastung des Grundstücks mit der Servitut der Unbebaubarkeit gelten. Denn die letztere ist ihrem Wesen nach nichts anderes als eine Teilenteignung."
Endlich hat der Senat auch auf die Rechtsprechung für preußisches Gebiet hingewiesen, die sich auf Versagungen von Baugenehmigungen zufolge Straßenerweiterungen aus der Zeit vor Anwendbarkeit des preußischen Fluchtliniengesetzes bezieht. Alle jene Hinweise erscheinen auch gegenwärtig angebracht, als geeignet, die für die Berechtigung des vorliegenden Klaganspruchs sprechenden Gründe zu unterstützen und zu verstärken."