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RG, 22.10.1917 - VI 257/17

Daten
Fall: 
Zeugnisfähigkeit von Streitgenossen
Fundstellen: 
RGZ 91, 37
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.10.1917
Aktenzeichen: 
VI 257/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Cöln
  • Oberlandesgericht Cöln

Kann ein Streitgenosse, wenn das Verfahren schon in der ersten Instanz ihm gegenüber ruhen geblieben und auch schon das erste Urteil nur den anderen Streitgenossen gegenüber ergangen ist, in dem gegen diese fortgesetzten Verfahren in der Berufungsinstanz als Zeuge vernommen werden?

Tatbestand

Die Frage wurde verneint.

Gründe

... "J. war inhaltlich der Klageschrift vom 11. Juni 1912 mitverklagt, in der ersten mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 1912 auch vertreten. In der nächstfolgenden mündlichen Verhandlung vom 22. November 1912 blieb er unvertreten, und der Vertreter des Klägers erklärte, daß über das Vermögen des J. das Konkursverfahren eröffnet sei und deshalb das Verfahren gegen ihn ruhen könne. Einer gegen den Konkursverwalter J.s gerichteten Aufnahmeerklärung des Klagevertreters vom 24. Januar 1913 wurde von jenem mit Schrift vom 6. Februar 1913 entgegengetreten; weitere prozessuale Folge scheint dem nicht gegeben worden zu sein. Der Rechtsstreit blieb gegenüber J. ruhen, das Urteil erster Instanz führt als Beklagte nur noch Josef M. und Jakob P. auf, das Armenrecht für die Berufungsinstanz ist dem Kläger nur noch zur Rechtsverfolgung gegen den Beklagten M. bewilligt worden und das Berufungsurteil nur noch gegen diesen ergangen, nachdem die Berufung, soweit gegen P. eingelegt, zurückgenommen war.

Wegen der Zeugnisfähigkeit des J. weist die Revision zutreffend darauf hin, daß, soweit die Prozeßlage ergibt, der Rechtsstreit ihm gegenüber rechtshängig geblieben, vom Konkursverfahren nicht berührt und ein Ausscheiden J.s aus der Parteistellung nicht erfolgt ist.

Diese Rüge mußte zur Aufhebung des Urteils führen.

J. war bei Eintritt der Rechtshändigkeit des vorliegenden Rechtsstreits Streitgenosse auf der beklagten Seite (§ 59 ZPO.); eine notwendige Streitgenossenschaft steht nicht in Frage (§ 62). Durch den Konkursausbruch wurde das Verfahren ihm gegenüber unterbrochen; eine Aufnahme gegenüber der Konkursmasse (§ 240 ZPO., § 146 KO.) ist nicht erfolgt, der Rechtsstreit blieb - und zwar als ein solcher des Gemeinschuldners persönlich - lediglich ruhen (§ 251 ZPO.). An der Parteistellung J.s im Rechtsstreite hat sich hierdurch, wie keiner Ausführung bedarf, nichts geändert.

Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen kann nun Zeuge sein nur, wer im Rechtsstreite nicht selbst Partei ist, wer also weder für sich noch als gesetzlicher Vertreter für einen anderen auftritt und Parteihandlungen vornehmen kann. Die Vernehmung eines in diesem Sinne unzulässigen Zeugen kann nicht nach § 295 ZPO. geheilt werden, da hier Vorschriften in Frage stehen, welche die rechtlichen Grundlagen des Zivilprozesses bilden (vgl. z. B. Jur. Wochenschr. 1891 S. 129 Nr. 1). Wo mehrere Streitgenossen die Partei bilden, ist jeder Streitgenosse nicht nur im Verhältnis zur Gegenseite, sondern auch zum eigenen Streitgenossen Partei. Deshalb kann der Streitgenosse auch dann nicht als Zeuge vernommen werden, wenn etwa die beweisbedürftige Tatsache nur das Recht des anderen Streitgenossen angeht (vgl. besonders RGZ. Bd. 29 S. 370; Warneyer 1914 Nr. 99), und diese Zeugnisunfähigkeit gilt, solange der Streitgenosse nicht zufolge einer vom Gerichte verfügten Trennung der Ansprüche nach §§ 145, 150, 329 ZPO. oder durch sachliche - rechtskräftige - Erledigung des Rechtsstreits, soweit er ihn angeht, aus dem Verfahren ausgeschieden ist. Dafür genügt, wie insbesondere in der letztangeführten Richtung in der jüngeren Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Ausdruck gelangt ist, ein rechtskräftiges Eidesurteil, auch wenn noch nicht geläutert (Rep. VI. 123/1906), auch Vergleich (Rep. I. 161/06, Bad. Rechtspraxis 1907 S. 150), dagegen nicht ein rechtskräftiges Grundurteil nach § 304 ZPO., weil der Streitgenosse am Vertragsverfahren beteiligt bleibt (Rep. III. 449/05; Jur. Wochenschr. 1911 S. 49 Nr. 41; Warneyer 1914 Nr. 99), nicht eine im Wechselprozeß unter Vorbehalt erfolgte rechtskräftige Verurteilung (RGZ. Bd. 72 S. 216) und ebensowenig ein Urteil, wonach der Streitgenosse noch wegen der Kosten beteiligt bleibt (Rep. IV. 134/1907; Warneyer 1914 Nr. 99).

Hiervon abweichend wird in einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 17. September 1897 (Rep. II. 144/1897, Jur. Wochenschr. S. 546) der vorerwähnten prozeßgerechten Trennung der Ansprüche nach § 143 ZPO. die Prozeßlage gleichgestellt, wo der Rechtsstreit gegen den einen Streitgenossen schon in erster Instanz ruhen geblieben und bereits das Urteil erster Instanz nur gegen den anderen ergangen ist: nunmehr könne in der Berufungsinstanz der Streitgenosse, gegen den der Rechtsstreit ruht, als Zeuge in dem gegen den anderen fortgesetzten Verfahren vernommen werden, dies obwohl jener aus dem Rechtsstreite rechtskräftig nicht ausgeschieden und eine formelle Trennung der Ansprüche nicht ausgesprochen worden ist. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Fall ist indessen gegenüber dem hier gegebenen wesentlich anders gelegen. Dort handelte es sich um die Vernehmung des Hauptschuldners im Rechtsstreite des Gläubigers mit dem Bürgen, dessen Verpflichtungsverhältnis, wie die Entscheidung (zur Frage der Beeidigung) zutreffend hervorhebt, selbständig neben dem Hauptschuldverhältnis besteht und ganz in Wegfall kommen könnte, ohne daß das letztere hierdurch berührt würde, während nach Lage des hier gegebenen Falles J. als Zeuge in eigener Sache, nämlich über das Bestehen oder Nichtbestehen eines betrügerischen Komplotts auszusagen berufen war, das unter seiner Mitwirkung zustande gekommen sein sollte. Aber auch abgesehen von dieser Verschiedenheit der Sachlage wird die angeführte, soweit sich ermitteln läßt, auch vereinzelt gebliebene Entscheidung durch die spätere Rechtsprechung des Reichsgerichts (insbesondere darüber, daß es zum Verbleiben des Streitgenossen in der Parteistellung genügt, wenn er auch nur noch von der Kostenentscheidung betroffen wird) überholt. Denn wird ohne solche z. B. gegen einen Streitgenossen die Klage rechtskräftig abgewiesen oder die Klage oder die Berufung zurückgenommen ohne Entscheidung nach § 271 Abs. 3 oder § 515 Abs. 3 ZPO., so kann er im weiteren Verfahren nach jenem Grundsatze nicht Zeuge sein, obwohl in den angeführten Fällen in Ansehung der materiellen Ansprüche eine ganz entschiedene und augenfällige Trennung des Verfahrens gegenüber den Streitgenossen eingetreten ist.

Daran kann es im gegebenen Falle, wo nach dem Klagevorbringen, soweit es hier in Frage kommt, die Beklagten insgesamt aus einem und demselben Verpflichtungsgrund in Anspruch genommen waren, auch nichts ändern, daß J., wie bereits hervorgehoben, an den im Rechtsstreit ergangenen Urteilen in der Tat nicht mehr, auch nicht im Kostenpunkte beteiligt ist. Denn jederzeit, sobald es den Parteien gefällt, die Vereinbarung des Ruhenlassens aufzuheben, kann der Rechtsstreit gegen den bis dahin verschonten Mitbeklagten (Streitgenossen) als solchen seinen Fortgang nehmen, nachdem dieser auf dessen bisherigen Verlauf als Zeuge möglicherweise bestimmenden Einfluß gewonnen hatte. Dies kann - zumal der eine Streitgenosse die auf das Ruhen des Rechtsstreits gegenüber dem anderen gerichtete Vereinbarung dieses mit dem Gegner seinerseits nicht hindern kann (vgl. §§ 61, 251 ZPO.) - zu Ergebnissen führen, die mit einem prozeßgerechten Verfahren nicht mehr zu vereinigen sind. Wenn endlich der Revisionsbeklagte darauf hingewiesen hat, daß, wenn das Verfahren gegenüber der Konkursmasse des J. aufgenommen worden wäre, dieser nach anerkannten Rechtsgrundsätzen als Zeuge hätte vernommen werden können, so kann dies nicht durchgreifen, weil eben jene Voraussetzung, der Übergang der Prozeßführung auf den Konkursverwalter, nicht eingetreten, der Gemeinschuldner vielmehr selbst Partei geblieben ist. Bei der entscheidenden Bedeutung dieser formalen Verfahrenszugehörigkeit des J. muß es für die erörterte Frage sein Bewenden behalten.

War hiernach J. nach der zur Zeit seiner Vernehmung gegebenen Prozeßlage überhaupt nicht als Zeuge zu vernehmen, so konnte das mit auf seine Zeugenaussage gegründete Urteil nicht aufrechterhalten bleiben. Anderseits braucht die Zulässigkeit seiner Beeidigung (§ 393 Nr. 3, 4, § 384 Nr. 2, § 393 Abs. 2 ZPO.) und insbesondere die Frage, ob im Falle der Unzulässigkeit Heilung nach §§ 295, 558 ZPO. anzunehmen sein wird (vgl. hierüber Rep. I. 202/01, Seufferts Bd. 67 S. 427; Rep. VI. 356/08, Recht 1909 Nr. 2201; auch schon Bolze, Praxis Bd. 8 Nr. 884), nicht erörtert zu werden." ...