RG, 16.10.1917 - III 161/17

Daten
Fall: 
Einfuhrscheinverfahren
Fundstellen: 
RGZ 91, 47
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.10.1917
Aktenzeichen: 
III 161/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Münster
  • OLG Hamm

Hat im Einfuhrscheinverfahren der Zollbeamte bei Maßnahmen zur Sicherstellung der Gefälle den betreffenden Händler zu benachrichtigen?

Tatbestand

Die Klägerin hatte am 9. August 1912 bei dem Zollamte Bocholt 10.000 kg Weizen zur Ausfuhr mit dem Anspruch auf Erteilung eines Einfuhrscheins angemeldet und zur amtlichen Prüfung vorgeführt, §§ 11, 12 der Einfuhrschein-Ordnung (EschO.). Der Weizen war jedoch als nicht marktgängig befunden worden und daraufhin war die Ausfuhr unterblieben. Am 12. August 1912 erlangte die Klägerin bei dem Hauptzollamte Wesel für zur Ausfuhr nach Holland angemeldete 20.030 kg Weizen - die zu derselben von der Klägerin aus Kanada eingeführten und in Wesel gelagerten Menge kanadischen Weizens gehörten wie die vom Zollamte Bocholt am 9. August für nicht marktgängig erklärten 10.000 kg - den nach Anhörung von Sachverständigen erfolgten Befund der Marktgängigkeit und die Ausfuhrabfertigung. Diese Ware lief mit der Bahn über das Zollamt Bocholt, das den Ausgang der Ware über die Zollgrenze zu überwachen und zu bescheinigen hatte. Wahrend des dazu nötigen Aufenthalts der Ware in Bocholt entnahm der Zollinspektor K. eine Probe, worauf die Sendung ihrem Bestimmungsort in Holland zugeführt wurde. Die von K. entnommene Probe gelangte an die Untersuchungsanstalt für Getreideverwertung in Berlin und wurde dort für nicht marktgängig befunden. Daraufhin versagte die zuständige Oberzolldirektion in Cöln der Klägerin den Einfuhrschein.

Die Klägerin fordert Schadensersatz in Höhe des Wertes des Einfuhrscheins mit 1101,65 M wegen Amtspflichtverletzung des K.: dieser habe die Probe nicht entnehmen dürfen, jedenfalls aber sie davon benachrichtigen und die Ware in Deutschland zurückhalten müssen. Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, weil dem K. keinerlei Amtspflichtverletzung zur Last falle, wurde von dem Präsidenten der Oberzolldirektion in Münster i. W. der Konflikt erhoben. Derselbe wurde durch Urteil des 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 1916 für begründet erklärt, "insoweit die Klage auf die Behauptung gestützt ist, daß der Zollinspektor K. eine Probe des Weizens zwecks dessen nochmaliger Untersuchung aus der Ladung entnommen habe", im übrigen aber verworfen. Der Berufungsrichter hat den Klaganspruch dem Grunde nach für berechtigt erklärt und zur Begründung ausgeführt: jedenfalls bei dem Verfahren zur Erlangung von Einfuhrscheinen, worin der Staat den Ausführenden einen Vorteil biete, müßten die Zollbeamten für das Zugutekommen dieser Vorteile Fürsorge tragen; sie dürften mindestens nicht Umstände verheimlichen, die zur Versagung des Einfuhrscheins führen könnten, also zu einem Schaden, der sich durch bloße Mitteilung des Sachverhalts vermeiden lasse. Sie dürften dies insbesondere nicht, wenn sie in einer für den ausführenden Händler nicht voraussehbaren Weise in den regelmäßigen Geschäftsgang eingriffen (Probeentnahme durch K.). Die geltenden Bestimmungen seien darauf berechnet, daß der Ausführende Klarheit über den Befund der Ware erlange. Dies habe das Zollamt Bocholt vereitelt; durch Benachrichtigung hätte die Klägerin in den Stand gesetzt werden müssen, die Ware im Inland zurückzubehalten, was sie sicherlich getan haben würde.

Auf Revision des Beklagten wurde das erste Urteil wiederhergestellt.

Gründe

1.

"Der Beklagte hat die Unzulässigkeit des Rechtswegs geltend gemacht. Der Berufungsrichter hat über diese von Amts wegen zu prüfende Frage geschwiegen. Soweit die Klage sich darauf stützt, daß die Klägerin ohne die Probeentnahme durch K. endgültig den dem Befunde des Hauptzollamts Wesel entsprechenden Einfuhrschein erlangt haben würde, ist der Rechtsweg unzulässig, insoweit liegt ein rein öffentlichrechtlicher Tatbestand vor. Soweit die Klägerin aber zur Begründung ihres Anspruchs geltend macht, K. habe sie von der Probeentnahme benachrichtigen müssen, dann hätte sie den Weizen nicht ausgeführt und so wäre ihr dann der Schade nicht entstanden, muß der Rechtsweg zugelassen werden. Denn insoweit handelt es sich um die Behauptung der Einwirkung der angeblichen Amtspflichtverletzung unmittelbar auf die privatrechtlichen Entschlüsse, Handlungen und Vermögensverhältnisse der Klägerin.

2.

Für den Umfang der zweiten Klagebegründung versagt auch offensichtlich der Einwand des Beklagten, der Klägerin sei ein Schaden überhaupt nicht erwachsen, sie würde den Einfuhrschein zu Unrecht erlangt haben, da die materiellen Voraussetzungen für dessen Erteilung ermangelten. Wäre der Anspruch nur auf die ohne die Probeentnahme eingetretene Erlangung des Einfuhrscheins gestützt und die nur so begründete Klage vor dem Zivilrichter zuzulassen, dann träfe der Einwand zu. Denn diese Erlangung würde, wie die endgültige Versagung des Einfuhrscheins durch die zuständige Direktivbehörde zeigt, ein unrechtmäßiger Gewinn gewesen sein, und durch Vereitelung eines etwa nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge zu erwartenden (§ 252 BGB.), jedoch unrechtmäßigen Gewinns wird ein rechtswidriger Schaden nicht zugefügt.

3.

Der Beklagte hat weiter eingewendet, gegen die Klägerin habe der dringende Verdacht einer strafbaren Handlung, nämlich der Erschleichung eines Einfuhrscheins und einer unrichtigen Deklaration, vorgelegen, und die Probeentnahme durch K. sei eine Vorermittelung gewesen. Auch auf diesen Einwand hat sich der Berufungsrichter nicht eingelassen, obwohl, wenn er zutrifft, seine Gründe ohne weiteres unhaltbar werden. Das Oberverwaltungsgericht hatte die Frage einer strafbaren Handlung der Klägerin und der sich daraus ergebenden Befugnis und Verpflichtung des K. ausdrücklich dahingestellt gelassen. Es hatte festgestellt, daß K. ausreichenden Anlaß zu der Befürchtung hatte, der Revisionsbefund des Anmeldeamts Wesel sei unrichtig, und hatte schon wegen dieser Befürchtung, "daß eine Ware mit dem Anspruch auf Einfuhrschein angemeldet worden sei, obgleich die materiellen Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien", den K. für berechtigt erklärt, "der zur Erteilung des Einfuhrscheins zuständigen Behörde durch Entnahme der Probe Gelegenheit zur nochmaligen Untersuchung des Weizens auf seine marktgängige Beschaffenheit zu geben". Es bedürfe, meinte das Oberverwaltungsgericht, keiner Erörterung, ob die Probeentnahme ein zollpolizeilicher Akt und eine Vorermittelung im Strafverfahren war, denn jedenfalls habe die Probeentnahme auch den Zweck verfolgt, "die Erteilung des Einfuhrscheins für die hier in Frage stehende Sendung und die Ausfuhr des noch in Wesel lagernden Restbestandes des kanadischen Weizens als einer einfuhrscheinberechtigten Ware zu verhindern".

Aber auch von diesem, die Frage einer strafbaren Handlung beiseite lassenden Standpunkt aus erheben sich sofort Bedenken gegen die Schlüssigkeit und Richtigkeit der Begründung des Berufungsrichters. Wenn die begründete Befürchtung vorlag, die Klägerin, der drei Tage vorher, am 9. August, die gleiche Ware als nicht marktgängig zurückgewiesen worden war, erstrebe einen Einfuhrschein ohne dessen materielle Voraussetzungen, dann konnte es sich doch um Fürsorge der Zollbeamten für die den Händlern durch das Einfuhrscheinverfahren gebotenen Vorteile nicht mehr handeln, sondern im Gegenteil nur um eine Fürsorge, daß der ausführende Händler (die Klägerin) einen ihm gerade nicht gebotenen Vorteil nicht unrechtmäßig erlange. Wenn K. wegen dieser Befürchtung zur Probeentnahme berechtigt war, dann war die Probeentnahme ein Eingriff in den Geschäftsgang, zu dem K. berechtigt und verpflichtet war. Der Geschäftsgang war wegen der die Befürchtung begründenden Umstände kein regelmäßiger mehr, und diese Umstände waren der Klägerin als ihre eigenen Handlungen und Erfahrungen wohl bekannt. Sie bestanden darin, daß sie Teile eben derselben Weizenmenge am 9. August dem Anmeldeamte Bocholt mit dem Erfolge der Zurückweisung wegen Nichtmarktgängigkeit und am 12. August dem Anmeldeamte Wesel mit dem Erfolge der Zulassung als marktgängig vorgeführt hatte, ohne dem Anmeldeamte Wesel von dem vorgängigen Befunde des Amtes Bocholt Mitteilung zu machen. Daß die Zollbehörde diesen Widerspruch der Befunde Bocholt und Wesel, sobald er ihr bekannt wurde, nicht auf sich beruhen lassen, sondern zur Lösung bringen werde, damit mußte die Klägerin als mit einer selbstverständlichen Zollmaßnahme rechnen. Der Beamte, der den Widerspruch zuerst merkte und daraufhin die begründete Befürchtung faßte, die Klägerin erstrebe den Einfuhrschein ohne dessen materielle Voraussetzungen, war K. Er selbst konnte den Widerspruch der Befunde nicht sofort lösen und der Klägerin nicht sofort Klarheit darüber verschaffen, welcher Befund der richtige sei. Eine sofortige Klärung und Lösung war, da es sich um widerstreitende Befunde zweier verschiedener, in gleichem Maße zuständiger Anmeldeämter handelte, überhaupt nicht möglich; das konnte nur nachträglich durch Maßnahmen der vorgesetzten Stellen geschehen. Davon geht auch das Oberverwaltungsgericht aus mit den Worten: "als Zoll- und Steuerbeamter war K. befugt, diese seine Bedenken und Befürchtungen der zur Erteilung des Einfuhrscheins zuständigen Behörde zur Kenntnis zu bringen und ihr Gelegenheit zu geben, den Befund des Anmeldeamts Wesel einer Nachprüfung zu unterziehen". K. hat denn auch, wie der Beklagte ohne Widerspruch der Klägerin behauptet, die von ihm entnommene Probe der ihm vorgesetzten Stelle eingesandt, nachdem er schon während der kurzen Anwesenheit der Ware auf dem Bahnhofe Bocholt bei dieser Stelle "behufs Erlangung von Instruktionen" telephonisch angefragt hatte.

4.

Daß bei solcher Sachlage K. verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin sofort von der Probeentnahme zu benachrichtigen, kann aus den allgemeinen Gesichtspunkten der angeblichen Fürsorgepflicht der Zollbeamten für das Zugutekommen der Einfuhrscheinvorteile und des angeblichen Rechtes der ausführenden Händler auf Klarheit über den Befund überhaupt nicht abgeleitet werden. Jene Fürsorgepflicht und dieses Recht auf Klarheit besteht gar nicht im allgemeinen, sondern nur in der positiven Begrenzung, die sich aus §§ 11, 12 ESchO. und § 41 des Begleitscheinregulativs (BSchR.) ergibt. Das Anmeldeamt hat die Ware auf ihre Marktgängigkeit zu prüfen und den Befund dem die Ware vorführenden Händler sofort zu bekunden; das Ausgangsamt hat Begleitschein und Ladung nach Gattung und Menge zu prüfen, bei Abweichungen den Warenführer zu vernehmen und den Sachverhalt durch Benehmen mit den beteiligten Ämtern zu untersuchen. Aus inneren Gründen ist es unmöglich, aus der Benachrichtigungspflicht des Anmeldeamts, das gerade und nur mit der Anmeldung der Ware und mit der sofort möglichen Prüfung ihrer Marktgängigkeit befaßt ist, auch auf eine Benachrichtigungspflicht des Ausgangsamts zu schließen. Denn dieses hat an sich nur mit dem Begleitscheine, mit der Ladung nach Gattung und Menge sowie mit der Ausfuhrabfertigung zu tun und hat sich nur dann über seine eigentliche, regelmäßige Aufgabe hinaus mit der Vernehmung des Warenführers zu befassen, wenn es zu befürchten hat, der Einfuhrschein werde ohne die materiellen Voraussetzungen erstrebt, oder wenn es aus Verdacht einer strafbaren Handlung Maßnahmen trifft (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 BSchR.: "auch sind nötigenfalls geeignete Maßregeln zur Sicherstellung bei Gefälle, Strafen und Kosten, den Vorschriften für das Strafverfahren entsprechend zu treffen"). Das, was für die regelmäßige und sofort erfüllbare Aufgabe des Anmeldeamts gilt, kann nicht gelten für eine solche Ausnahmemaßregel des Ausgangsamts, die sich immer nur gegen den angeblich zu Benachrichtigenden richten soll, richten darf und richtet, und bei der, wie dargelegt, eine sofortige Klarstellung der sie veranlassenden Befürchtung (strafbare Handlung? Nichtmarktgängigkeit der Ware?) überhaupt unmöglich ist. Ebenso unmöglich kann daraus, daß das Anmeldeamt sich jeder Mitwirkung bei der Versendung der Ware als einer einfuhrscheinberechtigten enthält, wenn es die Ware nicht für einfuhrscheinberechtigt erachtet, hergeleitet werden, daß das Ausgangsamt bei den gedachten Ausnahmemaßnahmen, also z. B. bei Beanstandung des Befundes des Anmeldeamts und Veranlassung neuer Untersuchung der Ware auf ihre Marktgängigkeit, seinerseits jede Mitwirkung bei Abfertigung und Ausgang der Ware bis zur Aufklärung des Zweifels überhaupt zu unterlassen habe. Das Anmeldeamt ist mit der Ausfuhr überhaupt nicht befaßt, § 12 Abs. 3 ESchO.; und nach dieser Schlußfolgerung würde das Ausgangsamt seinen eigentlichen Dienst verweigern dürfen, denn als solches hat es nur die vom zuständigen Anmeldeamt als einfuhrscheinberechtigt erklärte Ware in das Empfangsbuch einzutragen und die Ausgangsabfertigung vorzunehmen. Ein derartiges Verfahren (Voraussetzung und Vollzug einer Beschlagnahme kommt hier nicht in Betracht), wonach die gänzliche Verweigerung des eigentlichen Dienstes des Ausgangsamts durch die Beanstandung der Beschaffenheit der Ware von seiten des Beamten des Ausgangsamts begründet wäre, würde gegen die klaren Dienstvorschriften verstoßen und dem haftenden Staate nur zahlreiche gerechtfertigte Beschwerde und Ersatzansprüche eintragen.

5.

Es fehlt denn auch jede positive Bestimmung, um die vom Berufungsrichter in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht angenommene Benachrichtigungspflicht zu stützen. Weder die Zollgesetze noch die Dienstvorschriften ergeben trotz ihrer eingehenden und erschöpfenden Fassung auch nur das Geringste für eine solche amtliche Verpflichtung; ihr Bestehen ist überhaupt zu verneinen. Daraus folgt die Abweisung der Klage.

Unmöglich könnte übrigens die Verpflichtung dem die Befürchtung oder den Verdacht fassenden Beamten des Ausgangsamts auferlegt werden. Dieser Beamte kann nicht entfernt voraussehen, wie sich die ihm vorgesetzte Stelle zu der von ihm gehegten Befürchtung stellen wird. Möglicherweise erklärt diese Stelle die Befürchtung ohne weiteres für unbegründet, so daß der bereits benachrichtigte und darum die Ausfuhr etwa unterlassende Händler voreilig und grundlos zu einem ihm vielleicht schädlichen Verhalten veranlaßt wäre. Erst dann, wenn der Befürchtung des die zweifelerregenden Umstände merkenden Beamten eine ernstliche Folge gegeben wird, konnte eine Benachrichtigung des betroffenen Händlers in Frage kommen; die Benachrichtigungspflicht konnte also nur anderen höhern Stellen auferlegt werden. Ebenso könnte die angebliche Befugnis und Verpflichtung, wegen solcher Befürchtung den Ausgangsabfertigungsdienst bis zur Klärung überhaupt gänzlich zu unterlassen, nicht der selbständigen Entschliessung des die Befürchtung fassenden Zollinspektors beim Ausgangsamt anheim gegeben werden.

6.

Die Klage stützt sich allein auf eine Amtspflichtverletzung des K. Zum Tatbestande gehört also sein Verschulden. Ein solches liegt keinesfalls vor; K. durfte ohne das geringste Verschulden nach Lage der Sache und nach den bestehenden Vorschriften der Meinung sein, daß er nicht verpflichtet und nicht einmal berechtigt sei, die Klägerin von der Probeentnahme zu benachrichtigen. Schon daran scheitert die Klage."