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RG, 09.10.1917 - III 221/17

Daten
Fall: 
Dienstlichen Weisung an einen Militärposten
Fundstellen: 
RGZ 91, 9
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.10.1917
Aktenzeichen: 
III 221/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Halle
  • OLG Naumburg

Haltung des Reichs wegen ungenauer und zuweitgehender Fassung einer dienstlichen Weisung an einen Militärposten.

Tatbestand

Am 4. August 1914 abends gegen 9 Uhr wurde der Kutscher A., der Ehemann der Klägerin und Vater des Mitklägers, als er mit einem Fleischerwagen in sehr schneller Fahrt durch die Thielenstraße in H. fuhr und auf dreimaligen Anruf nicht anhielt, von dem vor dem Eisenbahndirektionsgebäude stehenden Militärposten erschossen. Mit der Behauptung, die Tötung sei auf eine Verletzung militärischer Amtspflichten im Sinne des Gesetzes vom 22. Mai 1910 zurückzuführen, beanspruchten die Kläger vom Reichsfiskus die Zahlung von Unterhaltsrenten. Sie wurden von beiden Vorinstanzen abgewiesen. Ihre Revision hatte Erfolg.

Gründe

"Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hatte der Posten, der den A. erschossen hat, die dienstliche Weisung erhalten, verdächtige Personen anzuhalten und, wenn sie auf dreimaligen Haltruf nicht stehen blieben, auf sie zu feuern, besonders aber - mit Rücksicht auf die in den ersten Kriegstagen gemachten Versuche des Geldschmuggels von Frankreich nach Rußland - auf schnellfahrende Wagen zu achten, diese anzuhalten und nach dreimaligem vergeblichem Haltruf auf ihre Lenker zu schießen. Der auf die Wagen sich beziehende zweite Teil dieser Weisung ist nach der Ansicht des Berufungsrichters unter Berücksichtigung des Inhalts des ersten Teiles sinngemäß dahin auszulegen, daß der Posten nicht etwa unterschiedslos jeden schnellfahrenden Wagen anzuhalten und gegebenenfalls auf ihn zu schießen habe, sondern nur dann, wenn der auf Grund des schnellen Fahrens an sich bestehende Verdacht nicht durch andere Umstände wieder beseitigt würde. Die so zu verstehende Anweisung zum Gebrauche der Schußwaffe entbehrt nach der Meinung des Berufungsgerichts nicht der rechtlichen Grundlage, obwohl sie weder in den Vorschriften der MStGO. § 180 und der StPO. § 127 noch in dem Gesetz über den Waffengebrauch des Militärs vom 20. März 1887 und in der Vorschrift über den Waffengebrauch des Militärs vom 19. März 1914 Nr. 4 eine Stütze findet und obwohl ihr auch keine besondere Anordnung des kommandierenden Generals und keine Garnisondienstvorschrift zugrunde liegt. Im Anschluß an eine Auskunft des Kriegsministeriums vom 15. Februar 1917 leitet der Berufungsrichter die Berechtigung der Weisung aus dem Rechte des Heeres auf Waffengebrauch im Kriege gegenüber feindlichen Heeresangehörigen in Verbindung mit der Erwägung her, daß die Lenker von Wagen, die sich durch schnelles Fahren und durch Nichtanhalten trotz dreimaligen Haltrufs des Geldschmuggels im Interesse der Feinde verdächtig machen, "vorderhand" als verkleidete feindliche Heeresangehörige zu betrachten seien. Ob diesen Ausführungen beizupflichten ist, kann dahingestellt bleiben; denn wenn man auch annimmt, daß der dienstlichen Weisung in der Auslegung des Berufungsgerichts die rechtliche Grundlage nicht fehlt, so ist damit doch noch nicht entschieden, daß die Weisung in ihrer dem Posten mitgeteilten Fassung einwandfrei ist. Nicht die von dem Gerichte nachträglich gefundene Auslegung, sondern der dem Posten bekanntgegebene Wortlaut der Weisung, deren Auslegung nicht Sache des Postens ist, entscheidet. Mit Recht hebt die Revision hervor, daß militärische Dienstanweisungen so klar sein müssen, daß sie keiner Auslegung durch den Weisungsempfänger bedürfen, und daß dies besonders dann erforderlich ist, wenn sie sich auf den Waffengebrauch gegenüber den auf einer städtischen Straße verkehrenden Personen beziehen. Nach der oben mitgeteilten Feststellung war nun dem Posten nur gesagt worden, schnellfahrende Wagen sollten angehalten und, wenn sie auf dreimaligen Haltruf nicht hielten, auf ihre Lenker gefeuert werden; eine Prüfung, ob die Lenker des Geldschmuggels verdächtig seien, war dem Posten also nicht aufgegeben worden: Daß aber eine Weisung, durch die dem Posten zur Pflicht gemacht wurde, ohne Rücksicht auf das Vorliegen weiterer Verdachtsgründe auf jeden beliebigen Lenker eines schnellfahrenden Wagens, der auf dreimaligen Anruf nicht anhielt, zu schießen, der rechtlichen Grundlage entbehrt, wird sowohl in der Auskunft des Kriegsministeriums als auch von dem Berufungsgericht anerkannt.

Die Weisung ging ferner inhaltlich auch insofern zu weit, als sie das Schießen auf den Lenker des Wagens vorschrieb. Ihr Zweck, den Geldschmuggel zu verhindern, erforderte keineswegs die Tötung oder Verwundung der Lenker der schnellfahrenden Wagen. Es genügte, wenn die Wagen irgendwie zum Stillstande gebracht wurden, so daß ihr Inhalt untersucht und gegebenenfalls beschlagnahmt und die Wageninsassen festgenommen werden konnten, und das war bei Pferdegespannen mindestens ebensogut durch Anschießen der Pferde als durch Töten oder Verletzen der Lenker zu erzielen. Eine Weisung, durch Feuern auf die Pferde die Wagen zum Stehen zu bringen, war daher genügend und zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Insassen der Wagen erforderlich.

Durch die ungenaue und zuweitgehende Fassung der dienstlichen Weisung hat der Offizier, der den Posten unterwiesen hat, die gebotene Rücksicht auf das Leben und die Gesundheit der zu Unrecht verdächtigen Wagenlenker außer acht gelassen und damit eine ihm Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt verletzt. Diese Amtspflichtverletzung ist ihm zum Verschulden anzurechnen, da er selbst bei der in den ersten Kriegstagen herrschenden Aufregung und Unruhe die sehr naheliegende Möglichkeit nicht außer Betracht lassen durfte, daß der aus dem schnellen Fahren und dem Nicht-Anhalten trotz dreimaligen Anrufs hergeleitete Verdacht unbegründet sei und der Haltruf des Postens überhört werde.

Die mangelhafte Fassung der Weisung war endlich auch ursächlich für die Tötung des A. Wäre dem Posten aufgegeben worden, zu prüfen, ob die Wagenlenker des Geldschmuggels verdächtig seien, so würde er den verhängnisvollen Schuß unterlassen haben, da die Umstände des Falles jeden Verdacht ausschlossen; es handelte sich um einen gewöhnlichen offenen Schlachterwagen, auf dem drei Personen, darunter ein 12 jähriger Knabe, saßen, und der in die Stadt H. hineinfuhr; Schlachterwagen fahren aber regelmäßig außerordentlich schnell. Die Tötung des A. würde ferner auch unterblieben sein, wenn der Posten angewiesen wäre, auf die Pferde zu feuern; der von dem Beklagten hervorgehobene Umstand, daß der Posten bei Abgabe des Schusses hinter dem Wagen gestanden hätte und die Pferde nicht habe treffen können, ist ohne Belang; hätte die Weisung jenen Inhalt gehabt, würde er früher und von einem anderen Standpunkt aus geschossen haben.

Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 839 BGB. und des § 1 des Gesetzes vom 22. Mai 1910 sowie die Voraussetzungen des § 844 Abs. 2 BGB. unstreitig vorliegen, ist der Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären, ohne daß es der Prüfung eines Verschuldens des Postens bedarf. Ein mitwirkendes Verschulden des A. wird von dem Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß verneint."