danke-sagen-unterstützen

Unveröffentlichte Gerichtsentscheidung hinzufügen: Mehr erfahren...

RG, 09.10.1883 - III 122/83

Daten
Fall: 
Haftbarkeit des eine Partei als Prozeßbevollmächtigter vertretenden Rechtsanwaltes
Fundstellen: 
RGZ 10, 136
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.10.1883
Aktenzeichen: 
III 122/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Detmold
  • OLG Celle

Haftbarkeit des eine Partei als Prozeßbevollmächtigter vertretenden Rechtsanwaltes für den durch Versäumung einer Frist entstandenen Schaden.

Tatbestand

Der Kläger hatte bei der Fürstlich lippischen Ablösungskommission einen Anspruch auf Entschädigung wegen einer aufgehobenen ausschließlichen Gewerbeberechtigung angemeldet. Da die Fürstliche Rentkammer den Anspruch bestritt, wurde der Kläger auf den Rechtsweg verwiesen und zur Erhebung der Klage, in Gemäßheit des maßgebenden lippischen Gesetzes, eine am 23. Oktober 1879 ablaufende Frist von sechs Wochen bestimmt. Die Zustellung der demgemäß beim Landgerichte zu Detmold anhängig gemachten Klage an die beklagte Rentkammer erfolgte erst nach Ablauf dieser Frist, am 7. November 1879. Das Landgericht erkannte die Klagforderung zum größten Teile als begründet an und verurteilte die beklagte Rentkammer zur Leistung des durch Sachverständige zu ermittelnden Schadens. Auf Berufung der beklagten Rentkammer wurde jedoch vom Oberlandesgerichte zu Celle die Klage wegen Versäumung der gedachten Frist, unter Verurteilung des Klägers in die Kosten, abgewiesen. Die dagegen eingelegte Revision wurde zurückgewiesen.

Der Kläger hat nun gegen den Beklagten, welcher ihn in der ersten Instanz des erwähnten Vorprozesses als Anwalt vertreten hat, Klage erhoben, mit dem Antrage, denselben zur Erstattung der von ihm in dem Vorprozesse bezahlten Kosten im Betrage von 2504 M zu verurteilen, weil die Versäumung der Frist durch den Beklagten verschuldet sei. Es steht fest, daß der Kläger den Beklagten, welcher damals in Lemgo wohnte, am 12. Oktober 1879 mit der Führung des Prozesses beauftragt und ihm am 12. oder 14. Oktober mitgeteilt hat, entweder daß die von der Ablösungskommission zur Erhebung der Klage gesetzte Frist noch neun Tage betrage, oder daß dieselbe bis zum 23. Okt. 1879 ablaufe. Der Beklagte hat die Klagschrift behufs Erwirkung der Terminsansetzung und der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher an seinen ständigen Zustellungsbevollmächtigten, Dr. D. in Detmold, gesandt, ohne ihm jedoch davon Mitteilung zu machen, daß für die Erhebung der Klage eine am 23. Oktober ablaufende Frist bestimmt worden. Dr. D. hat die Klagschrift am 15. Oktober beim Landgerichte behufs der Terminansetzung eingereicht, dieselbe jedoch von der Gerichtsschreiberei nach der Behauptung des Beklagten trotz mehrfacher Rückforderungen so spät zurückerhalten, daß sie erst am 6. November, also nach Ablauf der Frist, dem Gerichtsvollzieher hat übergeben werden können und der beklagten Rentkammer am 7. November zugestellt ist. Das Landgericht verurteilte den Beklagten, dem Kläger einen Teil der eingeklagten Kosten zu ersetzen, indem es davon ausging, daß Beklagter entweder die Erfüllung der ihm obliegenden Pflicht rechtzeitiger Klagerhebung oder die unverschuldete Unmöglichkeit der Erfüllung habe darlegen müssen, beides aber nicht gethan habe.

Auf Berufung des Beklagten wies das Oberlandesgericht die Klage ab, indem es ausführte, daß in dem Verhalten des Beklagten ein vertretbares Verschulden bei Ausübung seiner vertragsmäßigen Pflicht nicht zu finden sei.

Das Reichsgericht hat die vom Kläger eingelegte Revision für begründet erkannt und, unter Aufhebung des angefochtenen Urteiles, die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Dem Berufungsrichter ist zwar darin beizustimmen, daß zur Beseitigung des von dem Kläger wegen Nichterfüllung des dem Beklagten erteilten und von ihm angenommenen Auftrages erhobenen Schadensersatzanspruches nicht der Nachweis einer unverschuldeten Unmöglichkeit der Erfüllung des Auftrages verlangt werden könne, sondern daß zu prüfen sei, ob das Verhalten des Beklagten den Verpflichtungen entspricht, welche einem Rechtsanwalte bezüglich der Ausführung eines ihm zur Prozeßführung erteilten Mandates obliegen, oder ob der Beklagte diese Verpflichtungen verletzt habe. Allein die Annahme, daß der Beklagte nach den vorliegenden Thatsachen von einem vertretbaren Verschulden in Ausübung seiner vertragsmäßigen Verpflichtung freizusprechen und deshalb die erhobene Klage abzuweisen sei, beruht auf einer Verletzung der über die Verpflichtungen eines zur Prozeßführung bevollmächtigten Anwaltes bestehenden Rechtsnormen. Der Berufungsrichter stellt nicht fest, welche Anforderungen an die Sorgfalt eines Anwaltes zu stellen sind, für welchen Grad von Sorgfalt er haftet. Wäre derselbe von dem richtigen Satze ausgegangen, daß der von der Partei bevollmächtigte, dieselbe vertretende Rechtsanwalt nicht bloß für grobes, sondern auch für geringes Verschulden haftet, daß er die Rechte seiner Partei gewissenhaft wahrzunehmen, alle Prozeßhandlungen mit möglichster Sorgfalt vorzunehmen hat und für den durch seine Nachlässigkeit und die Versäumung dieser seiner Verpflichtungen der Partei entstandenen Schaden verantwortlich ist, so hätte der Berufungsrichter nicht zu dem angegebenen Resultate gelangen können, sondern hätte annehmen müssen, daß den Beklagten nach den feststehenden Thatsachen ein vertretbares Verschulden treffe.

Darin allein, daß der Beklagte nicht selbst die Ansetzung des Verhandlungstermines und die Zustellung der Klage an die beklagte Rentkammer besorgte, sondern dieselbe dem Assessor Dr. D. in Detmold übertrug, ist allerdings ein den Beklagten zum Schadensersatze verpflichtendes Verschulden nicht zu finden. Denn, wenn auch hierbei auf die Vorschrift in §. 19 der Rechtsanwaltsordnung, auf welche der Berufungsrichter Bezug nimmt, kein Gewicht gelegt werden kann, weil dadurch nur dem nicht am Gerichtssitze wohnenden Rechtsanwalte die Verpflichtung auferlegt ist, einen am Gerichtssitze wohnenden ständigen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, dieser aber nur eine Person ist, an welche rechtswirksam Zustellungen bewirkt werden können, nicht eine Person, durch welche Zustellungen und sonstige Prozeßhandlungen vorgenommen werden sollen, so stand doch nichts im Wege, daß der Beklagte den Dr. D. beauftragte, für ihn die Ansetzung des Verhandlungstermines zu bewirken und den Gerichtsvollzieher mit der Zustellung der Klage zu beauftragen. Wenn aber die Partei mit dieser Maßnahme sich nicht einverstanden erklärt hatte, so haftet der Beklagte nicht lediglich für culpa in eligendo, sondern auch für die Versehen des von ihm zur Ausführung des ihm erteilten Auftrages benutzten Gehilfen. Es wäre daher zu entscheiden gewesen, ob der Kläger, wie Beklagter behauptet, mit der Zuziehung des Dr. D. zu den angegebenen Handlungen einverstanden gewesen, und eventuell, ob den Dr. D. bei Ausführung des ihm erteilten Auftrages ein Verschulden trifft.

Allein es bedarf dieser Erörterung nicht, da bereits aus den festgestellten Thatsachen ein dem Beklagten unmittelbar zur Last fallendes Verschulden sich ergiebt. Wenn der Beklagte, sei es mit, sei es ohne Zustimmung des Klägers, dem Dr. D. die Erwirkung des Verhandlungstermines und der Zustellung der Klage an die Beklagte übertrug, so mußte er dafür Sorge tragen, daß die Zustellung vor Ablauf der für die Erhebung der Klage gesetzten Frist erfolgte. Dieses hat er aber nicht gethan und dabei diejenige Sorgfalt außer acht gelassen, welche ihm als bevollmächtigtem Anwalte oblag, weil er dem Dr. D. überall keine Mitteilung gemacht hat, daß für die Erhebung der Klage eine Frist bestimmt sei, und daß diese Frist am 23. Oktober 1879 ablaufe. In der Mitteilung dieser Präklusivfrist würde nicht, wie der Berufungsrichter annimmt, eine besondere, den Umständen nach überflüssige Vorsicht zu finden sein, sondern diese Vorsicht war bei Lage der Sache so dringend geboten, daß in ihrer Unterlassung eine Vernachlässigung der dem Anwalte obliegenden Verpflichtung, alle Prozeßhandlungen mit möglichster Sorgfalt vorzunehmen, gefunden werden muß. Wenn die Klage, wie dem Beklagten vom Kläger bei Erteilung des Auftrages am 12. oder 14. Oktober mitgeteilt wurde, innerhalb einer bestimmten Frist erhoben werden mußte, so durfte der Beklagte, wenn er nicht selbst die rechtzeitige Zustellung der Klage besorgte, sondern deren Zustellung dem Dr. D. übertrug, sich nicht darauf verlassen, daß D. den Auftrag ohnehin sofort ausführen werde, sondern er mußte ihn auf den so wesentlichen Umstand, daß für die Klagerhebung eine bald ablaufende Frist gesetzt sei, aufmerksam machen und dadurch die Innehaltung der Frist, welche bei ordnungsmäßigem Verfahren völlig ausreichend war, sichern. Dieses Verschulden des Beklagten wird auch dadurch nicht ausgeschlossen, daß er, wie der Berufungsrichter hervorhebt, nach seiner Kenntnis von der Geschäftsbehandlung des Dr. D. und nach dem, was vorliege, allem Anscheine nach mit Recht, darauf sich verlassen konnte, daß dieser, wie gewöhnlich, das Geschäft ohne Säumnis erledigen werde. Die Versäumnis der Frist für Erhebung der Klage soll nach der Darstellung des Beklagten dadurch entstanden sein, daß die Klagschrift, welche von D. beim Landgerichte am 15. Oktober behufs der Ansetzung des Verhandlungstermines eingereicht worden, von der Gerichtsschreiberei dem D., ungeachtet mehrfacher Rückforderung, so spät zurückgegeben worden sei, daß dieselbe erst am 6. November, also längere Zeit nach Ablauf der Frist, dem Gerichtsvollzieher behufs Zustellung an die Beklagte übergeben sei. Wäre dem D. von dem Beklagten davon Mitteilung gemacht, daß ausnahmsweise für die Erhebung der vorliegenden Klage eine am 23. Oktober 1879 ablaufende Frist gesetzt sei, so hätte D., wenn er sich nicht einer groben Nachlässigkeit schuldig machen wollte, dafür Sorge tragen müssen, daß ihm die Klagschrift, den bestehenden gesetzlichen Vorschriften gemäß, binnen kurzer Frist zurückgegeben werde, und dann den Auftrag zur Zustellung an den Gerichtsvollzieher rechtzeitig erteilen müssen. War dem D. aber nichts davon bekannt, daß für die Erhebung der Klage eine Frist bestand, deren Ablauf nahe bevorstand, so konnte er davon ausgehen, daß es nicht wesentlich sei, ob die Zustellung der Klage einige Tage früher oder später erfolge; und sich nicht veranlaßt finden, die rechtzeitige Rückgabe der Klagschrift durch die Gerichtsschreiberei auf geeignetem Wege zu erwirken." ...