RG, 09.10.1883 - III 118/83

Daten
Fall: 
Explosion einer Pulverfabrik
Fundstellen: 
RGZ 10, 140
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.10.1883
Aktenzeichen: 
III 118/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Altona
  • OLG Kiel

Explosion einer Pulverfabrik. Genügt zum Nachweise des Kausalzusammenhanges bei der aquilischen Klage, wenn der Beschädigte darthut, daß der Betrieb der Fabrik nicht mit der erforderlichen Vorsicht und ohne Beachtung der in der Konzession vorgeschriebenen Schutzmaßregeln geschehen ist?
Wird der Besitzer der Fabrik von der Haftung dadurch befreit, daß ihm bei der Auswahl des technischen Direktors kein Versehen zur Last fällt?

Gründe

"Am 6. Mai 1878 ist die den Beklagten gehörige, zu Tinsdal bei Schulau gelegene Pulverfabrik infolge einer Explosion in die Luft geflogen. Durch den von der Explosion bewirkten Luftdruck sind mehrere, in der Nähe der Fabrik zu Schulau und in anderen Ortschaften belegene Gebäude der Kläger so, wie die Klage näher angiebt, beschädigt. Kläger verlangen von den Beklagten Ersatz der ihrem Betrage nach nicht streitigen Reparaturkosten. Zur Begründung ihres Anspruches behaupten sie, die Fabrikation des Pulvers sei mit großer Unvorsichtigkeit betrieben. Sie führen in dieser Beziehung eine Reihe von Thatsachen an, durch welche sie teils mangelhafte und der Regierungs-Konzession vom 4. Mai 1877 widersprechende Einrichtungen in der Fabrik, teils Unvorsichtigkeiten des Betriebspersonals beweisen wollen. In ersterer Rücksicht wird namentlich behauptet, daß in der Fabrik nirgends Fußdecken gelegen, daß das auf dem Boden liegende, verschüttete Pulver nicht zusammengefegt und weggeschafft sei, daß die vorgeschriebenen wöchentlichen Reinigungen der Fabrik nicht stattgefunden haben, daß der Transport des Pulvers in unverdeckten Tonnen erfolgt sei, daß zu große Quantitäten Pulver (angeblich etwa 70 000 Pfund) in den Fabrikgebäuden, namentlich auch im Kollergange, sowie in dem Wohnhause des Pulvermeisters B. gelagert haben, daß die erforderlichen Schutzwälle nicht errichtet, und endlich, daß Nachtarbeit gestattet worden. Betreffend die Unvorsichtigkeit des Betriebspersonals machen sie geltend, daß die Arbeiter in den Fabrikgebäuden mit Nägeln beschlagene Stiefeln statt der in der Konzession vorgeschriebenen Filzschuhe getragen haben, und insbesondere, daß die Beklagten und ihre Untergebenen, namentlich der Direktor Sch. und der Pulvermeister B., in der Fabrik, sowie auf dem Platze vor derselben geraucht haben. Die Kläger führen aus, daß die Unterlassung der bei einem so gefährlichen Fabrikbetriebe unbedingt erforderlichen, zum Teil durch die Konzession ausdrücklich angeordneten Vorsichtsmaßregeln ein von den Beklagten vertretbares Verschulden enthalte, behaupten überdies in zweiter Instanz unter Beweisantritt, daß die Ordnungswidrigkeiten auf Anordnung der Beklagten beruhen, jedenfalls aber ihnen bekannt gewesen seien. Sie vermeinen, daß bei diesem Sachverhalt die Voraussetzungen sowohl der negatorischen, als der aquilischen Klage vorliegen.

Der erste Richter hat zwar festgestellt, daß durch die Beweisaufnahme mehrere der klägerischen Anführungen sich bewahrheitet haben, er nimmt jedoch nicht an, daß dadurch ein die Beklagten verpflichtendes Verschulden dargethan sei und weist deshalb die Klage ab. Der Berufungsrichter hat diese Entscheidung unter Ablehnung der neuen Beweisanträge bestätigt. Er geht davon aus, daß sowohl die negatorische, als die aquilische Klage nur bei einem Verschulden der Beklagten deren Ersatzpflicht begründe. Die Abweisung rechtfertigt er damit, daß der Kausalzusammenhang zwischen den einzelnen Ordnungswidrigkeiten und der Explosion fehle. Ohne den speziellen Nachweis desselben erachtet er die Beklagten wegen ihrer Geschäftsführung im allgemeinen nur dann für verantwortlich, wenn, wie es im zweiten Urteile heißt, jede Ordnung gefehlt hat und sozusagen alles drunter und drüber gegangen ist, oder, wie an einer anderen Stelle des Urteiles bemerkt wird, die Thatsachen mit Notwendigkeit auf den Kausalzusammenhang hinweisen. Da ein solcher Zustand auch durch die neuen Anführungen der Kläger nicht bewiesen werden könne, hält er die Beklagten nicht für ersatzpflichtig.

Die gegen diese Entscheidung von den Klägern eingelegte Revision erscheint begründet.

Ob es richtig ist, daß mit der negatorischen Klage nur dann Schadensersatz gefordert werden darf, wenn der widerrechtliche Eingriff in das Eigentum auf einem Verschulden beruht, kann unerörtert bleiben, da die negatorische Klage eine Handlung voraussetzt, bei der sich der Handelnde des Eingriffes in fremdes Eigentum bewußt werden kann und muß, es sich hier aber um die Einwirkung einer unabsichtlich eingetretenen Explosion handelt.

Dagegen müssen die Gründe, auf welche der Berufungsrichter die Abweisung der aquilischen Klage stützt, für rechtsirrtümlich erachtet werden. Der Berufungsrichter geht mit Recht davon aus, daß der Anspruch aus der lex Aquilia nur gegen denjenigen gerichtet werden darf, welcher durch seine Handlung rechtswidriger und schuldvoller Weise einen Schaden verursacht hat. Hinsichtlich des Verschuldens bestimmen die Gesetze, daß jedes Versehen verantwortlich macht. ( l. 44 pr. Dig. ad leg. Aquil. 9, 2). In betreff der Beweislast kann es nicht zweifelhaft erscheinen, daß der Kläger, eben weil er nur Ersatz für den durch ein Versehen verursachten Schaden in Anspruch nehmen darf, auch den Beweis des ursächlichen Zusammenhanges übernehmen muß. Damit ist jedoch nicht über die Frage entschieden, welche Anforderungen an die Beweisführung für die Fälle gestellt werden dürfen, wo sich die unmittelbar wirkende Ursache nach der Natur der Verhältnisse, nicht ermitteln läßt. Wollte man in solchen Fällen außer dem zur Herbeiführung des Erfolges völlig geeigneten schuldbaren Verhalten auch noch den Beweis des wirklichen ursachlichen Zusammenhanges fordern, so würde die Rechtsverfolgung nahezu ausgeschlossen sein. Schon die Römer haben sich durch diese Betrachtung in dem in der l. 11 §.2 Dig. ad leg. Aquil. 9, 2 behandelten Falle leiten lassen, und bei der Tötung eines Sklaven, dem mehrere Personen Verletzungen beigebracht haben, angenommen, daß, sofern nicht nachgewiesen werden kann, durch wessen Hand der tätliche Erfolg herbeigeführt worden ist, jeder von ihnen ( quasi omnes occiderint) haften müsse.

Dasselbe Bedürfnis einer Beschränkung der Beweislast auf das Mögliche macht sich heutzutage in noch ungleich höherem Maße geltend bei Schäden, welche verursacht werden durch eine Explosion von Pulvermühlen, Dynamit- und anderen eminent gefahrbringenden Fabriken, für deren Anlage und Betrieb schon vom Gesetze selbst besondere Vorsichtsmaßregeln angeordnet sind (vgl. §. 16 G.O., §. 367 Nr. 4. 5 St.G.B.). Der Kausalzusammenhang zwischen der Explosion und dem durch dieselbe angerichteten Schaden liegt stets klar zu Tage. Die unmittelbare Ursache der Explosion bleibt dagegen regelmäßig unaufgeklärt, weil die vernichtende Kraft der letzteren jede Spur vertilgt, und meistens diejenigen Personen tötet, welche in der Lage gewesen sind, die Entstehung wahrnehmen zu können. Der Beschädigte würde deshalb gerade bei Unglücksfällen, welche durch die gefährlichsten gewerblichen Unternehmungen veranlaßt werden, nicht zu seinem Rechte gelangen, wollte man nicht den Beweis für genügend halten, daß die Fabrik nicht mit der zur Vermeidung einer Explosion gebotenen Vorsicht betrieben worden ist. Es würde nicht gerechtfertigt erscheinen können, wenn derjenige, welchen der Vorwurf trifft, durch Vernachlässigung der notwendigen Vorsichtsmaßregeln die Entstehung ermöglicht und erleichtert zu haben, sich der Verantwortlichkeit für den durch Eintritt einer solchen Katastrophe entstandenen Schaden durch das Verlangen entziehen könnte, daß ihm durch den regelmäßig nicht zu erbringenden Beweis der nächsten Ursache der Explosion der Kausalzusammenhang mit seiner Schuld nachgewiesen werde. Man wird vielmehr davon ausgehen müssen, daß es der Verantwortlichkeit für die große Gefahr, in welche ein solches Verschulden weite Kreise versetzt hat, entspricht, wenn bis zum Beweise des Gegenteiles angenommen wird, daß die eingetretene Explosion mit dem Verschulden in ursachlichem Zusammenhange stehe.

Dies verkennt der Berufungsrichter, indem er für den vorliegenden Fall von den Klägern außer dem Beweise des Verschuldens auch noch den Beweis des ursachlichen Zusammenhanges fordert, und eine Ausnahme nur dann statuieren möchte, wenn in der Fabrik der Beklagten Alles drüber und drunter gegangen wäre. Andererseits hat der Berufungsrichter zwar nicht übersehen, daß auf den Umfang des angerichteten Schadens die Menge des aufgelagerten Pulvers von wesentlichem Einflusse gewesen sein und daß ein Ersatzanspruch gegen die Beklagten in dieser Richtung begründet erscheinen könnte, sofern sie mehr Pulver gelagert hätten, als sie nach den in Betracht kommenden Umständen lagern durften. Der Berufungsrichter irrt jedoch, wenn er im gegebenen Falle die Lagerung der von den Klägern behaupteten bedeutenden Quantitäten Pulver in den Fabrikräumen und im Kollergange für einen nicht ins Gewicht fallenden Umstand erklärt. Die Regierungskonzession vom 4. Mai 1877 gab sub Nr. 18 den Beklagten auf, daß:

"unter keinerlei Umständen mehr Pulver oder Satz in den Werken vorhanden sein darf, als gerade in der Arbeit begriffen, und hierzu unbedingt erforderlich ist; auch das fertige Fabrikat sogleich nach dem nahe belegenen Ablagemagazin gebracht und aus diesem auch die noch weiter zu verarbeitende Masse nur allmählich nach dem Fortschritt der Arbeit herangeholt wird."

Es fehlt hiernach nicht, wie der Berufungsrichter meint, an einem Maßstabe zur Beurteilung der klägerischen Behauptung, daß die Beklagten sich durch Anhäufung zu großer Massen Pulver einer Unvorsichtigkeit schuldig gemacht haben. Und auch wenn die Regierungskonzession diesen Maßstab nicht enthielte, würde es Sache des Berufungsrichters gewesen sein, zu prüfen, ob die Beklagten die behauptete Quantität lagern durften, ohne dadurch eine unnötige Gefahr für die Anwohner herbeizuführen oder die vorhandene Gefahr zu vergrößern. Der im zweiten Urteile angegebene Grund, daß die Lagerung eines recht erheblichen Quantums Pulver zu den Existenzbedingungen einer Fabrik der vorliegenden Art gehöre, entschuldigt die Beklagten nicht, zumal die Lagerung nicht in den Räumen der Fabrik und namentlich nicht im Kollergange zu geschehen brauchte.

Es darf weiter nicht zu Gunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, daß sie sich durch Annahme eines technischen Direktors, auch wenn ihnen bei der Auswahl desselben kein Versehen zur Last fällt, von jeder Verantwortlichkeit frei machen konnten. Ihre Pflicht war vielmehr, die Leitung des Betriebes durch den Direktor sorgfältigst zu kontrollieren, und sie mußten namentlich dafür aufkommen, daß von dem Direktor und dem Fabrikpersonale die Konzessionsanordnungen eingehalten wurden." ...