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RG, 05.10.1917 - III 145/17

Daten
Fall: 
Staatshaftung bei gesundheitsgefährliche Beschaffenheit der Räume
Fundstellen: 
RGZ 91, 21
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.10.1917
Aktenzeichen: 
III 145/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Posen
  • OLG Posen

Wem haftet der Staat, wenn Familienangehörige des Inhabers einer Dienstwohnung durch die gesundheitsgefährliche Beschaffenheit der Räume erkranken?

Tatbestand

Der Kläger, ein Oberbahn-Assistent, wurde nach J. versetzt und erhielt dort die bis dahin vom Bahnhofsvorsteher Dr. benutzte Dienstwohnung angewiesen. Einige Monate nach dem Einzuge trat bei seiner Tochter, der Mitklägerin, Tuberkulose auf, die zur Einleitung eines Heilverfahrens Anlaß bot. Die Kläger führen die Erkrankung darauf zurück, daß es der verklagte Staatsfiskus an der rechtzeitigen Entseuchung der erst am 5. und 6. Tage nach dem Einzuge desinfizierten Wohnung, die infolge eines Lungenleidens der Ehefrau Dr.s mit Tuberkelbazillen behaftet gewesen sei, habe fehlen lassen, und machen ihn deshalb wegen des Schadens haftbar, der ihnen durch die Krankheit erwachsen ist und noch erwachsen wird.

Das Landgericht erklärte die Klagensprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt. Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beklagten hinsichtlich der Ansprüche des Klägers zurück, erkannte aber in Ansehung der Ansprüche der Mitklägerin auf Klagabweisung. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg, die des Beklagten wurde zurückgewiesen.

Gründe

"Das Berufungsgericht stellt auf Grund der Beweisergebnisse fest, daß die Lungenerkrankung der Klägerin eine Folge des Aufenthalts in der durch die Krankheit der Frau Dr. mit Tuberkelbazillen behafteten Dienstwohnung ist. Es nimmt jedoch an, daß der Beklagte nur dem Kläger für den ihm durch die Erkrankung verursachten Schaden aufzukommen hat, und leitet diese Haftpflicht aus den für entsprechend anwendbar erachteten §§ 618, 278 BGB. ab. Dabei wird erwogen, daß der Dr. D., welcher die Frau Dr. als vom Beklagten angestellter Bahnarzt behandelte, die verspätete Entseuchung der Dienstwohnung verschuldet habe; diese würde rechtzeitig in die Wege geleitet worden sein, wenn Dr. D. seiner Pflicht, alle ihm im Bereiche seiner Tätigkeit als Bahnarzt bekannt werdenden Fälle von Tuberkulose der Eisenbahnverwaltung anzuzeigen, im Falle Dr. genügt hätte. Der Klägerin spricht der Berufungsrichter das Recht auf Schadensersatz mit der Begründung ab, daß sie in keiner vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehung zum Beklagten gestanden habe; außervertragliche Ansprüche könne sie aber nicht erheben, weil der Beklagte hinsichtlich des Dr. D. den Entlastungsbeweis aus § 831 BGB. geführt habe.

Diese Ausführungen sind, soweit sie die Rechte des Klägers betreffen, nur im Ergebnis zutreffend, dagegen in der Begründung verfehlt; soweit sie sich aber auf die Rechte der Klägerin beziehen, sind sie in beiden Richtungen unhaltbar.

Die Entscheidung ist bei der staatsrechtlichen Natur des Beamtenverhältnisses im öffentlichen Rechte zu suchen und hat sich bei dem Mangel einschlagender Vorschriften auf die Grundsätze zu stützen, die sich aus der Natur der Sache bei Berücksichtigung der Rechtsgedanken ergeben, welche für die Beurteilung ähnlich liegender Verhältnisse des Privatrechts maßgebend sind. Das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß eine Fürsorgepflicht, wie sie der § 618 BGB. für den Dienstvertrag ausstellt, auch dem Staate und den sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechtes ihren Beamten gegenüber obliegt. Hieraus ist die Folgerung gezogen worden, daß im Anwendungsbereiche des preußischen Gesetzes, betr. das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen Volksschulen vom 3. März 1897 die Gemeinden zur gefahrfreien Einrichtung und Unterhaltung der den Lehrern gewährten Dienstwohnungen verbunden und im Falle schuldhafter Verletzung dieser Pflicht dem hierdurch an der Gesundheit geschädigten Lehrer ersatzpflichtig sind (RGZ. Bd. 71 S. 243, Warneyer Rspr. 1912 Nr. 250). Ausgegangen wird dabei von der Erwägung, daß die Dienstwohnung zu den Räumen zählt, welche die Gemeinde wenigstens mittelbar zur Ermöglichung der Verrichtung der Dienste des Lehrers zu beschaffen hat. Die Fürsorgepflicht steht sonach in engem Zusammenhange mit der Zweckbestimmung der Dienstwohnung, die ihren Inhaber in den Stand setzen soll, seinen dienstlichen Pflichten zu genügen oder ihm deren Erfüllung zu erleichtern. Wie er sich im Interesse der Erfüllung seiner Obliegenheiten die Benutzung der Dienstwohnung ansinnen lassen muß, so kann er von der Gemeinde einen ausreichenden Schutz gegen gesundheitsgefährdende Mängel der Wohnung verlangen. Dieser Gedanke führt dazu, dem Staate die gleiche Schutzpflicht in bezug auf die Dienstwohnungen seiner Beamten aufzuerlegen und sie nicht nur dem Beamten, sondern auch seinen Angehörigen gegenüber Platz greifen zu lassen, zu deren Aufnahme in die Wohnung er berechtigt ist. Denn die Nötigung der Beamten, die Dienstwohnung zu benutzen, erstreckt ihre Wirkungen auch auf sie, weil sie im Interesse der Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft den Aufenthalt des Beamten in der Dienstwohnung teilen müssen.

Dem Beamten selbst gegenüber hat die Schutzpflicht die Bedeutung, daß er den Staat wegen Vernachlässigung des Schutzes nicht bloß dann verantwortlich machen kann, wenn hierdurch seine eigene Gesundheit leidet, sondern auch, wenn die Gesundheit eines Angehörigen beeinträchtigt und der Beamte dadurch geschädigt wird. Wie im Falle der Störung der eigenen Gesundheit des Beamten dessen Ersatzberechtigung eine Stütze in dem entsprechend anzuwendenden § 618 BGB. findet, so bietet das bürgerliche Recht auch im Falle der gesundheitlichen Benachteiligung eines Familienangehörigen für das Bestehen von Ersatzansprüchen sowohl des Beamten wie des Angehörigen zwingende Analogien dar. Erleiden Familienmitglieder des Mieters einer Wohnung durch die vom Vermieter zu vertretende gesundheitsschädliche Beschaffenheit der Wohnräume Nachteile, so kann der Mieter, wie das Reichsgericht bereits ausgesprochen hat, den Vermieter wegen des ihm selbst hieraus erwachsenen Schadens auf Grund von § 538 BGB. haftbar machen (RGZ. Bd. 77 S. 99, insbes. S. 101). Es kann sich in der Regel aber auch der erkrankte Angehörige wegen seines Vermögensschadens auf Grund des Mietvertrags am Vermieter erholen. Dem Mieter einer Familienwohnung muß, wenn nicht besondere Umstände eine abweichende Auffassung bedingen, die für den Vermieter erkennbare Absicht unterstellt werden, beim Abschlusse des Mietvertrags auch die Interessen der mit ihm zusammenlebenden Angehörigen nach Möglichkeit wahrzunehmen und zu diesem Zwecke ihnen hinsichtlich der gefahrenfreien Beschaffenheit der Wohnräume dieselben Rechte gegen den Vermieter zu verschaffen, die ihm selbst zustehen (§ 328 BGB.) Denn ohne eine solche Ausdehnung der Vertragspflichten des Vermieters sind die Angehörigen in Schädigungsfällen auf außervertragliche Ansprüche beschränkt und genießen insbesondere nicht die Vorteile, welche dem Mieter die Vorschriften der §§ 278, 538 BGB. dadurch bieten, daß der Vermieter für einen beim Vertragsabschluß vorhandenen Mangel auch ohne Verschulden haftet. Eine solche verschiedene Gestaltung der Rechtslage des Mieters und der seiner Angehörigen widerstrebt dem gesunden Rechtsgefühl und entspricht deshalb nicht den Vertragsabsichten des Mieters, der keine Angehörigen, wie sich der Vermieter nicht verhehlen kann, in bezug auf Ersatzansprüche der bezeichneten Art nicht schlechter stellen will als sich selbst. Auch auf dem Boden des privatrechtlichen Dienstvertrags muß davon ausgegangen werden, daß der Dienstverpflichtete, dem der Arbeitgeber zur Ermöglichung oder Erleichterung der Dienstleistung eine Familienwohnung überläßt, diesem durch sein Einverständnis hiermit zugleich die Verpflichtung auferlegen will, seine Angehörigen durch sachgemäße Einrichtung und Unterhaltung der Wohnräume gegen Gefahren für Leib und Leben in gleichem Maße wie ihn selbst (§ 613) zu schützen, und daß er ihnen neben seinem eigenen Rechte auch ein selbständiges Recht hierauf erwirken will. Es würde nun eine unerträgliche Verschiedenheit in der Gestaltung verwandter Rechtsbeziehungen auf dem Gebiete des bürgerlichen und des öffentlichen Rechtes sein, wenn der Beamte, dem eine Dienstwohnung zugewiesen wird, vom Staate nicht den Schutz seiner zum Aufenthalt in der Wohnung berechtigten Angehörigen gegen gesundheitsschädliche Mängel der Wohnräume beanspruchen und wenn die Angehörigen nicht auch selbst hierauf Anspruch erheben könnten. Die verschiedene Behandlung würde um so mehr der Berechtigung entbehren, als für den Beamten und seine Angehörigen die für den Mieter oder Dienstverpflichteten und deren Angehörige bestehende Wahlfreiheit in bezug auf die Benützung der Wohnung in Wegfall kommt und sie sich deren Gebrauch auch nicht entziehen können. Die Erstreckung der Schutzpflicht auf die Angehörigen liegt übrigens auch in der Linie der Entwicklung, die das öffentliche Recht durch die Fürsorge des Staates für die Angehörigen genommen hat. Sie zählt zu den dem Beamten für die amtliche Tätigkeit zu gewährenden Vorteilen, welche, ohne die Natur einer vertraglichen Gegenleistung zu haben, auf die Sicherung der Lebensstellung des Beamten berechnet sind.

In dem zur Entscheidung stehenden Falle hat es der Staat an der gehörigen Erfüllung der Schutzpflicht insofern fehlen lassen, als er keine Maßnahmen getroffen hat, durch welche die rechtzeitige Entseuchung der Dienstwohnungen beim Wegzug eines Wohnungsinhabers, in dessen Familie Tuberkulose aufgetreten ist, gewährleistet wird. Es ist zwar bestimmt worden, daß in dem bezeichneten Falle die Bahnmeister die Entseuchung vorzunehmen haben. Auch ist den Bahnärzten und den Dienstvorstehern zur Pflicht gemacht worden, zu ihrer Kenntnis gelangende Tuberkulosefälle in Familien von Bahnbediensteten der Eisendahndirektion anzuzeigen, und es bestand für diese, wenn die Anzeigepflicht erfüllt wurde, die Möglichkeit, die Bahnmeister zur Vornahme der Entseuchung rechtzeitig anzuweisen. Diese Anordnungen boten aber mit Rücksicht auf die nicht fernliegende Möglichkeit, daß die Anzeige versehentlich unterblieb, keine ausreichende Gewähr für die Erreichung des damit verfolgten Zweckes. In Anbetracht der erheblichen Gefahren, welche den Beamten aus der Unterlassung der Anzeige erwachsen, mußte der Beklagte, sei es durch Befragung des Bahnarztes vor der Zuweisung der Dienstwohnung an den neuen Inhaber, sei es durch andere geeignete Maßregeln, dafür Sorge tragen, daß die rechtzeitige Entseuchung sichergestellt wurde. Das Gesetz vom 28. August 1905, auf das die Revision mit dem Bemerken verweist, daß es für Fälle der vorliegenden Art eine Entseuchungspflicht nicht aufstelle, ist zur Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege erlassen und deshalb in bezug auf die Fürsorge des Staates für die Dienstwohnungen nicht maßgebend."