RG, 05.10.1883 - III 117/83

Daten
Fall: 
Lex Aquilia
Fundstellen: 
RGZ 10, 132
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.10.1883
Aktenzeichen: 
III 117/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Bückeburg
  • OLG Oldenburg

Haftet nach den Grundsätzen der lex Aquilia auch der Anstifter der schädigenden Handlung?

Tatbestand

B. war gestorben infolge einer Mißhandlung, welche ihm durch H. und M. zugefügt worden war. Letztere waren durch W. zu dieser That angestiftet worden. Die Vormünder der von B. ohne Vermögen hinterlassenen vier unmündigen Kinder stellten gegen W. Klage an mit dem Antrage, denselben zu verurteilen, daß er zur Alimentation eines jeden dieser Kinder, bis dasselbe ein gewisses Lebensalter erreicht haben werde, jährlich eine gewisse Summe zu zahlen habe. Das vorab über den Klagegrund entscheidende Urteil der ersten Instanz (§. 276 C.P.O.) verurteilte den Beklagten, die Kinder des B. standesgemäß zu alimentieren. Die Berufung des Beklagten wurde als unbegründet verworfen. Der Beklagte legte hiergegen Revision ein, indem er unter Berufung auf Windscheid, Pand. Bd. 2 §. 455 N. 27 die Annahme des Berufungsgerichtes, daß nach den Grundsätzen der lex Aquilia auch der Anstifter einer schädigenden Handlung ersatzpflichtig sei, zu widerlegen suchte. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das Reichsgericht hat bereits in seiner in den Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 7 Nr. 44 S. 141 mitgeteilten, auch von der Vorinstanz angezogenen Entscheidung anerkannt, daß ein allgemeiner deutscher Gerichtsgebrauch den Angehörigen eines widerrechtlich Getöteten einen Anspruch auf Alimentation in dem Maße und für so lange, wie sie dieselbe von dem Getöteten zu erwarten gehabt hätten, gegen den Thäter gewährt. Dabei ist unentschieden gelassen worden, ob dieser Gerichtsgebrauch als ein selbständiges, aus Billigkeitsrücksichten hervorgegangenes Gewohnheitsrecht oder als ein Ausfluß der Bestimmungen des älteren deutschen Rechtes über das Wergeld oder endlich als eine Fortbildung der Grundsätze der lex Aquilia aufzufassen sei. Diese Frage kann auch jetzt, behufs der Entscheidung über die Haftung des Anstifters einer solchen That, auf sich beruhen bleiben. Es braucht auch nicht untersucht zu werden, ob die Erstreckung des gedachten Gerichtsgebrauches auf die Haftung des Anstifters thatsächlich erweisbar ist. Wenn der durch den Gerichtsgebrauch festgestellte Rechtssatz selbständig aus Billigkeitsrücksichten sich entwickelt hat, so ist kein Anlaß vorhanden, bei Anwendung desselben zwischen dem physischen und dem intellektuellen Urheber zu unterscheiden, und wenn derselbe auf die Bestimmungen des älteren deutschen Rechtes über das Wergeld zurückzuführen ist, so folgt seine Anwendbarkeit auf den Anstifter schon daraus, daß die altdeutschen Gesetze auch dem Anstifter des Verbrechens die Zahlung des Wergeldes auferlegten.1

Es bleibt also nur die Frage übrig, ob auch nach römischem Rechte in Gemäßheit der Vorschriften der lex Aquilia und der späteren weiteren Ausbildung derselben der Anstifter zum Schadensersatze verpflichtet ist. Dies ist gleichfalls unbedenklich zu bejahen.

Die römischen Quellen erkennen in zahlreichen Aussprüchen an, daß auch derjenige, welcher einen Anderen zu einer rechtswidrigen Handlung anstiftet, sei es durch Befehl oder Auftrag oder Beredung ( jubere, mandare, persuadere), für diese Handlung zu haften hat.

§. 11 Inst. de inj. 4, 4; l. 7 §. 5 Dig. de jurisd. 2, 1; l. 1 §. 12 Dig. de vi 43, 16; l. 7 §. 4 Dig. de arb. furt. caes. 47, 7; l. 4 §.14 Dig. vi bon. rapt. 47, 8; l. 11 §§. 3-6 Dig. de inj. 47, 10; l. 152 §. 1, l. 169 pr. Dig. de R. J. 50, 17.

Dieser Rechtssatz wird gerechtfertigt durch die Anschauung, daß die intellektuelle Urheberschaft einer That der physischen Urheberschaft gleichzustellen sei, eine Anschauung, welche sowohl für die bloß civilrechtlich zu vertretende Gewalt als auch für die schwersten Verbrechen und namentlich auch allgemein in bezug auf die Verursachung eines Schadens ausgesprochen wird.

I. 152 §. 1 cit.: Dejicit et qui mandat. Ebenso l. 1 §. 12 cit.; I. 15 Dig. ad leg. Corn. 48, 8: nihil interest, occidat quis, an causam mortis praebeat; l. 4 §. 14 cit.: Verum est, - - eum, qui causam praebuit damni dandi, damnum dedisse; l. 169 pr. cit.: Is damnum dat, qui jubet dare.

Die angeführten Stellen beziehen sich zwar sämtlich nicht unmittelbar auf die lex Aquilia; allein bei der in ihnen bekundeten prinzipiellen Auffassung der Römer darf man ohne weiteres annehmen, daß dieselbe auch für die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes über die Verpflichtung zum Schadensersatze maßgebend sein mußte, sofern dies nicht durch ausdrückliche Gesetzesvorschriften ausgeschlossen war. Nun ließ zwar die lex Aquilia in ihrer ursprünglichen Gestalt, in welcher sie sich nur auf "damnum corpore corpori datum" bezog, die Erstreckung auf den intellektuellen Urheber des Schadens nicht zu; nachdem aber die Anwendbarkeit der Grundsätze dieses Gesetzes durch die Zulassung einer actio utilis oder in factum auch auf die Verhaftung für einen "alio modo" verursachten Schaden ausgedehnt worden war,

§. 16 Inst. de leg. Aquil 4, 3,

stand einer solchen Erstreckung desselben nichts mehr entgegen, und aus der

l. 7§. 6 Dig. de leg. Aquil. 9, 2: Celsus multum interesse dicit, occiderit an mortis causam praestiterit, ut qui mortis causam praestitit, non Aquilia, sed in factum actione teneatur,

ergiebt sich auch, daß seitdem in betreff dieses Gesetzes ein materieller Unterschied zwischen der Verhaftung des intellektuellen und des physischen Urhebers des Schadens nicht mehr anerkannt wurde; die Worte "multum interesse" können nur von der verschiedenen Gestaltung der Formel verstanden werden. Die dennoch vereinzelt aufgestellte und noch von Windscheid, Pand. Bd. 2 §. 455 N. 27, vertretene Ansicht, daß auch nach jener weiteren Entwickelung der lex Aquilia der Anstifter als solcher nicht hafte, gründet sich nur auf die

l. 37 pr. Dig. eod.: Liber homo si jussu alterius manu injuriam dedit, actio legis Aquiliae cum eo est, qui jussit, si modo jus imperandi habuit; quod si non habuit, cum eo agendum est, qui fecit.

Während der erste Satz dieser Stelle ausspricht, daß, wenn der Thäter gehandelt hat in Befolgung eines Befehles, welchen er zu befolgen verpflichtet war, nur der Befehlende belangt werden kann, will Windscheid den zweiten Satz dahin verstehen, daß umgekehrt nur der Thäter belangt werden könne, wenn er zur Befolgung des Befehles nicht verpflichtet gewesen sei, und hieraus die Folgerung ziehen, daß der auch in dem zweiten Falle zutreffende Gesichtspunkt einer Anstiftung zur Begründung der Haftung des Befehlenden nicht ausreiche, vielmehr dessen Haftung nur da begründet sei, wo der Thäter infolge des bestehenden Gewaltverhältnisses als ein bloßes Werkzeug desselben erscheine. Allein diese Stelle ist in ihrer Vereinzelung überhaupt nicht geeignet, den prinzipiellen Nachweis des in Rede stehenden Rechtssatzes zu widerlegen; es kann sich nur fragen, wie sie mit demselben in Einklang zu bringen ist, und dieser Einklang ist in befriedigender Weise dadurch erreicht, daß man ihren zweiten Satz mit Unterholzner, Schuldverhältnisse Bd. 1 §. 94 N. 10, und der Vorinstanz in der Bedeutung versteht, daß in dem dort gedachten Falle auch der Thäter belangt werden kann. So verstanden stimmt dieser Ausspruch auch überein mit dem in

I. 20 Dig. de O. et A. 44, 7

in Verbindung mit dem

I. 8 pr. Cod. ad leg. Jul. de vi 9, 12

anerkannten strafrechtlichen Grundsatze, daß, wenn ein Sklave auf Befehl seines Herrn einen Mord oder ein sonstiges schweres Verbrechen begangen hat, in Anbetracht, daß derselbe zur Befolgung eines solchen Befehles nicht verpflichtet war, sowohl der Herr als auch der Sklave strafbar sind." ...

  • 1. Vgl. Geib, Deutsches Strafrecht Bd. 2 S. 331.