RG, 05.10.1883 - II 200/83

Daten
Fall: 
Zahlungungsleistung am Erfüllungsort
Fundstellen: 
RGZ 10, 282
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.10.1883
Aktenzeichen: 
II 200/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Konstanz
  • OLG Karlsruhe

Hat der einfache Bürge stets an dem für den Hauptschuldner maßgebenden Erfüllungsorte Zahlung zu leisten? Wie verhält es sich hierwegen für den solidarisch haftbaren Bürgen nach Code civil und badischem Landrechte? Was gilt für einen solchen Bürgen, wenn ein Erfüllungsort im Vertrage stipuliert oder im Gesetze vorgeschrieben ist?
Bezieht sich die Vorschrift in Satz 1651 Code civil und bad. Landr. auf Kreditkäufe?
Was folgt aus obigen Punkten für den Gerichtsstand des Bürgen nach Maßgabe von §. 29 C.P.O.?

Gründe

"Es handelt sich um die Frage, ob der Beklagte, welcher im Bezirke des Landgerichtes Hechingen seinen Wohnsitz und allgemeinen Gerichtsstand (§§. 12. 13 C.P.O.) hat, vor dem Landgerichte Konstanz kraft §.29 a. a. O. Recht nehmen muß, obwohl er die Einrede der Unzuständigkeit des letzteren Gerichtes rechtzeitig vorgeschützt hat.

Das Landgericht Konstanz hat die prozeßhindernd vorgetragene Einrede der Unzuständigkeit lediglich um deswillen verworfen, weil der Beklagte mit der Klage, als Bürge des K., belangt sei, der Hauptschuldner aber seine Zahlungsverbindlichkeit in seinem Wohnsitze zu Sentenhart, welcher Ort zum Landgerichtsbezirke Konstanz gehört, gemäß Landrechtsatz 1247 Abs. 2 zu erfüllen habe.

Allerdings ist die Bürgschaft accessorischer Natur, sowohl im französischen, als auch im römischen Rechte,1 allein daraus folgt nicht, daß der Bürge stets am Wohnsitze des Hauptschuldners zu erfüllen hat, sofern lediglich aus der Vorschrift des Landrechtsatzes 1247 Abs. 2 dieser Ort sich als Erfüllungsort für den Hauptschuldner ergiebt.

Wenn dort das Gesetz bestimmt, daß, abgesehen von den beiden Fällen des ersten Absatzes, nämlich kontraktlichen Ortsbestimmungen und Lieferung einer vollbestimmten Sache, "die Zahlung in dem Wohnsitze des Schuldners geschieht", so entspricht dies dem Art. 324 H.G.B., und kommt jedem Schuldner für seine Person zu statten. Der Bürge, welcher den Gläubiger befriedigt, zahlt allerdings eine fremde Schuld, aber für eigene Rechnung und kraft eigener Verbindlichkeit, wenn auch mit dem Rechte des Rückgriffes auf den Hauptschuldner; erscheint daher, im Verhältnisse zum Gläubiger, als Schuldner, welcher gemäß L.R.S. 1247 im Zweifel an seinem Wohnsitze zu erfüllen hat, da das Gesetz nicht zwischen den einzelnen Schuldnern unterscheidet und sich insbesondere nicht auf den Hauptschuldner beschränkt.

Dem Berufungsgerichte ist daher darin beizustimmen, daß der Bürge nicht schon wegen der accessorischen Natur der Bürgschaft seine Verpflichtung regelmäßig vom Wohnsitze des Hauptschuldners zu erfüllen hat, und daß deshalb allein auch nicht an diesem Orte sein Gerichtsstand nach Maßgabe des §. 29 C.P.O. begründet ist.

Daran ändert auch, soweit es den L.R.S. 1247 Abs. 2 betrifft, der Umstand nichts, daß der Beklagte die Bürgschaft als Selbstschuldner übernommen hat, wodurch vielmehr, wie sich aus dem folgenden ergeben wird, dessen Stellung als ein Schuldner, welcher der Regel nach an seinem eigenen Wohnorte zahlt, um so klarer hervortritt.

Der selbstschuldnerische Bürge hat nämlich zufolge L.R.S. 2021. 2021a, gegenüber dem Gläubiger die Samtverbindlichkeit mit dem Hauptschuldner übernommen, sodaß er hinsichtlich aller Rechte und Pflichten für den Gläubiger einer von mehreren Solidarschuldnern ist, mithin auch, wie jeder von mehreren Schuldnern kraft L.R.S. 1247 Abs. 2 an seinem persönlichen Wohnsitze zu zahlen hat.

Gerade diese Stellung des samtverbindlichen Bürgen führt aber zu der weiteren Frage, wie es sich verhält, wenn der Abs. 1 L.R.S. 1247 Platz greift, insbesondere wenn im Vertrage ein Zahlungsort bestimmt ist. Der Gläubiger, welcher mit einem Schuldner kontrahiert, verpflichtet durch die im Vertrage enthaltene Bestimmung des Zahlungs- oder Erfüllungsortes den Schuldner, an diesem Orte, nicht an seinem Wohnsitze zu zahlen oder zu erfüllen; denn zufolge L.R.S. 1247 entscheidet über den Zahlungsort in erster Reihe der Parteiwille durch ausdrückliche oder stillschweigende Übereinkunft. Was hier von dem einzigen Schuldner gesagt ist, gilt auch von der Mehrheit von Schuldnern; dafern nicht der Vertrag für den einen oder anderen etwas Besonderes bestimmt, müssen alle Verpflichteten an dem konkreten Zahlungsorte erfüllen oder zahlen.

Das eigentümliche der Samtverbindlichkeit besteht nun darin, daß jeder Schuldner auch bei teilbaren Verbindlichkeiten auf Anfordern des Gläubigers das Ganze zu leisten verpflichtet ist (L.R.S. 1200. 1204). Dies schließt allerdings nicht aus, daß der eine Samtschuldner auf andere Weise, als der andere zur Zahlung verpflichtet sei (L.R.S. 1201), mithin kann auch der kontraktliche Zahlungsort für den Samtschuldner verschieden bestimmt werden. Ist aber eine solche Bestimmung im Vertrage nicht enthalten, dann ist der kontraktliche Erfüllungsort der gleiche für die samtverbindlichen Schuldner, wie nach dem oben Gesagten für mehrere gewöhnliche Schuldner.

Wer für den Kaufpreis die samtverbindliche Bürgschaft übernimmt, erscheint nach L.R.S. 2021. 2021a als Samtschuldner des Käufers, und kann zwar gemäß L.R.S. 2021a, durch Übereinkunft mit dem Gläubiger seine eigene Verbindlichkeit modifizieren, ist aber, wenn er das unterlassen hat, an alle Verabredungen des Kaufvertrages, hinsichtlich des Preises, gebunden, also auch an die Bestimmung des Zahlungsortes, muß daher an diesem Orte seine Verbindlichkeit erfüllen und kann, gemäß §. 29 C.P.O. an dem für diesen Ort zuständigen Gerichte beklagt werden.

Wie nun der dem Art. 1247 Code civil nachgebildete Art. 324 H.G.B, sehr klar ausdrückt, liegt der Grundgedanke der gesetzlichen Vorschriften über den Erfüllungsort bei Verträgen darin, daß der Parteiwille maßgebend ist. Die Beteiligten können darüber im Vertrage beliebige Bestimmungen treffen, anderenfalls entscheidet die sonst erkennbare Absicht der Parteien, und erst in Ermangelung dieser Voraussetzungen stellt das Gesetz selbst den vermutbaren Parteiwillen fest. Darauf beruht auch die Vorschrift L.R.S. 1651, welche dem Art. 342 Abs. 3 H.G.B, entspricht, daß nämlich, sofern der Vertrag nichts bestimmt, der Käufer an jenem Orte zahlen muß, wo die Übergabe geschehen soll.

Hieraus folgt, daß der L.R.S. 1651 ebenso auf den samtverbindlichen Bürgen Anwendung findet, wie ein solcher Bürge der Vertragsbestimmung über den Zahlungsort unterworfen ist.

Was in beiden obigen Beziehungen für den einfachen Bürgen gilt, kann hier dahingestellt bleiben.

In Doktrin und Praxis ist man darüber einig, daß L.R.S. 1651 bei Kreditkäufen nicht anwendbar, vielmehr, wie Abs. 3 Art. 342 H.G.B., nur für Käufe mit Erfüllung Zug um Zug, also bei der Verpflichtung zur Barzahlung Platz greift.

In einer als Feststellung anzusehenden Stelle der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteiles ist nun gesagt, daß für Fährnis- und Liegenschaftskaufpreise im vorliegenden Vertrage Barzahlung nicht bedungen sei. Allein dies widerspricht dem Inhalte der nach dem Thatbestande des Berufungsgerichtes von beiden Teilen in Bezug genommenen und beiliegenden Teilungsakten auf Ableben der Ehefrau K. Danach war für den Fahrniskaufschilling eine Zahlungszeit nicht bestimmt, weshalb die alte Regel in Betracht kommt "quod sine die debetur, statim debetur", sofern nicht nach den Umständen etwas Anderes anzunehmen ist (vgl. Art. 326 H.G.B.).

Hinsichtlich der Liegenschaften ist in den Versteigerungsbedingungen festgesetzt, daß der Preis nach erhaltener Verweisung bar zu zahlen sei.

Im Hinblicke auf §. 516 Nr. 3 C.P.O. ist daher von jener Feststellung in den Gründen des Berufungsgerichtes abzusehen und erscheint die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die thatsächlichen Unterlagen zur Anwendung des Landrechtssatzes 1651 hier gegeben seien, und daß infolgedessen der Beklagte, als samtverbindlicher Bürge des Kaufpreises, die Zahlung in Sentenhart zu leisten hatte, wo die bereits im Besitze des Käufers und Hauptschuldners K. befindlichen Fahrnisse und Liegenschaften sich befanden. Daraus würde weiter folgen, daß der Gerichtsstand des §. 29 C.P.O. gegen den Beklagten vor dem Landgerichte zu Konstanz begründet wäre, zu dessen Bezirk der Ort Sentenhart gehört.

Hiernach war das angefochtene Urteil aufzuheben und gemäß §. 528 C.P.O. die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuweisen."

  • 1. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 8 Nr. 107 S. 366,