RG, 01.10.1917 - IV 182/17
1. Wird die Ausgleichungspflicht des zweiten Falles des § 2052 BGB. durch Zuwendung eines Vorausvermächtnisses ausgeschlossen?
2. Kann die Ausgleichungspflicht durch nachträgliche mündliche Erklärung des Erblassers erlassen werden?
Tatbestand
Der im Februar 1913 verstorbene E. P. hat in seinem Testamente vom 21. Januar 1907 seine Frau, die Beklagte zu 1, und seine vier Kinder, den Kläger, sowie die Beklagten zu 2, 3 und 4 zu je 1/5 als Erben eingesetzt, dem Kläger aber 20.000 M und 3000 M, ferner unter gewissen Beschränkungen zugunsten der Kinder und Geschwister des Klägers einen Ackerplan im voraus vermacht. Da die Beklagten in den Abrechnungen über Verteuerung der Nachlaßeinkünfte behaupteten, daß der Kläger sich 10.000 M auf seinen Erbteil anrechnen zu lassen habe, die er im Jahre 1908 zur Gründung eines eigenen Hausstandes und unter jedesmaliger Anordnung der Ausgleichung vom Erblasser empfangen habe, so erhob der Kläger Klage auf Feststellung, daß eine solche Ausgleichungspflicht ihm nicht obliege.
Das Landgericht gab der Klage gegen die beklagten Miterben statt. Das Oberlandesgericht wies die Klage ab. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen.
Gründe
1.
"Für die Entscheidung kommt es darauf an, ob nach dem Testamente des E. P. die Auslegungsregel des § 2052 BGB., was die Revision entgegen dem Berufungsgerichte verneint, Platz greift.
Der § 2052 schreibt vor, daß die für die gesetzliche Erbfolge unter den Abkömmlingen des Erblassers bestehende Ausgleichungspflicht nach dem Willen des Erblassers im Zweifel auch für die testamentarische Erbfolge gelten soll, wenn dieser die Abkömmlinge auf dasjenige als Erben eingesetzt hat, was sie als gesetzliche Erben erhalten würden, oder ihre Erbteile so bestimmt hat, daß sie zueinander in demselben Verhältnis stehen, wie die gesetzlichen Erbteile. Dieser zweite Fall des § 2052 liegt hier insofern vor, als der Erblasser im Testamente seine Frau und seine vier Kinder zu je 1/5 als Erben eingesetzt hat, so daß die Erbteile der Kinder, die bei gesetzlicher Erbfolge neben der zu 1/4 miterbenden Frau je 3/14 erhalten würden, in demselben Verhältnis zueinander wie bei der gesetzlichen Erbfolge festgesetzt sind. Unzweifelhaft wird an der Anwendbarkeit des § 2052 dadurch nichts geändert, daß der Erblasser den Abkömmlingen einen größeren oder kleineren Erbteil zugewendet hat, als ihnen bei der gesetzlichen Erbfolge zustehen würde, wenn nur das Verhältnis, in dem diese Erbteile zueinander stehen, dasselbe geblieben ist wie bei der gesetzlichen Erbfolge. Es fragt sich aber, ob nicht die Auslegungsregel des § 2052 dadurch ausgeschlossen wird, daß einem Abkömmlinge, wie hier dem Kläger, ein Vorausvermächtnis zugewendet wird. Diese Frage ist mit dem Berufungsgerichte zu verneinen.
Die Anwendbarkeit des § 2052 setzt, was den zweiten Fall dieser Vorschrift betrifft, nicht voraus, daß die Abkömmlinge wirtschaftlich gleich viel erhalten, wie ihnen bei gesetzlicher Erbfolge gebührt. Der Erbteil kann, wie ausgeführt, ein größerer oder ein kleinerer sein, und es macht keinen Unterschied, ob die Verminderung des gesetzlichen Erbteils durch Einsetzung anderer Miterben oder durch Auferlegung von Vermächtnissen herbeigeführt ist. Die Auslegungsregel des § 2052 behält auch Geltung, wenn die Abkömmlinge nicht als Erben, sondern nur als Ersatzerben eingesetzt sind (Planck, § 2052 Anm. 2) oder wenn die Erbteile nur für einen Teil der Abkömmlinge nach dem gesetzlichen Verhältnis, für die übrigen Abkömmlinge in anderer Weise bestimmt sind. In diesem letzteren Falle bleibt die gesetzliche Ausgleichungspflicht im Verhältnis der ersteren Abkömmlinge untereinander bestehen ( Mugdan, Materialien Bd. 5 S. 510;1 Jacubezky, Bemerkungen zu dem Entwurfe des BGB. S. 339; Staudinger, Erläuterungen zu §§ 2050 bis 2054 unter III Anm. 3). Von diesem Standpunkt aus muß nach dem zu vermutenden Willen des Erblassers die gesetzliche Ausgleichungspflicht auch dann Anwendung finden, wenn durch die Anordnung eines Vorausvermächtnisses ein Teil des Vermögens, der dem Abkömmlinge nicht als Erben, sondern als Vermächtnisnehmer zufällt (§ 2150), aus dem Nachlaß ausgeschieden wird, für den Rest des Nachlasses aber es dabei verbleibt, daß die Erbteile der Abkömmlinge in dem der gesetzlichen Erbfolge entsprechenden Verhältnis festgesetzt sind. Der Fall liegt nicht anders, als wenn der Erblasser sich damit begnügt hätte, im Testamente nur die Anordnung wegen des Vorausvermächtnisses zu treffen. Es würde dann in Ansehung des Restes des Nachlasses die gesetzliche Erbfolge eintreten und damit für diesen Teil des Nachlasses, wie ohne weiteres einleuchtet, die Regeln über die gesetzliche Ausgleichungspflicht anzuwenden sein. Eine andere Beurteilung ist aber nicht wohl angängig, wenn der Erblasser sich veranlaßt sieht, im Interesse der Vollständigkeit des letzten Willens das besonders im Testament auszusprechen, was hinsichtlich der Beerbung sich aus den Regeln der gesetzlichen Erbfolge ergibt (vgl. Jacubezky S. 339). Die Ausgleichungspflicht wird durch Hinterlassung. eines Vorausvermächtnisses, was den mit diesem Vermächtnis bedachten Abkömmling betrifft, nur insofern geändert, als für die Ausgleichung nur der Erbteil, nicht das Vermächtnis in Betracht kommt, das Vermächtnis also ohne Rücksicht auf die Ausgleichungspflicht zum vollen Betrag entrichtet werden muß. Von der gleichen Anschauung ist der Senat bereits in dem Urteile vom 13. Januar 1910 IV 150/1909 ausgegangen.
Die auf einer Vermutung für den Willen des Erblassers beruhende Auslegungsregel des § 2052 kommt natürlich in Wegfall, sobald aus dem Testament oder aus anderen Umständen außerhalb des Testaments entnommen werden kann, daß der Erblasser bei der letztwilligen Bedenkung eine Ausgleichung nicht gewollt hat. Hierfür kann das Maß der den Abkömmlingen im Testamente zugewandten wirtschaftlichen Vorteile von Bedeutung sein. In der Anordnung eines Vorausvermächtnisses kann nach Lage der Sache der Ausdruck des Willens zu finden sein, daß den mit einem solchen Vermächtnis nicht bedachten Abkömmlingen die Ausgleichungspflicht erlassen werden soll, sofern die Zuwendung des Vorausvermächtnisses bezweckt, einen Ausgleich für die ihnen gewährten Vorempfänge zu schaffen (vgl. RGRKomm. § 2052 Anm. 1 a. E.; Staudinger Anm. VI. 7 Abs. 2 zu §§ 2050 flg.). Keineswegs ist aber durch die Zuwendung des Vorausvermächtnisses schon für sich allein zum Ausdrucke gebracht, es solle der durch das Vermächtnis begünstigte Abkömmling noch die weitere Begünstigung erfahren, daß er von der gesetzlichen Ausgleichungspflicht befreit ist. Irgendwelche besonderen Umstände, die darauf schließen lassen, daß der Erblasser bei Errichtung des Testaments eine Ausgleichung durch den Kläger nicht gewollt habe, sind von dem Kläger nicht angeführt worden. Im Gegenteil ist aus dem Testamente bei den Zuwendungen von 20.000 M und 3000 M ersichtlich, daß diese Beträge dem Kläger und ebenso der Beklagten zu 2 als den Kindern der ersten Frau des Erblassers im voraus vermacht sind, um ihnen damit das für ihre Mutter bestimmt gewesene Vermögen zukommen zu lassen. ...
2.
Zur Erhebung des Beweises, daß der Erblasser später die Ausgleichung erlassen habe, war das Berufungsgericht nicht genötigt, da die Ausgleichungspflicht nicht durch mündliche Erklärung des Erblassers gültig beseitigt werden kann. Bei dem Erlasse der Ausgleichungspflicht handelt es sich um eine die künftige Regelung des Nachlasses bezweckende Verfügung, die, soweit das Gesetz nicht Ausnahmen zuläßt, nur durch erbrechtliches Geschäft getroffen werden kann. Eine die Ausgleichungspflicht insoweit sie nicht schon gesetzlich besteht) auferlegende oder die Ausgleichungspflicht erlassende Anordnung des Erblassers unter Lebenden wird aber im § 2050 nur zugelassen, wenn sie bei der Zuwendung vorgenommen wird. Dementsprechend ist bereits in dem Urteile des Reichsgerichts vom 6. Mai 1909 (RGZ. Bd. 71 S. 133) von der Auffassung aus, daß nach der Zuwendung die Ausgleichungspflicht von dem Erblasser nur auferlegt oder erlassen werden kann durch Verfügung von Todes wegen, anerkannt, daß, wenn durch Vertrag mit erbrechtlicher, insbesondere mit pflichtteilsrechtlicher Wirkung die Ausgleichungspflicht einem Abkömmling auferlegt werden soll, es hierzu eines Erbverzichtvertrags (§ 2346) bedarf. In gleicher Weise muß auch für den Fall, daß der gesetzliche Erbteil des Abkömmlinges durch Erlaß der Ausgleichungspflicht vermehrt werden soll, angenommen werden, daß der den Abkömmling von der Ausgleichungspflicht bestehende Vertrag (unbeschadet der Befugnis des Erblassers, das Kind durch eine größere Zuwendung durch Verfügung von Todes wegen zu entschädigen) nur in der Form des Erbvertrags geschlossen werden kann. Diese Auffassung wird auch von Staudinger (Anm. 7 Abs. 2 zu §§ 2059 bis 2054) und in dem die Verfügungen von Todes wegen behandelnden Aufsatz im Recht 1916 S. 339 vertreten. Wesentlich der gleichen Auffassung ist Kipp-Windscheid, der hinter § 610 unter 2 S. 528 bemerkt, der Erblasser, der nachträglich die Ausgleichungspflicht beseitigen wolle, müsse den Ausgleichungspflichtigen zum Erben eingesetzt und dabei die nur präsumtiv eintretende Ausgleichungspflicht ausschließen. Auf einem abweichenden Standpunkte steht nur Dernburg (Das bürgerliche Recht Bd. 5 § 184 Anm. 13), welcher der Meinung ist, durch einen von dem Erblasser mit dem Abkömmlinge geschlossenen Erlaßvertrag könnten die Erben schuldrechtlich verpflichtet werden, von der Ausgleichung abzustehen." ...
- 1. Prot. Bd. 5 S. 892.