RG, 01.10.1918 - II 178/18
Zum Begriffe der Gefahr im Sinne des § 447 BGB.
Tatbestand
Am 23. Juni 1914 kaufte die Beklagte von der Klägerin etwa 12 1/2 Tonnen Palmyrafaserholz. Verladung zur Hälfte im Juni, zur anderen Hälfte im Juli 1914 von Indien, cif Hamburg, Kasse gegen Dokumente bei Dampfers Ankunft. Die ersten 61/4 Tonnen wurden im Juni in dem Hafen Cocanada mit dem Dampfer Clan Macbeth abgeladen, aber nicht von der Klägerin, sondern von dem indischen Handlungshause, von dem sie ihrerseits gekauft hatte. Der Dampfer traf nach Kriegsausbruch in London ein. Als die Klägerin den von dem indischen Ablader auf sie gezogenen Wechsel nicht einlöste, ließen sich die Agenten des Abladers die Ware von dem Schiffer aushändigen und versteigerten sie für Rechnung ihres Auftraggebers. Es geschah dies im Einverständnis mit der Londoner Bank, die die Verschiffungspapiere verwahrte. Die Aushändigung der Papiere an den Schiffer unterblieb jedoch, vielmehr wurden diese im Jahre 1915 -- wie, ist nicht aufgeklärt -- von der Klägerin erworben. Die Klägerin legte die Dokumente der Beklagten vor und forderte den Kaufpreis, wogegen die Beklagte bestritt, zur Zahlung verpflichtet zu sein.
Der Klage auf Zahlung des Kaufpreises gaben beide Vorinstanzen statt. Vom Reichsgerichte wurde sie abgewiesen.
Gründe
"Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei sicher, daß die Ware nicht mehr nach Hamburg gelangen werde. Das genüge, um die Zahlungspflicht der Beklagten zu begründen. Wenn die Konnossemente nicht mehr die Ware repräsentierten, die dem Besitze des Schiffers entzogen sei, so falle das der Beklagten als Käuferin zur Last, denn ausweislich der Dokumente sei die Ware ordnungsmäßig in Indien abgeladen worden. Damit habe die Klägerin, da ein typisches Abladegeschäft mit Cif-Klausel vorliege, ihre Lieferpflicht erfüllt. Das weitere Schicksal der Ware gehe im Verhältnis der Parteien allein die Beklagte an, einerlei, ob es sich um die normale Reisegefahr handle oder um einen Fall der hier gegebenen Art, der übrigens auch zur Reisegefahr im weiteren Sinne zähle. Ein Verschulden sei der Klägerin hinsichtlich der Nichtankunft der Ware in Hamburg nicht beizumessen.
Die Revision wendet hiergegen ein, die Klägerin habe weder selbst jemals das Eigentum an der Ware erworben noch habe sie es der Beklagten verschaffen können. Bei der Abladung sei Eigentümer der indische Ablader gewesen, der dann die Ware wieder an sich nahm. Die Konnossemente habe die Klägerin erst erlangt, als sie die dingliche Wirkung der Eigentumsübertragung verloren hatten. Dieser Angriff führt nicht zum Ziele. Eigentumsübertragung und Gefahrtragung haben miteinander nichts zu tun. Es war keine Voraussetzung für den Übergang der Gefahr auf die Beklagte, daß die Klägerin vor Eintritt des Ereignisses, das ihr die Lieferung unmöglich machte, das Eigentum an der Ware erwarb.
Gleichwohl kann dem Berufungsgerichte nicht beigetreten werden. Die Gefahr, die bei dem Versendungskaufe nach § 447 BGB. auf den Käufer übergeht, ist die Gefahr der Versendung -- wie Art. 345 des früheren HGB. es ausdrückte, "die Gefahr, von welcher die Ware auf dem Transporte betroffen wird." Um diese Transportgefahr handelt es sich im vorliegenden Falle nicht. Allerdings gehören dazu auch Mißgriffe und Versehen der mit der Versendung beauftragten Personen, wie z. B. wenn die Ware einem nicht berechtigten Dritten ausgehändigt wird. Der Schiffer des Clan Macbeth aber hat einen solchen Fehler nicht begangen. Die Aushändigung an den indischen Ablader wurde durch die Zustimmung der die Konnossemente verwahrenden Bank gedeckt; das Versehen des Schiffers bestand nur darin, daß er sich die Konnossemente nicht zurückgeben ließ. Der Fall liegt ebenso wie wenn die Ware im Abladehafen oder auf einer Zwischenstation von einem Gläubiger der Klägerin gepfändet wäre. Der Grund, warum die Ware nicht weiterbefördert wurde, war der Umstand, daß die Klägerin ihrem Verkäufer den fälligen Kaufpreis nicht zahlte; deshalb hemmte der Verkäufer die Reise und nahm die Ware wieder an sich. Gewiß wird der Klägerin zuzugeben sein, daß ihr die Nichtzahlung des Preises nicht zum Verschulden gereicht. Der Krieg wird ihr die Möglichkeit abgeschnitten haben, zu zahlen, auch mag zur Zeit der Fälligkeit der Schuld schon die Bundesratsverordnung vom 30. September 1914 gegegolten haben, die die Zahlungen nach England verbot. Das ändert aber nichts daran, daß das Hindernis der Auslieferung der Ware an die Beklagte in der Person der Klägerin begründet war. Zu der Versendung und dem ihr eigentümlichen Gefahrenkreis stand der wirksam gewordene Hinderungsgrund in keiner Beziehung.
Versagt hiernach die Ausnahme des § 447 BGB., so behält es bei der Regel des § 333 sein Bewenden. Da der Klägerin die Leistung unmöglich wurde, hat sie den Anspruch auf die Gegenleistung verloren, so daß die Klage abgewiesen werden muß."