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RG, 28.09.1917 - III 150/17

Daten
Fall: 
Unterscheidung Garantievertrag und Schuldmitübernahme
Fundstellen: 
RGZ 90, 415
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.09.1917
Aktenzeichen: 
III 150/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG München I
  • OLG München

Wodurch unterscheiden sich der Garantievertrag und die Schuldmitübernahme (kumulative Schuldübernahme) von der Bürgschaft?

Tatbestand

Die Tochter der Beklagten leitete in den Jahren 1906 bis 1914 ein Zweiggeschäft der Klägerin. Die Klägerin behauptet, daß sich bei der Geschäftsführung ein Fehlbetrag ergeben habe und forderte dessen Erstattung von der Beklagten. Diese soll sich bei der Feststellung von Abgängen bei den Inventuraufnahmen verpflichtet haben, die Klägerin für das ganze Defizit, wenn und soweit sich ein solches herausstellen sollte, schadlos zu halten und es zu decken. Das Landgericht und Berufungsgericht verurteilten die Beklagte; auf deren Revision wurde die Klage abgewiesen.

Gründe

"Das Berufungsgericht erachtet für erwiesen, daß die Beklagte dem Vertreter der Klägerin gegenüber im Jahre 1914 wiederholt die Erklärung abgegeben hat,

sie wolle nicht, daß der Klägerin zuviel an der Forderung ihrer Tochter gegen die Firma angerechnet werde; wenn ein Pfennig in der Kasse fehle, würde sie dafür aufkommen,

und erblickt in Übereinstimmung mit dem Landgericht in dieser Erklärung der Beklagten und deren Annahme durch die Klägerin einen der Schriftform nicht bedürfenden, rechtsverbindlichen Garantievertrag. Es führt aus, daß die Beklagte hiermit die Schadensgefahr übernommen sowie für einen bestimmten Erfolg, nämlich daß die Klägerin keinen Schaden erleide, gutgestanden habe, und hebt hervor, daß bei Abgabe dieser Erklärung das Endergebnis der Fehlbeträge noch nicht festgestanden habe. Diese Begründung genügt nicht, um die Annahme eines Garantievertrags zu rechtfertigen.

Der Begriff des Garantievertrags, den das Gesetz selbst überhaupt nicht regelt, ist kein einheitlicher. Als Garantieverträge werden im Verkehr vielfach die Nebenverträge bezeichnet, in denen der Veräußerer einer Sache die Gewährleistung für bestimmte Eigenschaften der Sache, der Zedent einer Forderung die Gewähr für die Sicherheit der Forderung übernimmt; vgl. § RGZ. Bd. 71 S. 174, Bd. 72 S. 140; Urt. d. RG.s vom 26. Januar 1910 V 158/09, Jur. Wochenschr. 1910 S. 231 Nr. 8, sowie vom 13. April 1916 VI 54/16, Jur. Wochenschr. 1916 S. 904 Nr. 4 und Gruchots Beitr. Bd. 60 S. 1005. Von einer derartigen Garantieübernahme kann hier keine Rede sein. Als Garantieverträge im eigentlichen Sinne gelten die selbständigen Verträge, in denen jemand sich verpflichtet, für das Eintreten eines bestimmten Erfolges einzustehen, insbesondere diejenigen Verträge, in denen jemand der Unternehmung eines anderen dadurch Unterstützung und Förderung zuwendet, daß er das damit verbundene Risiko ganz oder teilweise übernimmt (vgl. Stammler, Arch. für zivil. Pr. Bd. 69 S. 1, Unger, Iherings Jahrb. Bd. 33 S. 300. Oertmann 2 d zu § 676 BGB.). Unter den Begriff des Garantievertrags in diesem Sinne sind auch solche Verträge eingereiht, bei denen der Erfolg, für den eingestanden wird, in der Vermeidung eines Verlustes durch die Kreditgewährung an einen Dritten, das Risiko, das dem Unternehmer gegenüber übernommen wird, in der Zahlungsunfähigkeit des Dritten besteht. Zur Annahme eines solchen, von der Bürgschaft verschiedenen und den Formvorschriften dieser nicht unterliegenden Garantievertrags genügt aber nicht die Übernahme einer Verpflichtung, für die Schuld eines anderen aufzukommen, für sie einzustehen. Eine solche Verpflichtung übernimmt auch der Bürge; auch er steht, wenn auch in anderer Weise, als es beim Garantievertrage geschieht, dafür ein, daß der Gläubiger wegen seiner Forderung befriedigt werde, also nicht den Verlust dieser Forderung erleide. Begrifflich scheidet sich die Bürgschaft von dem Garantievertrage wie auch von der Schuldenübernahme (kumulativen Schuldübernahme) dadurch, daß sie das Einstehen für eine fremde Schuld als eine der Verbindlichkeit des Hauptschuldners hinzutretende (akzessorische) Verpflichtung enthält, der Garantievertrag in dem hier in Betracht kommenden Sinne dagegen ebenso wie die Schuldmitübernahme die Begründung einer selbständigen, von der des ursprünglichen Schuldners unabhängigen Verpflichtung zum Gegenstände hat. Ob die Vertragschließenden die eine oder die andere Art dieser Verpflichtungen, die im wesentlichen dem gleichen wirtschaftlichen Zwecke dienen, gewollt haben, kann nicht aus der Wahl der gebrauchten Ausdrücke allein entnommen werden; die Ausdrücke"aufkommen", "einstehen", "sich verbürgen", "garantieren" können bei der Übernahme einer Bürgschaft wie bei der Garantieübernahme gebraucht werden. Die Entscheidung kann vielmehr nur unter Berücksichtigung der Lage des Falles in ihrer Gesamtheit getroffen werden. Im Zweifel aber, wenn die Prüfung des Falles nicht bestimmt ergibt, daß die Vertragschließenden die Begründung einer selbständigen, von der des ursprünglichen Schuldners von vornherein und fortdauernd unabhängigen Verpflichtung - vgl. RGZ. Bd. 64 S..818- gewollt haben, kann in der Verpflichtung, für die Schuld eines anderen aufzukommen, für die Befriedigung des Gläubigers einzustehen usw., nur die Übernahme einer Bürgschaft erblickt werden.

Von einem Garantievertrage. der die Schadloshaltung des Gläubigers wegen des ihm durch die Nichterfüllung eines Vertrags seitens des Schuldners oder durch dessen sonstiges vertragswidriges Verhalten entstehenden Schadens zum Gegenstande hat, kann nun nur dann die Rede sein, wenn dieser Schade bei dem Vertragsschlusse noch nicht entstanden ist, sondern erst mit der Möglichkeit seines Eintritts gerechnet wird. Durch das Garantieversprechen soll dem Gläubiger eine Sicherheit für die Zukunft gegeben werden, eine Sicherheit, die bestimmend wirken soll auf seinen Entschluß, das mit einer Gefahr verbundene Geschäft abzuschließen. Ist der Schade bereits entstanden, der Mißerfolg eingetreten, dann kann von einem Einstehen für den Erfolg, dem Kennzeichen des Garantievertrags dieser Art, nicht mehr gesprochen werden; die Zeit des Risikos ist vorüber. Die Verpflichtung, den bereits eingetretenen Schaden zu decken, kann durch selbständiges kausales oder auch abstraktes Schuldversprechen, auch durch Bürgschaftserklärung übernommen werden; um einen Garantievertrag handelt es sich alsdann nicht. ...
(Es folgt die Darlegung, daß aus diesem Grunde in dem zur Entscheidung stehenden Falle ein Garantievertrag nicht angenommen werden könne. Dann wird fortgefahren:)

Aber auch sonst ist im vorliegenden Falle kein Anhalt dafür gegeben, daß die Beklagte ihrer Erklärung eine andere Bedeutung beilegen wollte, als die, daß sie, falls ein Fehlbetrag in der Kasse entstanden wäre, den ihre Tochter zu decken habe, für diese Schuld ihrer Tochter aufkommen, die Bürgschaft dafür übernehmen wolle. Wollte man mit der in der Rechtsprechung - vgl. RGZ. Bd. 64 S. 320, Bd. 71 S. 118; Urt. v. 1. Juli 1908 VI 300/08, Jur. Wochenschr. 1909 S. 459 Nr. 14 und Gruchots Beitr. Bd. 54 S.149 - wie in der Rechtslehre vertretenen Meinung annehmen, daß das Bestehen eines eigenen, unmittelbaren, fachlichen Interesses des Eintretenden an der Erfüllung des Vertrags und an der Leistung des Gläubigers wesentlich für das Vorliegen einer Schuldmitübernahme spreche, so ist hier ein solches Intresse der Beklagten nicht gegeben. Daß die Beklagte das Interesse hatte, ihre Tochter vor einer Strafanzeige zu schützen und den Ruf der Familie nicht antasten zu lassen, genügt nicht, um die Annahme einer Schuldmitübernahme zu rechtfertigen; vgl. Urt. vom 4. Mai 1911 VI 147/10, Jur. Wochenschr. 1911 S. 581 Nr. 22. Übrigens sei bemerkt, daß das Bestehen eines sachlichen unmittelbaren eigenen Interesses des Eintretenden wohl regelmäßig einen Anhalt für die Annahme einer Schuldmitübernahme geben mag, daß aber ein solches Interesse unter Umständen sehr wohl auch den Beweggrund einer Bürgschaftsübernahme bilden kann." ...