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RG, 28.09.1917 - III 94/17

Daten
Fall: 
Verstoß gegen Anordnungen für den Schulbetrieb
Fundstellen: 
RGZ 90, 412
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.09.1917
Aktenzeichen: 
III 94/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Trier
  • OLG Cöln

Amtspflichtverletzung des Lehrers durch Verstoß gegen Anordnungen für den Schulbetrieb. Ist entscheidend, wie der Lehrer solche Anordnungen nach der Art ihrer Erlassung und Durchführung verstehen mußte oder durfte?

Tatbestand

Der Kläger 2. hat am 31. Januar 1911 in der zu Schulstunden der Quarta benutzten Aula der Landwirtschaftsschule in B. bei einem während der Vormittagspause zwischen ihm und seinen Mitschülern Sch. und E. stattfindenden Raufhandel das linke Auge verloren, indem das von E. in der Hand gehaltene spitze Eisen ihm in dieses Auge hineindrang. Auf die Schadensersatzklage hat der Berufungsrichter gegenüber der Stadt B. den Leistungsanspruch als zur Hälfte dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt und deren fernere Schadensersatzpflicht zur Hälfte festgestellt. Die Haftung der Stadt wird daraus hergeleitet, daß dem Lehrer O. die Verletzung zweier Schulvorschriften, deren Einhaltung den Unfall verhindert hätte, zur Last falle; diese Haftung wird auf die Hälfte beschränkt, weil den Kläger L. ein gleich zu bewertendes Verschulden treffe.

Auf die Revision der beklagten Stadt und die des Lehrers O. als Nebenintervenienten ist die Klage abgewiesen worden.

Gründe

"Der Berufungsrichter stellt fest, daß zwei einschlagende Schulvorschriften bestanden: "Die Aula soll vor und nach dem Unterrichte von dem unterrichtenden Lehrer auf- und zugeschlossen werden" und "Die Schüler sollen in den Pausen die Klassenzimmer unter Aufsicht des Lehrers verlassen, sollen sich während der Pausen auf dem Schulhof aufhalten und erst auf das Glockenzeichen in die Klassenzimmer zurückkehren". Die erste für die Aula getroffene Anordnung schließe übrigens bereits in sich, der Lehrer hätte auch darauf achten müssen, daß die Aula jedesmal von allen Schülern verlassen wurde.

Der Lehrer O. hatte nun den Schüler Sch. zur Bewachung des während der Pause weiterbrennenden eisernen Ofens in der Aula zurückgelassen. Die Aula blieb unverschlossen. O. hatte zum Abschließen der Aula im Wochenturnus die Schüler E. und L. bestellt; der gerade an der Reihe befindliche, den Türschlüssel bei sich habende E. hatte nicht abgeschlossen, sondern war, sich hinter dem Ofen versteckend, in der Aula zurückgeblieben und dabei von O., der nur draußen dicht vor der Aulatüre das Weggehen der Schüler abwartete, nicht bemerkt worden. Der Kläger L. war vom Schulhof in die unverschlossene Aula zurückgekehrt und hatte gemeinsam mit E. einen schon vorher geplanten, von ihnen beiden mit gefährlichen Werkzeugen geführten Angriff gegen Sch. unternommen.

Bei diesem Sachverlaufe kann ein Verschulden des Lehrers O. überhaupt nicht angenommen werden. Die Anordnung für die Aula war niemals schriftlich festgelegt und den Lehrern von dem Schuldirektor in der Konferenz niemals auch nur mündliche eröffnet worden; der Direktor hatte sich damit begnügt, diese seine Anordnung durch den Lehrer S. mündlich weitersagen zu lassen. So war es gekommen, daß die meisten Lehrer von dieser Anordnung überhaupt nichts wußten. Diese so getroffene und so bekannt gegebene Anordnung durfte und konnte sogar der Lehrer O. nur dahin verstehen, daß sie von ihm unter selbständiger vernünftiger Berücksichtigung der besonderen, auch dem Direktor notwendig bekannten Umstände nach sorgfältigem, billigem Ermessen durchzuführen sei. Er durfte demnach dafür halten, daß zu fortgesetzter Erwärmung des großen Aularaums der Ofen während der Pause brennend zu erhalten und daß es gefährlich sei, den brennenden Ofen währenddem ohne Bewachung zu lassen; er durfte weiter für sachgemäß erachten, den brennenden Ofen und den dabei Wache haltenden Schüler während der Pausen nicht einzuschließen, weil durch eine Einschließung wiederum eine Gefahr und sogar auch für die Person des Schülers gegeben sei. Zu dieser Abweichung durfte er sich selbst ohne Einholung einer besonderen Genehmigung des Direktors für befugt halten, zumal die Frage der genügenden Heizung der Aula während der Winterzeit dem die allgemeine Anordnung erlassenden Direktor gegenwärtig gewesen sein mußte. Falls aber der Lehrer O. beabsichtigte, den brennenden Ofen und den Schüler Sch. einzuschließen, so brauchte er dies nicht mit eigener Hand zu tun, sondern er durfte dies, wie er es bestimmt hatte, durch die Schüler E. und L. im Turnus besorgen lassen; so hat auch der Zeuge Lehrer C. den Abschluß der Aula gehandhabt. Darum konnte O., falls er den zurückbleibenden E. bemerkt hätte, des Glaubens sein, dieser werde seinem Auftrage gemäß die Aulatüre abschließen und sich dann entfernen. Wenn O. jedoch auf Grund der zuvor gekennzeichneten Erwägung wollte, daß E. nicht abschließe, sondern die Türe offen lasse, so konnte ihm, auch wenn er in die, abgesehen von Sch., leere Aula zurückblickte, der hinter dem Ofen versteckte E. sehr wohl entgehen. Es liegt insbesondere nicht im Sinne der zweiten Anordnung, daß der Lehrer immer zuerst die sämtlichen Schüler aus dem Klassenzimmer hinausgehen lasse und dann erst sich selbst entferne; so hat es der Zeuge Professor S. allerdings gehalten, aber die allgemeine Erfahrung bestätigt, daß die Aufsicht über das Leerwerden der Klassenzimmer für die Schulpausen von den Lehrern tatsächlich und ohne Beanstandung von seiten der vorgesetzten Stellen in verschiedener Weise ausgeübt wild. O. durfte es für genügend halten, daß er draußen dicht vor der Türe eine Weile stehen blieb.

Darum und weil die bewußt verbotswidrige Rückkehr des Klägers L. vom Schulhof in die Aula außerhalb der Verantwortung des O. steht, fallt dem O. eine Amtspflichtverletzung oder ein sonstiges Verschulden nicht zur Last. Es muß als rechtsirrig abgelehnt werden, daß derart allgemeinen, unbestimmten, flüssigen Anordnungen und Übungen des Schulbetriebes beim Eintritt eines eigenartigen, in solcher Gestalt kaum voraussehbaren Unfalls ein bestimmter, starrer Befehlswortlaut untergeschoben und der Lehrer wegen Verstoßes gegen solchen Wortlaut einer Amtspflichtverletzung oder eines sonstigen Verschuldens geziehen werde. Ein Verschulden könnte nur bejaht werden, wenn ein solcher bestimmter Befehlswortlaut vorläge und als unbedingt einzuhaltende starre Vorschrift durch die wirkliche praktische Handhabung den Lehrern unzweideutig zum Bewußtsein kommen mußte; beides war hier nicht der Fall."