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RG, 25.06.1917 - VI 170/17

Daten
Fall: 
Beweisbeschluß auf Zeugenvernehmung und Abnahme eines Schiedseides
Fundstellen: 
RGZ 90, 356
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.06.1917
Aktenzeichen: 
VI 170/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Danzig
  • OLG Marienwerder

1. Beweisbeschluß auf Zeugenvernehmung und Abnahme eines Schiedseides unter der gleichzeitigen Anordnung, daß zunächst nur die Zeugenvernehmung durch den ersuchten Richter erfolgen soll. Kann nach Vernehmung der Zeugen die Abnahme des Eides durch einen ohne mündliche Verhandlung ergehenden Beschluß des Prozeßgerichts verfügt werden?.
2. Wird der in dieser Anordnung liegende prozessuale Verstoß gemäß § 295 Abs. 1 ZPO. geheilt?

Tatbestand

Beide Fragen sind verneint worden aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Die Rüge einer Verletzung der §§ 128, 295 ZPO. erscheint begründet.

In dieser Hinsicht liegt folgender Sachverhalt vor. Nach dem Beschlusse vom 17. April 1916 ist unter I, 1 bis 8 die Vernehmung mehrerer von den Beklagten darüber benannten Zeugen angeordnet worden, daß den Klägern bekannt gewesen, die Beklagten hätten gegen die Mietzinsansprüche des Vermieters Fr. Einwendungen zu erheben und erhoben. Über dieselbe Beweisfrage sind sodann unter II des Beweisbeschlusses den Klägern 3 Eide auferlegt worden. Unter III des Beweisbeschlusses heißt es: "Die Erledigung des Beweisbeschlusses soll durch die zuständigen Amtsgerichte erfolgen, jedoch zunächst auf die Vernehmung der Zeugen beschränkt bleiben." Nachdem sodann die Vernehmung der Zeugen erfolgt war, ist durch einen vom Vorsitzenden und einen Mitgliede des Berufungsgerichts unterzeichneten, außerhalb der mündlichen Verhandlung ergangenen Beschluß vom 12. Oktober 1916 die Abnahme der Eide durch das Amtsgericht in Danzig angeordnet worden; diese Abnahme ist demnächst erfolgt. In den Gründen des angefochtenen Urteils heißt es in dieser Hinsicht, daß jener Beschluß vom 12. Oktober 1916 "ohne mündliche Verhandlung der Parteien und nur auf Grund des Vorliegens der Zeugenaussagen durch den Berichterstatter ergangen ist."

Der Annahme des Berufungsgerichts, der etwa vorliegende Prozeßverstoß gegen die §§ 453 Abs. 2, 285 Ab. 2 ZPO. sei dadurch gemäß § 295 ZPO. geheilt, daß die Beklagten es unterlassen hätten, das eingeschlagene Verfahren zu bemängeln, kann nicht beigepflichtet werden. Denn die Vorschrift des § 295 Abs. 1 ZPO. kommt nach Abs. 2 nicht zur Anwendung, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann. Zu diesen Vorschriften gehören alle diejenigen, die vorschreiben, daß eine Entscheidung nur auf Grund einer mündlichen Verhandlung getroffen werden kann. Vgl. RGZ. Bd. 34 S. 358, Bd. 39 S. 404, Bd. 40 S. 373, Bd. 54 S. 7, Bd. 57 S. 416, Jur. Wochenschr. 1890 S. 47 Nr. 6, 1901 S. 615 Nr. 1, 1904 S. 65 Nr. 29.

Es kann sich also nur noch fragen, ob der Beschluß vom 12. Oktober 1916, selbst wenn er nicht, wie es in dem Berufungsurteile heißt, "durch den Berichterstatter", sondern vom Gerichte selbst erlassen worden ist, ohne mündliche Verhandlung gefaßt werden konnte. In dieser Hinsicht kommt folgendes in Betracht. Nach § 453 Abs. 2 ZPO. gilt dann, wenn andere Beweismittel geltend gemacht sind, der Eid nur für den Fall als zugeschoben, daß die Antretung des Beweises durch die anderen Beweismittel erfolglos bleibt. Danach hätte streng genommen auf Grund der Verhandlung vom 10. April 1916 ein Beschluß über die Auferlegung der in dem Beweisbeschlusse vom 17. April 1916 normierten Eide noch gar nicht gefaßt werden dürfen und können, da diese Eide noch gar nicht endgültig zugeschoben waren. Wenn dies gleichwohl geschehen ist, so war es um deswillen unschädlich, weil unter in des Beweisbeschlusses angeordnet war, daß die Erledigung des Beschlusses zunächst auf die Vernehmung der Zeugen beschränkt bleiben solle. Danach waren die Beklagten nach jener Verhandlung gar nicht in der Lage, die Verletzung der Vorschrift des § 453 Abs. 2 ZPO. zu rügen, weil in Wirklichkeit durch den Beschluß unter III die Auferlegung der Eide auf die Kläger hinfällig gemacht, nämlich keine endgültige war, so daß danach die Beklagten nur annehmen konnten, es werde erst nach der Beendigung der nicht vor dem Prozeßgericht erfolgenden Zeugenvernehmung deren Ergebnis gemäß § 285 Abs. 2 ZPO. in der nächsten mündlichen Verhandlung vor dem Prozeßgerichte vorgetragen und alsdann erst darüber verhandelt werden, ob nunmehr die Eide endgültig zugeschoben und den Klägern auferlegt werden sollten oder nicht. Dies ist aber nicht geschehen; vielmehr sind die Eide ohne mündliche Verhandlung und ohne daß den Beklagten Gelegenheit gegeben war, sich in einer solchen darüber zu erklären, ob sie die Eide endgültig zuschieben wollten oder nicht, durch den Beschluß vom 12. Oktober 1916 den Klägern auferlegt und ihnen abgenommen worden. Ein derartiges Verfahren verstößt gegen den Grundsatz des § 128 ZPO., wonach unter allen Umständen darüber, ob einer Partei ein Eid aufzuerlegen ist oder nicht, nur in der mündlichen Verhandlung , entschieden werden kann, während im vorliegenden Falle diese Entscheidung ohne mündliche Verhandlung getroffen ist.

Dies Ergebnis, das auch durch § 23 der Bekanntmachung zur Entlastung der Gerichte vom 9. September 1915 (RGBl. S. 562) schon deshalb nicht beeinflußt wird, weil diese Vorschrift nach deren Abs. 2 auf das Verfahren vor den Oberlandesgerichten keine Anwendung findet, steht auch mit anderen Entscheidungen des Reichsgerichts durchaus in Einklang; So hat schon das Urteil vom 2. Oktober 1894 (RGZ. Bd. 34 S. 358) den Satz aufgestellt,: daß über die Frage, ob ein zunächst uneidlich vernommener Zeuge nachträglich hinsichtlich seiner Aussage beeidigt werden soll oder nicht, lediglich auf Grund mündlicher Verhandlung entschieden werden kann: Wenn es dort zur Begründung dieser Ansicht heißt, daß die zu treffende Entscheidung für das Endurteil in der Sache von grundlegender Bedeutung sei, da je nach ihrem Ausfall die Beweiswürdigung sich auf beeidigte oder unbeeidigte Zeugenaussagen zu stützen habe, so trifft diese Erwägung erst recht in einem Falle wie dem vorliegenden ohne weiteres zu. Es liegt nämlich auf der Hand, daß die Frage, ob die Zeugenvernehmung ein solches Ergebnis gehabt hat, daß es noch einer Eideszuschiebung und Eidesleistung über die in die Wissenschaft der Zeugen gestellten Behauptungen bedarf oder nicht, von entscheidender Bedeutung für den Prozeß ist. Denn die auf Grund der Eidesleistung sich ergebenden Feststellungen sind für den Prozeß endgültig maßgebend und können durch anderweite Beweismittel nicht mehr in Frage gestellt werden. Es kann demnach nur auf Grund einer ein beiderseitiges Gehör der Parteien ermöglichenden mündlichen Verhandlung endgültig darüber befunden werden, ob es nach Vernehmung der Zeugen noch einer Eideszuschiebung über die unter Zeugenbeweis gestellten Tatsachen bedarf; auch kann die Partei nur in der mündlichen Verhandlung endgültig und maßgeblich erklären, ob sie sich dieses Beweismittels bedienen will oder nicht, wie auch die Annahme des Schiedseides nur in einer mündlichen Verhandlung erfolgen kam.

Auch die sonst ergangenen Entscheidungen des Reichsgerichts stehen mit dem hier gefundenen Ergebnis nicht in Widerspruch. In Betracht kommt in dieser Hinsicht zunächst die Entscheidung vom 21. Januar 1910 (Jur. Wochenschr. 1910 S. 191 Nr. 16), die es für zulässig erklärt, ohne mündliche Verhandlung einen Beschluß auf Abnahme eines Eides auszuheben, nachdem Zeugen gehört worden sind. Denn hier handelt es sich nicht um die Auferlegung eines Eides, sondern umgekehrt darum, einen bereits auferlegten Eid in Wegfall zu bringen, eine Maßregel, die einer anderweiten Beweisanordnung nicht im Wege steht. Auch die Entscheidungen RGZ. Bd. 66 S. 211 und Bd. 76 S. 313 sind mit der hier vertretenen Auffassung vereinbar. In den durch diese Entscheidungen abgeurteilten Fällen war der Eid auf Grund einer mündlichen Verhandlung auferlegt, wenn auch unter Verletzung des § 461 Abs. 2 ZPO. Endlich steht auch die Entscheidung RGZ. Bd. 76 S. 327 mit der hier vertretenen Auffassung nicht in Widerspruch. Denn in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Falle war zwar vom ersten Richter ein Eid auferlegt und erhoben worden, obwohl zunächst andere Beweismittel geltend gemacht waren; insofern lag also eine Verletzung des § 453 Abs. 2 ZPO. vor, die das Reichsgericht durch die unterbliebene Rüge als geheilt angesehen hat. Dieser Fall unterscheidet sich aber von dem vorliegenden in erheblicher Weise dadurch, daß dort der Eid endgültig auf Grund einer mündlichen Verhandlung auferlegt war, so daß nunmehr die beschwerte Partei ohne weiteres die Verletzung des § 453 Abs. 2 ZPO. rügen konnte. Im vorliegenden Falle hat aber in dem auf Grund mündlicher Verhandlung ergangenen Beschlusse vom 17. April 1916 die endgültige Auferlegung eines Eides überhaupt nicht stattgefunden; vielmehr ist die Erledigung des auf die Eidesauflage bezüglichen Teiles des Beschlusses ausdrücklich späterer Beschlußfassung vorbehalten worden und sodann unter Verletzung des § 285 Abs. 2 ZPO., d. h. ohne mündliche Verhandlung, die Auferlegung und Abnahme der Eide endgültig erst durch den Beschluß vom 12. Oktober 1916 angeordnet worden. Endlich stehen auch die sonst noch in Frage kommenden Urteile des Reichsgerichts, nämlich RGZ. Bd. 3 S. 365, Bd. 16 S. 411. Bd. 29 S. 383; Jur. Wochenschr. 1886 S. 443 Nr. 2, 1902 S. 530 Nr. 6; Gruchots Beitr. Bd. 41 S. 709 und Bd. 45 S. 1133 sowie die Urteile II 302/04, VII 238/04 und I 223/06 der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen." ...