RG, 23.06.1917 - V 33/17
1. Bleibt der Kläger, der im Laufe des Rechtsstreits die Streitsache veräußert hat, für eine anhängig gewordene Widerklage legitimiert, auch wenn bei dieser - ohne Klagänderung - der Antrag geändert wird?
2. Kann gegen Hypothekengläubiger, die komplottmäßig zur Beseitigung eines fremden Besitz- und Ablösungsrechts zusammenwirken, der Verlust des Hypotheken- und Zwangsversteigerungsrechts ganz oder teilweise ausgesprochen werden?
Tatbestand
Eine später in Zahlungsschwierigkeiten geratene Firma Z. B. & Co. hatte von den Geschwistern E. in der Gemarkung von W. durch Vertrag vom 5. März 1910 ein aus zahlreichen Grundstücken zusammengesetztes Gut, genannt "Engelshof" in der Gesamtgröße von 513 Morgen, für 1.300.000 M erworben und nach Maßgabe einer notariellen Schuldverschreibung vom 16. März 1910 an erster Stelle mit einer Darlehnshypothek von 600.000 M zugunsten der Klägerin belastet. Die Hypothek sollte zwar 10 Jahre unkündbar sein, im Falle unpünktlicher, länger als 2 Wochen verzögerter Zinszahlung sollte jedoch die Gläubigerin zu sofortiger Einforderung berechtigt sein. Die Schuldnerin unterwarf sich sofortiger Zwangsvollstreckung. Anderseits behielt sie sich, da sie eine Villenkolonie anlegen wollte, das Recht vor, jederzeit die Freigabe einzelner Pfandgrundstücke zu verlangen (Nr. 11). Im Falle der Freigabe sollte sie 1200 M für je 25 a abzahlen und bei etwaiger Gefährdung der Sicherheit noch eine weitere von der Gläubigerin zu bestimmende Abzahlung (Ablage) leisten.
Hinter dieser Darlehnshypothek ließ die Schuldnerin noch 3 Hypotheken für die Geschwister E., August, Mathilde und Johanna als Restkaufpreis eintragen. Ihr Gesamtbetrag beläuft sich noch auf 435.000 M; nämlich je 195.000 M für Mathilde und Johanna E., während die Hypothek von August E. noch 45.000 M (in zwei Teilbeträgen von 33.200 M und 11.800 M) beträgt.
Am 9. Februar 1914 schloß die Schuldnerin mit mehreren Personen (A. u. Gen.) einen Vertrag, worin sie ihnen unter Vorbehalt des Eigentums an den Grundflächen den Kies und Sand von 150 Morgen der Grundstücke 472/96 (48 ha 86 a 21 qm) und 97 Flur 1 (26 a 82 qm), am Rhein gelegen, zu 25.000 M für je 5 Morgen zu 25 a "verkaufte". Den Käufern war die Übertragung ihres Rechtes gestattet, die sie dann auch zugunsten der Beklagten vornahmen. Diese begann mit Hilfe von Baggermaschinen mit der Aussandung und Auskiesung, nachdem sie die Abräumung des Lehm- und Mutterbodens, die eigentlich die Eigentümerin vornehmen sollte, mangels Erfüllung dieser Verpflichtung selbst bewirkt hatte.
Darauf hat am 15. September 1915 die Klägerin, die behauptete, ihre Sicherheit wäre gefährdet, auf Grund des § 1134 BGB. Klage mit dem Antrag erhoben, der Beklagten solle unter Strafandrohung untersagt werden, Kies und Sand zu entnehmen und den Lehm- und Mutterboden abzuräumen. Die Beklagte verlangte Abweisung der Klage und erhob Widerklage mit dem Antrage, die Klägerin solle dulden, daß ihr Pfandrecht gemäß § 268 BGB. und Nr. 11 des Beleihungsvertrags durch Zahlung von je 1200 M für 25 a abgelöst werde. Diese Widerklage ist jedoch vom Landgerichte durch Urteil vom 14. Juni 1916 abgewiesen worden, während das von der Klägerin verlangte Verbot bei Vermeidung einer Strafe von 1500 M für jede Zuwiderhandlung (unter Nachlaß der Abwendung durch eine Sicherheitsleistung von 300.000 M) erlassen wurde.
Inzwischen hatte die Aktiengesellschaft der M.-Werke, die zum Baue größerer Melkanlagen den Engelshof und andere Grundstücke erwerben wollte, um Preissteigerungen zu vermeiden, eine Gesellschaft m. b. H. "Ziegelei W." zu diesem Zwecke gegründet. Diese erwarb zunächst, am 23. Oktober 1915, die der Klägerin nachstehenden Hypotheken von insgesamt 435.000 M für 225.000 M und setzte sich dann mit der Klägerin in Verbindung, um unter Beseitigung des Aussandungs- und Auskiesungsrechts der Beklagten den Engelshof an sich zu bringen. Sie erwarb von der Eigentümerin (Firma Z. B. & Co.) durch Vertrag vom 9. Dezember 1915 zunächst den Hauptbestand des Engelshofes, ohne die zur Aussandung bestimmten Flächenabschnitte Flur 1 Nr. 97 und 472/96, und übernahm die Hypothek der Klägerin als persönliche Schuld insoweit, als die Klägerin nicht in dem Zwangsversteigerungsverfahren, das diese inzwischen, am 18. Oktober 1915, wegen eines Teilbetrags von 100.000 M und der seit dem 1. Januar 1915 rückständig gebliebenen Zinsen hatte einleiten lassen, Befriedigung finden würde. Die Zwangsversteigerung, der die Ziegelei W. mit 195.000 M u. Z. beitrat, wurde nur noch in Ansehung der Grundstücke I 97, 472/96 fortgesetzt. Den Restbestand des Engelshofes entließ die Klägerin aus der Pfandhaft und dehnte anderseits den Zwangsversteigerungsantrag, soweit er noch aufrecht erhalten war, auf den ganzen Betrag ihrer Hypothek von noch 576.378,33 M sowie der rückständigen Zinsen, zusammen 627.119,43 M aus. Im Zwangsversteigerungstermine vom 31. Juli 1916 bot die Beklagte der Klägerin Ablösung ihrer gesamten Hypothek gemäß § 268 BGB. durch Barzahlung von rund 630.000 M an, mußte aber dieses Angebot zurückziehen, als sie erfuhr, daß die Klägerin den Hauptteil des verhafteten Gutes freigegeben hatte und weitere Sicherheiten nicht besaß. Doch wurde auf Grund einer von der Beklagten erzielten einstweiligen Verfügung (vom 28. Juli 1916) das Zwangsversteigerungsverfahren eingestellt. Anderseits ruhte auch (infolge des für vorläufig vollstreckbar erklärten landgerichtlichen Urteils) die Aussandung und Auskiesung seit Mitte Juli 1916.
Die Klägerin trat demnächst ihre Hypothek an eine andere, von den M.-Werken gegründete Gesellschaft m. b. H. "Westdeutsche Immobiliengesellschaft" ab und erhielt volle Befriedigung. Sie schloß sich der von der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil eingelegten Berufung an und verlangte zugunsten ihrer Zessionarin den Wegfall der der Beklagten nachgelassenen Sicherheitsleistung sowie die Aufrechterhaltung des beantragten Verbots. Die Beklagte hielt ebenfalls ihre Anträge, den früheren Widerklagantrag jedoch nur als Hilfsantrag, aufrecht und beantragte
zur Widerklage in erster Reihe die Feststellung, daß das Pfandrecht der Klägerin an den Grundstücken I 97 und 472/96 von zusammen 153 Morgen durch Verwirkung erloschen sei.
Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung der klägerischen Anschlußberufung die Klage abgewiesen. Es nahm an, daß die Aussandung und Auskiesung die Sicherheit der Klägerin nicht gefährdet habe, so daß die Voraussetzungen des § 1124 BGB. nicht vorgelegen hätten. Im übrigen stehe der Klage infolge des böswilligen Zusammenwirkens mit den M.-Werken und deren vorgeschobenen Tochtergesellschaften (in der Absicht, das Recht der Beklagten zum Falle zu bringen) die Einrede der Arglist entgegen. Die Widerklage hat das Oberlandesgericht, sowohl in Ansehung des Haupt- als auch des Hilfsantrags ebenfalls für unbegründet erachtet und abgewiesen.
Gegen diese Abweisung der Widerklage hat die Beklagte mit teilweisem Erfolge Revision eingelegt.
Gründe
... "Der Berufungsrichter hat den Widerspruch, den die Klägerin gegen den neuen Hauptantrag der Widerklage auf Grund des § 529 ZPO. erhoben hatte, nicht berücksichtigt, weil er annahm, in diesem Antrage sei nach der böswilligen Vereitelung des ursprünglich geltend gemachten Ablösungsrechts nur eine durch die veränderte Sachlage herbeigeführte, nach §§ 529 Abs. 2, 268 Nr. 3 ZPO. zulässige Antragsänderung zu finden. Dessenungeachtet hat der Berufungsrichter den Antrag abgewiesen, einmal deshalb, weil die Beklagte nach der Abtretung der Hypothek an die Westdeutsche Immobiliengesellschaft nicht mehr berechtigt gewesen sei, den Verwirkungsantrag gegen die Klägerin zu erheben, und dann, weil das arglistige Verhalten, das der Klägerin zur Last falle, die Rechtsfolge einer Bewirkung der Hypothek noch keineswegs rechtfertige. Der Beklagten stehe nur das Recht zu, Schadensersatzansprüche geltend zu machen und gegebenenfalls der Klägerin die weitere Durchführung der Zwangsversteigerung der Grundstücke I 97 und 472/96 zu untersagen, den Rechtsbestand der Hypothek aber vermöge sie nicht anzutasten. Aber auch der ursprüngliche Hauptantrag, spätere Hilfsantrag sei aus doppeltem Grunde für unbegründet zu erachten. Zunächst stehe das vertragsmäßige Ablösungsrecht aus Nr. 11 des Beleihungsvertrags nur der damaligen Eigentümerin, die den Vertrag geschlossen, und nicht den Personen, die den Pacht- (sogen. Kauf-) Vertrag vom 9. Februar 1914 geschlossen hätten, sowie deren Rechtsnachfolgerin, der Beklagten, zu; denn eine Abtretung jenes Vertragsrechts sei weder im Vertrage vom 9. Februar 1914 noch, bei der weiteren Übertragung der Pachtrechte vorgenommen worden, und ein gesetzlicher Übergang, etwa aus § 268 BGB., sei nicht zu begründen. Sodann aber würde das Ablösungsrecht der Nr. 11 des Beleihungsvertrags unter den gegebenen Umständen auch der Eigentümerin, die den Vertrag geschlossen habe, nicht mehr zustehen. Denn es habe den Fortbestand der Hypothek zur Voraussetzung und könne nicht mehr geltend gemacht werden, nachdem die ganze Hypothek fällig geworden und zur Beitreibung gestellt worden sei.
Die Revision hat alle diese Gründe zu widerlegen versucht. Es kann ihr, was den Hauptantrag der Widerklage anlangt, zugegeben werden, daß der erste Grund, der die Berechtigung dieser Widerklage gegenüber der Klägerin verneint, nicht schlüssig ist. Wenn die Rechtsnachfolgerin der Klägerin, die Westdeutsche Immobiliengesellschaft, beim Erwerbe der Hypothek von der anhängigen Klage und der Lage des Rechtsstreits unterrichtet war, wie der Berufungsrichter an anderer Stelle festgestellt hat, und wenn sie demnach die Prozeßführung der Klägerin gegen sich gelten lassen muß (§ 265 Abs. 2 ZPO.), wenn ferner der nach der Abtretung der Hypothek erhobene neue Widerklagantrag keine Klagänderung, sondern nur eine gesetzlich zulässige Antragsänderung enthielt, so ist nicht abzusehen, warum die Klägerin zur Verhandlung über diesen Antrag nicht berechtigt und ihre Rechtsnachfolgerin nicht verpflichtet sein sollte, die Verhandlung gegen sich gelten zu lassen ... Dagegen sind die Ausführungen der Revision; womit sie die weitere Begründung des Berufungsrichters zu beseitigen versucht hat, nur zum Teil zutreffend. Das komplottmäßige Zusammenwirken zur Zerstörung eines fremden Rechtes, auch eines persönlichen Anspruchs, hat allerdings nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (Entsch. Bd. 62 S.137, Bd. 83 S. 237/40. Gruchot Bd. 51 S. 987, Jur. Wochenschr. 1910 S. 390 Nr. 7) nicht bloß Schadensersatzansprüche in der Form von Geldersatz, sondern unter Umständen auch den Verlust von Rechten auf seiten des Schädigers zur Folge (vgl. RGZ. Bd. 70 S. 193/7, Jur. Wochenschr. 1913 S. 539 Nr. 1, Gruchot Bd. 58 S. 901/3). Solche Verluste können jedoch immer nur insoweit eintreten, als der nach den §§ 826, 249 BGB. dem Geschädigten zustehende Schadensersatz- und Wiederherstellungs-Anspruch dies erfordert. Das der Beklagten zustehende Aussandungs- und Austiefungsrecht konnte an sich weder an dem Hypothekenrechte noch an dem damit verknüpften Zwangsversteigerungsrechte der Klägerin etwas ändern. Auf die Kündigung des § 57 ZwVG. mußte sie gegebenenfalls gefaßt sein, und die Zwangsversteigerung des Flächeneigentums ging sie überhaupt nichts an. Es stand ihr, wenn sie die Zwangsversteigerung und die Folge des § 57 ZwVG. vermeiden wollte, in ihrer Eigenschaft als Besitzerin der gepachteten Grundstücke (§ 268 Abs. 1 Satz 2 BGB., Prot. Bd. 3 S. 578) das Ablösungsrecht zu, und nur insoweit, als dieses vereitelt oder erschwert worden ist, ist sie in ihren Vertragsrechten geschädigt. Nur insoweit kann sie Schadensersatz und Wiederherstellung verlangen. Der Berufungsrichter ist also schon zu weit gegangen, wenn er der Beklagten das Recht, die Durchführung der Zwangsversteigerung zu untersagen, allgemein vorbehalten hat, und es erledigt sich damit die Revisionsrüge, daß er zum mindesten die Verwirkung dieses Zwangsversteigerungsrechts hätte aussprechen müssen.
Beseitigt wird die Schädigung der Beklagten, wenn ihr das gesetzliche Ablösungsrecht des § 268 BGB. mit einem der Verringerung der Pfandgrundstücke entsprechenden verhältnismäßigen Betrage gestattet und demgemäß das Zwangsversteigerungsrecht der Klägerin und ihrer Rechtsnachfolgerin auf diesen verhältnismäßigen Betrag beschränkt wird. Insoweit, als der Berufungsrichter dies übersehen und in seinem Urteile nicht zum Ausdruck gebracht hat, sind die Revisionsrügen begründet. Eines besonderen Antrags in dieser Beziehung bedurfte es nicht, weil es sich dabei gegenüber den gestellten Widerklageanträgen um mindere Rechte handelt.
Einen Anspruch auf das weitergehende vertragsmäßige Ablösungsrecht der Nr. 11 des Beleihungsvertrags, wie es mit dem ursprünglichen Haupt-, späteren Hilfsantrage von der Beklagten verfolgt worden ist, hatte diese nicht. Die Ausführungen des Berufungsrichters in dieser Beziehung sind durchaus zutreffend und konnten auch durch die Gegenausführungen der Revision nicht entkräftet werden. Auch wenn man mit der Revision annimmt, daß das vertragsmäßige Ablösungsrecht kein selbständiges Recht, sondern nur eine Ermäßigung der Schuldnerpflichten darstellt, so ist doch die Beklagte weder Beleihungsschuldnerin noch deren Rechtsnachfolgerin. Sie hat nur das gesetzliche Ablösungsrecht des § 268 BGB., mit dem vertragsmäßigen der Grundeigentümerin hat sie mangels Abtretung nichts zu schaffen. Demnach erübrigt sich die Erörterung, ob die Grundeigentümerin selbst nach Eintritt der Fälligkeit der Hypothek das vertragsmäßige Ablösungsrecht noch auszuüben vermag.
Zur näheren Erörterung der der Beklagten nach dem Vorhergehenden zustehenden Rechte, insbesondere des Wertverhältnisses der Grundstücke war das Berufungsurteil, soweit es die Widerklage betrifft, aufzuheben und die Sache in die Vorinstanz zurückzuverweisen." ...