RG, 23.09.1880 - Va 203/79

Daten
Fall: 
Eigentum an dem Flussbett eines öffentlichen Flusses
Fundstellen: 
RGZ 3, 232
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.09.1880
Aktenzeichen: 
Va 203/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Meseritz
  • Appellationsgericht Posen

Steht das Bett eines öffentlichen Flusses, so lange dieser, als solcher, existiert, im Eigentume der Uferbesitzer?

Tatbestand

Der Beklagte nimmt als Eigentümer der Herrschaft T. das Recht in Anspruch, das in dem Bette der Obra, eines öffentlichen Flusses, wachsende Rohr und Schilf, soweit dasselbe von einem Kahne aus mit einer Sense abgeschnitten werden kann, sich anzueignen. Kläger sieht darin einen unberechtigten Eingriff in sein Eigentum. Er behauptete als Eigentümer einer an der Obra belegenen Wiese auch Eigentümer des Bettes derselben, soweit dieses durch seine Wiese begrenzt wird, bis zur Mittellinie des Flusses zu sein, und stellte daher den Antrag: zu erkennen, daß dem Beklagten auf das an dem Ufer seiner Obrawiese wachsende Schilf und Rohr ein Nutzungsrecht nicht zustehe. Der Beklagte beantragte Abweisung, wurde aber in den beiden Vorinstanzen nach dem Klageantrage verurteilt.

Auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Beklagten hat das Reichsgericht das Appellationserkenntnis vernichtet und den Kläger abgewiesen.

Gründe

"Der in der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das zweite Urteil erhobene Vorwurf der Verletzung der §§. 225 bis 228. 244. 246. 263. 264 und 265 A.L.R. I. 9, sowie der §§. 38. 55 und 56 A.L.R. II. 15 ist begründet.

Der Appellationsrichter stützt seine Entscheidung auf die Annahme, daß das von dem Wasser bedeckte Bett eines öffentlichen Flusses im Eigentum der Adjacenten stehe. Er beruft sich zum Beweise der Richtigkeit dieser Annahme auf die Vorschriften des A.L.R.'s II 15 und I. 9, und auf die diesen gesetzlichen Vorschriften in verschiedenen Erkenntnissen des vormaligen preußischen Obertribunals angeblich beigelegte Bedeutung. - Die Berufung auf das Erkenntnis vom 17. Januar 1873 - Striethorst, Archiv Bd. 87 S. 320 - ist verfehlt, denn in demselben wird die Frage, wem das Eigentum an dem Bette der öffentlichen Flüsse zusteht, nicht erörtert, vielmehr nur der Satz begründet:

"Der Fiskus ist nicht Eigentümer der öffentlichen Flüsse. Dieselben stehen im gemeinen Eigentum des Staats, nicht in dessen besonderem Eigentum, sie sind res publicae, nicht res fisci. Nur die von ihnen zu ziehenden einzelnen Nutzungen sind als fiskalisches Eigentum anzusehen."

Dagegen muß dem Appellationsrichter zugegeben werden, daß das Erkenntnis vom 4. November 1859 - Entscheidungen Bd. 42 S. 54 - folgende Stelle enthält:

"So lange ein öffentlicher Fluß als solcher besteht, wird zwar das Eigentum der Uferbesitzer an dem Flußbette resp. die in demselben enthaltenen Gebrauchs- und Nutzungsrechte durch das Wasser, welches das Bett bedeckt, beschränkt und gehindert: es hat jedoch der Fiskus weder das Eigentum noch den Besitz am Flußbette."

Ebenso befindet sich in der vom Appellationsrichter in Bezug genommenen Entscheidung vom 24. November 1870 - Striethorst, Archiv Bd. 81 S. 73 - der Satz:

"Das Eigentum der Uferbesitzer an dem Bette eines öffentlichen Flusses entsteht nicht erst neu in dem Zeitpunkte, wo dieses vom Wasser verlassen wird, hat vielmehr schon vorher bestanden, und ist nur, so lange und so weit dem Staate an dem darüber hinströmenden Wasser selbst vermöge dessen Regalität die Nutzungen zustehen, eingeschränkt."

Wenn jedoch in diesen Stellen der vom Appellationsrichter zur Anwendung gebrachte Grundsatz ausgesprochen sein sollte, so kann demselben aus folgenden Gründen nicht beigetreten werden.

Jedes dauernd fließende Gewässer besteht aus drei wesentlichen und notwendigen Bestandteilen: dem fließenden Wasser, dem Bette, worin dasselbe sich bewegt, und den Ufern. Diese Bestandteile zusammen bilden ein integrierendes, je nach der Größe "Strom" oder "Fluß" oder "Bach" genanntes Ganze.

Daraus folgt, daß die von dem Gesetze dem Ganzen, dem Strome, Flusse oder Bache, beigelegte rechtliche Eigenschaft allen Bestandteilen desselben beiwohnt, insoweit nicht das Gesetz über die rechtliche Qualität eines einzelnen Teiles eine besondere Vorschrift enthält.

Dies wird denn auch von den namhaften römischen Juristen ausdrücklich anerkannt, indem dieselben sich ganz entschieden darüber aussprechen, daß beim Mangel einer speziellen Bestimmung über die rechtliche Eigenschaft des Bettes eines öffentlichen Flusses dasselbe unmöglich eine andere rechtliche Qualität, als das Wasser, haben könne.

  • Pomponius in 1. 30 § 2 Dig. de adquirendo rerum dominio 41. 1.: nam et natura fluminis haec est, ut cursu suo mutado alvei causam mutet.
  • Gajus in 1. 7 § 5 Dig. cod.: novus autem alveus ejus juris esse incipit, cujus et ipsum flumen, id est publicus juris gentium.
  • Ulpianus in 1. 1 § 7 fin. Dig. de fluminibus 43. 12.: ille etiam alveus, quem sibi flumen fecit, etsi privatus ante fuit, incipit tamen esse publicus, quia impossibile est, ut alveus fluminis publici non sit publicus.

Das A.L.R. enthält im §. 55 II. 15 in Übereinstimmung mit dem römischen Rechte - vgl. 1. 30 §. 1 Dig. de acquirendo rerum dominio - eine besondere Vorschrift über die rechtlichen Eigenschaften der Bestandteile der öffentlichen Flüsse nur in betreff der Ufer, dagegen nicht in betreff des Wassers und des Bettes derselben.

Wenn daher der, auf alle öffentlichen Flüsse sich beziehende §.21 A.L.R. II. 14 - vgl. Entscheidungen des Obertribunals Band 58 Seite 1 flg. - verordnet:

"Die Land- und Heerstraßen, die von Natur schiffbaren Ströme - sind ein gemeinsames Eigentum des Staats",

mithin dem öffentlichen Flusse, also dem Ganzen, die Eigenschaft des gemeinen Eigentums des Staats beilegt, so kann seine Vorschrift nicht auf das Wasser allein beschränkt, sondern sie muß auf beide Bestandteile des öffentlichen Flusses, über deren rechtliche Qualität anderweitig keine Bestimmung getroffen ist, mithin sowohl auf das Flußwasser, als auch auf das Flußbett bezogen werden. Das letztere ist daher nach dem §. 21 a. a. O., ebenso wie die hinströmende Wasserwelle selbst, gemeines Eigentum des Staats, somit, weil es danach zum Gebrauch für jedermann bestimmt, also eine res communis omnium ist, eine res nullius und deshalb eine res publica.

Dagegen kann auch nichts aus den landrechtlichen Bestimmungen über den Erwerb der in einem Flusse entstehenden Insel und des vom Wasser verlassenen Flußbettes gefolgert werden.

Vergl. A.L.R. I. 9. §§. 242 flg. und II. 15 §§. 67 flg. Denn das A.L.R. behandelt diesen Erwerb im neunten Titel und in dessen sechstem Abschnitt, rechnet denselben somit zu den unmittelbaren, d. h. zu den Erwerbungen des Eigentums, bei welchen außer dem Titel die Besitznehmung erfordert wird - A.L.R. I. 9. §. 5 - und betrachtet die insula in flumine nata und den alveus derelictus als durch die Natur oder die Kunst von außen her bewirkte Vermehrungen der Ufergrundstücke - §. 222 daselbst.

Dem entsprechend wird in den §§. 244. 263 a. a. O. den Flußnachbarn nur das nächste Recht der Zueignung der im Flusse entstandenen Insel und des durch Verkrippungen und anderen dergleichen Anstalten dem Flußbette abgewonnenen Grund und Bodens eingeräumt, auch ausdrücklich bestimmt - vgl. §§. 246. 263 daselbst - , daß zur Erwerbung des Eigentums an der Insel und an dem, dem Flußbette durch Verengung desselben abgewonnenen Grund und Boden die Besitzergreifung erforderlich ist. Aus diesen Vorschriften ergiebt sich, daß die Eigentümer der Ufer eines öffentlichen Flusses nicht Eigentümer des Flußbettes sind, so lange durch dasselbe das Wasser fließt, daß sie dasselbe vielmehr erst dann erwerben können, wenn das Wasser es verlassen und es deshalb aufgehört hat, als Flußbett zu existieren.

Dem steht endlich auch die Bestimmung des §. 270 a. a. O. nicht entgegen, denn sie handelt nur von dem Flußbette, nachdem das Wasser dasselbe verlassen und es dadurch die Eigenschaft eines Bestandteils des Flusses verloren hat, spricht mithin nicht gegen die Annahme, daß das Flußbett, so lange das Wasser dadurch fließt, und dasselbe deshalb Bestandteil des Flusses ist, eine res nullius ist.

Der Appellationsrichter hat hiernach durch seine entgegengesetzte Annahme die in Nichtigkeitsbeschwerde als verletzt bezeichneten Gesetzesstellen unrichtig ausgelegt und angewendet, seine lediglich auf dieser Annahme beruhende Entscheidung unterliegt mithin schon deshalb der Vernichtung.

Die hierdurch eröffnete freie Beurteilung der Sache führt zur Abweisung der Klage.

Kläger gründet dieselbe auf sein Eigentum an dem Bette der nach seinen eigenen Angaben zu den öffentlichen Flüssen zu rechnenden Obra; zum Beweise seines Eigentums daran beruft er sich nur auf die Thatsache, daß er Eigentümer einer an die Obra grenzenden Wiese ist. Aus dieser Thatsache folgt aber, wie eben gezeigt ist, sein Eigentum an dem vom Wasser bedeckten Bette der Obra nicht, seine Klage ist daher unhaltbar."